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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.12.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011213012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901121301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901121301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-12
- Tag1901-12-13
- Monat1901-12
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Die Anterofficiersrage im Heere. 8- In jüngster Zeit sind wieder einmal Klagen über die zunehmende Unlust zur Kapitulation seitens der Unterofficiere aufgetreten, welche bei vielen Truppentheilen zu einem empfind lichen Mangel an älteren Unterofficieren geführt hat. obschon derselbe bei den einzelnen Armrecorps verschieden ist. Bei der Wichtigkeit und Bedeutung der Unterofficiere für die Ausbildung des Heeres wird daher'' dieser Unterofficrerfrage das weitest gehende Interesse entgegengebracht und <dabci auf Mittel ge sonnen, um dem Uebelstande nach Möglichkeit abzuhelfen. Alle Maßregeln, welche in den letzten zwanzig Jahren für die Hebung der wirthschaftlichen und socialen Lag« der Unterofficiere er griffen wurden, hatten die Absicht, die Lust zur Ergreifung der Unterofficierlaufbahn zu fördern; dies hatte zunächst auch einen Erfolg, denn dem Unterofficier, der sich zum Weiterdienen bis zu einer Gesammtdienstzeit von zwölf Jahren verpflichtete, waren außer der allgemeinen Verbesserung seiner Lage während der Dienstzeit recht bemerkenswerthe Vortheile in Aussicht gestellt. Di« Klagen über den Mangel an Capitulanten verstummten mehr und mehr, sie tauchten erst wieder auf, als bei den Fußtruppen die zweijährige Dienstzeit zur Durchführung gelangte. Diese betrug dann in Wirklichkeit nur 23 Monate, wobei noch mancher Festurlaub für den Soldaten hinzukam, so daß ihm die beiden Militärjahre nicht allzu lang wurden und er ein Jähr früher als bisher, zu seinem bürgerlichen Berufe zurücktreten konnte. Das brachte den Meisten nun größere Vortheile und «war ihnen auch sympathischer, als das Weiterdienen, woraus sich der Anfang zum Rückgang« der Kapitulationen ergab. Als weiterhin die zwei jährige Dienstzeit einen intensiveren Dienstbetrieb nöthig machte und dies die Anforderungen an die körperlichen und geistigen Leistungen der Unterofficiere steigert«, so daß thatsächlich eine Ueberbürdung und vorzeitige Abnutzung derselben eintrat, ver mehrte sich die Abneigung gegen das kapitulircn auf ganz natur gemäße Weise. Es soll nun vom Kriegsministerium beabsichtigt werden, nach dieser Richtung helfend einzugreifen. Man will Brigadeschulen -rrichten, wo die älteren Unterofficiere eine bessere Vorbildung für ihren späteren Civilberuf, namentlich auch mit Ertheilung von französischem und englischem Sprachunterricht, erhalten sollen. Will man hiermit einen Nutzen stiften, so müssen diese Brigade schüler von jedem anderen Truppendienste befreit werden, denn Niemand kann zween Herren dienen. Sonst würde entweder die Fortbildung durch den Unterricht, oder der Truppendienst oder aber Beides vernachlässigt, was mehr Schaden, als Nutzen brächte. Werden aber die Brigadeschüler von der Truppe abcommandirt, so müssen sie bei dieser selbstverständlich ersetzt werden, weil der verbleibende Rest den Dienst der Abcommandirten einfach nicht mit leisten kann. Es ist also eine Vermehmng der Untrr- officierstellen bei den verschiedenen Einheiten, wie Compagnie, Escadron u. s. w., erforderlich, und dadurch wird die rein mili tärisch erscheinende Unterofficierfrage