Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.12.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011219023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901121902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901121902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-12
- Tag1901-12-19
- Monat1901-12
- Jahr1901
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vezrrg-»Prei- t» d« Hauptexpedition oder de« im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus ^l 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich: vierteljährl.6. Man abonnirt ferner mit entsprechendem Postaufschlag bei den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übrigen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch die Expedition dieses Blattes möglich. Die Morgen-LuSgabe erscheint um V,? Uhr, di« Abend-AuSgabe Wochentags um 5 Uhr. Redaktion und Expedition: JohanniSgaffe 8. Filialen: Alfred Sah« vorm. O. Klemm'» Sortim, UnrversitätSstraße 3 (Pauliunm), ' Loui» Lösche, Katbarinrnstr. 14, Part, und KöniaSblatz 7. Abend-Ausgabe. MMer TaMak Anzeiger. AmLsötatt -es Aöntglichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Mathes «n- Polizei-Amtes -er LLa-1 Leipzig. Anzeigerr-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile LS H. Reklame« ««ter dem RedactionSstrich (»gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderuog 60.—, mit Postbesörderung 70.—. ! Ävnahmeschluk für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei de« Filialen und Annahmestelle« je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richte«. Die Expedition ist Wochentag- ununterbroche« geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 8M. Donnerstag den 19. December 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg iu Südafrika. Kruitzinger, der fchwerverwundete und gefangene Boerencommandant, ist in der Capcolonie geboren, aber Bürger von Transvaal, ein ge- biüieter Farmer, jetzt etwa 35 Jahre alt. Seine Leute sollen ihn sehr gern gehabt haben. Vor einigen Monaten berichtete ein Londoner Blatt, daß Kruitzinger einen früheren Schul kameraden, der Colonialsoldat war, beim Zuurberg gefangen ge nommen und dann wieder freigelassen habe. Der Colonial soldat erzählte dann u. A. Folgendes: Kruitzinger rieth dem Gefangenen, das Land zu verlassen und nach Australien zu gehen, da der Krieg fortdauern werde, bi- den Cap-Rebellen Amnestie bewilligt sein werde. Der Gefangene rieth seinem alten Freunde seinerseits, nach zugeben, worauf Kruitzinger entgegnete: „Nein, ich werde der Letzte sein. Sieh 'mal den De Wet! Der ist ungebildet (?), und doch spricht die ganze Welt von ihm. Er könnte den Marschallstab morgen in jeder Armee Europas bekommen und für eine Vorlesungstour in Amerika 1000 Lstrl. per Woche kriege«. Wenn Alle die Flinte ins Korn geworfen haben, werde ich es auch thun, aber eher nicht. Mich fangen! Bah! Ihr werdet mich nie fangen. Gerade jetzt sind zwei Detachements hinter mir, und in jeder Stunde weiß ich genau, wo sie sind. Wenn sie plötzlich in die Nähe kommen, löse ich die 200 Mann hier in kleine Trupps von 20, 15 oder 5 auf. Ein Mann in jedem Trupp weiß, wohin zu marschiren ist, aber nur einer. Wenn er gefangen wird, kann man ihm ver trauen. Die Anderen wissen nichts. Ich gebe eine Stelle, 50, 100 oder 200 Meilen von hier, an und sage ihnen, daß sie an einem bestimmten Tage dort zu sein haben, und — wir sind stets da. Die Engländer haben in dieser