Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.03.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020329024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902032902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902032902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-03
- Tag1902-03-29
- Monat1902-03
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug-«Preis k der Hauptexprditio» oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich4.50, — zweimaliger täglicher Zustellung ins HauS 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: Vierteljahr!, ./l 6. Man abonmrt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, de» Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Re-action und Erpe-ition: IohanniSgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. FUtal»»prditi»«r« r Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr. 3, 8. Lösche, Katharinenstr. 14, u. Königspl. 7. Havpr-Miale in Sertin: Königgrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. 33V3- Nr. 18«. Abend-Ausgabe. MiWM TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Natyes und Notizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Sonnabend den 29. März 1902. Anzeigen.Preis die 6 gespaltene Petitzeile 2S H. Neclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (Ü gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offcrtenannahme 25 H (excl. Porto). <?rtra> Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung 60.—, mit Postbesörderung .ä> 70.—. Ännahmeschluß für Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Cecil Rhodes starb am Mittwoch Abend kurz vor 6 Uhr in der sehr einfachen Hütte in Muizenberg, 13 englische Meilen von Capstadt, an der See, wohin er sich auf den Rath der Aerzte des heißen Wetters wegen be geben hatte. Wenige Minntcn vor seinem Tode war Rhodes noch bei Bewußtsein. Als in Kapstadt sein Tod gestern Abend bekannt wurde, hörten dort alle Vergnü gungen auf. Nach einer Meldung der „Daily Mail" aus Kapstadt kündigte der Premierminister Sir T. Gordon Sprigg an, daß Rhodes ein öffentliches Begräbnis; erhält. Seine Leiche wird nach Kapstadt gebracht und in der Kathe drale wird eine Leichenfeier stattfindcn. Dem „Standard" zufolge wird Rhodes entweder in den Matvppv Hügeln, wo er im Slugust 1890 die Bcrathung mit den Matabclc Häuptlingen hatte oder in den Ruinen von Zimbabye seinem Wunsche gemäß beerdigt werden. — Wie dem „Er preß" aus Kapstadt telcgraphirt wird, theiltc vc. Zamcson mit, daß Rhodes seine Besitzung Groote Schnur den Be wohnern von Kapstadt vermacht und große Geldsummen für wohlthätige Zwecke hinterlassen habe. — Die N a ch - rufe -er englischen Blätter gehen kaum über das Be kannte und Hergebrachte hinaus. Nirgends wird an genommen, daß Rhodes' Ableben unmittelbare Folgen haben werde. Doch heißt cs in einem Telegramm der „Daily Mail" aus Kapstadt, daß sein Tod sicherlich ein Schlag für die progressive Sache in Südafrika sein werde, von dem sie sich vielleicht erst in vielen Jahren erholen werde. Man wisse, daß erwartet wurde, daß Rhodes nach dem Kriege eine wichtige politische Nolle spielen sollte, da kein Mann so zahlreicher allgemeiner Sympathien gewiß ivar, wie er. Der „Morning Leader" schreibt im Leit artikel: „Niemand kann errathen, wie weit die Beseitigung der gewaltigen Macht, die Cecil Rhodes heißt, die politische Lage ändern wird. Die großen Gesellschaften, die über