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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.03.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020324022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902032402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902032402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-03
- Tag1902-03-24
- Monat1902-03
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Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Ls. Reklamen unter dem RedactiooSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familtennach- richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ärmahuuschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richte«. Die Expeditton ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 151. Montag den 24. März 1902. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Friedensverhandlungen? -p. Wir erhalten folgende, schon durch Anschlag heute Morgen bekannt gegebene, höchst überraschende Mel dungen: * P ret or i a, 28. März. (Privattelegramm.) Die Mitglieder der Transvaal-Negierung Schalk Burger, Reist, Lucas Meyer, Crook und vanderBelde sind mittels Souderzuges unter dem Schutze der Parlamentärsflagge von Middelburg hier eingetroffen. * London, 24. März. (Telegramm.) Der „Standard" meldet aus Pretoria: Schalk Burger und die anderen Delegirten der Boereu hatten eine« Theil der Woche hindurch eine Stellung bei Rhenofterkop inne; sie wurden sehr bedrängt von Oberst Park und Andere« und entgingen sogar einmal nur mit Mühe der Gefangenschaft. Ihre Stellung wurde mehr und mehr unhaltbar. Freitag Nacht wurden Staffettcnreiter nach Balmoral entsandt, welche meldeten, daß die Delegirten unter Escorte daselbst eintresfen würden, was Sonnabend geschah. Die Delegirten reifte« sofort nach Pre, toria weiter, während die Escorte in Balmoral zu rückblieb. Beim Eintreffen in Pretoria wurden Schalk Burger und die übrigen Delegirten in Kitchencr's Wage« abgeholt und nach dem Haupt, quartier geleitet, wo sic eine Unterredung mitKitche « er hatten und dann «ach dem Oranje- freistaat «eiter fuhren. — Wie „Daily Ehrouiclc" meldet, feie« die Delegirten «ach Kroonstad weiter gereist. Als die erste Meldung eintraf, waren wir geneigt, an- znnehmen, daß das Bedürfniß nach Frieüensverhand- lungcn auf englischer Seite erwacht sei, da die letzten Niederlagen der britischen Truppen und die ganze Kriegs lage darauf hinzudcuten schienen. Nun aber stellt cs sich — die Richtigkeit der englischen Blättcrmeldungcn, die in ihren Einzelheiten amtlich noch nicht bestätigt sind, vor ausgesetzt — heraus, daß die Vertreter der Bocrcnregie- cung, aufsSchwerstc bedrängt, sich gcnöthigt gesehen haben, Verhandlungen anzuknüpfcn, und daß sie, wie cs scheint, dieselben bocrischerscits auch auf die Frcistaatsvertretcr auszudehncn beabsichtigen, also an ein Ende >des Krieges überhaupt denken. Recht verständlich ist uns die Sachlage nicht. Einmal war verschiedentlich versichert worden, 'daß gerade nörd lich von der Dclagoabahn Alles für die Bocren gut stände, und man hatte sehr lange nichts von englischen Angriffen in dieser Gegend gehört. Zu dem schien cs, als hätte Delarcy's Steg die ganze Aufmerksamkeit der englischen Kriegsleitung nach dem Westen Transvaals gelenkt und den Schwerpunkt der Action dorthin verlegt. Auch mußte man annchmen, daß der Höchstcommandirendc, Louis Botha, in dessen Schutz doch wohl der Stellvertreter Krügcr's, Schalk Burger, sich befindet, noch ein starkes compactes Corps erlesener Boerenkämpfer — das stärkste, hieß es immer — um sich habe, also genügenden Schutz für die Staatsrcpräscndanz gewähre. Von Louis Botha ist aber in den beiden Meldungen mit keiner Silbe -die Rede. Wo befindet er sich, und war cs nicht möglich, ihn