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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.12.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011203029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901120302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901120302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-12
- Tag1901-12-03
- Monat1901-12
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Amksvl'att -es Königlichen Land- im- Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nolizei-Ämtes -er Ltn-t Leipzig. Anzeigen'Pret- die 6 gespaltene Petitzeile LS H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 7S ^>, vor den Familieunach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung .6 70.—» Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittags lO Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. Jahrgang. Dienstag den ?. December 1901. Der Krieg in Südafrika, vom Kriegsschauplätze. * Middelburg (Capcolonie), 1. December. („Reuter'S Bureau".) Oberst Monro verwickelte am 29. November Wessele und Myburgh bei Holyroad, südwestlich von Ladygrey, in ein Gefecht. 3 Boeren wurden getödtet, 2 verwundet und 13, einschließlich des Sekretärs Myburgh's, gefangen genommen und außerdem 19 Gewehre, eine Quan tität Munition und 30 Pferde erbeutet. * Bloemfontein, 1. December. („Reuter'S Bureau".) Elliot nahm am 27. November im Norden der Oranje- Colonie 12 Boeren gefangen und erbeutete 600 Pferde, 100 Wagen und 3000 Stück Lieh. * London, 3. December. (Telegramm.) Lord Kitchener telegraphirt aus Pretoria unter dem 2. De cember: Wie die verschiedenen englischen Truppenabtheilungen berichten, sind in der vergangenen Woche 32 Boeren gefallen, 18 verwundet, 256 gefangen genommen worden und 14 haben sich ergeben. Die Generale Bruce-Hamilton, Spence und Plumer marschiren gegen den Feind im Ermelo-Bezirke. — General Met hu en hatte am 25. November in West- TranSvaal einen kleinen Zusammenstoß mit Boerentruppen. — Die BoerencommandoS im Südosten des Oranje-Freistaates sind durch Gefangennahme einzelner kleiner Abtheilungcn be trächtlich verringert worden. — General French berichtet, seine Truppen hätten im Nordosten der Capcolonie den Schaaren Myburgh's und Fouchk's schwere Verluste beigebracht, und diese seien jetzt sehr verstreut. Im Südwesten sei Com- mandant Theron mit geringen Streitkräften südwärts durch die an der Eisenbahn nach Clanwilliam stehenden englischen Abteilungen hindurch entwischt, man sei ihm aber auf den Fersen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. December. Der Reichstag hat gestern die große Angelegenheit der Zolltarisreform in rlwa vierstündiger Sitzung in Angriff genommen und da« Ergebniß ist nur eine Kleinigkeit über Null. Optimisten sagen, bei einer auf sechs Tage angelegten Debatte komme e» auf einen Tag nicht an, andere Leute,"die darum noch nicht als Pessimisten angesehen werden müssen, meinen, bei dieser ersten Lesung werde überhaupt nicht« Greif- bareS zum Vorschein kommen, und nickt zum wenigsten deshalb nicht, weil man ihr eben von vornherein einen so weiten Spielraum gegeben hat. Wenn gegenüber concretrn gesetz geberischen Aufgaben im constitutionell geordneten Staate staatsphilosophische Betrachtungen erlaubt wären, so dürfte man sagen, daß solch schwierige, ganz überwiegend technisch und im tiefsten Grunde rein gelchäftlicke, den wirtbschastlichen Nationalprofit angehenden Dinge am besten allein von Technikern geordnet würden. In einem