den Reichthum verfügen, der sein Werkzeug war, sind noch vor handen. De Beers ist mehr als sterblich. Andererseits fehlt seinen Anhängern in Südafrika das Prestige eines Führers, um den sich eine Legende gebildet hatte. Von geschätzter cvlvnialpolitischcr Seite wird den „Berl. N. Nachr." noch geschrieben: Der Tod von Cecil Rhodes weckt für Deutschland nur schmerzliche Erinnerungen, obwohl der Name dieses Mannes in Deutschland etwa erst seit zehn Jahren be kannt ist. Die Kürze dieses Zeitraums zeigt auch, mit welcher rapiden Geschwindigkeit die Tinge in Südafrika ihren Lauf genommen haben. Als I)r. Schrocder- Poggelow im Jahre 1891 von seiner Bereisung Süd afrikas heim kam und in den Kreisen der Deutschen Colonialgesellschaft die weitgehendsten Mitthcilungcn machte, kannte Niemand die Lage in Südafrika und die Pläne von Cecil Rhodes. Die von I)r. Schrocdcr- Poggelow über seine Besprechungen mit Rhodes, der da mals Premierminister in Capstadt war, der Ocffcntlich- keit durch das „Deutsche Wochenblatt" übergebenen Mit thcilungcn wurden als zu weitgehend angesehen. Nie mand wollte glauben, daß Rhodes sich im Norden von Transvaal ein eigenes großes Reich gründen wollte mit dem Namen Rhodesia, und für eine Dynastie, die er durch eine Heirath aus den Kreisen der Familie der Königin von England aufbaucn wollte. Die amtliche Vertretung Deutschlands in Capstadt bewegte sich damals in den bescheidensten Grenzen. Der deutsche Gencral- eonsul wurde einige Male im Monat von dem berühmten Grauschimmcl-Viererzug von Rhodes nach dessen Billa in Stellenbosch bei Capstadt zu den dortigen großen Fest lichkeiten abgeholt und lauschte, wie auch die anderen Eingeladenen, den phantastischen Plänen des fürstlichen Gastgebers, die dieser in glänzenden Nachtischredcn darlcgte. Niemand erhob dagegen Widerspruch, und die deutsche Politik ließ es ruhig geschehen, daß Lobengula über wältigt und ganz Maschona- nnd Maniea-Land erobert wurde. Die Gruppe deutscher Colonialfreunde, die hier gegen Widerspruch erhob, gelangte nicht weiter zum Worte: Deutschland stand im Zeichen des^ Zanzibar- Vertrages nnd kümmerte sich gleichzeitig im Süden nicht nm Rhodesia und die südlichen Sambesi-Länder, während im Norden Uganda mit dem oberen Nil, dem Schlüssel Egyptens, England in die Hände siel. Wie unerwartet schnell Hal sich dies Alles geändert! Zwar wollten deutsche Stellen sich noch bemühen, daß Rhodes seine Cap-Kairo- Eisenbahn durch Dentsch-Ostafrika führte, aber der Wider spruch der Colonialkreise redneirtc die Bahn vorerst ans eine Telegraphenlinic, und der Tod Cecil Rhodes' läßt die Durchführung dieser ganzen großen Pläne noch zweifelhafter erscheinen. Südafrika wird nicht vollends englisch werden, schon weil die Boeren dies nicht wollen; und in Deutschlands Interesse liegt natürlich eine weit gehende englische Vorherrschaft in Südafrika auch nicht. Dieses unermeßliche Land mit seinen ungeheuren Schäden wird im Gcgcnthcil vielleicht noch der Angelpnnet für eine Wendung der Weltherrschaft zu Ungnnstcn Englands werden. Die Friedensverhandlnngen. Der „Tägl. Nundsch." wird ans dem Haag depcschirt: Zu den widersprechenden Meldungen, ob die Boeren oder die Engländer den Anstoß zu den erneuten Friedensverhandlnngen gegeben, wird in Brüssel von unterrichteter Seite darauf hingewicsen, daß die dirccte Veranlassung K önig Ed u a r d gab, der aus der Ankündigung der europäischen Herrscherhöfc