zu be nachrichtige» und Hilfe von ihm zu erbitten, wenn er anderswo stand? Wenn der Kampf eine ganze Woche hindurch dauerte, sollte sich doch wohl Gelegenheit dazu gefunden haben. Ausfallen muß cs endlich, daß die Bocrcndelegirtcn, wie sic der „Standard" nennt — Ver treter einer Boeren r e g i e r u n g giebt cs ja für Eng land nicht mehr —, mit dem Feinde in Unterhandlung eingctrctcn sein sollen, ohne vorher mit den eigentlichen Boercnsührcn, Botha, De Wet und Dclarey, Rücksprache genommen zu haben. Wir erwarten mit größter Span nung nähere Auskunft, die ja nicht lange auf sich warten lassen kann. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. März. Die am Freitag an dieser Stelle mitgetheilte Nachricht au- Düsseldorf, daß da- ultramontane „Düsseldorfer VolkSbl." als Folge der Stellungnahme der Centrums- fractionen im Reichstage und im preußischen Ab- geordnetenhaufe zu den Minimalzöllen den Berlust des Düsseldorfer ReichStagswahlkreises in Aussicht stellt, scheint in Centrumskreisen tiefen Eindruck gemacht zu haben. Liegt doch auch die Annahme nabe genug, daß in anderen rheinischen Wahlkreisen die Stimmung der katholischen Industriearbeiter der im Düsseldorfer Kreise herrschenden ganz ähnlich sei. Al» eine Folge jenes Ein drücke» und dieser Erwägung dürfte cS anzusehen sein, daß die „Köln. Volksztg." sich angeblich aus parlamentarischen Kreisen schreiben läßt, eS seien „begründete Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Regierung und «ine Mehrheit de« Reichstags bezüglich der Minimalzölle weniger entfernt von einander sind, als dies in weiten Kreisen angenommen wird". Auch die „Germania" will von solchen „be gründeten Anhaltspunkten" wissen und fügt hinzu: „Es kommen dabei hauptsächlich die Mimmalzölle für Weizen und Gerste in Betracht. Die Aussichten der Zolltarifvorlage sind daher nicht ganz so schlecht, wie sie vielfach geschildert werden. Auch ist das „Unannehmbar", wie wir wiederholt betont haben, nicht für jede Abweichung von der Zolltarifvorlage aufrecht zu erhalten, zumal nicht bei den Sätzen des GenrraltarifS. In Betreff der Getreidezölle ist eine Verständigung noch keineswegs aus- geschloffen, ober eS ist unbedingt nothwendig, daß eine solche Ver ständigung unter der Reichstag-Mehrheit und mit der Regierung möglichst bald erfolgt, um zu einer „geschlossenen Phalanx" zu gelangen." Die bündlerische „D. TageSztg." schließt auS diesen Auslassungen auf geheime Unterhandlungen zwischen Ne gierungsvertretern und Mitgliedern des CentrumS und be müht sich, ihren Anhängern die Sorge vor dem Erfolge solcher Bemühungen zu nehmen. Sie schreibt: „Wenn die „Köln. Ztg." wirklich positive» Grund zu ihren An» deutuugen hat, so kann eS sich nur darum handeln, daß Ver- ständigungsversuche zwischen gewissen Regierungs stellen und gewissen Centrumsabgeordneten über die Köpfe der Couservativen und anderer Centcumsabgeordneten hinweg stattgesunden haben. Ob das der Fall gewesen sei, können wir natürlich nicht wissen. Da- aber glauben wir zu wissen und bestimmt versichern zu können, daß die couservativen Mitglieder der Zolltarifcommission au solchen Besprechungen nicht bctheiligt waren, lleberraschen würde daS ja nicht, la schon früher manchmal die Negierung über die Köpfe der Couservativen hinweg sich mit dem Centrum verständigt hat. Sollte ein solches Vorgehen beliebt worden sein, so möchten wir sehr bezweifeln, ob es sachdienlich und zweckmäßig gewesen sei. Im klebrigen brauchen wir wohl nicht zu wiederholen, daß nach unserer festen Ueberzeugung eine Verständigung unterhalb der Compromißlinie ganz ausgeschlossen erscheint." Die „Deutsche TageSztg." kann sich insofern beruhigen, als „Regierungsstellen" sicherlich unbetheiligt an Ver- ständigungsversucken bezüglich der