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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.12.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011213020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901121302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901121302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-12
- Tag1901-12-13
- Monat1901-12
- Jahr1901
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Freitag den 13. December 1901. Anzeigen »Preis die 6 gespaltene Petitzeile LS H. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsah entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefürderung ./i 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Iinnahmelchlub für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Nochmals die Blockhäuser aus dem Kriegsschauplätze schildert der Kriegsberichterstatter der „Daily Mail", der nach kurzem Derweilen in Capstadt jüngst wieder nach Pretoria zur- riickgekehrt ist, folgendermaßen: „Wieder einmal lasten wir De Aar hinter uns. Der Ruf „Fertig!" und „Abfahren!" hallt mir noch im Ohr nach, als der Zug eine scharfe Wendung nach links macht und am ersten Hause in per Blockhausstratze vorüber saust. Es müßte als Eckhaus eigentlich ein Wirthshaus sein, aber es ist ein schlichtes, einfaches Privathaus, ein sehr an ständiges Haus auch, anscheinend ein Junggesellenheim, Venn vier oder fünf saubere, ruhig aussehende junge Leute stehen vor der Hausthür. Einer hat ein Gewehr in der Hand. Man könnte an die Jagd denken. Das kleine Haus hat einen nüchternen, hell braunen Anstrich und steht in einer sauber gehaltenen Anlage. Blumen sind indessen darin nicht zu sehen und der Zaun, der das Grundstück einschließt, ist aus Stacheldraht hergestellt und könnte dem unbedachten Fremdling recht unangenehm und ge fährlich werden, denn es scheint fast unmöglich, in die Nähe ves Hauses zu gelangen, ohne zu stolpern und sich zu verschlingen, sei es nun in dem vier Fuß hohen Zaun selbst, oder in das darum liegende Stacheldrahtgewirr, das fast von allen Seiten den Zu gang ausschließt. Der gedrungene, sechseckige Bau ist augen scheinlich ein aut gelüftetes Haus, denn überall in der Runde sieht man in Mannshöhe längliche Schlitze in der Mauer. Es ist das erste dieser Häuser, das uns zu Gesicht kommt, und auf den ersten Augenblick sollte man denken, es liege recht einsam da und ganz abgeschieden von allen ähnlichen Baulichkeiten, aber nein, kaum kommt uns der Gedanke in den Sinn, so fällt uns eine klein« Strecke weiter ein ganz ähnliches Gebäude auf. Etwa eine Minute später führt uns der Zug daran vorüber, und es zeigt sich, daß es das genaue Ebenbild des vorherigen ist. Stachel drahtzaun und Gewirr, hellbraun gestrichenes Gemäuer, Schieß scharten und Waffercisterne hier wie dort. Auch wieder ein halbes Dutzend junger Leute an der Hausthür und wieder hat Siner ein Gewehr im Arm. Wir winken im Vorbeifahren einen Gruß und werfen einen Pack Zeitungen aus dem Wagenfenster, worauf die ruhigen jungen Leute wild losstürzen, wie auf eine willkommene Beute. Bald tritt auch schon ein weiteres Haus gleicher Art in Sicht, diesmal auf einer kleinen Anhöhe gelegen, an deren Fuß der Zug vorüberfährt. Es ist den beiden anderen zum Verwechseln ähnlich. Wieder winken ein halbes Dutzend junger Leute ihren Gruß und wieder kommt die Gruppe in stürmische Bewegung, sobald Zeitungen aus dem Fenster fliegen. So kommt der Reisende allgemach zu der Erkenntniß, daß er eine Straße, die