zur Theilnahmc an der Krönnngsfeicr die Gewißheit erlangte, daß die Betheiligung an der Feier in überaus prächtigem Nahmen erfolgen soll, während andererseits der südafrika nische Krieg einen Schatten auf die Vorbereitungen warf. Als der König Wolleley entsandte, wurde den Boeren- führern von befreundeter Seite der dringende Rath er- thcilt, nunmehr sich zum Fricdensschluß geneigt zu zeigen, da eine derartige Gelegenheit nicht wicdcrkchrc. In Bocrenkrciscn nimmt man bestimmt an, daß der König die starre Forderung der unbedingten Abhängigkeit aufgegebcn habe, da sonst Wolselcy's Entsendung völlig zwecklos sei. Politische Tagesschau. * Leipzig, 29. März. Die Mitglieder der CcntrumSpartci des Reichstags müssen daheim in ihren Wahlkreisen reckt eindrucksvolle Er fahrungen über die Stellung ihrer Wähler zu der Frage der Getrcideziiüe gemacht haben, denn die von diesen Herren inipirirten Blätter, die vor den Ferien so eifrig eine Ver ständigung auf ter Grundlage der Mmimalsätze der Tarif vorlage zu hintertreiben suchten, befürworten jetzt mit dem selben Eifer eine solche Verständigung, obgleich sie wissen, daß I die verbündeten Negierungen nach wie vor ein Hinausgehen I über diese Sätze ablehnen. So fchreibt vie „Germania" in > ihrer letzten Nummer: „Die Verständigung, die von der ReichSIagsnielnheit ohne Mitwirkung des Bundes der Landwirthe angestrebt wird, ist nichts weniger als ein „Angstproduct." Sie ist aus dem poli- tischen Gedanken hervorgegangen, daß bei dem vorhandene» Widerstreit zwischen Len beiden gesetzgebenden Factoren nur durch eine Berständigung rin positives Resultat zu erreichen ist, LaS Las möglichst Erreichbare zum Nutzen der Landwirth- schäft sichert, hervorgegangen auS dem allgemein als zutreffend anerkannten Grmidsahe, daß das Bessere oft des Guten Feind ist. Allerdings wird bei diesen Verständigungs bestrebungen sowohl aus Seite» der Reichstagsmehrhcit, wie seitens der Regierung auch die taktische Erwägung mitgewirkt haben, Laß ein Wahlkampf mit der Parole „Für oder gegen den Zolltarif" wenn irgend möglich zu vermeiden sei. Eine solche Wahlparole würde im höchsten Grade verwüstend und vergiftend auf unser ganzes politisches Leben wirken, und darum wird ein Jeder, der einen ruhige» Fortgang desselben wünscht, eine Verständigung wünschen und derselben gegenüber einer ReichStagsauflösuug mit einer darauf folgenden demagogischen Wahlöewegung den Vorzug geben." Ja, noch mehr: den Bündlern, denen man auf Seite des EentrumS vor Len Ferien trotz gelegentlicher Ausfälle in der Sache so viel nachgab, droht jetzt die „Germania" mit dem Stempel der Neichsfeindschaft für den Fall, daß sie sich gclüsien lassen, der Verständigung Schwierigkeiten zu machen. Am Schlüsse ihres Artikels schreibt nämlich die „Germania": „Sonderbar, sehr sonderbar ist eS, daß die „Deutsche Tages zeitung" sogar auf die — Socialdemokratie als Schutzzöllner, wenigstens sür Jndustriezölle, speculirt. Gewiß, einsichtige Social- demokraten wollen Jndustriezölle, aber wegen der Agrarzölle werde» alle Socialdemokraten unter dem „Brotwucher"-Gcschrei gegen alle landwirthschaftSfreuirdlichen Parteien in Le» Wahlkampf ziehen und mit allen Mitteln demagogischer Verhetzung diesen Wahlkampf führen. Ueber den „schweren Stand" der Socialdeuiokratie in diesem Wahlkampfe möge sich der Bund der Landwirthe nur ja keiner ge- sährlichcn Selbsttäuschung hingeben. Vorläufig werden die