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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.03.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020327026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902032702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902032702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-03
- Tag1902-03-27
- Monat1902-03
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Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Natljes und Nokizei-Äintes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-PretS die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Neclamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Famil'.ennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ,/t 60.—, mit Postbeförderung .äl 70.-. Annahrneschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Donnerstag den 27. März 1902. Nr. 157. 96. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Cecil Rhodes s-. -p. Seine Freunde hofften den mit dem Tode ringen den „Napoleon Südafrikas" bereits miederhergestellt und packten schon seine Koffer für die Reise nach England — nun ist er doch nicht dem letzten Schicksal entgangen, der „nngekrünte König von Südafrika" liegt langgestreckt auf der Tvütenbahre. Bald wird ihn die Erde des weiten Landes decken, das er so unendlich unglücklich gemacht, und der Fluch eines ganzen Bolkcs folgt ihm in die enge Gruft nach, die ihm von dem erträumten Reich eines „Afrika britisch vom Cap bis Kairo" übrig blieb. Diamanten werden seinen Sarg schmücken, aber sie konnten sein Leben nicht um eine Minute verlängern. Und doch hing kein Anderer mehr am Leben, als Cecil Rhodes, denn er wollte noch viel erreichen. Im Jahre 1853 als Sohn eines englischen Geistlichen in Bishop-Stortfort (Herfordshirc) geboren, ging er arm und schwer lungenkrank schon als blutjunger Mensch nach Südafrika, nm dort zu gesunden und — reich zu werden. Mit gefüllten Taschen — er nahm an dem ersten Zuge zur Ausbeutung der Diamantfclder in Griqualand Thcil — kehrte er nach London zurück, studirte in Oxford und ging dann abermals nach dem Land seiner Hoffnungen, wo er durch erfolgreiche scrupcllose Spcculationen, namentlich durch Vereinigung einer Anzahl von Diamant gruben in der „De Beers Consolidated Mines Ltd.", ein Riesenvcrmögen erwarb und als Diamantenkönig an gestaunt und — angcbctet wurde. Cecil Rhodes beherrschte von Kimberley aus die ge summte Diamantenindustrie Südafrikas, aber nicht genug damit, gelüstete es ihn nach mehr, nach Allem, was der schwarze Erdthcil an gleißenden Schätzen birgt. In den Boerenrepublikcn wuchs das Gold in mächtigen Adern, fast mit dem Fuße stieß man darauf — m-xo mutzte auch die Goldgewinnung in Transvaal in seiner Hand vereint werden. Er meinte, das ursprünglich auf friedlichem Wege zu erreichen, näherte sich den Afri kandern, spielte sich als ihren Freund und Gönner auf, wurde ins Capparlamcnt gewählt und schließlich sogar Premierminister der Colonic. Den Afrikandern sang er das Sirenenlied vom „Vereinigten Südafrika" unter britischem Protektorate vor, nm so die Goldländer auf unverdächtige Weise den Briten in die Tasche zu spielen. Allein Rhodes mar ungeduldiger Natur, cs dauerte ihm zu lange, bis er auf diesem diplomatischen Wege erreichte, was er wollte, und so entschloß er sich zu einem Gewaltstreich: Sein