Bundesstaate wie Deutschland wäre dieser Weg, theoretisch angesehen, besonders leicht gangbar — wenn der föderative Apparat normal funzirt. Ob dies der Fall ist oder nicht, soll nicht untersucht werden — persönlich genommen war die gestrige Besetzung des Bundes rathStischeS imposant —; jedenfalls ist Gesetz Gesetz und die Sache muß mit dem Reichstage ge macht werden. Er zeigte sich am ersten Tage nicht auf der Höhe seiner Aufgabe. Der konservative Graf ».Schwerin- Löwitz war der erste Redner „aus dem Volke" und redete, soweit er zu verstehen war, zwar in der Form reckt vornehm, aber in der Sacke agitatorisch. Wir nehmen die Anläufe zum Inlransigententhuoi, die der Herr machte, nicht tragisch, entnehmen aber gerade seinen Ver sicherungen, daß diese erste Lesung pro nldilo sein wird. ES folgte auf die Tribüne als zweiter und letzter Redner des Tages der Socialdemokrat Molkenbuhr, der ein guter Sprecher ist und dem eS deshalb keine Beschwerden machte. Laß die Besten unter den Jüngeren seiner Partei — schutzzöllnerisch veranlagt sind. Er ließ sich selbst zu einer kleinen Concession herbei — sogar in der Richtung deS PrivateigenthumS, indem er die Um wandelung deS großen Grundbesitze» in Kleinbesitz al» Rettungsmittel für die Landwirtbschaft empfahl. Nun ist aber zum Glück für Liese Argumentation das Ackerland in Deutschland schon ganz überwiegend unter kleine und mittlere Besitzer vertheilt. Die geplante Zollcrböbung als pures Junker- und, wie ein beliebter Ausdruck lautet, Naubritterunter- nebmen hinzustellen, geht nicht weiter an. Die Bauern und Millionen von Nichtbauern, die keine Berührung mit den Junkern haben und diese herzlich nickt lieben, wissen eS eben anders. Herrn Molkenbuhr ist das auch nicht unbekannt. Wenn er trotzdem sagt, bei einer Neicktags- auflösung wegen der Tarifreform würde die Regierung ihr blaues Wunder erleben, handelt er eben als ciu Freigeist, der den Teufel an tieWand malt, weil er ganz genau zu wissen glaubt, daß es keinen Teufel gebe. Für die conditionelle Drohung der Socialvemokratie war die Stunde besonders ungünstig. Sie sah die Depesche aus W ieSbaden eintresfen, die ergab, daß in diesem von der Junkerseuche nicht ergriffenen NeickstagSwahl- kreiie die „Blodlvucher"-Schreier gegen 1898 trotz Ler in zwischen eingetretenen Bevölkerungsvermehrung einen Stimmen zuwachs von vielleicht lOO Stimmen erfahren haben, während die als „Brodwucherer" declarirten Parteien um mindestens 2400 Stimmen sich verstärkt haben. Dies Ergebniß be leuchtet den Millionen-PctitionSsturm gegen die Zollreform, mit dem Molkenbuhr renommirte und über dessen Natur geschickte noch zu reden sein wird. Bon den vielen Phrasen, die der Herr von sich gab, sei eine hervorgehoben. „Die deutsche Negierung bat kein Herz für die Arbeiter". Derselbe Herr Molkenbuhr hat aber kürzlich in einem reckt gediegenen Aussatze nachgewiesen, daß die seit Langem bestehende dcutiche JnvaliditätS- und Arbeite, Versicherung thurmhoch über dem steht, was der Genosse Millerand für die französischen Arbeiter auf diesem Gebiete einsühren will. Die deutsche Juvali- ditäls- und Altersversicherung ist aber Regierungswerk, das Werk Wilhelm'S I. und BiSmarck'S. DaS wären die zwei Abgeordneten. Von der Negierung sprach Ler Reichs kanzler. Es war eine höfliche und saubere UcberreichungS- rede, die er hielt, Wohl in der Annahme, daß eS sich nickt schicken und sogar zu Mißdeutungen Anlaß geben könnte, wenn der verantwortliche Chef der Regierung einem untergebenen