Social- demokrateil cs mit vergnügtem Schmunzeln ausnehme», daß auch der Bund der Landwirthe die Parole „Neuwahlen statt Verständi gung" ansgiebt, aber Singer und Oertel werden wohl nicht Arni in Arm bei einem Zollwahlkampfe Las Jahrhundert in die Schranken fordern. Die Sehnsucht der agitatorischen Dema- gogie von rechts und links nach Neuwahlen wird sür alle besonnenen und maßvollen Elemente eine dringende Mahnung sein, nun erst recht und recht bald die Verständigung, für welche die Wege jetzt gebahnt sind, auch zu einem gedeihlichen Erfolge zu führen." Von den Ultramontanen und ihren Drohungen allein werden sich ja die Herren vr. Hahn u. Gen. nickt umstimmen lassen; von der Befürwortung einer Verständigung, zu der die „Kreuzztg." ganz im Sinne der „Germania" sich herbei läßt, bis zur gleichen Drohung ist aber nur ein Schritt. Und am Ende wird die „Kreuzztg." auch zu diesem Schritte sich entschließen müssen, fo lauge sie noch eine Wirkung für möglich hält. Ein völliger Bruch mit den Bündlern wäre ja für die Conscrvativen sehr bedenklich; diese werden daher kein Mittel scheuen dürfen, das die Führer der Bündlcr mürbe machen könnte. Die Nachricht einiger Blätter, daß der Reichskanzler sowohl wie die Mehrheit der verbündeten Regierungen, resp. die über die Mehrheit der Bundesrathsstimmen verfügenden Regierungen, im Interesse LeS Zustandekommens des Zoll tarifs geneigt seien, der Gewährung von Tagegeldern a» Sie Rcichstagoabgeorvnete» zuzustimmcn, scheint nicht richtig zu sein. Wenigstens spricht sich die „Köln. Ztg." in einem anscheinend inspirirten Artikel sehr entschieden gegen die Ver quickung beider Fragen auS. Schon der Ruf: „Kein Kanitz, keine Kähne" habe Unheil genug angestistet und namentlich auch der Vertretung der berechtigten deutschen landwirth- schaftlichen Interessen ungemein geschadet; der Ruf: „Keine Diäten, keinen Zolltarif!" würde geradezu zum Ruin für unser parlamentarisches Leben führen. Dann heißt es weiter: „Welch unglaubliche Mißachtung müssen die Leute, die LaS Losungswort ausgeben, vor der persönlichen Würde und dem Ansehen der Mehrheit unserer Reichstagsabgeordneten haben, daß sie zu ver- sichern wagen, die Annahme der Zolltarifvorlage werde von der Zuwendung einer persönlichen Entschädigung an die einzelnen Ab geordneten abhängig gemacht werden! Welch schlimme Rolle würde wohl ein Volksvertreter vor seinen Wähler» spielen, wenn er es wagen würde, die Ablehnung des Zolltarifs mit der Begründung zu rechtfertigen. Laß die verbündeten Regierungen ihm keine Tage gelder bewilligt hätten! Ein solcher Rechtfertigungsversuch wäre doch eine Pflichtvernachlässigung. Jeder der Abgeordneten hat sich seinen Wählern gegenüber verpflichtet, Las höchste Ehrenamt, das diese ihm ertheilen konnten, als ein wirkliches Ehrenamt unent geltlich und in treuer Pflichterfüllung während fünf Jahre wahr zunehmen. Jeder von ihnen wußte bei Annahme der Wahl, daß die vielfach besprochenen Aussichten auf Geldentschädigung durch Tagegelder keine thatsächliche Unterlage hatten, und jeder von ihnen wußte seruer, Laß während der fünfjährige» Wahlzeit auf alle Fälle die umfangreiche und arbeitsreiche Zolltarif vorlage als eine der wichtigsten gesetzgeberische» Aufgaben er ledigt werden mußte. Damals, als es sich um Aauahme der Wahl handelte, hat jeder dieser Gewählten die unentgeltliche treue Pflichterfüllung versprochen. Sieht er sich außer Stande, dieses