Colonic jetzt 25 000 Mann, aber sie können sich nicht mehr als 30 Meilen täglich fortbewegen. Wenn sie sich nicht theilen, umschwirren nur sie wie Fliegen. Geschütze sagtest Du? Bah! Ich brauche keine Geschütze. Ich habe eins oder zwei „gepflanzt", wo ich sie holen kann, aber sie sind zu schwerfällig und sind nur im Wege. Ich brauche 500 Rebellen, die den Kopf in der Schlinge haben, dann kleine, zerstreut liegende englische Gar nisonen, große, schwerfällige englische Colonnen und holländische Farmer, die glauben, der Schöpfer wolle den Triumph der Boerensache. Unter solchen Bedingungen werde ich dies Spiel weiterspielen können, bis ich an Altersschwäche sterbe, oder bis die Engländer jede Stadt besetzen, unsere Farmer deportiren und eine halbe Million Truppen allein in diese Colonie bringen. Brand und Herzog machen es ebenso, aber der junge Brand ist bei unseren Leuten nicht beliebt. Er behandelt die Farmer zu schlecht, die sich ihm nicht anschließen, und eines Tages wird man ihn verrathen." Vielleicht hat auch bei der Gefangennahme Kruitzinqer's ein Verräther eine Rolle gespielt. * London, 18. December. Die Regierung beabsichtigt, mit Rücksicht auf die Entwickelung der Lage in Südafrika mehr als 1000 Mann der Gardebrigade Mitte Januar zur Front zu schicken, um das Blockhaussystem auszu dehnen und es wirkungsvoller zu gestalten. * London, 18. December. „Daily Telegraph" berichtet aus Johannesburg unter dem 16. December: Es ist eine bemerkens- werthe Bess« rungim Laufe des letzten Monats bezüglich der Verhältnisse in Johannesburg eingetrelen. Die Ge schäft« sind geöffnet und mit Maaren gefüllt. Auf den Straßen bewegen sich gut gekleidete Frauen und Kinder. Das Geschäft und der Verkehr beleben sich täglich mehr. * Lourenyo MarqucS, 18. December. („Reuter's Bureau".) Heut« wurde hier von dem Vertreter des britischen Ober- commissars und dem portugiesischen Generalgouverneur von Mozambique ein Abkommen unterzeichnet, das die Wieder eröffnung der Delagoabahnlinie für den a I l- gemeinenVerkehrzu Sätzen bestimmt, die vor dem Kriege in Geltung waren, und die Einfuhr von Eingeborenen aus por tugiesischem Gebiete zwecks Minenarbeit gestattet. Das Ab kommen tritt sofort in Kraft. * Birmingham, 19. December. (Telegramm.) Das boerenfreundliche Parlamentsmitglied Lloyd George ver suchte gestern hier in einer liberalen Versammlung zu sprechen. Die ihm feindlich gesinnten Zuhörer suchten das Podium zu stürmen, wurden aber von der Polizei daran verhindert. Eine große Volksmenge, die sich außerhalb des Versammlungs lokals befand, warf alle Fensterscheiben eln; man nahm eine Resolution zu Gunsten der Regierung an. Lloyd George wurde, als Polizist verkleidet, an einen sicheren Ort ge bracht. Die Polizei ging mit Stöcken gegen die Menge vor; ei ne Person wurde getödtet, mehrere wurden verletzt und dreißig verhaftet. Politische Tagesschau. * Leipzig, 19 December. lieber die gestern an dieser Stelle nach der „Köln. Ztg." mitgetheilte und von dieser unter der Ueberschrift ,,Ans ocr k ithol scheu Welt" veröffentlichte Zuschrift eines katholischen Priesters äußert sich, so viel wir über sehen können, die klerikale Presse noch nicht. Wohl aber geht sie mit Herrn Professor Spahn ins Gericht wegen einer „Selbstanzeige", die er auf Veranlassung des rheinischen Blattes diesem zur Verfügung gestellt hat und in der er sich über die Besichlspuncte äußert, di- ihn bei der Abfassung seines Buches über den