Busenfreund und Leib arzt Dr. Jameson unternahm jenen berüchtigten Raubzug zur Ueberrumpelung Johannesburgs. Man weiß wie schmählich der verbrecherische Coup mißglückte. Aber Rhodes war nicht der Mann, der sich durch solch' kleine Zwischenfälle cntmuthigen ließ, obwohl sein Ruf empfindlich litt und er seine Stellung als Minister und als Direktor der „Chartered Compagnie" aufgcbcn innßtc. Er machte die Uitlandcrs mobil, die von der Regierung der Transvaalrepublik politische Rechte fordern mußten, mit deren Hilfe sie die Mehrheit in der Volksvertretung gewonnen nnd auch so Transvaal völlig unter britischen Einfluß gebracht haben würden. Auch das scheiterte, wie man weiß, an der Festigkeit und dem klugen Blicke des Präsi denten Krüger. Jetzt blieb nichts Anderes übrig, als die staatliche Selbstständigkeit der Republiken mit eiserner Faust brutal zu zerstören, und zu diesem verruchten Zwecke fand Cecil Rhodes in dem ihm cvngenialen Joseph Chamberlain, der als Colonialministcr das ganze Cabinet Salisbury beherrschte, einen nur allzu bereiten Bundesgenossen. Plan weiß, was folgte. lieber drei Jahre verwüstet der Krieg, den Rhodes' Unersättlichkeit entfesselt, die Ge filde eines herrlichen Landes, Ströme britischen und bocrischcn Blutes sind geopfert worden, zu vielen Tausenden werden Frauen und Kinder einem elenden Tode in den fluchwürdigen Cvnccntrationslagcrn prcisgcgebcn, Transvaal und Oranjefreistaat sind von der Weltkarte gestrichen, in Pretoria und Bloem fontein weht die britische Flagge, und der alte Präsident Krüger muß seine letzten Tage in selbstgewähltcr Ver bannung verbringen. Allein noch ist Rhodes' Endziel nicht erreicht, er ist ein tvdter Mann, aber das V o l k der Boercn ist noch n'cht todt. Noch steht die Elite der Transvaalcr und Oranjcr im Felde, geführt von genialen, durch die Noth geborenen Strategen, entschlossen, bis zum letzten Mann zu kämpfen, und n v ch ist es nicht gewiß, ob England seinen Raub behalten kann. Kriegsmüdigteit reißt in den britischen Reihen ein, König Eduard sehnt sich nach Frieden, die Kriegs steuern sangen an drückend zu werden, und selbst Cecil Rhodes' Hintermänner beginnen, in dem ver geblichen Rennen nach dem goldstrahlenden Ziele zu er lahmen. Jetzt, da die treibende Kraft in dem Complot gegen die Freiheit der Bocrcnstaaten dahingesunken ist, da die gewaltige Energie nnd der fascinircndc Blick eines Cecil Rhodes den Gencralstab der „Miners" nicht mehr zusammcnhält, mag die Hoffnung, England doch noch von seinen rigorosen, nncrsnllbarcn Friedcnbedingnngen zu- rücktrcten zu sehen, neuen Boden gewinnen. Das Haupt- hinderniß ist aus dem Wege. Cecil Rhodes soll am Trünke zu Grunde gegangen sein, so versichern deutsche Acrztc, die ihn jahrelang in Kimberley beobachtet haben. Man sagt, er habe Un mengen von WhiSky nnd Cognac zu sich genommen, nm seine Nervosität nnd sein — böses Gewissen zn betäuben. Wir glauben nicht recht daran, weil wir ihn noch niedriger cinschätzcn. Er hat kein böses Gewissen ge kannt, weil cr überhaupt kein Gewissen hatte. Auch will cs uns kaum glaublich erscheinen, daß ein dem Delirium tremens Verfallener so unbeschränkt die In dustrie Südafrikas, die Politik Englands beherrschen und mit fester, zielbewusster Hand Jahrzehnte lang Geschichte machen konnte. Schließlich, wenn etwas mit diesem Dämon Afrikas versöhnen könnte, so wäre es der Glaube, daß cr nicht blos aus Egoismus, soudcru a u ch aus Patriotismus zum Verbrecher geworden ist. Er wollte, sagt man, ganz Afrika unter britische Herrschaft bringen, und die Er werbung von Matabelcland, womit cr den Afrikandern den Weg nach Norden verlegte und ihnen die Fühlung mit Dentsch-Ostafrika unmöglich machte, bedeutete in der That einen gewaltigen Machtzuwachs für England. Aber man hat Rhodes selbst in London nicht innncr volles Vertrauen cntgegcngcbracht, denn cr wäre auch — manches Wort von ihm deutet darauf hin — gegebenenfalls der Mann gewesen, ganz Südafrika von England los- zureitzen nnd unter seinem Sccptcr zu vereinen. Fassen wir unser llrthcil zusammen, so geht es dahin, daß Cecil Rhodes nicht blos der Fluch des Afrikander- thums trifft, auch die britische Nation wird einst seinen Namen verwünschen, denn die Flamme des Krieges, die cr in Südafrika entfachte, wird, wenn sie auch jetzt er stickt werden sollte, immer wieder emporlvdcrn, immer weitere Provinzen ergreifen und schließlich das stolze Ge bäude der britischen Oberherrschaft in Asche legen. Dann aber dürfte die Stunde von Englands „Weltherrschaft überhaupt geschlagen haben. Die Fricdeusvcrhaudlungen scheinen diesmal vielleicht etwas mehr Aussicht auf Erfolg zu haben, weil sowohl Bocren wie Engländer sich gewissen Zugeständnissen geneigter zeigen dürften als bisher. Ein Drahtbericht meldet der „Täglichen Rundschau": Gegenüber den widersprechenden Meldungen über die Fri c de n sa u ss i ch tc n und namentlich den Londoner Prctzstinnnen, nach denen die Einver leibung der Boerenstaaten in das britische Reich eine selbstverständliche Voraussetzung sei, weist die Umgebung Krüger ' s auf die in den letzten Tagen erfolgte Zusammenkunft Bothas, Steijn's und De Wct's hin, in welcher diese Führer darin einig waren, daß nur danu die Verhandlungen eröffnet wer den sollten, wenn die Unabhängigkeit zugcsichert wird. Die Bocreudelegation fordert hauptsächlich außer der U n a b h ä n g i g k c i t u n t c r e n g l i s ch e r Oberhoheit Amnestie für die Afrikander und schleunigen Wiederaufbau der Häuser und Farmen auf englische Kosten. Krüger wurde hier von verständigt und sandte seine Z u st i m mnng für den Fa l l, daß Wv lse le y a nf d ic s c r Gru n d- l a g c n n t c r h a n d c ln wolle. Zn der Reise Schalk Burgcr's wird in Brüsseler Bocrcnkrciscn darauf hingewiesen, daß Lord Wolse- lcy' s An knuft in Capstadt mit dem Tage zusammen fällt, ivo die Transvaalcr ebenfalls dort eintrefsen könnten. Alle Anzeichen deuten nach dieser Auffassung darauf hin, daß Wolscley mit der Boerenrcgierung im un mittelbaren Auftrage des Königs in Verbindung treten wird. — Ans Pretoria wurden Schalk Burger und die übrigen Bocren-Telcgirtcn auf ihrer Reise nach Kroon- stad von Kitchcner's Adjutanten, Capitän Marker, dem Biccdircctvr der Eisenbahnen, Major Lcggett, und vier anderen britischen Stabsofficicrcn begleitet. Politische Tagesschau. * Leipzig, 27. März. Während die „Hamb. Nachr." daraus, daß kürzlich der Großberzog von Hessen zum zweiten Male mit dem ..Genoffen" Ulrich gesprochen, schließen, dem Reiche drohe Unheil vonder „soci alistische» Tcgcnrrirung" eines Bundes staates, schließt der Verfasser einer uns heute zugegangenen Zuschrift auS der gleichen Thatsache und verwandten Er scheinungen der letzten Jahre auf eine „Mauserung der