zur Geldfrage. Ob der Reichstag sich aber bei der jetzigen Geldknappheit dazu bereit finden wird, einen Mehrbetrag für solche Stellen zu bewilligen, er scheint mindestens fraglich. Auch wird zu bedenken sein, daß die Zahl der Unterofficiere, die später im Civildienste versorgt werden wollen, immer mehr wächst, während dies mit den kivil- stellen für die Militäranwärter nicht der Fall ist. Diese klagen schon jetzt über die lange Wartezeit bis zur endgiltigen Anstellung und glauben auf den Civilversorgungsschein pochen zu können nach welchem der Staat zu ihrer Anstellung verpflichtet ist DieS kann doch aber immer nur nach Maßgabe der frei werdenden Stellen geschehen, und man kann die älteren, brauchbaren und leistungsfähigen Beamten nicht pensioniren, nur um den An wärtern Luft zu machen. Das hieße mit anderen Worden: Mach Platz, damit ich mich sehen kann! Einen solchen Grundsatz kann man aber im öffentlichen Leben nicht gut aufstellen. Daß die Unterofficier« jetzt schon nach sechsjähriger Dienst zeit bei den Schuhmannschäften angestellt werden können, ent lieht dem Heere auch eine ganz« Anzahl von brauchbaren Unter officieren. Für das Heer ergiebt sich hieraus ein unbestrittener Nachtheil; auch der Dortbeil für die Schutzmannschaft ist nicht so erheblich, da sie auf die Weise manches Element erhält, dessen kharakter noch der weiteren Festigung bedurft hätte, wie dies bei der bisherigen neunjährigen Militärdicnstzeit vor der An stellung als Schutzmann besser erreicht wurde. Die Unzufrieden heit der Militäranwärter therlt sich aber auch den Unterofficieren mit, und Beide haben wahrlich keinen Grund, unzufrieden zu sein. Der ganze Vorbereitungsvienst für den Civilberuf kostet dem Unterofficier keinen Pfennig; wo man hinschaut, genießt er Vorzüge, die dem Civilanwärter in keiner Weise geboten werden. Niemand wird etwas dagegen einwenden, wenn der Einzelne sein materielles Loos zu verbessern sucht; nur soll es nicht durch eine offenkundige Benachtheiligung Anderer geschehen, die aber ein treten würde, wenn man den Unterofficieren noch weitere Vor- theil« einräumen wollte. Die Depression in der wirthschaftlichen Lage wird vielleicht auch dazu führen, die Lust am Capituliren der Unterofficiere wieder zu heben; mit den beabsichtigten Mitteln, wie Brigadesckulen und Srellenvermehrung, wird es auch nicht gethan sein, vielleicht wächst dadurch nur die Begehrlichkeit nach besserer Anstellung. Auf diesem Wege wird man nicht zu schneidig Vorgehen dürfen. Der Krieg in Südafrika. Tie BlockhauSltnien der Engländer. Wenn auch den Blockhauslinien, mit denen die Briten die wichtigsten Verbindungen zu sichern suchen, bisher kein besonderer Einfluß auf den Ganz der Ereignisse zugesprochen werden konnte, so haben dock gegenwärtig jene Linien eine Ausdehnung gewonnen, daß man sie bei Betrachtung oer verschiedenen Operationen Wohl berücksichtigen muß. Im Süden ist zunächst, nach der „Schlesischen Zeitung", die sich an den Ufern des Oranje- flusses entlang ziehende Kette von Blockhäusern zu er wähnen, die sich etwa zwischen Hopetown und Alinal North in einer Länge von annähernd 250 Kilometern erstreckt. Ihr gleich laufend wird durch die Linie Kimberley-Bloemfon- tein-Thabanchu-Ladybrand der Oranjefreistaat in zwei ungleiche Theile getrennt, von denen der nördliche, größere, gegen die Transvaalrepublik durch die Linie Klerksdorp- Standerton nicht vollkommen abgeschlossen ist. Bloem fontein ist außerdem durch einen großen Gürtel von Block häusern gegen feindliche Angriffe