Beamten die Vorlage dem Reickstag ans H.rz legen würde. Graf v. Bülow batte nicktS im Concept, was man von dem Minister des Aeußern in dieser Gelegen heit erwarten durfte, insbesondere nichts über den Doppeltarif. Aber der Teufel, der bei uns in Deutsch land immer als ein dummer Teufel austrikt, ent lockte ihm etwas verhältnißmäßig Gutes. Er, der Teufel, unterbrach in Gestalt der Opposition den Kanzler, als dieser bemerkte, daß die eingescklagene Zollpolitik den Weg zu neuen Handelsverträgen nickt erschwere, lauilärmend und bewirkte damit, daß Graf v. Bülow von dem, was er zu wissen scheint, eine Kleinigkeit andeutete: „Warten Sie Loch ab, wie der Hase laufen wird". Das war die kleine Ausbeute deS Tages. Des unverstanden gebliebenen Neichs- sckatzsekretärs Frbrn. v. Tbielemann Gedankengänge werden wir nach dem stenographischen Berichte verfolgen — wenn eS der Mühe werth ist. Professor Spahn bat, wie der Telegraph bereits ge meldet, an den Rector der Universität Straßburg ein Schreiben gerichtet. Es ist eine Antwort auf die Dank adresse, welche die Straßburger Hochschule an Mommsen gerichtet hatte und die von allen ordentlichen Professoren mit Ausnahme der neuernannten Geschichtsprofessoren Spahn und Meinccke und eines abwesenden emeritirten Professors unterschrieben war, und lautet: „Ich spreche ausdrücklich auS, daß ich in der „Freiheit der wissenschaftlichen Forschung", zu der ick Lurch mein Lehramt an unserer Universität verbunden bin, durch mein religiöses Be» kenntniß und meine auf innerer Ueberzeugung beruhende Zugehörig, keit zur katholischen Kirche mich in keiner Weise mehr oder anders beschränkt fühlen kann, als jederAnhängerirgend einer andern Weltanschauung oder auch politischen Auffassung von seiner andersgerichteten Ueberzeugung in der Sachlichkeit seiner Forlchung berührt wird. Ich muß mich daher aus das Entschiedenste gegen die Annahme der- wahren, als ob in meiner Berufung „Las Ideal der freien, durch Nebenrücksichten nicht gebundenen Forschung" verletzt sei, es sei denn, daß in dem mir unterbreiteten Entwurf einer Adresse für eine einzelne, an unserer Universität besonders scharf aus geprägte Weltanschauung und geistige Richtung das Allein» recht aus den deutschen Universitäten in Anspruch genommen werden sollte! Andernfalls sollten wir, die als gläubige Katholiken die Ehre der Zugehörigkeit zu einer deutschen Universität als Lebensziel erstreben, zunächst von unser» College» voraus» setzen dürfe», daß sie unser Wort als wahr achten; denn wir zuerst sind doch zu einem Urtheile darüber berufen, ob unser Gewissen es uns erlaubt, einer Gemeinschaft anzugehüren, deren Bestand auf der Aufrichtigkeit Ler Forschung und aus der Wahrheit der Lehre beruht und deren unversehrte Erhaltung zum Segen des Vaterlandes uns wie ihnen am Herzen liegt." Das klingt sehr mannhaft, und wenn Herr Spahn ledig lich seiner wissenschaftlichen Leistungen halber und nicht aus Rücksicht auf feine Confession und LaS Drängen einer kleri kalen Gruppe nach Straßburg berufen Worten wäre, so würde man vielleicht der Hoffnung sich hingeben können, daß er, wie io mancher andere katholische Professor, Lurch sein religiöses Bekenntniß sich in der Freiheit der Forschung nicht beengter fühlen werde, als ein Andersgläubiger. Aber gerade der ausgesprochene Grund seiner Berufung veranlaßt die rcicksländlschen Ultramontanen, nicht nur ganz besondere Forderungen an ihn zu stellen, sondern auch jedes seiner Worte auf die Goldwaage zu legen. Und wie von Rom