Tocialdemokratic". Tie Zuschrift lautet: „Die Meldung, daß der Großherzog von Hessen die diesjährige Unterhaltung auf dein parlamentarischen Abend in Darmstadt mit dem socialdeniokcatischen Abgeordneten Ulrich mit den Worten ein geleitet habe: „Man hat sich das vorige Mal hüben und drüben sehr darüber aufgeregt, daß ich mich mit Ihnen unterhalten habe. Mir hat eS ja nichts geschadet, wohl aber Ihnen bei Ihren Genossen", ist richtig. Abg. Ulrich hat aber darauf erwidert, daß inan sich darüber gar nicht aufgeregt und daß die Unterhaltung ihm bei seinen Genossen nicht das Mindeste geschadet habe". Auch da ist richtig. Die Socialdemokralie ist eben eine andere geworden; sie hat eine merkwürdige Mauserung durchgemacht. Im vorigen Jahre im Winter, kurz nach der ersten Unterhaltung des Großherzogs von Hessen mit dem Abg. Ulrich, versuchten etliche Berliner Gruppen, die sich in die localorganisirten Gewerkschaften zusammengeschlossen halten, einen Sturm gegen die „kapitalistische, hoffähige" Parteileitung zu entfachen. Tie Versammlung war zwar massenhaft besucht, aber der Sturm unterblieb und das schwache Säuseln machte nicht den geringsten Eindruck. Tie meisten Genossen fühlten sich geschmeichelt durch die Auszeichnung eines der Ihrigen. In diesem Jahre hat man in gewissen Kreisen wieder die Abhaltung eines großen Protest- Meetings erwogen, aber angesichts des vorjährigen Mißerfolges ist man davon abgckommen. Die Socialdemokratie hat sich eben gründlich gemausert. Vor 11 Jahren mußten die socialdemokratischen Stadt- verordneten, welche dem todteu Oberbürgermeister v. Forckenbeck die letzte Ehre erwiesen hatten, sofort das Mandat niederlegen, weil sie sich gegen die geheiligten Principien der Partei schwer vergangen Hütten; im vorigen Jahre aber betheiligten sich im Reichstage an der Huldigung für den allvrrehrten Prinzregenten Luitpold von Bayern die Abg. von Vollmar und Stolle, ohne irgendwie behelligt zu werden. Ebensowenig erregte es Anstoß, daß die Genossen ihre Anerkennung der Kaiserin Friedrich nicht versagten. Als s. Z. die Beziehungen des alten Hofbauraths Temmler zu dem Großherzog Friedrich Franz von Mecklenburg all gemein bekannt wurde, da hatte Temmler seine Rolle als Parteiführer ausgespielt. Heut nach 25 Jahren sind die Ge nossen hoch erfreut darüber, daß der Großherzog von Hessen sich lebhaft mit dem Abgeordneten Ulrich unterhält, und dieser kann mit Recht sagen, daß diese Unterhaltung ihm bei seinen Parteifreunden nichts geschadet habe. Welcher Lärm erhob sich ferner seiner Zeit, als bekannt wurde, daß der Stadtverordnete Görcki Bourgeois gewohnheiten hatte, sich ein Gewehr anschaffte und in einem besseren Vierrestaurant speiste! Kürzlich haben in Berlin in dem elegantesten Weinrestaurant, in dem sonst nur Gardeofficiere und reiche Börsenleule verkehren, etliche FraclionSgenossen gespeist; aber Niemand hat sich darüber aufgehalteu. Bei der Arbeiterschutz-C on fe re nz war einer der ruhigsten und ver dientesten Führer, der Putzer Buchholz, bei dem Kaiserpaar zur Tafel geladen; in seinem einfachen schwarzen Rock ging er ins Schloß, nachdem er dem Hofmarschallamt mitgetheilt, daß er keinen Frack besitze. Buchholz war entzückt von der Liebenswürdigkeit des Kaiser- und der Kaiserin, die ihn angrsprochen. Buchholz mußte deswegen in einer Versenkung verschwinden; er, der schlagfertige Redner, der die Organisation der Partei so bedeutend gefördert hatte, erhielt weder ein Stadtverordnetenmandat, noch einen Sitz im Reichstag. Herr v. Bollmer läßt von seiner Billa die blau weiße, nicht die rothe Fahne wehen, um den Prinzregenten von Bayern zu begrüßen, aber er bleibt derselbe angesehene socialdemokratische Führer im Reichstag und im bayerischen Landtag und denkt wahr scheinlich lächelnd des alten Temmler, der rin ähnliches Vergehen gegen daS socialdemokratische Prtncip mit seinem ganzen Einflüsse und Ansehen büßen mußte. Der Hasselmann'sche Geist, der un gezügelten Hoß gegen die Bourgeoisie predigte, ist eben einem anderen Feuilleton. ij Jack Hamlin als Vermittler. Von BretHarte. Nachdruck vcrdvtcn. Bei Einbruch der Nacht fing cs an zu regnen, auch erhob sich ein starker Wind, welcher eine seltsame kleine Gestalt, die dagegen ankämpfte, unbarmherzig zerzauste und umschüttcltc. Mühsam schleppte sic sich auf dem Fclscnpfad über die Bcrgwiese nach Rylands Raucho weiter, bald wurde ihr der große Schulterkragen um den Kopf geweht, als schlügen ein paar Flügel über ihr zu sammen, bald saß ihr der breitkrempige Hut keck auf einem Ohr und dann wieder auf dem Gesicht gleich einem Visier. Zuweilen sah sic aus wie eine unförmige Masse Kleider zeug, aber schon im nächsten Augenblick riß ihr der Sturm die Gewänder fast vom Leibe und man sah, daß ihre zarten Glieder gar nicht in die grobe Umhüllung paßten. Es war nämlich Frau Ryland in eigener Person, die, mit ihres Mannes Hut und dem alten Plauen Soldatenmantcl des Dieustknechts angcthan, von dem zwei Meilen ent fernten Postamt hcimkehrtc. Der Wind ließ nicht ab von ihr, bis sie den Eingang ihres neugetünchten Farmhauscs erreicht hatte, daun fuhr cr mit toller Wuth durch die Kiefern, die sich über dem flachen Schindeldach wölbten und schickte ihr noch tückisch zum Abschied einen Schauer schwerer Tropfen nach. Nachdem sic drinnen rasch Mantel und Hut abge worfen, trat sic im Wohnzimmer ans Fenster und blickte wieder auf den Pfad hinaus, den sie eben erklommen hatte. Regen und Wind fegten über den Abhang der, thcilü Wiesengrund, thcilö Waldblöße, sich eine Meile lang bis zu einem kleinen Ahorngehölz hinzog. Noch eine Meile weiter lag die Poststraße; dort mußte ihr Manu ciuSsteigcn, wenn er in drei Stunden von Sakrament» znrückkehrte. Ein Nachbar hatte Josua Ryland'S einziges Pferd entlehnt; er würde daher den langen Weg im Regen zu Fuß machen müssen. Im Dämmerlicht sah man noch die Wassertropsen auf Frau Rnland's Wangen glitzern, doch hätte man sie eben so gnt für Thronen halten können, nach dem kummer vollen Ausdruck ihrer Mienen zn urthcilc». Ihre auf fallende Schönheit paßte übrigens ebenso wenig zu ihrer Umgebung, wie die Hüllen, die fie abgelegt tzatte, zu ihrer Person. Selbst der Anzug, in dem sie jetzt erschien, war ganz ungeeignet, sowohl für das Wetter als auch für das Haus und die Stellung, welche sic darin cinnahm. Unter ihrem schweren geblümten Seidenkleid, das zwar nicht abgetragen war, aber voller Flecken, sah ein mit Spitzen besetzter Rock hervor, der im Schmutz geschleppt hatte. Sie trug ihr glänzendes schwarzes Haar nach auslän discher Mode in losen Locken, die der Wind jetzt aufgelöst und wild durcheinander geweht hatte. Auch mit dem Zimmer, in das sie cingetreten war, stand ihre ganze Er scheinung nicht im Einklang. Es sah kalt nnd schmucklos ans, und der noch feuchte weiße Anstrich erhöhte die Un behaglichkeit des Raumes. In einer Ecke stand ein schwar zes Harmonium mit Gesangbüchern in dunklem Einband; auf dem Pult daneben lag die Bibel. Ein halbes Dutzend schwarzer Rvßhaarstühlc waren in gleichen Zwischen räumen längs der Wand ausgestellt, an der vier Bilder aus dem „Verlorenen Paradies" mit schwarzen Trauer rahmen hingen. In einer Vase auf dem Kaminsims steckten getrocknete Farrenkräuter und Hcrbstblätler, die in dem sonnenlosen Zimmer vorzeitig verdorrt zu sein schienen; anch am Kamingitter steckte dürres Herbstlaub, als hätte es verbrannt werden sollen, aber bei der Feuch tigkeit nicht Feuer fangen können. Kran Ryland fiel plötzlich ein, daß sie mit ihren nassen Stiefeln auf dem neuen Teppich stand; rasch ging sie dnrch den Vorsaal nach dem Eckzimmer hinüber und von dort in die Küche. Die Dienstmagd, ein starkknochiges Mädchen auS Missouri, Tochter eines Holzfällers, der in der Nähe wohnte, saß am Tisch und schälte Kartoffeln; ihre Herrin zog einen Stuhl an den Ofen und wärmte sich die naßkalten Füße. „Ich wette gleich meinen letzten Heller, Frau, daß Sie die Vanille vergessen haben", sagte das Mädchen im Ton zwangloser Vertraulichkeit. Frau Ryland fuhr erschrocken zusammen; sie schien mit den Augen in ihrem Schooß und ans dem Tisch zn suchen. „Habe ich sic denn nicht hergclegt, Johanne? Dann muß ich sie wirklich vergessen haben." „Nein, es war keine Vanille im Packet. Und die Saucenwürze für den Herrn haben Sic wohl auch nicht mitgebracht?" Frau Ryland fühlte tiefe Zerknirschung. „Wie ist das nur möglich", sagte sic in kläglichem Ton; „ich bin doch in den Laden gegangen, und die Würze stand auf meinem Zettel. Wie habe — ich — nur —" Johanne lächelte verständnißvoll; offenbar kannte sie ihre Herrin. „Man wird so leicht verwirrt in so '„em großen Laden", sagte sie mit Nachsicht, „wenn man die vielen Kisten und Kasten sieht." Der Laden am Kreuzweg beim Postamt maß zwar nur vierzehn Schuh im Quadrat, aber Johanne- war in der Steppe ausgewachsen. „Ucbrigens", fuhr sie gutmüthig fort, „wird der Bote im Vorbeifahrcn jedenfalls bei uns vorsprcchen und da kann cr ihnen Alles noch rechtzeitig bringen." „Kommt cr denn aber auch gewiß herein?" fragte Frau Ryland besorgt. „Das Essen wird meinem Mann gar nicht schmecken ohne die Würze." „Freilich kommt cr, wenn cr weiß, daß Sic hier sind; darauf können Sie sich fest verlassen." „Wieso?" fragte Frau Ryland zerstreut. „Wieso? Nun, weil er Sic nur immer anschcn möchte. Deshalb kommt er alle Tage her — nicht nur um sein Geschäft zu besorgen." Das Mädchen hatte Recht mit der Behauptung. So wohl der Bote als auch der Bäcker, der Metzger und die übrigen Lieferanten, welche vom Kreuzweg her vorüber kamen, fühlten sich Alle gleichermaßen unwiderstehlich zu der bildschönen jungen Frau hingezogen. Sie mar sich dessen wohl bewußt, aber es schmeichelte weder ihrer Eitel keit, noch erregte es ihre Gefallsucht. Sonst hätte es ihr das Mädchen auch schwerlich gesagt. Der unzufriedene Zug in ihrem Gesicht prägte sich nur noch etwas deutlicher aus und sie erwiderte in gleichgiltigcm Ton: „Nun gut, wenn er kommt, so gieb D u ihm den Auftrag." Sie stellte nun ihre Stiefel zum Trocknen hin, zog ein Paar Pantoffel mit verblichener Seidenstickerei an und ging hinauf in ihr Schlafzimmer. Hier schwankte sie eine Weile, ob sie sich an die Nähmaschine setzen oder ihr Strickzeug zur Hand nehmen solle. Endlich griff sie zu den wollenen Socken für ihren Mann, mit denen sie sich schon seit einem Jahre abmühte. Aber in den drei Stun den bis zn seiner Rückkehr würden sie doch nicht fertig werden, da wollte sic es lieber mit -er Näharbeit ver suchen. Eine kleine Weile hörte man das muntere Schwirren der Maschine zwischen den Windstößen, von denen das Haus erbebte; aber bald ritz der Faden, Frau Ryland stellte die Maschine unmuthig bei Seite und eS zuckte verdrießlich nm ihren hübschen Mund. Nun fing sic an, das Zimmer aufzuränmen; sie kramte viele Sachen fort und holte eine Menge anderer ans dem Schrank. Das ging nur sehr allmählich, denn gewisse Kleidungs stücke unterzog sie erst einer genauen Musterung, probirte sie an und beobachtete ihre Wirkung im Spiegel. Tin ähnlicher Zeitaufwand entstand, während sie die Bücher fvrtstellte, die auf Stühlen und Tischen umherlagen; sie öffnete Dieses oder Jenes, blieb mitten im Zimmer stehen, überflog ein paar Seiten und trat dann mit dem Buch dicht an das Fenster, um beim Schein des Dämmerlichtes noch das Capitcl zu Ende zu lesen. Hieraus wird jede Leserin leicht ersehen, daß die reizende Frau Ryland in häuslichen Geschäften nicht sehr flink und gewandt war. Sic sah jetzt nach der Uhr, zündete das Licht an und wollte eben wieder eine Arbeit beginnen, damit die zwei Stunden, welche sie noch warten mußte, ihr nicht zu lang würden, als die Thür sich öffnete und Johanne cintrat. „Unten ist ein ganz fremder Mann, der ein lahmes Pferd hat und von nns ein frisches entlehnen will", mel dete das Mädchen. „Du weißt ja, daß wir keines haben", erwiderte Fran Ryland etwas ungeduldig. „Ich Hab s ihm gesagt, aber dann fragte er, ob er hier Unterkunft fände, bis cr ein Pferd bekommen könne, oder bis seines sich erholt hätte." „Mach' daS, wie Du willst, und sieh zu, ob sich ö ein richten läßt. Wenn mein Mann kommt, könnt Ihr s ja miteinander bereden. Wo ist der Fremde jetzt?" „In der Küche." „Weshalb denn?" rief Frau Ryland verwundert. „Ich hab' ihn ins Wohnzimmer geführt, Madam; aber da schüttelte er sich nnd meinte, er wolle lieber in die Küche, nm sich am Herd zu wärmen. Zu den hochnäsigen Leuten gehört cr, schcint's nicht; cr war ja auch ganz naß und seine blanken Reitstiefel sind über und über mit Schlamm bespritzt." „Mich braucht cr dann also nicht", sagte die Haus frau sichtlich erleichtert. Johanne machte ein vergnügtes Gesicht. „Nein, Ma dam, ich habe es Ihnen nur sagen wollen." Als Fran Ryland kurz darauf im oberen Stock über den Borsaal ging, hörte sic das Mädchen in der Küche aus vollem Halse lachen. Bei dem eintönigen Leben, das Johanne hier auf dem abgelegenen Rancho führte, war ihr die seltene Abwechselung wohl zn gönnen, und dadurch erklärte sich auch ihre Bereitwilligkeit, die Unterhaltung des Fremden ihrer Herrin abzunehmen. Nicht lange, so trat Johanne wieder bei Fran Ryland ein; ihre gelblichen Wangen waren gervthet, ihre runde» schwarzen Augen blitzten, und sic erklärte, sic wolle einen Gang nach dem Bichstall auf der oberen Weide machen, nm den Dienstknccht zu fragen, ob er nicht wisse, wo man ein Pferd für den Fremden herbekommen könne. Tinen Augenblick kam Frau Ryland der kränkende Gedanke, daß
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