Miniinalzölle sind; zu bestimmt haben die im Namen der verbündeten Regierungen abgegebenen Erklärungen, daß jeder der Minimal,ätze des Tarifs die äußerste Grenze dessen sei, was regierungsseitig zugeslanden werden könne, gelautet, als daß jetzt irgend eine „Regierungsstelle" sich in Unterhandlungen über die Höhe veS einen oder des anderen dieser Sätze einlasse» könnte. Die Sache liegt aber für die „Ueberagrarier" augen scheinlich schlimmer: im Cent rum ist ans Rücksicht auf die katholischen Iudustrickreise die Neigung vorhanden, den Standpunct aufzugeben, den der Antrag Herold kennzeichnet, und um diese Neigung nicht allzudeuilich hervortrelen zu lasten, wird angedeutet, in Negierungskreisen sei man nicht abgeneigt, wegen einer kleinen Erhöhung des einen oder LeS anderen Minimalsatzes mit sich reden zu lassen. Die eigene Neigung, vom Antrag Herold abzusehen, geht unverkennbar aus der Auslassung der „Germania" hervor. Ja, noch mehr. Aus der Hindeutung darauf, daß daS „Unannehmbar" der ver- bünoeten Negierungen sich nicht sür jede Abweichung von der Zolltarifvorlage sich aufrecht erhalten lasse, „zumal nicht bei den Sätzen des Generaltarifs", darf man schließen, die Compromißlustigen unter den Centrumsmitgliedern würden sich, wenn gar keine Concessionen bei den Minimalsätzen sich erreichen lasten sollten, mit solchen beim Generaltarif zufrieden geben. Und daß die ver bündeten Regierungen in dieser Hinsicht zu Entgegenkommen bereit sind, haben die Verhandlungen der Tarif-Commission bewiesen. ES wird sich nun fragen, ob auch in konserva tiven Kreisen die Ansicht Boden gewinnt, daß es besser sei, die Minimalsätze der Vorlage hinzunehmen und mit der Erhöhung gewisser Positionen des Generaltarifs sich zu begnügen, als die ganze Vorlage zum Scheitern zu bringen. Der Versiche rung der „Deutschen TageSztg." , daß „eine Verständigung unterhalb der Compromißlinie (Antrag Herold) ganz aus geschlossen erscheine," vermögen wir einstweilen »och keine Be deutung beizumesscn. Den Berliner Führern des Bundes der Land- wirtbe, die allein das Mittel, mit dem alle Leiden der Landwirthschast aus dem Grunde curirt werden können, zu besitzen behaupten und besonders den Nationalliberalcn Mangel an Einsicht in diese Leiden und an gutem Willen zu ihrer Linderung vorwerfen, wird neuerdings immer häufiger ins Gesicht geleuchtet und der Ungrnnd ihrer Vorwürfe uachgcwiesen. Hier und da betheiligen sich hieran sogar führende Bundesmitglieder. So dieser Tage im riationalliberalen Vereine in Hannover, in dem der Parteisekretär der Nationalliberaleu der Provinz, Herr Flathmann, dem wir eine vortreffliche kleine Enquete über die Landwirthschast in Hannover verdanken, einen Vor trag über das Thema „Die Nationalliberalen und die Landwirthschast" hielt. Er führte dabei aus, daß kaum eine andere Partei ihre Abgeordneten so vorwiegend den Kreisen der Landwirthe entnehme, wie gerade die nationalliberale Partei. Zum Beispiel in der Provinz Hannover seien bei den letzten NeichStagSwahlen nicht weniger als 11 Landwirthe und nur 5 Nicht-Landwirthe aufgestellt worden und bei der Landtags wahl in 29 Wahlkreisen 25 Landwirthe. Dem gegenüber könnten sich vielleicht eher die anderen Erwerbsgruppen über nicht genügende Berücksichtigung beklagen. Wie steht es aber mit dem Bunde der Landwirthe, welcher der nationalliberalen Partei stets den Vorwurs macht, daß sie daS flache Land nicht genügend berücksichtige? Der Bund der Landwirthe bat in der Provinz Hannover 2 — sage und schreibe zwei Landwirthe, dagegen 14 königliche Beamte aufgestellt! — Bei Besprechung der Flathmann'schen Enquete haben wir bereits darauf hingewiesen, daß die hannoverschen Landwirthe sich fast durchgehends mit den Getreidezöllen, wie sie in der Zoll tarifvorlage festgelegt