aus katholische Gelehrte behankelt werden, deren Forschung vor dem Dogma nicht Hall macht, lehrt der Fall Schell, von anderen Fällen ganz abgesehen. Will Prof. Spakn das Schicksal Schell's vermeiden, so muß auch er als Forscher das Dogma als Schranke anerkennen; will er das nicht, so muß er eS auf einen Conflict mit seiner Kirche ankommeo lassen. Etwas Anderes giebt eS nicht. Den Ultramontanen wird er schon durch seinen Brief aufs Neue verdächtig werden, ohne doch ihren Gegnern eine Garantie zu bieten. DaS kann nicht durch Worte, sondern nur durch Thaten geschehen. Ueber die neue Reform-Aera in Ehtna wird uns aus Peking, Anfang October, geschrieben: Durch die im Sommer 1898 erlassenen kaiserlichen Edicte, welche die Axt an die seit Jahrhunderten festgewurzelten altchinesischen Einrichtungen legten, wurden die weitesten Kreise in hochgradige Aufregung versetzt. Selbst ruhig denkende Beobachter hielten die Maß regeln des Kaisers Kuanghsü für überstürzt. Durch die dem Staatsstreich vom September 1898 folgende Reaction wurden dann alle eben begonnenen Reformversuche im Keime erstickt, es folgte die Herrschaft des Boxerthums, die Einnahme und die Occupation Pekings durch die verbündeten Truppen, die Flucht des Hofes nach Hsianfu. Eine nützliche Folge der unvorher gesehenen Ereignisse des vorigen Jahres ist die Umstimmung der Centralregierung gewesen, welche jetzt endlich die Nothwendig keit eingesehen hat, mit dem Alten zu brechen und Neuerungen einzuführen. Seit einiger Zeit erscheinen in rascher Folge kaiserliche Edicte, welche zum Theil eine wortgetreue Wieder holung der im Jahre 1898 erlassenen sind. Sie werden jetzt aber, ohne irgendwie Aufregung hervorzurufen, als etwas Un vermeidliches betrachtet. Die Reaktionäre wagen nicht, dagegen Einspruch zu erheben. Der Aufnahme der Realwissenschaften in das Programm der öffentlichen Prüfungen ist jetzt der Be fehl gefolgt, im ganzen Reiche Lehranstalten zu errichten, in welchen neben den chinesischen Classikern und chinesischer Ge schichte auch die Kenntniß des Auslandes und der Realwissen schaften Gegenstand des Unterrichts bilden soll. Es wird an geordnet, daß in allen Provinzhauptstädten Hochschulen, in allen Präfectur Hauptstädten Mittelschulen und in allen Districts- städten Elementarschulen eingerichtet werden sollen. Die in dem betreffenden Edict als Muster angeführte Peking-Univer sität besteht freilich nur in der Person ihres Präsidenten, des über 70jährigen früheren Missionars Di-. Martin, der durch langjährigen Aufenthalt in China den westlichen Anschauungen entfremdet ist. Die Professoren und Studirenden haben sich in alle vier Winde zerstreut, die Gebäude sind niedergebrannt, Mittel zur Wiederherstellung vorläufig nicht angewiesen worden. Die für die Provinzen in Aussicht genommenen Lehranstalten müssen auS dem Nichts geschaffen werden, es fehlt an Lehr kräften und an Geldmitteln, nothwendiger Weise wird daher noch einige Zeit vergehen müssen, ehe sie ihre Wirksamkeit be ginnen können. Ihr Erfolg wird hauptsächlich von dem guten Willen der Provinzial- und Localbehörden abhängen. Deutsches Reich. L. Berlin, 2. December. (Conservative und Centrum bei der Breslauer Reichstags Wahl.) Der Gedanke der Breslauer Nationalliberalen, den Sieg eines bürgerlichen Candidaten bei der bevorstehenden Reichstccgsersatz- wahl in Breslau-West durch die Aufstellung eines auf gemäßigt politischem Standpuncte stehenden Candidaten wenigstens denkbar zu machen, ist nicht nur von den Freisinnigen, sondern auch von den Conservatrven ignorirt worden. Die Conservativen haben sich wieder mit dem Centrum, mit dem sie bereits bei den letzten Landtagswahlen und bei den durch die Ungiltigkeit der Bres lauer Landtagswahl nothwendig gcwordenen Landtagsersatz, wählen im vorigen Jahre zusammengegangen sind, nunmehr auch für die Rcichstagswahl geeinigt, ebenso wie sie — beiläufig be merkt — schon seit einiger Zeit auch bei kommunalen Wahlen Fanilletsn. Die Marmorliebe. Eine Hofgeschichte von Jean Bernard. NachtruS cerboUn. „Mein Gott, sie glaubt uns nicht", jammerte der Mann vor dem Thcre. „Fräulein, hören Sie mich ruhig an; ich werde in gedrängter Kürze erzählen, woher ich Kenntniß von der Gefahr bekommen habe- Wir haben eine Segelfahrt unternommen, ich, der Graf Bienheim, und der Baron Rede» , es wurde spät. Um den Weg nach Mariapol, wo wir wohnen, abzukürzen, landeten wir am Riff, das gemirthete Schiff stieß sogleich wieder ab. Wir sahen mit Befremden am Riff rin anderes Schiff liegen und gleich darauf auf der Riffmauer einen Mann rittlings sitzen, der beladene Säcke an der Parkseite heraufzog und sie auf das Riff hinabwarf. Wir stellten ihn zur Rede. Er antwortete durch einen Messerangriff, ich schoß nach ihm, er liegt schwer verwundet unten am Riff. Die Säcke enthielten Gold- und Sil-bergegenstände. An zwei Fenstern der sonst dunklen Villa saben wir einen Lichtstrahl bald aufblitzen, bald verschwinden. Wir schlossen hieraus, daß ein Einbruch dort stattfindet, von dem die Bewohner offenbar nichts ahnten. Deshalb sind wir hier und verlangen Einlaß. Wenn Sie Ihre Herrschaft lieben, die wohlthätige Fürstin und °die holdselige Prinzessin, dann öffnen Sie die Pforte, damit wir retten können, was noch zu retten ist." „Die Botschaft hör' ich wohl, allein, mir fehlt der Glaub«, Sie sagen, Sie seien in einem Boote am Riff angefahren, während ein Boot schon dort lag. — und der Mann auf der Mauer sollte das Anfahren des zweiten Bootes gar nicht bemerkt haben?" „Er muß zu der Zeit immer im Parke gewesen sein. Die Minuten sind kostbar, Fräulein, lassen Sie uns ein!" „Daß ich so thörickt wäre; versuchen Sie den Eingang nicht zu erzwingen! Ich fürchte mich nicht. Lebend kommen Sic nicht herein! Ich weiß einen Dolch zu führen, denn ich bin Vcrowna Tscherkinsa, auf's Aeußerste entschlossen, diesen Ein gang zu vertheidigen. . ." „Sie sind Vera, Vera selbst? So beschwöre ich Sie bei der Liebe, die Sie für Ihre Tante hegen, lassen Sie uns rin. Ich höre es an Ihrer Stimme, daß im Schlosse etwas passirr ist . . ." „Gehen Sie nur ruhig Ihrer Wege, einen Grafen und Baron Ihres Namens giabt es in Mariapol nicht. Gehen Sie, Ihr Anschlag ist mißglückt, dat Ist MM*... „Um aller Heiligen willen, Durchlaucht, wir sind ehrliche deutsche Edelleute und auf einer Vergnügungsreise begriffen, kein Wunder, daß uns weitere Preise noch nicht kennen." „Es mag sein, es kann auch'nicht sein; Letzteres ist sür mich maßgebend. Eine kurze Pause entstand, dann erhob sich dieselbe Stimme draußen wieder: „Es ist zum Verzweifeln, Baron. Warum reden Sie nicht ein Wort? Sie sind ein Gelehrter, ein Schrift steller, sprechen Sie mit ihr. Mein Latein ist zu Ende." „Was ist da zu machen, .Herr Graf, sie glaubt uns nicht, und zudem hat sie keine Ahnung der Gefahr. Was sie aller dings um diese Zeit am Parkthor zu suchen hat, ist räthselhaft. Steigen Sie doch über das Thor, Herr Graf, ich werde Ihnen als Leiter dienen." „Sie bedroht uns mit ihrem Dolch." „Immerhin, das will nichts bedeuten." „Ich mag ihr nicht feindlich gegenübertreten. Unselige Leidenschaft", fuhr er fort, „warum bin ich so verblendet? Wissen Sie, Baron, Ihre Feodorowna, die kluge Baronesse Nutkorow, hat doch Recht mit ihrer „Marmorliebe". O, kalt wie Marmor, muthig wie der Teufel und ungläubig wie Thomas ist diese tscherkessische Prinzessin! Wehe mir, daß ich ihre Marmorbüste gesehen!" — „Sie vergaßen, hinzuzufügen — und klug wie eine Schlange! Und das will ich damit beweisen, daß ich jetzt Ihren Be theuerungen glaube, ich werde die kleine Nebenpforte öffnen, zu der ich den Schlüssel habe." Und sie öffnete ohne ein weiteres Wort die Seitenthür und stand den Männern furchtlos gegenüber. In fliegenden Worten berichtete sie, was in der Villa geschehen, dann schritt sie Beiden voran, da sie im Hause unbekannt waren. Als man die Treppe hinter sich hatte, bat Graf Bienheim die Prinzessin, zurück- zubleiben, was sie auck that. „Nun, vorwärts, so leise wie möglich", flüsterte der Graf, der im nächsten Augenblick am Eingang zum Arbeitszimmer deS Fürsten stand. Er machte den Revolver schußbereit und trat m da» Gemach, indem er ri«f: „Was treibt Ihr hier, ihr Spitzbuben?" Anastavska ließ sein Brecheisen fallen vor Ueberraschung, dann faßte er unter den Rock, ein langes Messer hervorziehend. In demselben Augenblick krachte ein Schuß, der den Mann niederstreckte. Der Graf hatte ihn oberhalb des Knies getroffen; der andere Einbrecher hatte sogleich die Laterne bei Seite ge stellt und versuchte, das Fenster zu öffnen, was ihm nicht gelang. Als er sich nach einer anderen Fluchtmöglichkeit umsah, stand ihm der Baron gegenüber. Ob ihm nun dessen Reitpeitsche nicht sehr imponirte oder ob der Muth der Verzweiflung über ihn gekommen war, er suchte den Baron zu packen, doch dieser trat einen halben Schritt zurück, holte zum Schlage aus und ließ den Bleiknopf der Peitsche auf Verinow's Kopf nieder sausen, daß dieser blutend zusammenstürzte und liegen blieb. Verowna war trotz der Bitte des Grafen eingetreten, falls ihre Hilfe etwa nöthiq werden sollte. „Wir haben keine Stricke", bedauerte der Graf. „Nehmen Sie doch die dicken seidenen Portiörenschnüre, sie sind so stark wie Stricke." „Das ist wahr." So wurden die Einbrecher denn auf der Stelle gefesselt. Auf das Geräusch des Schusses und des nach folgenden Kampfes war die Fürstin aufgewacht, auch die Kammerfrauen fuhren erschreckt aus dem Schlummer auf; Vera übernahm die Beruhigung der Fürstin und sandte eine Kammer, frau nach dem Parkgebäude, so daß es bald lebendig in Schloß und Park wurde. Mit Windlichtern suchte man letzteren ab, fand auch einige Säcke mit Werthsachen an der Riffmauer, von dem Schiffe oder einem verwundeten Manne aber nicht?; nur eine gewaltige Blutlache auf dem Riff wurde entdeckt. Für den schwer verwundeten Olnovka sorgte man einstweilen so gut man konnte, während ein Diener nach Mariapol ritt, um einen Wundarzt herbeizurufen. Die Fürstin ließ es sich trotz der späten Nachtstunden nicht nehmen, nach dem Arbeitszimmer des Fürsten zu gehen, um den beiden Fremden für ihren Beistand zu danken. Graf Bienheim nahm das Anerbieten der Damen, eine kleine Stärkung zu acceptiren, dankend an und man begab sich nach dem Salon, wo die beiden Fremden nochmals ausführlich er zählen mußten, was sie von dem Einbruch wußten. Die Fürstin war sehr liebenswürdig und befahl, den Beiden Reitpferde aus dem Marstall des Fürsten vorzuführen, obwohl die deutschen Edelleute erklärten, den kurzen Weg recht gut zu Fuß machen zu können. Dann zog sich die Fürstin zurück und die Herren ritten hinweg, nachdem sic sich überzeugt hatten, daß die beiden Bösewichter in einem festen vergitterten Raum unter gebracht waren. Auf dem Weg nach Mariapol begegneten sie dem Doctor und dem Reitknecht und wechselten einige' Worte mit dem Arzt. Spät kamen sie in dem Lanohause bei Mariapol an, das der Graf bewohnte; mit tausend Aengsten hatte Embder auf die Herren gewartet und war erstaunt, sie zu Pferde zurückkehren zu sehen, doch fragte er nicht, sondern führte die Pferde nach dem Stalle. Weder der Graf noch der Baron waren in der Stimmung zu einer Erklärung, sondern begaben sich unverweilt zur Ruhe. Am anderen Morgen erhielten die Herren den Besuch des Untersuchungsrichters, welcher sie einlud, mit nach der Villa Gallitschin hinauszureiten, da man an Ort und Stelle ein Pro tokoll aufnehmen müsse und er erfahren habe, welch' thätigcn Antheil sie an der Affäre genommen. Dazu waren Beide so gleich bereit; Embder erhielt den Befehl, die fürstlichen Reit pferde mitzuführen, während der Graf und der Baron ihre eigenen Pferde bestiegen; auch der Richter und sein Protokoll führer waren beritten. Die Cavalcade traf gegen elf Uhr in der Villa ein, wo sie erfuhren, daß der Fürst zurückgekehrt sei. Man empfing die Gäste mit ausgesuchter Höflichkeit und Freundlichkeit; der Fürst, noch etwas erregt über den nächtlichen Einbruch, sprach den deutschen Edelleuten seinerseits den herzlichsten Dank für die geleistete Hilfe aus und bat sie, für die Zeit ihres Aufenthaltes sein Haus öfters mit ihrem Besuche zu beehren, welchem Er suchen Graf Bienheim gern nachzukommen versprach. Dann schritt man zum Verhör der Zeugen. Olnovka Ivar Dank der vorzüglichen Pflege wieder zum Bewußtsein gelang; und vermochte wenigstens im Allgemeinen Auskunft über die Angelegenheit zu geben. Während des Verhörs der Einbrecher kam die Kunde, daß man auf See ein anscheinend herrenloses Segelschiff aufgebracht habe, welches mehrere Säcke mit Gold- und Silbersachen, sonne den Leichnam eines Mannes enthielt, der offenbar an Ver blutung gestorben war. Der Leichnam wurde von Olnovka nachher erkannt, er behauptete bestimmt, der Verstorbene sei einer der drei Männer gewesen, die er am Abend vor dem Einbrüche flüchtig gesehen. Auch der Bauernwirth Elentew vom Chaussee-Gasthause erkannte die drei Männer wieder, die bei ihm zu Abend gegessen. Verinow und Anastavska dagegen stellten in Abrede, den Tobten gekannt zu haben. Da der Arzt die Transportfähigkeit der Verbrecher nicht beanstandete, ordnete der Richter ihre Ueber- führung nach dem sicheren Bezirksgefängniß in Mariapol an. „Herr Graf", sagte der Richter beim Mittagsmahl, „Sie haben nicht nur Sr. Durchlaucht einen großen Dienst erwiesen, sondern sich auch um die Regierung sehr verdient gemacht, da dieser Verinow, den Sie zur Verhaftung brachten, ein Gauner ist, auf dessen Ergreifen ein hoher Preis gesetzt wurde, der Ihnen jedenfalls zugesdrochen werden wird." „Ich muß diese Ehre ablehnen", meinte der Gras, denn vor Allem hat die Reitpeitsche des Barons das Meiste' zur Kampfunfähigmachung dieses Verinow beigetragen, und dann wäre wohl der glückliche Ausgang der Sache recht zweifelhaft gewesen, wenn nicht Ihre Durchlaucht Prinzessin Verowna zuerst die Verbrecher bei ihrer Arbeit überrascht und belcruscht und di« Hilfe ermöglicht hätte." Verowna erröthete bei dieser Anerkennung, denn sie gedacht«
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