geschützt. Die beiden letzt genannten Linien besitzen jede ebenfalls ein« ungefähre Aus dehnung von 250 Kilometern. Auf der etwa 50 Kilometer langen Strecke Heilbronn-Francfort ist der Vaallrme eine weitere Blockhauskette vorgelagert. Die Transoaalrepublik wird durch Blockhausanlagen, die sich zwischen den 280 Kilometer ent fernten Ortschaften Mafeking und Pretoria einerseits und zwischen Pretoria und dem etwa 380 Kilometer fernen Komatipoort erstrecken, ebenfalls in zwei große Theile ge schnitten. D«r südliche derselben ist zunächst durch die Linie Wackerstrom-Pietretief gegen Natal hin, aber nur un vollkommen, abgeschlossen. Während diese letztere Anlage eine Länge von 75 Kilometern besitzt, dehnt sich eine doppelt so lange von Standerton über Bethel bis Middelburg und soll einen vollständigen Schluß zwischen der Vaallinie und der jenigen an der Ostbahn bewirken. In der Liäie Rustenburg- Johannesburg-Vereenigung, hier Anschluß an den Daalfluß findend, sino Blockhäuser nur zwischen Rustenburg und Krügersdorp und zwischen Johannesburg und Vereenigung er richtet. hingegen ist erster« Linie dadurch zu einer zweifachen ge worden, daß man noch von Krügersdorp bis Kom ma nd o n e ck in den Magaliesbergen Befestigungen anlegte. Die Gesammtlänge dieser Anlagen mag 130 Kilometer betragen. Durch die etwa 40 Kilometer breite Lücke Krügersdorp-Johannesburg scheint letztere Stadt augenblicklich durch General Dclarey be droht zu werden. Schließlich ist noch Dalmanutha, eine nur wenig« Kilometer östlich von Belfast an der Ostbahn g«legene Station, mit dem 70 Kilometer entfernten Lydenburg ver bunden. Im Ganzen mögen zur Zeit etwa 1900 Kilometer aus gebaut und durch 2400 Blockhäuser geschützt sein. Es würde also bei gleichmäßiger Vertheilung der Häuser auf et>va 780 Meter rin solches kommen; es ist aber anzunehmen, daß die ersten Anlagen nur etwa alle Kilometer ein Blockhaus haben, während sie bei den jüngeren Bauten sich etwa auf 500 Meter folgen. Die in doppelten Wellblechwänden, deren Zwischenraum Wit Erde gefüllt ist, ausgefühcten Blockanlagen sind oben offen und unter einander theilweis« mit Drahthindernissen und Alarmvorrich tungen verbunden. In letzter Zeit sollen 8000 K a f f e r ri tz u n d c als Wächter beschafft und auf die Blockhäuser vertheilt worden sein. Bei einer durchschnittlichen Besatzung von etwa 25 Mann werden dem Feldheer auf diese Weise 60 000 Mann ent zogen. Man muß bei dem immer bedenklichere Formen an nehmenden Truppenmangel der Engländer annehmen, daß man auf die Mitwirkung dieser großen Anzahl Streiter zu offensiven Bewegungen nur verzichtet, weil sie höchst minderwerthes Material umfassen mag. In der Hand eines solchen werden aber auch die schönsten und stärksten Linien nichts nutzen. — Sollten sich die jüngsten Berichte bewahrheiten, so dürfte De Wet mit 1400 Boeren bereits die Linie am Baal nordwärts passirt haben, während ein Durchbruch derjenigen bei Middelburg am Roosenekal demnächst zu erwarten sein wird. Eine interessante Beleuchtung des Werthes des Block haussystems geben die nachstehenden, in der Londoner „Finanz-Chronik" veröffentlichten Mittheilungen eines soeben aus Johannesburg zurückgekehrten. in London eingetroffenen Deutschen: „Jetzt gilt hier (d. h. in London), wie ich wahr nehme, Johannesburg und das Rand-Gebiet vor den Boeren sicher. Woher diese optimistische Auffassung der Lage stammt, ist mir wohl klar, aber schwer verständlich. An Ort und Stelle herrscht eine andere Meinung vor. Die Wahrheit wird eben nicht bekannt. Wer hat z. B. nicht davon gehört, daß sich die Boeren unter den Mauern des Johannesburger Forts weg ihren Viehbedarf für das Rustenburger Kommando holen! Die Wege sind mit Stacheldraht verlegt, ein Stachelzaun ist ge zogen, Schildwachen sind aufgestellt, und trotzdem brechen sie unbehindert durch und treiben an Vieh davon, was sie brauchen. Kaum ein Tag vergeht, an dem die Bewohnerschaft der Stadt nicht vurch Kanonenschüsse vo.n Fort and durch das Geheul der Damps-Sirenen — wer wohl diese Bezeichnung erfunden hat? — alarmirt uns gewarnt werden, sich im Hause zu halten und nicht auf der Straße zu zeigen. Dabei die häufigen, eiligen Ausmärsch« der Truppen und dann die Rückkehr mit Verwundeten, die wohl nächtlicherweile in die Stadt geschafft werden, von deren Ankunft man aber, trotz der Abschließung des Hospitals, Kunde erhält. ES läßt dies deut lich erkennen, daß in keiner großen Entfernung von der Stadl noch immer gekämpft wird. In Folge dieser Ausfälle ist die Stadt oft von Truppen ganz entblößt, was auch der Fall war, als ich vor acht Wochen von Johannesburg Abschied nahm. Ein kleines Boerencommando könnt; sich da der Stadt, wenn auch nur für kurze Zeit, bemächtigen, und was für ein Unheil es anrichten könnte, bedarf keiner besonderen Ausführung. An Freunden fehlt es ihnen in der Stadt wahrlich nicht. Sie sind ohne Jntelligence- Departement besser von Allem unterrichtet, als die englische Heeresleitung mit ihrem Stabe von Spionen, die einen anderen Gnind zur Unzufriedenheit bilden. Wenn man sich diese Gilde betrachtet, fragt man sich erstaunt, wie die englischen Behörden überhaupt solche Leute in ihren Dienst nehmen und ihnen Ver- trauen schenken können ? Es sind zumeist verkommene Ausländer, denen es auf dem Gesichte geschrieben strht, daß sie zu jeder Schandthat bereit sind. * London, 12 December. (Tel.) Nack einer Trahimeldung der „Times" auS Pretoria wurde ein» im Orangeslaate concentrirte Boerensireitmacht unter Dem et durch die Overationen britischer Colonnen unter den Generalen Broadwood und Byng aenötdigt, sich auszulösen. Dewet und Steijn batten sich vorher mit etwa 100 Mann südlich nach Senekal zurückgezogen. Der Rest der Streitmacht unter Prie» loo wurde in der Richtung au» Bethlehem vertrieben. (Boss. Ztg.) * London, 12. December. (Telegr.) Heute wurde vr. Krause wiederum vor daS Bowslreet-Polizeigericht vorgeführt und gegen Bürgschaft bis Mittwoch sreigelassen. Mittwoch soll gegen ihn unter der Anklage verhandelt werden, daß er den kürzlich erschossenen früheren Staatsanwalt Transvaals Broeksma ausgefordert habe, den Rechtsbeisland Lord Roberts, Dougla» Forster, zu ermorde«. Deutsches Reich. --- Berlin, 12. December. (Socialdemoikratische Heuchelei.) Zu dem Capitel „Socialvemokraiische Heuchelei" liefert der gestrige „Vorwärts" einen ungemein charakte ristischen Beitrag. Bekanntlich läßt sich'» die socralbemokransche Partei und ihr Centralorgan angelegen sein, da» Züch tigung» recht der Schule anzugreifcn und zu diScrediliren; die vorgestrige ReichStazSrede des „Genossen" Ledebour und der gestrige Leitartikel des „Vorwärts" über die Poleninterpellation enthalten dafür die neuesten Belege. Daß aber hervorragende „Genossen", ohne vom „Vor wärts" irgendwie berichtigt zu werden, über de» Werth der Züchtigung von Kindern selbst in Fällen barbarischer Mißhandlung ganz anders denken, lehrt «iw« Verhand lung, die dieser Tage vor der 6. BerufungSstr-tfkammer des Landgerichts I Berlin statlfand. Vor diesem Gerichtshöfe bemühte sich der