sind, einverstanden erklären. — Von besonderem Intereste ist aber die Aeußerung eines Führers deS Bundes der Landwirthe, der in der DiScussion über den Flatbmann'schen Vortrag scharf betonte: die be klagenswerte Uneinigkeit im Lager der nationaleo Parteien in der Provinz Hannover habe einzig und allein der Bundesdirector vr. Hahn auf dem Gewissen! DaS Anerbieten König Eduards, am Tage seiner Krönung eine halbe Million Arme Londons auf seine Kosten zu speisen, wirft ein scharfes Schlaglicht auf die socialen Verhältnisse der englischen Großstädte, im Besonderen der Hauptstadt deS britischen Reiches, und zeigt, welche gewaltigen socialpolttischen Aufgaben England zu lösen hat. Hält man damit zusammen, wie langsam die englische Gesetzgebung auf diesem Gebiete arbeitet, so wird man abermals an die unbestreitbare Thatsache ge mahnt, welch großen Vorsprung Deutschland in dieser Beziehung vor allen anderen Ländern voraus hat. Zu solchen Betrachtungen wird man durch einen Vorgang auS den letzten Tagen angeregt, über den den „Berl. Neuesten Nachr." auS Lon don, 2l. März, berichtet wird: „Von unionistischer Seite wurde im Unterhause eine Bill zur Einführung der Altersver sorgung eingebracht und von der Regierung und dann — Wunder über Wunder! vom ganzen Unterhause einstimmig angenommen. Eine seltene Eintracht! Wer da aber glaubt, daß alle Briten beider Geschlechter, denen eS versagt war, von den Früchten ihrer Arbeit so viel zurückzulegen, um an der Neige deS Leben» nicht darben zu müssen, fortan nach Erreichung des 65. Lebens jahres ihre Pension beziehen würden, die sie vor Noth sichert, wie es die Bill verlangt, der fällt der Täuschung zum Opfer. Um keinen allzu harten Ausdruck zu gebrauchen: die ganze Sache war, wie der „Leader" zutreffend sagt, eine „trost lose Komödie", darauf berechnet, die etwas vergilbte Popularität der unionistischen Partei, und namentlich einiger Parlamentsmitglieder, die unsichere Wahlbezirke vertreten, aufzufrischen. Bezeichnend ist cS dabei, daß der Vater des Gedankens der Altersversorgung im Bereinigten Königreiche, Mr. Chamberlain, der Verhandlung ebenso ferne blieb wie die liberalen Führer. Ihnen Alles ging eS gegen daS Gefühl, sich an einer Debatte zu betheiligeo, die nicht ehrlich gemeint und eitel Spiegelfechterei war. ES troff von süßen Redens arten. Es wäre ungerecht zu sagen, daß die von den Lippen strömenden Versicherungen der Theilnahme für die der Alters- Fenilletsn. n Die drei Freunde. Roman von Robert Misch. Nachdruck verdorrn. Mit schnellen Schritten eilte er zurück. Dank feinem geschmeidigen Körper war er stets ein guter Turner ge wesen. Mit einem kühnen Schwünge kletterte er über das hölzerne Gitter und näherte sich mit Katzentrittcn Paula's Fenster. Der Hund schlug zum Glück nicht an; wahrscheinlich schlief er auf der anderen Seite. Ein Diebstahl oder Ein bruch hatte sich in Rohrbach seit Mcnschengcdenkcn nicht mehr ereignet. Leise klopfte er an den grünen Laden; aber nichts regte sich drinnen. Auch die kleinen Steinchen, die er dagegen warf, erzielten kein bcsscrcsNcsultat. Sollte sie so fest schlafen oder hatte man sic in ein anderes Zimmer gesteckt, das nicht so leicht von außen zugänglich war? Er machte noch eine letzten Versuch; mit den Fäusten hämmerte er gegen die Jalousie, während er mit verhaltener Stimme leise ihren Namen rief. Plötzlich öffnete sich oben ein Fenster. War sie cs? Ein leises „Paula" schickte er hinauf. Aber nur die rauhe, tiefe Stimme des Bürgermeisters antwortete: „Wenn der Lump sich nicht augenblicklich aus meinem Hause entfernt, laste ich ihn wegen nächtlicher Ruhestörung und Hausfriedensbruch verhaften ... den Haderlumpen!" Einen Moment hatte Franz, den ein rasender Zorn bei dieser Kränkung erfaßte, große Lust, es dem Alten mit gleicher Münze hetmzuzahlen. Aber er schämte sich vor sich selbst. Sollte sein würdiges Gespräch von heute Morgen einen solchen Abschluß finden? Schnell schwang er sich im Schntze der Nacht über das Gitter zurück und eilte beschämt nnd betrübt von dannen. In welche Lage brachte nicht die Liebe den Menschen. Aber ein stiller Ingrimm blieb zurück. Aufs Neue machte er eine alte Erfahrung. Alles im Leben wiederholt sich, nur in anderer Weise. Und wie er sich einst als Student um sein Lcbcnsglück gegen den Bürgermeister und seinen Rohrbacher Anhang hatte Mhren mMen, lo wollte er auch diesmal alle Hindernisse Niederkämpfen, die sie ihm in den Weg legten. Er wollte doch sehen, ob mau im neunzehnten Jahrhundert und im deutschen Reiche einen Menschen gegen seinen Willen gefangen halten konnte! Vater Lcue schüttelte nur bedenklich den Kopf und paffte still vor sich hin, als er ihm seine Vcrmuthungen mitthcilte. „Freili, frcili. . . zuzutrau'n is 's ihm, dem Bürger meister! All'S erlaubt er sich, wenn's nur der Pfarrer guthoaßt." Am anderen Morgen strich Franz schon in der Frühe um das Bttrgermeistershaus; aber nichts rührte sich. Die grünen, noch immer geschlossenen Läden blickten ihn mit gcheimnißrwllcn Augen an. Sie vcrricthen nicht, was hinter ihnen vorgiug. Das Gitter war geschloffen; auf sein Läuten hätte ihm natürlich Niemand geöffnet. Und gewaltsam konnte er nicht in ein fremdes Haus dringen, zu dem man ihm den Zutritt verwehrte. Sie mußte eben für sich selber sorgen, sich selbst ver- theidigcn oder ihn herbeirnfen zu ihrem Schutze. Und wenn er dazu Polizei nnd Gerichte in Anspruch nehmen sollte! Sic lebten gottlob nicht im Morgcnlandc, wo man ein Weib in die Frauengcmächcr cinschlicßcn und vor jedem Zutritt absperren kann. Aber wie sich mit ihr in Verbindung setzen? Ihr schreiben, das hätte wenig genützt. Schloß man sic ge waltsam ab, so würde man ihr natürlich auch seine Briefe nicht auslicfern. Ter Vater wußte auch keinen anderen Rath, als ruhig abzuwarten: „Find't sich All'S ... find't sich All s .. . nur Geduld!" Dem Alten floß freilich das Blut träge durch die Adern. Aber Franz wartete nun schon lange auf das Glück. Jetzt, wo er es endlich an -em Zipfel Haschen wollte, jetzt entflatterte es ihm auf so grausame Art. Am Vormittage deS nächsten Tages kam der kleine Dietrich mit scheuer Miene angelaufen, sah sich ängstlich um, ob ihm auch Niemand folge, und übergab einen zn- sammengcfaltetcu Zettel für den „Onkel Franz". Er lautete: „Liebster! Er hat mich eingeschloffen in das mittlere Zimmer im ersten Stock, das nach -em Hinteren Garten hinansacht. Die Tante ist fast stets bet mir — kaum, -atz ich meine Kinder zu sehen bekomme beim Essen, das sie mir nach oben schicken, vis Du wieder fort bist, soll das bauen». Ich habe ihm gesagt, -atz ich nur Dich lieb habe und Dein Weib werden will. Hilf mir! Was soll ich lhutt? Antwort an Dietrich! Deine Paula." Franz brach in einen Entrustungsruf aus. Also doch! Mit flammender Hast warf er seine Antwort auf's Papier: Sic solle nicht verzagen und nicht nachgeben. Die erst beste Gelegenheit möchte sie beim Schopfe ergreifen, zum Beispiel, wenn man ihr das Essen brächte, um das Haus zn verlassen. Dann würde der Bürgermeister nicht mehr wagen und vermögen, sic gegen ihren eigenen Willen zurückzuschleppen. Dazu würden sic ihm auch gar keine Zeit lassen; sie wollten dann sofort von hier abrcisen und in Berlin hcirathcn. Nachher müßte der Bürgermeister die Kinder doch herausgcben, die man der eigenen Mutter ja nicht verweigern könne. Fände sich nicht Gelegenheit, heute oder morgen zu ent wischen — er wurde den ganzen Tag hier auf sic warten —, so würde er die nächste oder übernächste Nacht kommen lwclchc gerade die günstigste seil, so um 1 Uhr etwa, und sic entführen. Das klänge sehr romantisch, sei aber das Einfachste in ihrem Ansnahmcfall nnd ersparte ihnen Zeit und andere Unannehmlichkeiten, die mit Gericht und Polizei immer verbunden wären. Im Hintcrgartcn Hütte ja früher im offenen Schuppen die große Hausleitcr gestanden. Die brauche er blvs an- zulchnen, wenn sie ihre Fenster offen ließe und sich bereit hielte, mit seiner Hilfe hcruntcrzuklcttern. Der Bürger meister und die Tante wohnten ja nach vorn hinaus, könnten also nichts merken. Die Rohrbacher pflegten um diese Zeit fest zu schlafen, und die alten Bäume deckten sie überdies, da der Mond erst viel später aufgingc. Dann schnell über die Hecke zu seinem Vater, der sic erwartete. Und ehe man ihre Flucht bemerken würde, Hütte sic schon der erste Frllhzug entführt, dem Glück, der Freiheit ent gegen. Sie solle kühn und stark sein; sonst könne er sie Nicht vor dem Schicksal bewahren, Frau Doctor Mcingart zu werden. Diesen letzten „Stachclhjeb" fügte er mit Absicht hinzu, da er wußte, wie sehr sie den Doctor verabscheute. Mit fliegender Hast warf er diese Epistel auf's Papier. Die Verbindung war wieder angcknüpft; jetzt mußte eS ihm gelingen. Er wollte überhaupt ein schnelles Ende machen. Wenn man ihre Charakterfestigkeit auf eine längere Probe stellte, wenn der Pfarrer, Ser Bürger meister, der Doctor, die Tantc, ja die ganze Stadt sich gegen sic verbündeten, wer weiß, was geschehen könnte. Paula war schwach und leicht zu beeinflußen, > Dann fragte er den Jungen aus, -er noch immer ver schüchtert und ängstlich um sich blickte, während er den Apfel verspeiste, den Papa Lene ihm gab. „Der Großvater sei sehr böse; und die Tante zankte die Mama, die immerzu weinte und cingeschlossen sei. Und nur zum Essen durften sie zn ihr " Franz schärfte dem Kleinen ein, wie er sich mit dem Briefe verhalten solle, den er ihm selbst in die Tasche steckte. Unter keinen Umständen dürften der Großvater und die Tante das Papier sehen; und der Mama solle er es ganz heimlich zustecken, wenn sie Beide allein seien; und nichts davon sagen dürfe er, daß er beim Onkel gewesen. Um die Stadt herum solle er gehen, ohne sich umzuschcn. Das Büblcin versprach auch. Alles getreu zu befolgen und auszurichtcn, und trabte dann mit demselben bleichen, scheuen Gesichtchen ab, mit dem cs gekommen war — die stumme Frage im Auge, was denn all' dies gcheimnißvolle Treiben der Großen zu bedeuten hätte. N e u n u n d z w a n z i g st c s Capitel. Der kleine Dietrich ließ sich zur verabredeten Stunde an der bezeichneten Stelle, wohin er gleich nach der Schule kommen und Antwort bringen sollte, nicht blicken. Franz bat den Vater, sich unauffällig in die Nähe der Schule zn stellen und den Knaben anzusprcchen, wenn er des Nach mittags hincingingc. Aber der Kleine kam nicht; und der Alte erfuhr durch geschicktes Fragen, daß der Dietrich Breitingcr wegen Krankheit für einige Tage ent schuldigt sei. Die Nachricht brachte er nach Hause und sie kam Beiden verdächtig vor. Vater Lcue zog deshalb nochmals auf Kundschaft aus; und richtig brachte er diesmal die Bot schaft heim, daß gestern Abend der Bürgermeister mit der Rohrbacher Lohnkutsche, die er höchsteigenhändig gelenkt, irgendwohin gefahren sei. Hatte er den Brief abgefangen, oder war er von selbst auf diese Idee gekommen? Jeden falls war er Franz zuvorgekommen und hatte nun seiner seits Paula und Dietrich entführt. Ein sehr geschickter Schachzug! Ringsumher in der Gegend saßen ihm Freunde nnd Bekannte, so daß er sie leicht Wochen lang allen Nachstellungen entziehen konnte. Franz raste, als er cS erfuhr. Was nun? Wäre er Paula's ganz sicher gewesen, so würde da- ja nicht- auf sich haben. Ewig konnte man sie ja nicht aewEam 4K-
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