Versprechen fernerhin zu halten, so bleibt ihm nur ein einziger Ausweg: der freiwillige Verzicht auf sein Ehrenamt. Aber jetzt nachträglich zu erklären, daß man feine Pflicht nur daun er füllen werde, wenn man dafür entsprechend durch Geld entschädigt werde, das würde doch ein so unwürdiges und unsittliches Verhalten sein, daß jene Presse sich hüten sollte, es den Abgeordneten ihrer Fraktionen auch nur zuzutrauen. Man mag über die Frage der Tagegelder denken wie man will, man niag die Bewilligung von Tagegeldern für nothwendig oder nur für Wünschenswerth oder unter der Voraussetzung anderweitiger wichtiger Verfassungsänderungen für zulässig erachten, man mag Anwesenheitsgelder für praktisch halten: an dem Einen wird jeder anständige Mensch festhalten müssen, daß die zeitigen Abgeordneten unmöglich von den ver- kündeten Negierungen die Zustimmung zur Bewilligung einer solchen Entschädigung für die laufende Tagung verlangen können. Für außergewöhnliche Arbeiten und längere Sitzungen eiuzelnerCom- missionen mag die ausnahmsweise Bewilligung besonderer Ent schädigungen gerechtfertigt und zweckmäßig sein; will die Mehrheit Feuilleton. Zack Hamlin als Vermittler. Von Bret Harte. Nachdruck verboten. Jack blickte zu Boden- Nach einer Weile hob er jedoch die Augen wieder und sagte auf ihre beschmutzte Schleppe deutend, im leichten Plauderton: „Mir war's gleich, als müßte ich das Kleid kennen. Hab' ich Dir's nicht geschenkt, als Du die Promenadcn-Scenc in der „Vornehmen Welt" spieltest?" „Nein", versetzte sie rasch, „das blaue mit dem Silber besatz hatte ich von Dir, weißt Du noch? — Ich wollte es im ersten Jahre meiner Ehe wenden, aber es wurde nichts daraus." „Ich fand es damals entzückend", sagte Jack munter „und dazu der blaue Hut mit dem Futter von Silbcrgazc — es war geradezu bezaubernd. Ans dies Kleid hier be sinne ich mich nicht mehr recht." Er musterte cs mit prüfenden Blicken. „Ich hatte cs im Jahre 58 beim Rennen au und bei dem Abendessen, das uns der Richter Boompointcr in Frisco gab, wo Oberst Hecht den Tisch umwarf, als er mit Jim handgemein wurde. Denke Dir, die Champagner flecken ließen sich nicht ausmaschen und sind noch darin", fuhr sie lachend fort. „Sieh nur!" Sie hielt das Licht mit lebhaftem Eifer an die Vorderbreite ihres seidenen Rocks. „Hier ans dem Aermel sind auch noch Flecken", sagte Jack. Frau Ryland blickte ihn vorwurfsvoll au. „Das ist kein Champagner — weißt Dn nicht, was cs ist ?" „Nein." „Es ist Blut. Du erinnerst Dich wohl noch, wie der Mexikaner den armen Ned so schwer verwundet hatte? Sein Kopf lag auf meinem Arm, während Du ihm den Verband anlegtest." Sie seufzte und sagte dann mit leisem Lachen: „Die Kleider der Mädchen im Spccialitütcn-Beruf werden so leicht beschmutzt und verdorben, ehe sic abge tragen sind, das ist noch das Schlimmste dabei." Diese große Wahrheit schien ans Hamlin wenig Ein druck zu machen. „Warum hast Du denn Santa Clara ver lassen?" fragte er wieder in scharfem Ton. „Wegen der Leute dort. Sic waren hockmüthig und unan^en^m. Das kam nämlich daher, weil Josua 2 „Jousua Ryland — er sagte allen was ich gewesen bin, auch denen, die mich nie auf dem Zettel gesehen hatten, und wie gut es von mir sei, daß ich seine Frau geworden wäre. Er baue fest auf mich und schäme sich nicht — bis die Leute zuletzt glaubten, wir wären gar nicht ver- heirathet. Nun wandten sie den Kopf ab, wenn sie uns begegneten und