Rechtsanwalt und socialdemokradische Agitator Liebknecht um die Führung des Entlastung»beweise», daß die Verurtbeilung der Arbeiterebefrau Marie Neumann durch daS Schöffengericht zu 6 Monaten Gefängaiß wegen barbari- Icker Mißhandlung ihrer 7jäbrigen Tochter nicht gerechtfertigt sei. „Tie Belastungszeugen", berichtet der „Vorwärts", „blieben bei ihren früheren Aussagen und gaben eine Sckil- deiung von den Mißhandlungen, denen das Kind ausgesetzt geweien, daß verschiedene weibliche Personen im Zuhörer raum Thräuen vergossen. E» wurde bekundet, daß die Angeklagte einmal zwei Stunden lang ununter brochen auf das Kind eingeschlagen habe." Der Vertbeidiger, „Genosse" Liebknecht, bestritt trotzdem die Ueberschreilunz de» ZüchtigungSrecht» durch die An geklagte, indem er laut dem „Vorwärts" auSfübrte: „Es habe im Interesse de» Kindes selbst gelegen, e» von den ihm innewohnenden Lastern zu curiren." — Nach der Behauptung der Mutter nämlich, die das Kind mit in die Ede gebracht hatte, soll da» Kind von außerordentlicher Halsstarrigkeit und Ver logenheit sein. Ter Gerichtshof indessen hat in Ueber- ciiistimmung mit dem Staatsanwalt weder auf die Be hauptung der Mutter noch auf die Beweisführung de» RewtSanwaltS „Genossen" Liebknecht» noch auf die Aus sagen einiger Entlastungszeugen etwa» gegeben, sondern es bei der 6 monatigen Gefängnißstrafe belassen. Wie paßt nun der Standpunkt des „Genossen" und Rechtsanwalts Liebknecht, Laster nicht nur durch Pissgel, sondern sogar durch barbarische Prügel curiren zu wollen, zu der üblichen iocialdemokratischen Beurtbeilung des ZüchtigungSrechlS der Schule, insbesondere zu dem vernichtenden Urtdeil über die Lehrer in Wrescken? Und warum unterdrückt der „Vorwärts" jede Kritik der Aus lassungen eines „Genossen", der ohne Zweifel zu den social- demokratischen Führern zählt? Berlin, 12. December. (Die industrielle Ent wickelung Belgiens — eine Bestätigung der Kritik Bern stein's.) Auf Grund der belgischen Gewerbe- zäblung des Jahres 1896 veröffentlicht Professor Or. Wax weiler, Direktor des „Institut der Sociologie" in Brüssel in ter „Socialen Praxis" eine längere Unterredung über die belgische Klein- und Groß-Industrie. Waxweiler bebt darin cie beachtenSwertbe Thatsacke hervor, daß die belgische Gewerbezahlung die wesentlichsten Puncte der bekannten Frnilletsn. Der TannenLieb. Eine Weihnachksgeschicht« von Max Kretzer (Berlin.) Nachdruck v-rdvren. I. Jedesmal, wenn Weihnachten vor der Thür war und der Winter starken Frost mrtgebracht hatte, der die Bauarbeiter zum Feiern zwang, stellte sich der Spukteufel in Maurer Bracht'S Kammer ein, der ihm zu denken gab, soweit eS sich darum handelte, fein Gewissen ein wenig aufzüfrischcn. Wohin er blickte, auf die Thüre, auf die Wand und auf die Die-le — überall las er die mit weißer Kreid« geschriebenen Worte: „Du sollst nicht stehlen!" Hatte er mit einem Fluche Morgens die steilen Schriftzüge weggewischt. so winkten sie ihm sicher des Abends bei spärlicher Beleuchtung an anderer Stelle von Neuem ent gegen; und hatte er vor dem Schlafengehen dieselbe Säuberung voraenommen, die trotzdem Flecke in seiner Seele zmückließ, so starrte ihm beim ersten Augrnaufschlag daS Gebot in Kreide schrift wieder an anderer Stelle entgegen. Und da er beim Erwachen immer am schlechtesten gelaunt war, weil er nicht nur die gefrorenen Fensterscheiben, sondern auch den langen Tag vor sich sah, der ihn dazu verdammt«, den Neubau nur von Weitem zu sehen, so spuckte er, noch auf dem barten Stroh lager liegend, gegen den unsichtbaren Feind aus und brummte in seinem Aerger halblaut vor sich hin: „Pfui Teufel! 'n armen Monn so ru chikaniren. Wer weiß, ob ich überhaupt wieder Tanne« verkaufe, und ob ich dann welche maus« .... Und wenn schon! Der liebe Hergott läßt die Bäume für Alle wachsen .... Und wer steht'S denn auch? Du vielleicht? Wer bist denn Du, daß Du mich mit Deinem ewigen Nicht- Stehlrn-Gebot zum Narren machst, und gerade immer um diese Zeit, wo uns der Magen am meisten hängt. Wo steckst Du denn, wie? So komm' doch heraur, Du Prediger in der Wüste, und zeig' mir Dein« Fra^e. Ich will Dich schon " Und in der Stimmung, sofort zum Angriff überzugehen, langte er nach einem seiner ausgetretenen Filzpantoffel und schleuderte ihn nach der Thüre, von wo ihm die großen Buchstaben am nächsten zrrgrinsten. Er traf aber nur seine Frau, die gerade hereingetreten war, um ihm «ine Tasse heißen Kaffee als ersten Labetnlnk an das Bett zu bringen. Während dieser Zeit un freiwilliger Muße, wo das Frühaufstehen nicht zur Bedingung wurde, ließ er sich gerne füttern, um auch einmal ein Schlaraffen leben zu führen, wie er meinte. „Man gut, daß ich nicht di« Tasse getroffen habe", sagte er lachend, als sie sich den Kopf rieb. Sie ging auf den Scherz ein, blickte sich dann aber scheu um und sckielte auf die Kreideschrift, wie auf etwas Unange nehmes, daS man nicht gern sehen möchte, von dem man aber un heimlich angezogen wird. „Diesmal habe ich die Sache dick mit dem Baumhandel, ich werde lieber Schnee schippen", begann er verdrießlich, nachdem sie auf dem einzigen Stuhle am Bette Platz genommen und ein geschüchtert ihn nun betrachtet«, wie er, den Ellbogen aufgestützt, das heiße Getränk schlürfte. Und Schluck für Schluck nehmend, fuhr er fort: „Dann könnt Ihr ja sehen, wir Ihr fertig werdet. Mir gönnt man fa nicht mehr das liebe Leben. Nicht mal Ruhe im Hause hat man. Jedesmal wird mir das Christfest verdorben. So auf diese Art. Na, ich will nichts Schlimmeres heraufbe schwören. Ich dank« Dir auch, stell' nur noch 'ne Tasse warm. Ich komme gleich." Sie nahm ihm die keere Tasse ab, und während er sich noch einmal ansstreckte, schwiegen sie B«ide. Es war, als wollten sie mit Absicht vermeiden, etwas zu berühren, was dieser Unterhal tung eine ander« Wendung geben könnte. II. Frau Bracht tannt« den Hexenmeister, der diese Warnungs tafeln überall herdorzauberte, um ihrem zweiten Manne geheimen Schrecken rinzujagen. Es war ihr fünfzehnjähriger Sohn, der Liebling ihres verstorbenen Ersten, der dem Jungen daS siebente Gebot ganz besonders eingeprägt hatte. Und es hatte eine eigene V*wandtniß damit, daß Otto diese» ererbte Ehrlichkeitsgefühl regelmäßig in Handlung umsehte, so bald für den Stiefvater die Zeit des Bärenhäuters gekommen war. Gleich im ersten Winter nach der Eheschließung war Bracht auf den Gedanken gekommen, Weihnachtsbäume zu verkaufen, um während der tobten Zeit etwas Verdienst zu haben. Er hatte sich aber dabei einen anderen Plan gemacht, als die übrigen Händler, die die Bäume aus dem Großhandel bezogen und sich mit einem geringen Profit begnügten. Die Spitzbüberei, die seit seiner Jugend geschlummert hatte, erwachte ivieder in ihm, und so zog er eines Abends, als frischer Schneefall eingetreten war, nach einem nahen Walde, wo zwischen Buchen junge Fichten und Tannen standen, die schon auf einem Sonntagsmarsche im Sommer sein Wohlgefallen erweckt hatten. „Hier wär« im Winter etwa» zu machen", hatte er sofort gedacht und sich die Stellen genau gemerkt. Allein war ihm die Sache aber zu schwierig, und so mußte der Junge mit, um den Handwagen zu stoßen. Bracht hatte weit außerhalb Berlins in einer sogenannten Laubenkolonie ein Stückck-n Land gepachtet, wo er im Sommer Kohl und Rüben pflanzte. Dorthin wurden die Bäume zuerst gebracht, in der Bude aufgestapelt und am anderen Tage unauffällig äbgeholt, so daß es auSsehen konnte, als käme man direkt vom Güterbahn-- Hofe. Alles war glatt gegangen, und Bracht lachte sich vergnügt ins Fäustchen bei dem Gedanken, den ganzen Gewinn in die Tasche stecken zu können. Sein« Frau hatte davon zuerst nichts gewußt, sie hatte daS Geheimniß auch nicht von ihm erfahren, sondern von ihrem Jungen, der am anderen Morgen ein völlig verändertes Wesen zur Schau trug, mit verschlossener Miene im Hause Herumschlich und kaum das Essen anrührte. Scheu ging er seinem Stiefvater aus dem Wege, und hat!« er ihn bis zu diesem Tage schon nicht leiden können, so l-ucktete jetzt der Haß au» seinen Augen, wenn er rfur von ihm sprach. ^.Er hat die Bäume, die er verkauft, im Wald« abgesägt, — aber sag' eS ihm nicht, daß Du's von mir weißt", raunte er seiner Mutter in der Küche zu. „Er hat geschworen, mich todt- zuschlagen, wenn ich Jemand ein Wort darüber sage. Bracht kriegt da» fertig." Wenn er von ihrem zweiten Manne sprach, so nannte er ihn nur bei seinem Namen, weil er sich seit der Zeit daran gewöhnt hatte, wo der Stiefvater noch in Schlafstelle bei ihnen lag- Ec hatte sich niemals vorstellen können, daß er einen anderen Mann Vater nennen soll«, nachdem sein leiblicher gestorben war, und so vermied er «s, selbst die Anrede Stiefvater zu gebrauchen, wenn er mit dem Maurer zusammen war. Als gewitzter Berliner Jung«, der in der Gemeindeschule die Freude der Lehrer war, fand er immer einen Ausweg. Ins Gesicht hinein sprach er zu ihm: „Du, hör' mal —", und hinter seinem Rücken war er nur ein „Der", oder „MutternS Zweiter". Gerade darüber ärgerte sich Maurer Bracht am meisten, und so behandelte er den Jungen ebenfalls wie einen Fremden, dem er Wohlthaten spend«, ohne Dank dafür zu ernten. Dazu kam bei ihm die innere Wuth darüber, daß er in Otto einen Mitwisser batte, den er fürchten mußte. Deutlich genug hatte ihm daS der Junge auch zu verstehen gegeben. Denn als im nächsten Jahre Weihnachten herangerückt war und Bracht wieder eines Abends zu seiner Frau sagte: „Ich will nun nach dem Schuppen, um die gekauften Bäume zu holen, weil ich morgen keine Zeit habe", lachte Otto so laut und bezeichnend auf, daß der Maurer ihm einen vielsagenden Drohblick zuwarf. Diesmal ging er allein seinen verbotenen Wegen nach und kam glücklich wieder zu seiner Laube, ohne ertappt zu werden. Als er dann Morgens das gestohlene Gut glücklich auf den Platz gebracht hatte, sprach er beim Kaffee mit Absicht viel von den Beschwerden, die er „draußen im Güterschuppen" gehabt habe, und als diesmal der Junge wieder lachte, versetzte er ihm über den Tisch eine Ohrfeige, die so stark war, daß der Geschlagene eine Weile wie betäubt dastand. Er blieb stumm, denn er erwartete wohl, daß seine Mutter sich für ihn einlegen würde. Als da» nicht geschah, setzte er sich in einen Winks! und fing an zu heulen. Dann ballte er unter Thränen die Hand und rief ihm zu: „Wenn mein Vater noch lebte, hättest Du mich gewiß nicht geschlagen. Der hat Dich mehr als einmal unter den Tisch gelegt, wenn Du betrunken nach Haus« kamst. Aber warte nur — sein Geist wird Dir schon noch erscheinen, und der wird Dir di«
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