Blockhausstraße, entlang fährt. Jedes dieser Häuser ist von seinen Nachbarn tausend Schritte entfernt. Erst als ich am dritten vorüber gefahren bin, fällt mir auf, daß ge wöhnlich ein ernster junger Mann emsig um etwas beschäftigt ist, das über dem Feuer siedet. Er ist ein rußiger, schmieriger junger Herr, der gelegentlich mit Vorsicht einen Deckel lüftet und darunter in di« kochende Maste späht. Das ist der Koch des Hauses, und seine Küche ist ein Loch im Boden. Auch wurde mir erst nach einiger Zeit klar, daß von jedem Hause sich rin Zaun von zehn Strängen Stacheldraht bis zu dem nächsten Bau hin streckte, und wenn man genau zusah, so konnte man hier und da in regelmäßigen Abständen Einrichtungen bemerken, die ganz ver dächtig nach Selbstschüffen aussahen, mit ausgespannten Draht netzen verbunden und augenscheinlich darauf berechnet waren, ungebetenen Gästen, die unbemerkt die Linie zu überschreiten dachten, einen überraschenden und unerfreulichen Empfang zu bereiten. Einzelne der Häuser hatten sich auch mit Namen ge schmückt, die zu denken gaben, Terror of Night (Nachtschrecken), Lanely Lodge (Einsamer Horst) und Bulldog Bungalow war da zu lesen, jedoch nicht an der sauberen, hellbraunen Wand, sondern auf dem rothen Boden vor dem Hause mit faustgroßen Steinen weit erkennbar ausgelegt. Ueber 100 Kilometer weit, von De Aar bis Naauwpoort, geht es in dieser Weise von Blockhaus zu Blockhaus. Am letztgenannten Punct« schließt sich nord wärts auf Pretoria zu eine zweite über 1000 Kilometer lange Straße an, die sich nach Osten bis Port Elisabeth weitere 400 Kilometer, nordöstlich nach Queenstown 540 Kilometer unv vom Knotenpunct bei Stormberg nach Springfontein 150 Kilometer erstreckt, und überall erhebt sich von 1000 zu 1000 Schritt ein Blockhaus, und dazwischen läuft allenthalben der lange Stachel drahtzaun. Und wieder besteht eine ähnliche Kette zwischen De Aar und Kimberley, zwischen Elandsfontein und Klerksdorp, zwischen Elandsfontein und Ladysmith, und zwischen Pretoria und Komati Poort. Die Straße, die wir heute entlang fahren, von De Aar nach Naauwpoort, verdankt ihren Ursprung dem Einfall De Wet's in die Capcolonie. Sie ist die Grundlinie eines Vierecks, besten linke Seite sich von De Aar bis zum Bahn hof Oranje River erstreckt. Die obere Seite besteht in einer Kette von Blockhäusern von Station Oranje River am Oranje entlang bis Norvals Pont, die eine Fortsetzung von dort bis an die Grenze von Basutoland hat. Die rechte Seite des Vierecks bildet die Linie Naauwpoort-Norvals Pont. Auf all' diesen Strecken schließt sich Blockhaus auf felsigem Vorsprung an Block haus, das über felsige Höhenketten hinschielt, und wieder an andere Blockhäuser, die in Thalschluchten hinein versteckt, in einem Spinngewebe von Stacheldraht geduldig nach achtlosen Boerenfliegen ausspähen. Manche ragen offen am Tage in den blendenden Sonnenbrand hinein und zeigen ihre Umriffe bei Nacht gegen den sternenbesäten Himmel, andere schmiegen sich vorsichtig an eine Bergwand, so daß selbst aus geringer Ent fernung kaum zu erkennen ist, was Hügelseite und was Blockhaus ist; noch andere schweben über dem hohen Ufer eines die meiste Zeit ausaetrockneten Flußbettes, und einige wieder stehen in nächster Nähe einer der hageren rothen Brücken, die sich über dieses Bett spannen. Und vor jedem Blockhause steht der Mann mit dem Gewehr. Er steht stramm, wenn der Zug vorbeisaust, und lächelt wie ein Engel (!), wenn aus einem Wagenfenster eine Zeitung herausfliegt. Heute Nacht mag vielleicht eine Boeren- abtheilung den kleinen Posten zu überfallen suchen. Heute Nacht mögen von einem Dutzend Blockhäusern Raketen aufsteigen und melden, daß ein Boerencomman-do seine Richtung geändert hat. Heute Nacht mag der Mann da draußen mit dem Gewehr und seine Kameraden, die da drinnen Fliegen fangen, genöthigt sein auf Leben und Tod zu kämpfen. Vielleicht nicht Heine Nacht, aber morgen oder übermorgen, oder gar nicht. Denn das ist der Greuel dabei, das stete, endlose Warten aus den Feind, der nicht kommen will, unter einem glühenden Himmel und umgeben von einer dürren Wüste." * London, 13. December. (Telegramm.) „Reuter's Bureau" berichtet aus Pretoria: Laut einer Proklamation sollen für diejenigen Eingeborenen, die eine gewisse Bil dung haben, Paßvorschriften und andere Verordnungen nicht m e h r g e lt e n, die die Verabfolgung berauschender Ge tränk e an Eingeborene mit schweren Strafen belegen (!!), und ferner die eingeborenen Arbeiter unter Aufsicht stellen. * Durban, 12. December. Das Hotel in Jngogo ist am 6. December wiederum von einer Boerenschaar vollständig ausgeplündert worden. politische Tagesschau. * Leipzig, 13 December. ES ist ein seltener Fall, daß der Reichstag erst im Januar die erste Beralbung deS Etats erledigt. Diesmal tritt er ein, und forscht man nach dem Grunde, so findet sich kein ausreichender, wenn man nicht annebmen will, das ausscblaggebende Centrum habe, um für sich und seine polnischen Schützlinge an hoher Stelle eine günstige Stimmung zu erzeugen, die EtalSberalhung verschleppt, um bis zum Januar noch mehr GraS über den „Fall Ckamberlain" swachien zu lasten, dessen Besprechung an dieser Stelle augen- ckreinlrch nicht gewünscht wird. Der Abg. Or. Hasse ent hielt sich, als er gestern am Scblusse der Sitzung die Ver schleppung der Etatsberatkung rügte, einer Vermuihung üder die Gründe dieses Verfahrens; er stellte aber fest, daß ihn dieses verhindert habe, einige politische Tagessragen zu erörtern, zu denen auck jener Fall gelöre. Nun haben wir noch elf Tage bis zum Weibnacktssesle, und wollte man nur früher, als cs häufig sonst im December geschehen, nack Hause geben, so batte man sich bei der ersten Beratbung der Z o l l g e s e tz e, die außer der Wreschencr Interpellation und einem kleinen Gesetzentwürfe den Reichstag allein beschäftigte, einige Beschiänkung auserlegen sollen. Bekanntlich waren auch nur sechs Sitzungen für diesen Gegenstand in Aussicht ge nommen. Es sind deren nenn geworden, obne daß die letzten Tage die Sache wesentlich gefördert oder wenigstens die Lage viel übersichtlicher gemacht batten. Bei den Nationalliberalen hatte wenigstens ter Abg. Or. Beumer noch zu erkennen ge geben, daß der Widerstand einer Minderheit der Partei gegen den Tovpeltarif für Getreide ungeschwächt fortbesteht. Das Eenlrum bat über den Stand der in seinem Sckooße obwaltenden Differenzen bis zulebt gar nichts angedeulet. Das Erfreuliche, was die Rede des Äbg. Or. Heim brachte, haben wir schon gestern gewürdigt; aber die vei schiebenen Gesichlspuncle, von denen sich die Klerikalen im Westen und die in Bayern leiten lassen und wobl leiten lassen müssen, wurden von Or. Heim ebensowenig in den Vordergrund ge rückt wie von dem Äbg. Speck, dem andern Bayern. Auch Graf Kanitz von den Eouservativen war ein überflüssiger, wenn auch aus einem bereits angeführten Grunde interessanter Redner; von Herrn P a ck n i ck e gilt sogar nur die erste Hälfte des Unheils. Daß das Haus nach Molkenbuhr und Bebel noch zweiundeinkalb Stunden Singer uud Herrn Stolle obne Nutzen über sich ergeben ließ, versiebt fick von selbst. Ein Blatt, das unablästig auf die Nervo sität in hoben Kreisen speculirt, findet zwar Herrn Singer'S Rede lehrreich. Es meint, der socialdemvkratische Führer habe mit der Maßlosigkeit seiner Sprache einen Vorgeschmack der Agitation gegeben, die man bei Neuwahlen, die unter dem Zeichen der Handelspolitik stünden, erleben würde. Das trifft aber durchaus nickt zu. Herr Singer reizt auf, so oft er spricht, ganz gleich, worüber er spricht. Wenn es sich um die gänzliche Beseitigung aller Zölle gebandelt hätte, so winde dieser Agitator auck Anknüpfungs punkte zur Aufreizung gegen die Besitzenden und die Monarchie gefunden haben. Ein Verdienst erwarb sich am letzten Tage noch der nationalliberale Abgeordnete Münch- Ferber, indem er die NevisionSbedürftigkeil des zollpolitischen Verhältnisses zu Amerika hervorhob und damit noch einmal an den Punct rührte, der, wenn — mit Balsam oder Höllen stein — curirt, daS sonstige handelspolitische Wed und Ach Deutschlands als unbedeutende Unpäß lichkeit erscheinen lassen wird. Gras Kanitz hatte schon das Hauptgewicht auf die Abwehr der durch exorbitanten Zoll schutz ermöglichten Scbleuderconcurrenz Amerikas gelegt, auch Or. Beumer batte Aehulickes gesagt, aber daS Ver- ständniß für die amerikanische Gefabr ist, abgesehen von den Leuten, die sie unmittelbar bedroht, bei uns in Deutsch land noch so gering, daß nicht oft genug auf sie bingeceuiel werden kann. Der Staatssekretär Graf Posadowsky schien gestern resumireu zu wollen. Er machte auf vier oder fünf Möglichkeiten aufmerksam, die entstehen würden, wenn der Reichstag nichts zu Staude brächte, und wendete sich dabei auch an die priiicipiellen Gegner jeglicher Zollerhöhung. Damit schwächte er den Appell an die Zuvielverlangenden ab, von denen allein dem Werke Gefahr diohl und denen, wie es scheint, der Verlauf der ersten Beratbung den Kamm noch höher hat schwellen lassen. UebrigenS kommt am Ende eines fünfundvierzigstündigen RedegefechteS, dem noch lange keine Abstimmung folgt, auf ein Wort zu viel nichts mehr an. Die Enttäuschung, in welche die Antwort des Reichskanzlers auf die polnische Anfrage das Criitri m gestürzt hat, kommt naturgemäß erst jetzt in der Centrums presse zum Ausdruck. Selbst wenn der Centrumsredner vom Dienstag, Herr Roeren, in der Lage wäre, ohne Präparation gegenüber einer politischen Stellungnahme des Reichskanzlers seinerseits Stellung zu nehmen, würde das diplomatische Centrum schwerlich sogleich im Reichstage dasselbe schwere (N schütz gegen den Reichskanzler auffahren, wie in der Presse. Die letztere überbietet sich, zur Entschädigung für die im Reichs tag zu beobachtende Reserve, durch Angriffe auf den Reichs kanzler, deren Heftigkeit nur von der Haltlosigkeit der staats rechtlichen Dcductionen und den Widersprüchen innerhalb der leitenden Centrumsorgane selbst übertroffen wird. Am weitesten geht in ihren Angriffen die „Köln. Volkszt g." Sie wirft dem Reichskanzler beinahe unverblümt Feigheit vor, wen er, nachdem auf klerikalen Antrag in die Besprechung der Interpellation eingetreten war, den Saal verließ. Das rheinische Centrumsorgan übersieht bei diesem Vorwurfe gänz lich, daß auch Fürst Bismarck am 1. December 1885 den Reichstagssaal verließ, als der Abgeordnete Or. Windthorst bei Begründung eines Antrages, die damalige Interpellation, deren Beantwortung Bismarck abgelehnt hatte, zu besprechen, die Bismarck'schen Darlegungen kritisirte. Dem Fürsten Bismarck wird die Köln. Volksztg." den Vorwurf der Furchtsamkeit wohl nicht machen. Graf Bülow aber hatte dasselbe Recht zum Ver lassen des Saales, well er .einerseits auf die Wreschener Vor gänge als auf eine rein preußische Angelegenheit im preußischen Landtage Rede stehen will, und weil andererseits die Begründung der Interpellation durch 'den Fürsten Radziwill bewiesen hatte, daß die Interpellation aus agitatorischen Gründen die Wreschener Vorgänge an sich und nicht nur auf 'ihre Wirkung rm Auslande zur Erörterung stellen wollte. Die Antwort, die der Reichs kanzler auf den eigentlichen Inhalt der Interpellation ertheilt hat, wird von der „Köln. Volksztg." als leeres Gerede, als „Tirade n" abgethan, von denen sie nicht untersuchen will, „wie viel Realität dahinter steckt". — Eine derartige Auffassung der Erklärung des Grafen Bülow, daß er sich durch ausländische Beurlheilung inländischer Vorgänge und Verhältnisse nicht beein flussen lasse, ist nach der Einbringung «desZolltarifes ebenso ungerecht, wie unwahr. Angesichts der vom Reichskanzler mit dem neuen Zolltarife in Angriff genommenen Aufgabe muß jeder Un befangene anerkennen, daß hinter Erklärungen des Grafen Bülow, wie die in Red; stehenden, doch sehr viel Realität steckt. Die „Germani a" hat denn auch von dm „Diraden" des Reichs kanzlers eine andere Meinung, als ihre rheinische Gesinnungs- genossin; sie nennt Bülow's Antwort „ruhig" und „sachlich" und erkennt an, daß sie „in ihrem friedlichen Charatter uns auch durchaus befriedigt". Freilich widerspricht di« ebenso lange, wie gereizte Kritik jener Antwort in der „Germania" ihrer eben citirten Auffassung nur zu sehr. Vor Allem fallen in der drei spaltigen Entgegnung des Berliner CentrumSblatteS die ganz haltlosen Einwendungen auf, die staatsrechtlicher Natur sind und auf die Geschäftsordnung des Reichs tages sich beziehen. So behauptet die „Germania", der Reichs kanzler habe nach der Fassung der Interpellation, die nur eine zur Kompetenz des Reiches gehörige Frage an ihn richte, einer Beantwortung gar nicht ausweichen können. Die Reichsver fassung aber schweigt gänzlich über die Verpflichtung des Reichskanzlers zur Beantwortung von Interpellationen, und es besteht auch sonst, wie übereinstimmend die Staatsrechtslehrer Georg Meyer. Laband und Seydel hervorheben, keinerlei rechtliche Verpflichtung für den Reichskanzler in dieser Hinsicht. Es ist deshalb vollkommen verfehlt, dem Reichskanzler wegen seines Verhaltens während der Besprechung der Intec- Feuilleton. Die Marmorliebe. Eine Hofgeschichte von Jean Bernard. Nachrruck verbrtm. Geh. Rath v. Eder übernahm nun wieder einmal die Sorge für den Haushalt des Erbprinzen und scheute sich nicht, mit den H . . . . schen Herren vor ihrer Abreise zu verkehren. Er legte es ihnen warm ans Herz, im Interesse des Landes ven Herzog zu bewegen, daß er die Verordnung wegen seiner Ausweisung so bald wie möglich aufhebc, damit den Erbprinzen nichts hindere, nach der Heimath zu kommen. Der Erbprinz werde sicher auf dem bestehen, was er ausgesprochen, betonte v. Ever, »nd das wäre sicher ein Schaden für das Land, abgesehen von dem Gerede der Leute. Er (Eder) werde auf alle Fälle in München bleiben und auch nach aufgehobener Landes verweisung keine Veranlassung haben, nach H .... zu kommen, er habe den Dienst des Prinzen nicht gesucht und sei Dank der Fürsorge seines väterlichen Freundes Roß so gestellt, daß er auch ohne ein Amt leben könne. „Ich hab« immer große Ällcke auf Sie gehalten, Herr Ge heimrath", sagte der Minister unumwunden, „aber es machten sich Einflüsse geltend, die stärker waren, als ich. Man hörte aus meinen Rath nicht. Auf einen solchen Entschluß Seiner Hoheit waren wir nicht im Geringsten gefaßt und werden in H .... eine nette Scene erleben. Im Lande erwartet man die baldige Heimkehr des Erbprinzenpaares, und es ist unerfind lich, was man den Leuten sagen soll." „Um so eher wird der Herzog das Richtige thun und den un gerechten Verbannungsbifehl aufheben." Abends reisten die Herren nach H .... ab; Eder aber richtete gleichfalls nach H - - - einen Brief an einen Mann, an den Niemand dachte, obwohl er durch seine Dienstentlassung vielleicht mehr litt, als die hohen Herren glaubten. „Eben jetzt", schrieb er, „haben wir durch den Minister er fahren, was in dem Jntriguennest H . . . . geschehen ist, daß man Sie, den alten, treuen Diener, ohne Pension entlassen hat. Lieber Osenmann, was wollen Sie denn beginnen? Ich selbst werde den Dienst des Erbprinzen schon dieser Tag« verlassen; ich bin im Reinen mit mir: ich bleibe in München, wo ich ein Haus kaufen werde. Wollen Sie mit Ihrer Frau zu mir kommen und meinem Haushalt vorstehen? Wenn Sie nichts Besseres wissen, lieber Osenmann, dann kommen Sie! Ich mache nicht viel Worte, wie Sie wissen. Also entschließen Sie sich und schreiben Sie bald." Am folgenden Tage fuhren die prinzlichen Herrschaften bei Bankier Weraschek vor, nachdem Geheimrcuh Eder den Besuch vorher angekündigt hatte. Das Wiedersehen zwischen Verowna und Feodorowna war ein freudig bewegtes; sehr großes Er staunen erregte es, als man in dem Erbprinzen einen alten Be kannten, den Grafen Helmborn, erkannte. Das gab nun Stoff zur lebhaften Unterhaltung; auch nach dem Wintergarten begab man sich, denn Frazzilo wollte seiner jungen Gemahlin die Stelle zeigen, wo er ihre Marmorbüste er blickt. Diese selbst war aus dem Olymp entfernt und im Ar beitszimmer des Bankiers aufgestellt worden. Weraschek stand mit Baron v. Eder bei Seite und erhielt von diesem allerlei Aufklärungen über die jüngsten Ereignisse. „Sie wollen also einen Theil der mir von Berlin aus ge sandten Capitalien in einem Hause anlegen? Ich kann Ihnen da schon Rathschläge ertheilen, aber wir müssen noch näher darüber sprechen, weil es bei einem Hauskauf sehr auf Ihre künftigen Pläne ankommt." „Ganz richtig", meinte Gder, „em Miethshaus will ich nicht, sondern etwas Villenartiges. Aber, entschuldigen Sie, Seine Hoheit scheint nach mir zu verlangen . . ." Sie näherten sich den Herrschaften. „Kommen Sie nur, Herr Geheimratch", sagt« der Prinz, „ich habe eben Ihre Rechtfertigung mit glänzendem Erfolge vollendet, Sie stehen nun wieder in tadellosem Rufe da. Und wenn je einmal wieder von der „Marmorliebe" die Rede sein sollte, so wird man die liebliche Erfindung der gnädigen Baroness« nur auf mich beziehen. Nicht wahr?" „Ich habe nir recht daran geglaubt, daß gerade der Herr Baron von dieser Idee befangen sein sollte, aber manchmal hat mich das Unbegreiflich: einer solchen Leidenschaft eine Stunde Nachdenken gekostet." „O wissen Sie, Baronesse, unser Geheimrath ist Einer, der für ein« solche Idee nicht di« nöthige Energie besitzt, sonst müßte längst All«s anders s«in." > „Wie meinen das Hoheit?" i „O ich meine, der Baron müßte nach seinen sonstigen, liebenS- werthen Eigenschaften eigentlich längst verhcirathet sein, besonders wenn man bedenkt, daß er schon so viel Schönes auf der Welt in aller Herren Länder gesehen. Ich bin fast zu der Ansicht gekommen, der Herr Baron sei in Herzensangelegenheiten von zu großer Schüchternheit." „Ich bitte, Hoheit!" „Sehen Sie, gnädige Baronesse, nicht einmal einen kleinen Scherz kann er in diesem Puncte ertragen." Feodorowna erröthete; sie fühlte, auf was der Prinz zielte, und das war ihr in diesem Augenblicke äußerst unangenehm; um ihre Verlegenheit zu verbergen, zog sie 'den Baron ins Gespräch, gleichsam, um dem Prinzen zu beweisen, daß sie un befangen s«i. „Sic wollen nicht nach Italien reisen, höre ich von Ihrer königlichen Hoheit?" „Nein, gnädige Baronesse, wenigstens jetzt nicht; ich werde in München bleiben, ja, ich habe vor, mir hier ein Haus zu kaufen. Einmal muß man den Wanderstab doch niederlegen und ansässig werden. Es ist das Ende vom Liede . . . ." „O, hat man erst ein Haus, dann ist auch die Hausfrau nicht weit." „Warum nicht, wenn sie sich nur finden läßt." Die hohen Herrschaften befanden sich mit Herrn von We raschek im Gespräch, ob absichtlich oder nicht, wer mußt« es? „Dem Finden geht das Suchen voraus." „Mancher sucht und sucht und findet nie", seufzte der Baron." „Das glaube ich", lachte Feodorowna, „es giebt Menschen, welche wohl verstehen, die Augen weit aufzumachen, aber doch nicht sehen. . ." „Das wär«! Sic lieben cs, Ihre Aussprüche in delphisches Dunkel zu hüllen . . ." „Nein, durchaus nicht, Herr Baron, klarer und deutlicher kann man rückt sprechen . . ." „Klarer und deutlicher . . . mein Gott, was gäbe ich jetzt darum, wenn ich Sie recht verstünde!" „Sie sind bisweilen wirklich drollig, Herr Baron! Hier war cs damals, als Sie in Entzücken über die Büste geriethen. er innern Sie sich noch?" „Nein, ich will mich nicht erinnern . . ." „Damals war ich recht ärgerlich auf Sie, denn Sie vergaßen ganz meine Gegenwart. Heute kann ich Ihr« damalige Freude begreifen, trotzdem . . ." „Trotzdem? Was denn?" „Trotzdem Sie mich auch heute noch nicht zu sehen scheinen." „Um alle Welt, aus diesen Räthseln komme Einer! Aber halt! Darf ich reden? Sie meinen, ich sehe Sic nicht, Daronesic! O, ich sehe Sie nur zu deutlich vor mir! Ich habe Sie, gerade so. wie Sie jetzt sind, mit dem lächelnden Antlitz, mit den schel mischen Augen, tausend Mal vor mir gesehen, hoch im Norden an der Newa, tief im Süden am Asow, oder oben im Gewühl: von Berlin; ich habe Sie stets vor mir gesehen, obwohl ich weil entfernt von Ihnen war. Wie? Und jetzt, da ich so dicht vor Jbnen stehe, sollte ich Tie nicht sehen? Seltsam! Sie würden wahrlich nicht über mich spotten, wenn Sie wissen könnten, wir ich täglich, stündlich an Si« denke, wie ich unglücklich dar über bin, daß ich Sie nicht «in paar Jahre früher sehen durfte!" „Und tvas wäre dann gewesen?" „Ach nein, es ist ja nicht, theur« Baronesse; ich bin jetz: alt und zaghaft. . .' „Das waren Sie vor ein paar Jahren noch nicht?" „O, zaghaft doch; aber ich war jung, frisch, strebsam, während. . ." „Sie auch jetzt noch nicht alt sind, Sie leiden an viel Ein bildung, wie ich merke." „Sie finden mich nicht alt?" „Aber wie sollte ich, da Sie es in der That nicht sind!" „Sie lächeln, Baronesse; es steckt wieder ein Scherz hinter Ihren Worten." „Mit solchen Dingen scherzt mau nicht." „Sic haben Recht, es wäre zu grausam; aber ich 'traue Ihnen nicht. Ich möchte Ihnen gern etwas bekennen, allein ich fürchte, ausgelacht zu werden. Könnte ich einen Blick in Ihr« Seele thun..." „Ich gestatte ei Ihnen ja, lieber Baron."
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