Großen Kurfürsten und bei seinen wissenschaft lichen Arbeiten im Allgemeinen leiten. Einen Auszug aus dieser „Selbstanzeige" finden unsere Leser heute an anderer Stelle; er wird es ihnen begreiflich machen, daß die klerikale „Köln. Volksztg." sich "sehr bitter über diesen neuen Be weis nationalen und selbstständigen Denkens des jungen Histo rikers äußert. Es heißt in dieser Aeußerung: „Wir haben an und für sich nichts dagegen, wenn katholische Gelehrte sich auch in liberalen Blättern äußern; das hat den großen Vortheil, daß die Leser derselben doch auch einmal etwas Anderes zu hören bekommen und wenigstens die Möglichkeit er halten, einen Blick aus ihrer engen Welt heraus zu thun, aber im vorliegenden Fall war das Maß der ver langten Selbstüberwindung doch etwas zu groß. Sach lich haben wir zu der Selbstanzeige Spahn's nur wenig zu bemerken, nachdem wir sein Buch vor wenigen Tagen eingehend besprochen haben. Wie damals, so scheint uns auch jetzt Manches iu hohem Grade auffallend; wenn z. B. auch hier wieder Luther, ohne das leiseste kritische Wort, lediglich in einer panegyrischen Wendung, erwähnt wird („ein in seiner Volksthümlichkeit und seelischen Gluth einziger Führer"), so ist das eine geschichtliche Ungerechtig keit ersten Ranges. Im Allgemeinen krankt die Selb st anzeige an demselben Grundfehler, wie daS Buch: sic ist durch und durch aphoristisch. Wir nannten Spahn's Buch „einen glänzenden aphoristischen Essay". Viel leicht mit Beziehung darauf, jedenfalls in Uebereinstimmung damit, schreibt er jetzt selbst: „Ich habe eine dem „Essay" sich nähernde Form gewählt, um, was ich dachte, deutlich blos als meine persönliche „Meinung" charakterisiren zu können. Wissen schaftlich erschöpfend die Dinge darzustellen, war hier nicht der Platz und für mich auch noch nicht die Zeit. Das mag im Laufe der Jahre noch folgen." Wir haben aus der Lectüre des Buches nicht den Ausdruck einer bloßen persönlichen Meinungsäußerung erhalten. Immerhin ist es er freulich, wenn Herr Spahn jetzt in aller Form seinen „Essay" als solchen bezeichnet und ausdrücklich auf den Anspruch ver zichtet, „wissenschaftlich erschöpfend", also beweisend, ge schrieben zu haben. Auffallend aber ist es auf der anderen Seite, wenn er diese Selbstanzeige eines bloßen Essays be nutzt, um ganz nebenbei das „methodisch so unerklärlich weit zurückgebliebene Rüstzeug" auf die Seite zu schieben, mit welchem Johannes Janssen die Reformation den Verfall der Nation habe entscheiden lassen. Man kann über Janssen's Methode sehr verschiedener Meinung sein — sie ist in der „Köln. Volksztg." schon zu einer Zeit kritisch behandelt worden, als Herr Spahn noch im frühesten Kindesalter stand —, aber zweifellos hat der Frankfurter Forscher nach der Seite der that- sächlichsten Feststellung, aufbauend, wie kritisch zerstörend, eine Leistung geliefert, die Herr Spahn erst noch liefern muß; das ist nun einmal in der Geschichtswissenschaft zwar nicht das Höchste, aber doch das Erste, und eigentlich werthvoller als die Wiedergabe einer „persönlichen Meinung", deren wissen schaftliche Begründung „im Laufe der Jahre wohl erfolgen mag"." Vielleicht, ja wahrscheinlich, hätte sich die „Köln. Volksztg." noch herber vernehmen lassen, wenn sie nicht aus der Zuschrift des katholischen Priesters an die „Köln. Z:g." und aus anderen Schriftstücken der neueren Zeit ersehen hätte, daß die „neue Rich tung" im katholischen Lager von Männern vertreten wird, mit denen man nicht so ohne Weiteres umspringen kann, wie mit einem widerhaarigcn Blatte. Zunächst gilt es für unsere klerikale Presse, die römische Autorität wieder auf ihre Seite zu bringen, Kundgebungen der „Voce della VeritL" zu pronon- ciren und die Jndexcongregation zu einem Verdict über be sonders hervorstechende Werke der „Neuen" zu veranlassen. Lange werden die römischen Jesuiten die deutschen klerikalen Zeitungen gewiß nicht warten lassen. Und dann wird man ja sehen, wie stark die Neuen an Zahl und Rückgrat sind. Der französische Panslawist AndrL Choradame macht überraschend schnell Schule: auch in Italien, wo viel leicht die Urkeime des durch die polnische Geistlichkeit genährten Widerstandes der polnischen Bevölkerung gegen die preußischen Schulbehörden zu suchen sind, tritt jetzt die Polenbcweguig offen ans Tageslicht. Gleichzeitig läßt sich ein russischer Phantast hören, der in der glühenden Schilderung der angeblichen Mißhandlung polnischer Kinder alle seine Vorgänger weit hinter sich läßt. Es sollte uns nicht wundern, wenn der Centrums abgeordnete Roer en, von dem die Ucbertveibungen der Wreschener Schulvorgänge herrühren, diesen Russen, den Schrift steller Wladimir Holmströ m, bei nächster Gelegenheit, bei der oorauszusohcnden Polendebatte im preußischen Abgeordneten ¬ hause, als seinen einwandsfreirn Gewährsmann citirte. Ein galizischer Abgeordneter machte aus der Bestrafung der durch das unverantwortliche Verhalten eines Geistlichen aufgehetzten Schul kinder, einer Bestrafung, die niemals die Grenzen der durch die Schuldisciplin gebotenen Züchtigung überschritten hat, mörderische Peitschenhiebs; dem Franzosen Andrä Chöradame genügte dies nicht: er ließ die Kinder zu Tode geprügelt werden. Dem Russen Holmström steigt aber aus der Bestrafung der Wreschener Schul kinder das qualvolle politische Bild einer slawischen Götter dämmerung auf: die Vernichtung des Polenthums, der Unter gang der Tschechen, die Auflösung Oesterreichs, der Einzug Deutschlands in Triest kurz, der Untergang des Slairxn- thums. Wir lassen hier einige Proben dieser politischen Aus geburt einer glühenden Phantasie und eines glühenden Deutschen hasses folgen, di« sich in einem von Holmström verfaßten Artikel „Deutscher Jesuitismus" in der Petersburger „Wjedomosti" vorfinden. Es heißt dort unter Anderem: „Die ganze Welt staunt über den letzten politischen Proceß in Posen. Sie hat die Thränen im Kinderauge gesehen, sie hat die Stimm: der Unmündigen gehört, die wie ein dumpfes Stöhnen über das Land ging. — Und diese Thränen müssen ihre Spur zurücklassen, diese Stimmen der Flehenden dürfen nicht er sterben, bevor unser Gewissen den Widerhall gegeben hat. Kinder, thränen sind mehr als blutige Thränen! In Deutschland ist «in zweiter Chamber lain aufgetaucht: gleich einem neuen Pilatus wäscht Herr Bülow feine Hände vor dem deut schen Reichstage und erklärt sich, indem er für die Wreschener Angelegenheit «intritt, mit den preußischen Schulmännern soli darisch, welche dieAnarchie vorbereitrn. Nach der Meinung Bülow's muß sich Deutschland vor der Gefahr der Polonisirung dadurch schützen, daß es polnische Kinder mißhandelt! Das fordert di: deutsche Staatsraison! Wodurch unterscheidet sich denn aber die Wreschener Grausamkeit vor den Mißhandlungen der Armenier in der Türkei und der Boerensrauen und-Kinder in Transvaal? Inwiefern ist in staatsmänni schem Sinne die Vergewaltigung der Kindersoele entschuldbarer als die Gewalt, die man einem ganzen Volksthume anthut? Die Berliner Machthaber sind nicht einmal in der Lage, für sich das anführen zu können, was die Engländer und Türken geltend machen: ihr grausames Werk geht mitten im tiefen Frieden vor sich! Es war die einzig mögliche Antwort, welche die Minister gegenüber der in der Interpellation des polnischen Abgeordneten zum Ausdruck gelangten gerechten Entrüstung des Reichstags geben konnten, daß si: den Saal verließen. Das Gcrmanenthum hat seine Mißachtung des Volks empfindens schon im Elsaß bewiesen und in Schleswig- Holstein gezeigt, was es von constitutionellen Garantien hält. Wenn jetzt das Gcrmanenthum einen Schritt vorwärts macht und im Namen der Staatsraison Ansprüche auf das Heiligthum der Heiligthümer, auf die Seele des Kindes und die Be ziehungen zwischen Eltern und Kindern, erhebt, wenn man in Berlin im Namen dieser Staatsraison eine Kluft zwischen dem Kinde und seinen Eltern schafft, so gehören diese Maßregeln nur in die weitere Entwickelung des einmal aufgestellten Pro gramms der „Weltpolitik". Deutschland ist in ein neues Frrrrlletsn. Gräfin Leszek. 4j Roman von Heinrich Lee. Nachdruck verboten. Sisi regte sich nicht. Nun dachte sie wieder an die vergangene Zeit. Sie dachte oft daran, aber Misko durfte es nicht wissen. Es hätte ihn betrübt! — Warum liebte er sie so? Si« konnte es nicht verstehen. Misko war vornehm, reich und gut. Warum hatte er nicht eine Andere geheivathet — ein« Frau, dir viel besser zu ihm paßte? Die eben so vornehm, so reich und so gut war, wie er. Dann hätte er auch nicht so einsam zu leben brauchen, wie jetzt. Niemand kam zu ihm — weil sie ihm bös« waren, weil er eine solche Frau hatte. Und Sisi sann weiter. Ob er sich nicht manchmal ihrer schämte? Ob es ihm noch niemals leid gethan hatte? Nein, «s that ihm nicht leid. Er war immer noch so verliebt in sie, wi« am ersten Tage. Er küßte ihr das Haar — die Füße. Einmal in der Nacht — das Mond licht siel ins Zimmer, und sie that, als ob sie schlief«, weil sie wußte, daß er sich dann wieder entfernen würde — stand er vor ihrem Bett«, wohl eine ganze Stunde lang, und er sah sie nur an. So sehr liebte er sie. Camilla schalt auf ihn. Camilla haßte ihn jetzt. Weil Misko keinen Respect vor ihr, Camilla, hatte. Weil Misko oft über sie ungehalten war, zum Beispiel darüber, wie Camilla mit der Dienerschaft verkehrte — Camilla Ivar streng und herrisch, auch gegen die ganz alten Diener, di« schon Misko's Vater und Groß vater gedient hattcn, während Misko gegen alle Menschen gut und fnundlich war. Noch mit vielem Anderen war Camilla un- zufried«n, auch mit dem einsamen Leben, das sie hier führten. Camilla nannte es langweilig, und sie hatte sich Alles ganz anders vorgcstellt, und das war es auch, worüber sie, wenn sie allein bei ihr Ivar, schon seit Wochen unaufhörlich sprach. Misko hatte daS errathen und das erzürnte ihn Hegen Camilla noch mehr. Ja, Camilla war schlecht, immer hatte sie auf irgend wen zu schelten. Wie sie jetzt auf Misko schalt, so hatte sie früher auf Andere ge scholten — auch auf Leonard. Leonard! Wo mochte er jetzt sein? Ob sie ihn noch einmal, ein einziges Mal im Leben Wieder sehen würde? Ob *er jetzt eine andere Elevin hatte? Und es fing etwas an, in ihr zu bohren, zu fressen. Wenn er nun eine hatte — eine Andere! Natürlich, ganz selbstverständlich würde er eine Andere haben. Wie oft hatte sie sich das schon vorgestellt — und immer von Neuem stieg es dann in ihr auf . . . Aber Niemand sollte «s er fahren, und Camilla erst recht nickt. Sie hatte Misko lieb und an Leonard wollt« sie nie wieder denken. Nicht an Leonard und auch nicht an all' das An'dere, das nun hinter Ihr lag; für alle, alle Zeit. Was mochte nur aus Bijou geworden sein, dem dicken Schimm«!, auf dem sie Panneau geritten. Bijou hatte der Direktion gehört, nicht ihr, darum mußte sie sich von ihm trennen. Zum Abschiede hatte sie ihn auf die Nüstern geküßt und Bijou verstand sie und wieherte. Immer, wenn Misko sie unten im Hofe in die Ställe mitnahm und die Halfterketten klirrten, so dacht« sie an Bijou- Camilla 'batte Alles aufgehoben — das Costüm, die Tricots, die Schuhe, das Tut»; Misko wußte es nicht. Er durfte es nickt wissen. Nichts davon — so hatte er damals, als er mit der Direktion ihren Contract löste, gewünscht — sollte ihm noch einmal unter die Augen kommen. Camilla hatte ihn be logen, sie hatte ihm gesagt, es wäre Alles verkauft. Aber weil man ibr nicht genug dafür bezahlen wollte, so hatte sie es behalten. Sisi träumte nicht mehr. Sie gähnte und stand auf, griff in den Schmuckkasten, ließ wieder die Perlen und die Steine durch ihre Finger rieseln und freut« sich daran. Aber auch der Schmuckkasten wurde ihr auf die Dauer lang weilig. Sie trat vor den großen Spiegel und betrachtete sich. Ein langer, loser Schlafrock von hellrother Seide umschloß sie. um di« Hüften war er lässig mit einer Schnur zusammengebunden und sie sah größer darin aus. Hatte sie sich, seit sie Misko's Frau war, sehr verändert? Camilla sagte, daß sie noch ganz wie ein Mädchen aussab. Was fand nun Misko an ihr so hübsch? Wenn si« hübsch war —> wanim hatte sich dann nicht auch Leonard in sie verliebt? Sie sann darüber nach, aber sie fand keine Antwort. Und Sisi gähnte von Neuem. Was anfangen! Misko ließ ihr Geschichtenbücher kommen, Modejournale, Musikalien. Aber die Geschichten interessirten sie nicht, ganz abgesehen davon, daß ihr das Lesen Schwierigkeiten machte. Aus schönen Kleidern machte sie sich nichts und mit den Noten konnte sie erst recht nichts anfangen. Im Anfang hatte ihr Misko einen Lehrer gehalten, damit sie Llavier lernen sollte. Aber sie capirte nichts — sie war dumm Ja — dumm! Nun wußte sie's . Wie oft wollte ihr Misko etwas erklären, etwas von der Landwirthschaft, etwas aus der Zeitung, aus Büchern — und sie konnte von allen diesen Dingen nichts be halten. Misko ärgerte sich sicherlich darüber, er ärgerte sich daß seine Frau so dumm war — aber was konnte sie denn dafür? Wenn sie hätte ausreiten können? Aber Misko hatte ja keine Zeit. Jetzt, zum Frühjahr — so hatte er schon gesagt — würde er überhaupt mehr in Anspruch genommen werden, als im Winter. Dann war sie alle Tage allein. Dann hatte sie nur Camilla. Camilla! Wo Camilla blieb! Sie zog endlich die Glockenschnur. Gleich darauf trat ein hübsches, junges Mädchen ein — Ulka, ihre Kammerzofe. Ulka stammte aus dem Dorfe. Aber sie hatte mehrere Jahre in Krakau lei einer Herrschaft gedient und dort Manieren und auch etwas Deutsch gelernt. Sie trug einen kurzen, rothen Rock, darüber eine grüne Schürze, leichte, hochschästige Männerstiefel, ein buntes Kopftuch und eine ärmellose Lammfelljacks, die Lier zu Lande Koschu cder Sordak hieß. Es war di- landesübliche weibliche Sonntagstracht, in der die Bäuerinnen auch nach Krakau auf den Markt zogen. Sisi hotte an dieser Tracht so viel Ge fallen gefunden, daß Ulka auch Wochentags darin herumgehrn mußte. „Meine Tante möchte, bitte, zu mir kommen", sagte Sisi. Ulka ging. „Was willst Du?" fragt« Frau Camilla, als sie «in paar Minuten darauf eintrat. Frau Camilla war noch stattlicher, noch voller geworden. Die Luft in Zombkvwikdwa bekam ihr ausgezeichnet. Sie prangte trotz der frühen Morgenstunde und trotz ihrer häuslichen Beschäf tigung wieder in Seide — lila, obwohl dieser Farbe nachgesagt wird, daß sie alt macht. In einigem Contrast zu diesen, kostbaren Kleide standen allerdings die schlampige Schürze, die sie vor gebunden hatte, das noch ungemachte, von der Haube bedeckte Haar und die umfangreichen, ausgetretenen, aber darum auch be quemen Filzschuhe, die sie trug. „Du sollst bei mir bleiben", erwiderte Sisi. Frau Camilla stemmt« die Arme in die Seiten. „Weil Du nicht weißt, was Du vor Langeweile anfangen sollst Natürlich, er braucht sich ja um Dich nicht zu kümmern. DaS hat er nicht mehr nöthig." „Misko hat zu thun", rief Sisi unwillig. „Sterben wird man hier noch 'mal vor Langeweile", fuhr Frau Camilla fort — „das hat man nun von dem ganzen Ver- heirathetsein. So hätt' ich mir's gerade vorgestellt. Wenn er keine Zeit für Dich hat, dann hätte er Dich nicht heirathen sollen. Dann hättest Du ihn nickt heirathen sollen!" Hatte Frau Camilla denn gänzlich vergessen, jetzt schon, nach einem halben Jahre, daß sie selbst, nicht Sisi, es gewesen war, die diese Heirath so eindringlich gewünscht hatte? „Du, Du hast es gewollt!" rief Sisi empört. „Ich!" gab demungeachtet Frau Camilla voll Entrüstung zu rück. „Nanu hab' ich die Schuld. Hab' ich Dir was zu befehlen gehabt? Hab' ich in dem Hause hier überhaupt was zu befehlens Bin ich hier nicht wie 'n Dienstbote? Wie behandelt er mich denn? Aber nächstens hab' ich's satt. Nächstens pack' ich meine Sachen und mach' mich davon!" Nicht zum eisten Male stieß Frau Camilla diese Drohung aus, ohne sie aber bisher zur Wahrheit gemacht zu haben. D«nnoch brachte sie auf Sisi wieder die gewünschte Wirkung hervor. „Camilla — nein!" schrie sie auf und dabei umklammerte sie ihr« Hände. „Was das blos für ein Leben ist", stieß Frau Camilla unbe irrt weiter hervor, „wie die Eremiten sitzt man hier. Ab«r ich weiß sckon, warum er so ist. Es soll Niemand zu ihm kommen. Er genirt sich, daß er Dich gehsirathet hat, deshalb genirt er sich. Du hast natürlich vor ihm Furcht. Ich nicht- Aber er soll blo» noch einmal mit mir ansangen, dann mache ich ihm den Stand punkt klar. Wer sind wir denn? Wenn ich eine Gräfin bin, dann will ich was davon haben, oder ich pfeife darauf." Was Frau Camilla „ihren Standpunct klar machen" nannte, das hatte sie in mehr oder minder deutlicher Weife während dieses kurzen halben Jahres Misko gegenüber zwar schon öfter» gethan. Diesmal aber war sie offenbar zu einem großen Schlage entschlossen. Sisi verlegte sich auf einen ander«» Ton. „Du sollst gut zu ihm sein", bat sie flehentlich.. Inzwischen blieben die Leute unten mit dem Silber allein und Frau Camilla hatte nicht einmal die Löffel abgezählt. .Konnte man diesem Pack von B«dient«ndolk denn trauen? Nein, daS konnte man nicht, und Frau Camilla hatte also für Sisi jetzt Seine Zett mehr. Später! Und da wird man ja sehen, was es über „diesen Herrn" noch Alles zu sagen geben wird. In einer Stunde. Sisi war wieder allein. Si« weinte. Endlich fand sie einen Trost. Si« ivollte heute
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite