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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.03.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020310026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902031002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902031002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-03
- Tag1902-03-10
- Monat1902-03
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Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes «nd Polizei-Amtes der Ltadt Leipzig. Anzeigerr-Pret- die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redaction«strich («gespalten) 75 vor den Familiennach- richten («gespalten) 5V Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ./t 70.—» Auuahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au«gabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Montag den 10. März 1902. 98. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die Streitkräfte der Boeren. Die Correspondenz „Nederland" schreibt: Wer hätte es je fttr möglich gehalten, daß ein englischer Ntinister einen gemachten Kehler auch einmal ehrlich eingesteht? Kriegs minister Brodrick hat sich — zweifellos unter dem Drucke des jüngsten Boerensiegs und des aus den amtlichen An gaben über gelödtete, gefangene u. s. w. Boeren gezogenen Schlusses, daß die Engländer in Südafrika bereits gegen Minus-Bocren kämpfen — zu dieser während dieses Krieges doppelt überraschenden Heldcnthat aufge schwungen, indem er in der Donnerstags-sitzung des Unterhauses bekannte, daß die bisherige Schätzung der Streitkräfte -er Boeren an einem sehr wag halsigen Optimismus kranke; er werde sich gewiß nie mehr an Schätzungen wagen. Diese seine Ehrlichkeit hat er aber sofort wieder abgestreist, als er auf die für Eng land ja gewiß peinliche Frage, wie groß die Zahl der bewaffneten Basutos in den englischen Reihen sei, die Antwort ertheilen sollte. Denn obwohl er ihre Zahl ganz genau, jedenfalls aber viel bester kennt, als die der noch im Felde stehenden Boeren, glaubte er doch diplomatisch reden zu müssen, und so erklärte er denn, er habe darüber keine Berichte. Sein Verhalten in diesem Puncte muthet uns an, wie der Fall, daß der Zeuge vor Gericht die Antwort auf eine Frage verweigern kann, wenn ihm ihre Beantwortung selbst eine Anklage ein tragen könnte! Brodrick gestand jedoch auf die weitere Frage, ob alle Boeren, die in den Kitchener'schen bezw. kriegsamtlichen Wochenberichten als getödtet, ge lang c n u. s. w. vorkommen, auch wirklich st reitbare Boeren seien, wiederum ein, cs sei unmöglich gewesen, zu unterscheiden zwischen fech tenden und nichtfechtenden Boeren. Für uns, die wir an der Hand von Zahlen und Thatsachen un zählige Male nachgewiesen haben, baß die Kitchener'schen Waschzetn» nur einer planmäßigen Irreführung nicht blos Englands, sondern der ganzen boerenfreundltchen Welt dienen, kommt auch dieses Etngeständniß nicht über raschend: überraschen muß nur, daß cs gerade jetzt erst erfolgt ist. Man darf nun begierig sein, wie sich die jingoistische Presse mit diesem doppelten Etngeständniß abfindet, sie, die auf den „rveekl^ -returns" Kitchener's und des Kriegs amtes die fulminantesten Leitartikel über die unvermeid liche Niederlage der Boeren und die baldige Beendigung des Krieges aufgebaut und daraus das Gift und die Galle gezogen hat, mit der sie die Repräsentanten der Boeren in Europa und die „von ihnen bezahlte continentale Presse" besudelte. Die Hinrichtung Gcheepers'. Die Fran eines Tommy, der in Südafrika dient, hat an „Reynolds Newspaper" folgenden Brief gerichtet, der das Datum des 24. Januar trägt und von ihrem Mann aus Graaf Reinet iCapcolonie) abgeschickt worden ist: „Ich habe am Sonnabend um 3 Uhr der Hinrichtung des Kommandanten Scheepers beigewohnt. Man brachte ihn auf einer Tragbahre aus der Stadt, mit Musik, hinter der die zur Füsilirung commandirte Abtheilung mar- schirte. Als man ihn zu der Stelle gebracht hatte, wo sein Grab gegraben war, bat er, aufstehen und so den Tod empfangen zu dürfen. Man setzte ihn darauf auf einen Stuhl und verband ihm die Augen. Fünfzehn Mann der Coldstream Guards standen zehn Schritte von ihm ent fernt und feuerten nun. Fast der ganze Körper wurde ihm durch die Schüsse zerschmettert, und es war ein ent setzliches Schauspiel. Er muß ein tapferer Mann gewesen sein. Er zuckte nicht und erblaßte auch nicht. Man be grub ihn, so wie er war, und warf die Stücke des Stuhles auf seinen Leichnam." Politische Tagesschau. * Leipzig, 10. März. Wenn die Absicht der preußischen Conservativen und CcntrumSleute, im Ab geordneten Hause die Regierung aufzufordern, für die von der Zolltarifcommission de« Reichstag« gewünschte Verstärkung der landwirth- schaftlicken Schutzzölle überdie Vorlage hinaus ein zutreten, verwirklicht wird, so wird den preußischen Ministern nichts Anderes übrig bleiben, als sich der betreffenden Sitzung des Hauses fern zu halten. Denn eine solche Aufforderung ist eine Verhöhnung in zwiefacher Hinsicht. Mit größter Bestimmtheit ist wiederholt von berufener Seite erklärt worden, daß die verbündeten Regierungen über die in der Zolltarifvorlage festgesetzten Minimalzölle für Getreide nicht hinauSgrhen können; zu den verbündeten Regierungen gehört auch die preußische; ihr soll also zugemuthet werden, daS Gegen- theil von dem zu thun, was sie thun zu können auf das Bestimmteste hat erklären lassen. Wenn da- nicht eine Verhöhnung ist, so giebt es überhaupt keine. ES ist aber eine solche auch in anderer Hinsicht. Der Reichskanzler und der Staats sekretär Graf PosadowSky, die in dieser ihrer Eigenschaft ihr Unvermögen, über jene Sätze hinauSzugehen, bekundet haben, sind preußische Minister; als solche sollen sie also auf gefordert werden, auch den Reichskanzler und den Staats sekretär, die in ihnen stecken, zu verleugnen! Ja, im Grunde genommen, ist die Aufforderung an das preußische Ministerium sogar eine Verhöhnung der preußischen Krone. In Preußen regiert der König; ohne seine Z"si,mmnng können Vne Minister in einer die Gesetzgebung betreffenden Frage nicht Stellung nehmen. ES war also seine Zustimmung nöthiz gewesen, als im Namen der verbündeten Regierungen, zu denen auch die preußische gehört, erklärt wurde, sie seien unvermögend, über die Minimalsätze des Zolltarifs hinauszugehen. Wird nun den preußischen Ministern zugemuthet, trotzdem für Erhöhung dieser Sätze einzutreten, so wird auch der Krone zugemuthet, die Zustimmung zu jener Erklärung zurückzunehmen und sich selbst zu verleugnen! Derartiges ruhig anzuhören, kann keiner Regierung zugemuthet werden. Es wäre auch undenkbar, baß conservative Männer und klerikale „Stützen deS Thrones", die auf das Commando der Führer des Bundes der Land- wirthe einschweoken wie Unterosficiere, ihrer Regierung in solcher Werse zu kommen sich getrauten, wenn die Regierutig diesen Elementen den Uevermuth nicht förmlich eingeimpft hätte. WaS der KlerikaliSmus in Preußen schon ertrotzt bat, braucht nicht aufgezählt zu werden. Und wenn eine Fraction, wie die conservative deS preußischen Abgeordnetenhauses, beamtete Mitglieder hat, die sich rühmen dürfen, wegen un gehöriger Agitation gegen daS Canalproject erst gemaßregelt und dann befördert worden zu sein, so kann man es allen falls begreifen, wenn diese Fraction, um ihren Willen durch zusetzen, der Regierung offene Selbstverleugnung ansinnt. Graf Bülow tragt aber nicht die Verantwortung für die Belohnung der beamteten Agitatoren gegen daS Canalproject und den Klerikalen hat er sich auch noch nicht mit Haut und Haaren verschrieben. Er kann also der Jnconsequenz nicht geziehen werden, wenn er sich mit seinen preußischen Minister- collegen gar nicht der Lage aussetzt, mit eignen Ohren eine Zumuthung anzuhören, welchedie Würde derStaatSrcgierung und der Krone gröblich verletzt. Die nationalliberale Fraction deS preußischen Abgeordnetenhauses darf sicher sein, daß die Bestimmtheit, mit der sie die Aufforderung zum Anschluß an daS Vorgehen der Conservative» und deS CentrumS für sich und alle ihre Mitglieder zurückgewiesen hat, die Billigung aller Gesinnungsgenossen im ganzen Reiche findet. Da fällt uns ein: sollte vielleicht Graf Bülow unter den Geistern einen Feind haben, der die preußischen Conservativen und Centrumsleute zu ihrem Vorgehen an stiftet? Warum nicht? Der Herr Staatsanwalt Franz Riß in München wird die Möglichkeit einer solchen Einwirkung schwerlich leugnen. Er hat, wie wir dem „Berl. Tagebl." entnehmen, in den Nummern 1 und 2 deS Jahr ganges 1901 des Spiritistenblattes „Uebersinnliche Welt" einen Artikel über Strafrecht und LccultiSmuS veröffentlicht, in dem es u. A. heißt: „Unsere Wissenschaft aus diesem Gebiete beschränkt sich jetzt noch darauf, daß es unsichtbare intelligente Wesen giebt, die unler gewissen Umständen sich uns manisestiren, mit unS in Verkehr treten. Welcher Art diese Wesen sind, wissen wir nicht. Der Nachweis, daß es sich um die Geister Verstorbener handelt, steht noch aus, so viel auch dafür spricht. Wir können darum auch nicht sagen, ob nicht diese Wesen sich bereit finden lassen, zu strafbaren Handlungen mitzuwirken. Denken wir etwa an eine Erbschleicherei oder einen sonstigen Betrug, der mit Hilfe von Geistererscheinungen durchgesührt wird. Vielleicht ist auch ein Diebstahl mit Geisterhilfe möglich; wenn bei Sitzungen Gegenstände apportirt werden, so müßen sie wohl anderswo weg- genommen sein... Was wir in spiritistischen Sitzungen über begangene Strasthaten erfahren, steht an Be- nicht über dem, wa« durch Hellseher, gewonnen werden kann, so daß eS sich nicht verlohnt, den eomplicirteren Apparat, der hier nothwendig ist, zu diesem Zweck in Bewegung zu setzen. Das würde sich allerdings ändern, wenn der Identitätsnachweis ge» länge. Dann könnte freilich gerade bei den schwersten Strasthaten, bei den TödtungSdelicten, durch die Angaben dieser Wesen ein äußerst werthvolles Material gewonnen werden. Wie wäre eine solche Aufklärung z. B. gerade bei den Ritualmordprocessen in Könitz und Pisek von Bedeutung ge wesen! Ob eS einmal so weit kommen wird, ist eine offene Frage." Schade, daß der staatsanwaltliche Verfasser nicht Mit glied des preußischen Abgeordnetenhauses ist! Ab gesehen von den Aufschlüssen, die man dort vielleicht mit der Zeit über Geisterhilfe bei Interpellationen, Anträgen, Gesetzentwürfen, Abstimmungen und Reden von ihm er halten könnte, würde er sich ein besouderes Verdienst als Mitglied der Commission erwerben können, der die Vorlage über die Neuregelung deS juristischen Vor bereitungsdienstes überwiesen ist. Denn nach der „Wissenschaft" des Herrn Staatsanwalts ist eS doch sonnen klar, daß der fleißige Besuch spiritistischer Sitzungen ein wesentlicher Bestandteil dieses Vorbereitungsdienstes werden muß. Hoffentlich trägt wenigstens die bayerische Regie rung Sorge dafür, daß der Herr Staatsanwalt Franz Riß auf den Platz gestellt wird, der ihm gebührt. Das angekündigte Erscheinen -er,)Wart bürg", des neuen Organes für die Los von Rom-Bewegung, hat die bayerischen Klerikalen in größte Aufregung versetzt. So schreibt die „Augsburger Postzeitung": „In unserem friedlichen Lande Bayern soll von Nichtbaveru und Ausländern ein Unternehmen etablirt werden, das berufen ist, die Führung der Abfallsbewegung und Seelen fängerei zu übernehmen und die Los von Rom-Bewegung auch im deutschen Reiche epidemisch zu machen. Es liegt die Versuchung nahe, die Motive und Absichten der ge wissenlosen Friedensbrecher, die solches dem katholischen Lande Bayern zu bieten wagen, gleich hier zu ergründen. Hier thut es noth, daß eine treubayerische Politik die Thätigkeit des geistlichen Amtes ergänzt." Die große Er regung verräth die Angst und das Gefühl der Schwäche im klerikalen Lager. Natürlich wird der alte Kniff ver sucht, die Sache in's Politische zu spielen und dem Verleger Lehmann hochverräterische Verprcußungspläne unterzu schieben. Das „katholische" Bayern (ein Drittel Pro testanten!) kann ruhig sein: die „Wartburg", deren Ver leger zufällig in München wohnt, hat ganz andere Ab sichten, als an den blauweißen Grenzpfählen zu rütteln. Bezeichnend ist es aber, daß die Klerikalen immer wieder durch Verdächtigungen die Staatsgewalt als Büttel zu gewinnen suchen. — Gleichzeitig erhalten wir von Carl Braun's Verlag in Leipzig folgende interessante Mitteilung: „Warnung! Es geht mir die Nachricht zu, daß sich in Oesterreich ein Mann herumtreibt, der sich als meinen Vertreter ausgiebt und unter meinem Namcni evangelische Flugblätter und Bücher aus bietet. Ich erkläre hiermit öffentlich, daß ich keinen Vertreter beschäftige, und warne hiermit aus drücklich vor allen unlauteren Versuchen dieser Art, die jedenfalls von der Gegenpartei eingeleitet sind, um unsere evangelischen Brüder tH Österreich zu ver dächtigen und unserer Sache zu schaden. Von zweiter Seite wird mir mitgetheilt, daß ich in der „Südstetrischen Presse" als höchst gefähr lich für -en Bestand Oesterreichs geschildert werde, weil ich antidynastische Flugblätter, wie „Habsburger Sünden" und „Oesterreichs Zusammen bruch" verbreiten würde. Diese Behauptung ist eine voll ständige Unwahrheit, ich habe diese Broschüren nochnic gesehen, viel weniger verbreitet. Werden dieselben trotzdem unter meinem Namen verbreitet, so ist auch dies ein gegnerischer Versuch, die evange lische Sache und deren Vertreter bei der österreichischen Negierung anzuschwärzen und dieselbe zu schädigen." Das Land der Putsche, die Balkauhalbinsel, ist um einen neuen Streich reicher. Ein bisher unbekannter Serbe versuchte, wie gemeldet, mit einem Gefolge von vier Mann die serbische Dynastie der Obreno- w i t s ch z u st ü r z e n. Hoch hat er also die Widerstands kraft des serbischen Hauses nicht veranschlagt, aber groß muß ihm, oder Denen, die ihn gesandt hatten, die Unzu friedenheit des serbischen Volkes mit ihrem Belgrader Königshause erschienen sein. Und manchmal schon, so lehrt die Balkangeschichte, genügte eS, eine Hand voll ent schlossener Leute richtig anzusetzen, nm die Masse des Vol kes mit fortzureißcn. Fürst Alexander wurde von einem Dutzend Officicre und Junker gestürzt; dann spielte der Telegraph und das ganze Heer mit wenigen Ausnahmen leistete den Verschwörern den Eid der Treue, freilich, um nach einigen Tagen sich wieder loszusagen. Aber der erste Erfolg war nicht ausgeblichen, und geschickte Köpfe hätten Feuillatvn. 8i Die drei Freunde. Roman von Robert Misch. Nachdruck vtlbokn. „Berlin, 16. October 188 r i Mein lieber Vater! Du zürnst mir zwar noch immer und hast meine letzten Briefe vor zwei Jahren nicht beantwortet; aber vielleicht verzeihst Du mir endlich, wenn ich Dir mittheile, daß eS mir gut geht und noch besser gehen wird. Ein großes Glück steht mir bevor. Das reizendste, liebenswürdigste Mädchen von der Welt, die übrigens auch unserer Konfession angehört, Fräulein Paula Rietberg, Lehrerin an einer hiesigen Privatschule, hat mich mit ihrer Neigung und ihrer Hand beglückt. In zwei Wochen soll bereits die Hochzeit statt finden. Paula lebt unter dem Schutze einer alten, verwittweten Tante, der Frau Kanzleirath Ahlers. Ich schicke Dir hier ihre Photographie mit, aus der Du ersehen kannst, lieber Vater, welch' guOn Geschmack Dein Sohn besitzt. Und dabei ist sie in Wirklichkeit noch viel hübscher, aber auch zugleich liebenswürdig, gut, sanft und edclherztg. Sie wird mir eine gute Gattin, Dir stets eine gute Tochter sein. Gegen ihre Familie läßt sich ebenso wenig etwas ein wenden. Der Vater war Gymnasiallehrer, ist schon lange todt; die Mutter folgte ihm bald. Wir wären schon längst zu Dir geeilt, und ich hätte Dir meine zukünftige Gattin als Tochter -»geführt; aber ich weiß nicht, wie Du unS aufnehmen würdest. Diese Zeilen sollen eine Versöhnung zwischen un- an bahnen. Lieber Vater, laß' das Vergangene vergangen und vergessen sein! Gs ist doch nun mal nicht mehr zu ändern, daß ich ein Künstler, statt nach Deinem Wunsche ein Beamter Sin. Glaube mir, ich fühle mich so glück- licher und wäre -och nie ein Jurist nach Deinem Herzen oder zur eigenen Zufriedenheit geworden. WaS nützt daS Grollen und Grämen mit Deinem einzigen Sohne! Reich Sin ich freilich noch immer nicht, werbe eS wohl auch niemals werden. Aber eS geht mir doch schon so gut, daß ich zu heirathen im Stande Sin. Ich war sehr fleißig im letzten Jghxe «nd habe Glück gehabt, «in größeres Genrebild wurde sehr gut verkauft; daraufhin bekam ich auch einige Porträt-Aufträge, an denen ich jetzt noch arbeite. Auch zeichne ich sehr viel für die fliegen den Blätter" und für illustrirte Journale, mache Radi rungen u. s. w. Kurz, es geht voran. Es ist mir ganz seltsam zu Muthe bei dem Gedanken, daß ich bald Ehemann sein und einen eigenen Haus stand haben werde. Ich weiß wohl, daß ich damit große Verantwortung und schwere Pflichten auf mich lade, daß ich jetzt fleißig sein muß, während ich cs bisher nur nach Stimmung und Belieben war. Aber das ist vielleicht ein großes Glück für mich. Ich bin, offen gesagt, einer von den Menschen, die immer eines gewissen Zwanges bedürfen; und -och fühle ich mich nie froher als bei der Arbeit. Wenn Du nun, lieber Vater, Paula und mich noch glücklicher machen willst, als wir es schon sind, so verzeihst Du endlich Deinem Sohne und verschönst sein Hochzeits fest durch Deine und der Tante Theres' Gegenwart. Bitte, erfülle diese unsere inständige Bitte! Paula grüßt und küßt Dich als Tochter. Sie wird selbst einige Zeilen an Dich und die Tante richten. Nochmals, Vater — vergiß und verzeih' Deinem Dich stets und innig liebenden Sohne Bruno." „Rohrbach, 26. October 488 : . Bist Du so lange ohne den Segen und die Zustimmung Deines Vater- ausgekommen, so wirst Du es auch wohl ferner können. Ich kann weder vergessen, noch verzeihen, daß Du einen Beruf ergriffen hast, der den ernsten Lebensanschauungen Deiner würdigen Vorfahren und Deines Vaters so wenig entspricht. Ich glaube, daß der Gram darüber Deiner Mutter den Lcbensfaden verkürzt bat, wenn auch freilich der Herr allein über Leben und Tod entscheidet. Würdest Du noch Deinen Pinsel der Kirche weihen! Aber ich habe Zeichnungen von Dir gesehen — da sich immer gute Menschen finden, die Einen auf so etwas aufmerksam machen —, Zeichnungen, die mich mit Ent- setzen erfüllten oh ihrer unverhüllten Frivolität und ihrer nackten Gemeinheit. Du lebst in einer Umgebung und in einer Welt . ; . kurz, e» ist besser, wenn so weniaBerührung wie möglich zwischen Deiner «nd unserer Welt ftaitftndet. Auch könnte das nur zu neuen Reibungen und Mtzverständ- ntffen führen. Ich freue mich al« Vater, daß e« Dir gut geht; ich hoffe für Dich auch ferner das Beste und wünsche Dir und Deinem Fräulein Braut Glück zu dem neuen Lebens weg, -en Du hoffentlich als einen christlichen betreten und wandeln wirst. Die Tante schließt sich diesen Wünschen an. Dein Vater Dietrich Brcitinger." Zwölftes Capitel. Der große Tag war endlich gekommen, ein schöner, klarer Herbsttag. Am Tage vorher waren sie standes amtlich getraut worden. Den Polterabend hatten sic ganz einfach, aber lustig, mit Franz, Micglitz und der Familie Rennebohm gefeiert. Mitten in der Nacht wachte Paula auf, mit einem heißen Glücksgcfühl im Herzen und voll Dankbarkeit gegen das Geschick, trotzdem sie wußte, daß sie äußerlich keinem glänzenden Loose entgegenging, und daß sie ständig und hart werde arbeiten müssen. Auch die gute Tante konnte nicht schlafen; und kaum graute der Morgen, so stellten sich auch schon Frau Rennebohm und ihre Tochter Eva ein, die mit der Ober leitung des Hochzeitsmahlcs betraut waren, das in der Wohnung der Neuvermählten in Charlottenburg statt finden sollte. Nach hastig eingenonnncnem Frühstück fuhren die drei Damen nach Charlottenburg hinaus» wo sich alsbald eine dicke Kochfrau cinfand. Die Braut arbeitete tüchtig mit. Die Acrmcl hoch aufgestülpt, half sic Mehlspeisen und Saucen mischen, Geflügel rupfen und Kartoffeln schälen. Bon Zeit zu Zeit lief sic, den Lössel oder den Schaum schläger in der Hand, mit glückstrahlendem Gesicht durch die drei Zimmer, liebevoll mit den Augen oder den Händen jedes einzelne Stück der so mühsam zusammen gebrachten, leider erst zum Thcil bezahlten Einrichtung streifend. Hier also sollte sie künftig wohnen — ganz allein mit ihm. Es kam ihr wie ein Traum vor. Hier an diesem Tische würden sie zusammen speisen. An diesem Fenster, das ihr Bruno mit wenigen billigen Hilfsmitteln zv einer reizenden Erkcrnische umgcstaltet hatte, würde sie nähen, lesen und träumen, während er im Nebenzimmer — eS führte den stolzen Namen Atelier — zeichnete und malte. Oh, wie behaglich sie es ihm machen, wie lieb sie ihn haben wollte! Mit scheuem Seitenblick streifte sie in der dritten, hofwärtS gelegenen Stube die nebeneinander stehenden, von einem kleinen Himmel überdachten Ehe- betten. Al« Eva Rennebohm sie dabei überraschte und nach loser Mädchenart in ein Helles Gelächter ausbrach, flüchtete sie mit purpurfarbenem Antlitz in die Küche znrück. Schließlich hieß cs aber, an die Brauttoilettc denken. Man überließ die Frau Oberlehrer und die Kochfrau ihrem Schicksal und fuhr eiligst nach Hause zurück. Fräulein Klara Rennebohm wartete hier schon. Mit freudigem Eifer, den alte und junge Damen der Toilette einer Braut zu widmen pflegen, stürzten sie sich auf Paula. Lachen, Thränen, Küsse wechselten bei diesem reiz vollen Geschäft ab. Auch der Bräutigam und seine Freunde befanden sich in ungeheurer Aufregung. Franz Lene machte seinem Namen alle Ehre. In ihrem gemeinsamen Zimmer, das sic noch immer bewohnten, lief er nervös, wie ein ge reizter Leu, herum. Die melancholischen Grübleraugcu glühten wie Kohlen in dem bleichen Gesicht und hefteten sich von Zeit zu Zeit sinnend auf den Freund, um daun wieder wie geistesabwesend ins Leere zu starren. Bruno beklagte sich zuletzt darüber. „Du machst Einen ganz nervös! . . . Dn hast so etwas Feierliches, Tragisches! . . . Schließlich soll ich doch nicht hingerichtct werden." Micglitz besprengte den Freund mit Kölnischem Wasser. Eine Verehrerin hatte ihm ein ganzes Körbchen gespendet — „damit er in besseren Geruch käme", wie Bruno behauptete. Micglitz lachte, sang und stöhnte dabei abwechselnd vor sich hin; dazwischen trank er deutschen Sect aus einem Wasserglas, das er vergeblich dem Bräutigam und Franz anbot. Beinahe wäre es in der kochenden Aufregung, in der sie sich alle bei so ungewohnter Situation befanden, zu einem ernstlichen Streit zwischen Micglitz und Franz ge kommen, wenn sich das Bruno an seinem Hochzeitstage nicht ernstlich verbeten hätte. Der schöne Maler sah sehr stattlich aus in dem neuen Frack, nur sehr bleich mit einem kleinen, rothen Fleckchen auf jeder Wange, die bei heftigen Erregungen stets her- vortratcn. Auch Mieglitz prangte in einem neuen Letbrock, frisch vom Schneider auf seine untersetzte, rundliche Gestalt zugeschnttten. Um Franzen s Gestalt schlotterte freilich nur ein gepumpter Gchnieyel; aber auch ein neuer hätte ihm kaum besser gestanden. Er gehörte eben zu jenen Menschen, die selbst in den wohlangemcssensten Schneider kunstwerken wie in geschenkten Sqchen umherlaufen, «jährend gestffen Lieblingen der Natur — Bruno -e-
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