niemand besuchte uns. Darüber war ich nur zu froh, aber er konnte sich das nicht denken und meinte, daß es mir Kummer machte." „Und das war nicht der Fall ?" „Nein Jack, bei Gott, ich hätte mir nichts auf der Welt gewünscht als nur bei ihm zu sein und niemand zu sehen; meinetwegen hätten alle glauben können, ich wäre todt und begraben. Aber er hielt das für ein Unrecht, eine Schwäche. Die war es wohl auch", fuhr sic fort und warf Jack einen scheuen, fragenden Blick zu, den er jedoch nicht beachtete. „Und was meinst Du, daß er gethan hat, als er merkte, daß uns niemand besuchen wollte?" „Vielleicht hat er Dich geschlagen!" ricth Jack heiteren Muthcs. „Gegen mich ist er nie anders als gerecht und voller Güte gewesen", sagte sic halb entrüstet, halb traurig. „Er dachte, wenn die Leute seines Standes nicht mit mir ver kehren möchten, so würde mich'S vielleicht freuen, meines gleichen zu sehen. Und ohne mir ein Wort zu sagen, lud er — wen meinst Du wohl — Tinkie Clifford zu uns ein, die immer in den billigen Barietäten-Borstcllungen in Frisco getanzt hat, mit Capitän Sykes, ihrem intimen Freund. Ich glaube, Du wärest vor Lachen gestorben, Jack, hättest Du sehen können, wie sich Josua in seiner offenen, redlichen Art bemühte, den höflichen Wirth zu mache» und hilfreiche Hand zu leisten. — Aber, ich hielt cs nicht aus", fuhr sic plötzlich wicder mit angstvoll flehen dem Blick fort, „und als Tinkie anfing, vor Josua frei und ungenirt zu werden und Capitän Sykes sich den Cham pagner durch die Kehle goß, da sagte ich ihr tüchtig die Meinung. Sic warf mir vor, ich wolle jetzt stolz und vor nehm thun; doch ich wies sic zum Hans hinaus ohne Josua zu fragen." „Aber vielleicht hatte Josua Gefallen an den Beiden ge funden". bemerkte Hamlin sorglos. „Hat er Tinkie nicht wieder gesehen?" „Nein! Ich glaube die Lust wird ihm vergangen sein, mir solche Gesellschaft cinzulade». Wir zogen nun hierher und ich bat ihn, daß er nicht wieder gleich, wie das letzte Mal, allen Leuten in der Runde erzählen sollte, wer ich gewesen fei, sondern warten, bis sie von selbst dahinter kämen. Er that mir auch darin den Willen und ließ mich das Haus ganz nach meinem Belieben möbliren und aus statten." „Du kannst doch unmöglich das Wohnzimmer oben, das ganz wie eine Familiengruft aussieht , selber eingerichtet haben!" Jack schüttelte sich vor Entsetzen. „Doch! — Feine Möbel, Spiegel und dergleichen wollte ich nicht; überhaupt nichts was die Leute anlockte und an frühere Zeiten erinnerte. Ich glaube von den Jungens würde keiner Lust haben, hier Besuche zu machen. Eine ganze Menge Abenteurer, Directoren von Schwindel unternehmen und ähnliche Herumtreiber bin ich auf diese Weise losgeworden. Aber —" sic zögerte und machte ein betrübtes Gesicht. „Was denn?" fragte Jack. „Ich glaube, das gefällt Josua auch nicht. Neulich brachte er mir die Noten mit von: „Mein Schatz, der ist ein Schuh—ma—checr—" ich sollte cs auf dem Harmonium probircn. Aber ich erinnerte mich noch zu gut, wie mir das Ding zum Halse herausgckommen ist, als wir's immer fort singen mußten auf der Bühne und überall, und ich rührte es mit keinem Finger an. Nun wollte er inich in den Circus schicken, der ans dem Platz am Kreuzweg Vor stellungen gab. Es mar die Knnstreitergcsellschaft vom alten Flanigin; Du weißt schon — Gustc Riggs gehörte dazu, auch der frühere Stallmeister war noch da und Ver alte Clown mit seinen abgedroschenen Witzen — da hab' ich mir's geschenkt." „Na höre mal", sagte Jack, indem er wieder aufstand und Frau Ryland kritisch betrachtete, „wenn Dn'S so weiter treibst, wirst Du noch erleben, daß Dein Mann Dir mit einer Deiner alten Freundinnen ans und davon geht." Einen Moment sah sie ihn mit entsetzten Blicken an. Dann lachte sie krampfhaft auf und schüttelte gleich wieder mit betrübter Miene den Kopf. „Nein Jack, Du kennst ihn nicht. Wenn es nur das wäre! — er kümmert sich wohl nm mich, doch nur auf seine Art, und", stammelte sie ver legen, „mir will es nicht gelingen, ihn glücklich zu machen." Der Wind rüttelte an dem Hanse und ein Regenschauer fuhr gegen die Fenster. Frau Ryland hatte ein zerrissenes, mit Spitzen besetztes Taschentuch hcrvorgezogcn, das sie jetzt »ach einem fiirchisamcn Blick auf Jack verstohlen an die Naic führte und dann auf die Augen drückte. ,,TH»' das nicht", sagte Jack unangenehm berührt, „es ist ja draußen schon naß genug." Während er noch immer dastand und sie anschante, hatte sie sich ihm schüchtern ge nähert. Jetzt nahm sie auf dem Küchentisch Platz und sah schweigend zu ihm empor. „Weißt Du was", begann Jack die fernere Erörterung, „wenn er sich nicht um Dich reißen will, so kannst Du ihm ja ausreißen." Sie war plötzlich leichenblaß geworden und senkte den Blick. „Ja", flüsterte sie kaum hörbar, „viele würden das an meiner Stelle thun." „Ich meine nicht etwa, Du sollst Dein altes Leben von Neuem beginnen", fuhr Jack fort. „Das wirft Du wohl satt haben, denke ich. Aber Du könutest doch ein Geschäft anfangen wie andere Frauen. Willst Du einen Putzladen cinrichtcn, Zuckcrwaaren für Kinder verkaufen oder der gleichen, so bin ich bereit Dir zu helfen. Ich habe ein paar Hundert Dollars — nicht gerade in meinem Sack, aber doch in der Tasche anderer Leute — die nur auf eine nützliche Verwendung warten. Unterdessen kannst Du Dick umschcn nnd vielleicht taucht ein rechtschaffener Bürgers mann auf, den Dn heirathcn magst. Daß Du so weiter lebst wie jetzt, geht doch nicht an; es bringt Dich ja nm. Dir geschieht keine Gerechtigkeit und auch Ryland muß darunter leiden." „Jawohl, er mutz darunter leiden — cs ist unbillig und ungerecht, ich weiß es nur zu gut, aber —" „Aber was?" fragte Jack ungeduldig. Sie beendete den Satz nicht, sondern griff mechanisch nach einem Roll holz ans dem Tisch und fuhr sich damit über den Schoß bis zum Knie» als wollte sie den befleckten seidenen Rock glätten. „Aber", stammelte sic endlich verwirrt und be klommen, „ich — ich kann Josua nicht verlassen." „Weshalb nicht?" „Weil — weil —" immer fester drückte sie das Roll holz auf. als wollte sie ihre Antwort hcrausprefsen — „weil — ich ihn liebe!" Der Regen schlug gegen die Scheiben und Thräncu stürzten ihr aus den Augen. Sie war hastig aufge sprungen. „O Jack, Jack", rief sic, „noch nie habe ich einen Mann so sehr geliebt wie ihn! Ich wußte gar nicht was Liebe ist. Mir ist ein solcher Mann noch nicht vorgc- kommen. Es hat noch nie seinesgleichen ans Erden ge geben!" Diese großartige, allumfassende und leidenschaftliche Be- Häuptling liest Jack Hamlin verstummen. Bor einer so nn- gchenrcn Kühnheit strich selbst sein verwegener Muth die Lege!. Er trat ans Fenster und blickte in die schwarze Regennacht hinaus, doch die Wassertropfen, welche aus den Scheiben glitzerten, spiegelten sich nicht in seinen
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite