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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.12.1901
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-12-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011224015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901122401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901122401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-12
- Tag1901-12-24
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Sir. 83i. Dienstag den 24. December 1901^ Anzeigerr-PreiS die 6gespaltene Petitzeile 2S Neclameu unter dem Redactiousstrich (s gespalten) 78 H, vor den Famtltennack» richten (S gespalten) 80 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuannahme 25 (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefälzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung SV.—, mit Postbesörderung 70—> Fnnahmeschluß siir Anzeigen: >beud-Au-gab«: Bormtllag« 10 Uhr. Moeg«u-Au-gabe: Nachmittag« s Uhr. 86 den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 95. Jahrgang. Der Oberbefehl in der franMschen Armee. V. "rv. Die französische Deputirtenkammec sieht vor den Berathungen des Militäretats und diese Thatsache giebt der dortigen Presse Veranlassung, auf überaus wichtige Berathnngen hinzuweisen, die bei jener Gelegenheit über den Oberbefehl ver französischen Armee im Kriege stattfinden sollen. Es ist ja nicht das erste Mal, daß diese Frage in der Armee und im Parlament angeschnitten und zu Gegenstand lebhafter Discnssionen gemacht worden ist. Das Gesetz vom 28. Februar 187ö hatte zwar die Be stimmung über das gesammte Heer in die Hano des Präsioenten der Republik gelegt und ihm sogar die persönliche Leitung ocr mobilen Armee übertragen. So lange Marschall Mac Ma hon das Staatsruder führte, hatte namentlich auch die letztgenannte Verordnung einigen Werth, und der Einfluss, den der kriegs bewährte General auf die seiner Eontrole unterstehenden Kriegs minister ansübte, blieb oft in der Armee nicht ohne wohlthätige Folgen. Mit der Wahl eines civilen Staatsoberhauptes änderten sich naturgemäss diese Verhältnisse und mehr und mehr würbe der Kriegsminister der thatsächliche Chef der Armee. Nur eine Anstanz, die er nicht zu beseitigen vermag, steht in dem„souoe ränen Volkswillen" noch über ihm, und diese Macht lässt sich oft und recht deutlich darüber vernehmen, dass sie einen un umschränkten Machthaber an leitender militärischer Stelle weder kennt noch wünscht. Trotz alledem würde es einer klugen und gewandten Persönlichkeit mit der Zeit unzweifelhaft gelingen, sich nachhaltigen Einfluss und grosses Vertrauen in der Armee zu schaffen, wenn nicht die Kürze der Amtsdauer «inen Strich durch diese Möglichkeit machte. Da aber seit 1871 heute der 31. Kriegs minister das dornenvolle Amt des Chefs der Armee versieht, ist der Ehrgeiz der meisten Generale, Ehre und Ruhm in dieser hohen Stellung zu ernten, auf ein Minimum gesunken, und jeder, der den an ihn ergangenen Ruf, das Portefeuille des Krieges zu übernehmen, annimmt, beschränkt sich im Wesent lichen darauf, einige seiner Lieblingswünsche durchznsetzen und ihm unbequeme Verfügungen seines Amtsvorgängers ' wieder aufzuheben. Dass unter solchen Umständen das Vertrauen des Heeres in die Führung nicht erstarken kann, liegt auf der Hand, und besonnene Stimmen in der Armee und im Volke treten in anzuerkennender Offenherzigkeit mit der Frage hervor, wer denn in der Stunde ver Gefahr oie Armee gegen den Feind führen jverde. Die Lösung dieser Frage ist bis zur Stunde in zuver sichtlicher Weise nicht erfolgt und kann auch nicht erfolgen, so lange die Politik ein so entscheidendes Wort, wie bisher, dabei mitzusprcchrn hat. An Versuchen aller Art hat es in erst genannter Richtung freilich nicht gefehlt, und der im Jahre 1872 eingesetzte Oberste Kricgsrath hat oft zu Experimenten herhalten müssen, wenn es galt, dem Oberbefehl in der Armee ein neues Kleid anzuziehen. Im Jahre 1897 schien es fast, als ob ein vom Kriegsminister General Billot eingebrachter und von der Armeccommission bereits angenommener Gesetzentwurf Sicherheit und Festigkeit in diese überaus wichtige Angelegenheit bringen würde. Billot wollte den Kricgsrath zum gesetzlichen Beirath des Kriegsministers machen und diesen dadurch verpflichten, in allen wich tigen Hceresfragen die stimmberechtigten 12 Mitglieder des ..Öou^oil «nporiour Uu tu -ruorra" zu Ratbe zu zi-le '. Nicki mit Unrecht glaubte General Billot dadurch einerseits will kürlichen Massnahmen und Entscheidungen des jeweiligen Kriegsministers vorznbeugen, wie auch andererseits die Gewähr geschaffen zu haben, daß die tüchtigsten und zu Armeeführern im Kriege ausersehenen Generale durch Antheilnahme an allen wich tigen organisatorischen und taktischen Fragen einheitliche Grund sätze von dauerndem Wcrthe für die Heeresleitung im Krieg« auf stellen würden. Mit dem Rücktritt General Billot's fiel auch sein Gesetzentwurf, der von keinem seiner Amtsnachfolger wieder aus genommen wurde, so dass nach wie vor die Bestimmungen des böchsten und wichtigsten militärischen Rathes sich nicht nach Ge- sttzesparagraphen, sondern nach andauernd wechselnden präsi- dentiellen Decreten regeln. Ein solches hat auch der vorletzte Kriegsminister, Generäl Gallifet, herbeiaeführt, als er, durch drungen von der Bedeutung und Wichtigkeit der dem Obersten KriegSrath im Felde zufallenden Aufgaben die Zusammen sitzung und die Befugnisse des letzteren nicht unwesentlich änderte. Sein Grundgedanke war der, dass Generale nur dann zu Armeeführern hcranzubilden und für ihren verantwortungs vollen Posten vorzubcreiten seien, wenn sie, mitten im jmilitä- rischen Leben stehend, rin actives Commando im Frieden führten und dadurch ihre Kenntnisse und Erfahrungen erweitern und auf die ihnen unterstellte Truppe übertragen könnten. In Ver folg dieses Gedankens fano General Gallifet die Zustimmung deS Ministerraths und des Präsidenten der Republik, wodurch die Mehrzahl der Mitglieder des ,,OonüeiI «upvriour" ihre Un« thätigkeit in Paris aufgeüen muhten und an die Spitze von Armcecorps gestellt wurden. Gleichzeitig war für diese Generale in Aussicht genommen, sie nach Verständigung und Entscheidung des Kriegsministers zu besonderen Aufträgen, Leitung großer Armeemanöver, Studienreisen und Grenzbesichtigungrn, heranzuziehen. Das Decret vom 24. October 1899, durch das die vorgenannten Gesichtspunkte verwirklicht wurden, hat nur neun Monate Kraft und Geltung behalten. Mit Gallifet ver schwand es von der Bildfläche und machte neuen Bestimmungen seines Nachfolgers Platz, dec die Anschauungen seines Vor gängers nicht theilte. General Andre, der gegenwärtige Kriegsminister, glaubte durch die Verwendung der im Kriege zu Armeeführern designirten Generale als Corpscommandeure in Friedenszeit sein eigenes Prestige gefährdet, da er ohne dauernden Einfluss auf diejenigen Mitglieder des Obersten Kriegsraths sei, die durch ein bestimmtes Commando seiner Bestimmung ent zogen wären. Er setzte es daher durch, dass die betreffenden Generale wieder ihrer Stellung enthoben und nach Paris zurück berufen wurden. In Wahrheit war diese neue Mahregel, die wiederum wesentliche Veränderungen und andere Gesichtspunkte in die leitenden militärischen Commandos hineinbrachte, nichts als ein Sieg der Politik über die Armee, denn die Radikalen und die Nationalisten sprachen unumwunden ihre Besorgniß aus, daß die selbstständige Stellung, in die sich die zur Führung mehrerer ArmeecorpS bei Friedensübungen bestimmten commandirenden Generale allmählich würden hineinwachsen können, die Gefahr einer Militärdictatur ebenso mit sich bringe, wie die Ernennung eines Generalissimus schon in Friedenszeiten. Nun aber hat sich General B r u g e> r e durch die sachgemässe Leitung der dies- und der vorjährigen Armcemanöoer einen sol chen Namen und ein so hohes Ansehen verschafft, dah ihm in der Press« allgemein die Bezeichnung des Generalissimus bqW.egt und es fast wie eine Tbatsach« ausgesprochen wurde, Ge.'l.ral sei schm j-tzi fl.r den Fall eines Krieges Vie Gest leitung aller militärischen Operationen übertragen. Wir glauoen zu wissen, dah diese Schlußfolgerungen auf irriger Basis be ruhen, dah General Brugöre nach wie vor nur zum Führer der Nordostarmee designirt bleibt und dah alle Berathnngen, die über die Befehlsführung der französischen Armee zur Zeit ge pflogen werden, sich nicht auf die Person des Höchstcomman- dircnden, sondern auf eine sachgemähe Organisation aller Theile des Obercommandos beziehen. Es soll vor allen Dingen mit der verfehlten Einrichtung gebrochen werden, daß der Chef des Generalstabes der französischen Armee in dem Augenblicke der Mobilmachung diesen seinen wichtigen Posten verlässt, um die Stelle eines Generalstabschefs der Nordostarmee zu übernehmen, und es sollen ferner Entscheidungen von Wichtigkeit Uber Vie Führung der Reservearmee getroffen werden. Hierzu verlautet von zuverlässiger Seite, daß für den erstgenannten Posten eines Generalstabschefs der Nordostarmee der gegenwärtige Chef der Kriegsakademie, General Bonnal, in Aussicht genommen sei und dass zum Führer einer hinter der Marne zu formirenden Reservearmee der, vielleicht fähigste, französische General Keßler, der im vorigen Monat die Altersgrenze erreichte und deshalb aus dem Dienste ausscheiden muhte, berufen werden solle. Der Krieg in Südafrika. Standrecht. Man schreibt uns aus London, 21. December: Die Londoner Jingo Presse hat augenblicklich wieder einmal reichen Stoff für blutdürstige Hetzereien, indem sie das wahrschein liche Schicksal der beiden gefangenen Boerenführer Scheepers und Kruitzinger bespricht und ganz selbstverständlich die standrechtliche Hinrichtung derselben „für ihre Schandthaten" verlangt. Commandanl Scheepers wird gerade augenblicklich in Graaf-Reinet in der Capcolonie vom britischen Kriegsgerichte abgeurtheilt, und soweit bis jetzt bekannt geworden ist, werden ihm nicht weniger als 30 Capitalverbrechrn zur Last gelegt, darunter Mord, Brandstiftung, gewaltthätige Eiscnbahn-Eni- gleisungen, grausame Behandlung englischer Gefangenen u. s. w. u«t libitum. Natürlich wird er von vornherein unweigerlich als rebellischer Capcolonist betrachtet, obwohl er den Nachweis erbracht hat, dass er seit Ausbruch des Krieges wenigstens neu- tralisirtcr Bürger des Oranje-Freistaates und als solcher ein ehrlicher Kriegsmann gewesen ist. Diese Thatsache wird aber von den englischen Richtern wohl genau wie im Falle Lotter einfach bei Seite geschoben werden, und die genannten schweren Anklagen, ganz abgesehen von der angeblichen Schuld der Rebellion gegen des Königs von England Majestät, werden ihm unbedingt dcn Hals kosten. Scheepers, der furchtlose und tapfere Gegner der Engländer, der nur in die Hände der Letzteren fallen konnte, weil er schwer erkrankt war und sich nicht mehr fortbewegen konnte, wird den unrühmlichen Tod am Galgen erleiden, denn für den „Rebellen, Mörder und Brandstifter" giebt cs nicht einmal den ehrlichen Soldatentoo durch die Kugel. Commandant Kruitzinger wird schwerlich besser fahren, denn die letzten Nachrichten aus Capstadt lassen erkennen, dah er eben falls zum Rebellen gestempelt werden wird, indem er Grund besitzer in der Capcolonie war und sich dort auch früher zeitweilig aufgehalten hat. Wenn auf solche Weise diese beiden Boerenführer, denen die Engländer ganz unberechenbaren Schaden in Mannschaften, Kriegsmaterial, Prestige u. s. w. zu verdanken haben, kurzer Hand in blinder Rachsucht aus der Welt geschafft worden sind, dann werden die britische Regierung und ihr Generalissimus in Südafrika wohl endlich den gegnerischen Oberfeldherrn, den Generalcommandanten Louis Botha, dahin gebracht haben, dah er wie er schon vor einiger Zeit angedroht hat, zu rücksichts losen Repressalien greift und für jeden hingemordeten an geblichen Rebellen, und speciell für die ungerecht gerichteten Commandanten, ein paar englische Kriegsgefangene, zunächst natürlich Officiere, erschießen oder auch aufhängen läßt. Dann wird hier in England das wüste Geschrei der Jingo-Pharisäer Uber das „völkerrechtswidrige Verhalten der Boeren-Banditen" sich erheben, und die Regierung wird schleunigst die Gelegenheit benutzen und die gesummten noch im Felde stehenden Burghers in einer letzten P-oclamation zur sofortigen Ucbe'r.zabe auf fordern, widrigenfalls sie innerhalb einer sehr kurzen Spanne Zeit als vogelfreie Banditen officiell hingestellt und behandelt werden würden. Man hat hier in England an officieller Stelle eben längst eingesehen, dass den Boeren, die auf der Unabhängigkeits-Be dingung bis zum letzten Athemzuge zu beharren entschlossen sind, auf andere Weise nicht mehr beizukommen ist, und des halb soll das Princip des Ausrottungskrieges in des Wortes grimmigster Bedeutung um jeden Preis durchgeführt werden, wenn auch noch einige Tausend von britischen Officieren und Soldaten dabei zu Grunde gehen, und wenn auch noch weitere 100 Millionen Pfund Sterling geopfert und der Tasche der englischen Steuerzahler entnommen werden müssen. Es ist anscheinend ganz ohne Eindruck an der größeren Menge des englischen Publikums vorübergegangen, dah nach dem letzten officiellen Rapport in den berüchtigten Eon centrationslagern in den beiden Monaten October und November über üOOO Boerenkinder starben, dah also im Ganzen schon weit über 10 000 junge Menschenleben dem Kriegs und Gold-Moloch geopfert worden sind. Die englische Presse sorgt schon dafür, dah der „Mann in der Straße" sich über solche grauenhafte Facta nicht besonders aufregt, denn man hat es hier schon zu einer wahren Meisterschaft gebracht. Alles und Jedes, sei es auch noch so erbärmlich, uck majonvm Llituunino ttlorisirr umzuformen und für den Magen John Bull's ver daulich zu machen. k'. Loudon, 23. December. (Privattelegramm.) AuS Kroonstad wird vom 21. December gemeldet, dass die britische Abtheilung Mac Micktng nahe bet Vredesort im Baalthal von Boeren angegriffen und zum Rückzug gezwungen wurde. Sie wurde die ganze Nacht verfolgt bis nach Wolvenoek. Die britischen Verluste betragen 2 Officiere, 9 Man» todt, 24 Verwundete, viele Gefangene, sowie erbeutete Transportwagen. " Johannesburg, 21. December. (Telegramm der Firma A. Goerz <L Co., Limited.) Aus dein Grubenfelde der „Modder- sonteiii Deep Levels Limited" sind die durch den Krieg unter- brochenen Bohruugsarbeiten wieder ausgenommen worden. * Madrid, 22. December. (Telegramm der „Agence Havas") AuS Lissabon wird gemeldet: DaS von dem Gouverneur von Mozambique und dem Gouverneur der Capcolonie unterzeichnete Abkommen, betreffend über Loureneo Marques nach Trans vaal einzuführende Maaren enthält die Anerkennung der Einver leibung von Transvaal in daS englische Gebiet. Mehrere Blätter tadeln die Regierung, weil sie die englische Herrschaft anerkannt habe, während andere Mächte das nicht gethan hätten. Deutsches Reich. Berlin, 23. December. (Zur Polenfrage.) Dem „Bromberger Tageblatt" wird aus Wreschen geschrieben: Auch hier beginnt man polnischerseits mit der Boycottirung dec Deutschen. Kürzlich erschien in den Geschäftsräumen eines hiesigen deutschen Kaufmannes ein Pole und rief den dort an wesenden Kunden mit Stentorstimme zu: „Bei diesem Niemiec (Deutschen) kauft Ihr?" Lehrer K. bat einen Töpfer vergebens, zu ihm zu kommen, um einen Ofen zu repariren. Für ihn habe cr keine Zeit, bekam K. zur Antwort. Theilweise sind aber die Deutschen selbst schuld an den trostlosen Verhältnissen. Ihre Lauheit ist schier zum Verzweifeln. Am Mittwoch fanden z. B. die Stadtvcrordneienwahlen statt. Wohl fand am Abend vorher für die Wähler der ersten und zweiten Abtheilung eine Versammlung statt, nicht aber für die dritte Abtheilung. Diese hatte man ganz vergessen. Als etliche zufällig anwesende Wähler der dritten Abtheilung die Aufstellung deutscher Candidaten in letzterer verlangten, war man geradezu erstaunt. Man wende nicht ein, daß die Sache so wie so aussichtslos gewesen wäre. Jeder Deutsche muh eben seine Pflicht thun. Der Pole kann ihm bei solchen Gelegenheiten als Vorbild dienen. Da die Namen der ausgestellten deutschen Candidaten nichl mehr recht zeitig bekannt gegeben werden konnten, so war der Wahierfolq vollständig negativ. Von 170 deutschen Wählern dec dritten Ab theilung übten nur 26 ihr Wahlrecht aus. Es ist durchaus nöthig, daß für deutsche Handwerker gesorgt wird. So gieb: es hier keinen deutschen Fleischer, Schuhmacher, Schlosser, Schmied, Töpfer, Maler. — Wie weit übrigens die Renitenz der Schulkinder geht, beweist der Umstand, dah sich jetzt bereits Kinder von Postbeamten weigern, in deutscher Sprache zu antworten. — Wie die neue polnische Zeitung für O b e r sch l e s i e n, der von dem Posener „Praca"-Verlegcc und Güteragenten Biedermann herausgegebene „Garnos l a z a k", beschaffen ist, beweist folgender Artikel: „A n die Deutsch en! Wir würden lügen, wenn wir sagten, dah wir Euch Deutsche lieben. Wir hassen Euch, und zwar aus ganzem Herzen. . . . Eure Nation, Eure Gemein schaft hassen wir aus tiefster Seele. . . . Ihr seid ohne Herz, ohne Seele, Barbaren, die sich mit dem Mantel der Cultur schmücken. Ihr habt von Euch die menschliche Be deutung weg gelöscht. Wundert Euch deshalb nicht, dass der Pole so denkt und fühlt, wie unser großer Dichter Sigismund Krasinski: „Mit der Milch habe ich eingesogen, dass, Euch nichl zu leiden, schön und heilig ist, und dieser Haß ist mein ganzes Gut."" Der Tag, an dem die Deutschen sich gezwungen sehen würden, diese lieblichen Gefühle zu erwidern, würde auch eine Lösung der polnischen Frage bringen. Vorläufig wollen wir hoffen, dah nicht die Gefühlsvcrschwendung des Hasses notb- wendig sein wird — die nüchterne Rücksichtslosigkeit wird's auch thun. — Die „Gazeta Gidanska" schreibt: „Weih nachten rücke heran, und das Volk freue sich schon auf die Bilder, die ihm von dcn Geistlichen geschenkt werden. Dürfte es sich in diesem Jahre, nachdem an die Polen so viele Feuilletsn. Der Heiligabend-Braten. Von Hans Siegelt. Nachdruck verbot«!. Lange Jahre war er der unumschränkte Gebieter und Be schützer des Hühnerstalles gewesen; manchen Strauß hatte er mit kecken Nachbarn zu bestehen gehabt. An Kraft und Schönheit hatte er Alle überragt, und wenn er sonst im Morgengrauen sein« Stimme hatte ertönen lassen, da war es im fernsten Häus chen lebendig geworden. Und jetzt? Ein Scheinleben nur, ein Dasein voll Kränkung und Demuthigunq! Die alten Hennen, die ihn in seinen besten Jahren gekannt hatten, waren schon längst als Huhn zum Reis — für solche Sachen schwärmte die Frau Försterin — den Weg alles Fleischer gegangen; daS jung« Geschlecht aber kannte seine V«rdinste nicht. Für dieses war er der alte, gebrechliche Hahn, der nicht mehr im Stande war, zur Hühnerstiege sich aufzuschwingen, und der nur noch lebt«, weil ihm der dankbar« Förster das Gnadenbrod gewährte. In einem Winkel, den ihm die alte „Zscheck", die Urgroß mutter der anwesenden Kühe, in ihrem Stande eingeräumt hatte, verbrachte er Nacht für Nacht und träumte von vergangenen Zeiten, von Tagen, reich an Ehren und reich an Narben. Ein«s Morgens, kurz vor Weihnachten, als die Enkelin des Hörsters den Hühnern goldgelben Mais auf die Steinplatten deS Stalles streute, stand er gar nicht von seinem Lager auf. Mit eingezogenem Kopfe und gesträubtem Gefieder lag er in seinem Versteck und blickte theilnahmslos auf die hungrige Geschäftig keit der Hühner. „Barthel", sagte der Förster zu seinem Waldwärler, „mit meinem Hahn geht's zu Ende!" „Js doch net wahr!" rief Barthel mit einigem Jammern. „Seht ihn Euch an, der lebt keine acht Tage mehr!" Barthel hob den Hohn empor und wog ihn auf den Händen. „Schad' im dos schiene Thier", sagte er, „muß nu asu lang sam hiestarb'n! — Jech will Se was soong, Harr Färschter, lassen Se mir dan Hah, doS gibt en guten Heiling Ohmd- Broten." Der Förster sann einen Augenblick. Für den Hahn war ein rascher Tod besser als ein langsames Dahinsiechen. „Meinetwegen, Er soll ihn haben — aber das sage Ich Ihm gleich: Lieber eine Viertelstunde zu viel als zu wenig kochen!" „Do Hom Se när gar kaa Sorg', Harr Färschter, mei Gustel verstieht schu, a s«tt« Sach fürzurichten —, und nooch«rt — a setter Hah, der's ganze Laam wedder nischt kriegt Hot wie Aard- eppel« un Kukeritz, der iS net zach. Dos wär doch net gut, wenn der net asu waach waarn wellt, daß er off der Jung' zerleeft — epper net, Harr Färschter?" Der Förster zuckte die Achseln. „Wie Er denkt, aber heult mir nur hinterher die Ohren nicht voll, wenn Ihr zum heiligen Abend Eure paar Zähne einbüßen solltet." Am heiligen Abend zu Mittag schon setzte Auguste den Hahn in die Röchre. Weder an Lorbeerblättern und Pfefferkörnern, noch an „Muschkat" und Nelkn hatte sie gespart, „denn", schloß sie sehr richtig, „dos gibt a kräftig« Brüh'!" Aus Erfahrung wuhte sie auch, daß eine alte Henne min destens drei Stunden kochen müsse, mit vier hoffte sie darum den Hahn zu bezwingen; und sollte er in dieser Zeit ja noch nicht weich werden, so waren bis zum Abendessen immer noch zwei Stunden übrig. Diese Zeiteintheilung erwies sich in der Folge als sehr zweck mäßig. Es schlug eben vier Uhr am alten Saiger, als Gustel sich anschickte, den Hahn auf seine Weichheit zu untersuchen. Er wartungsvoll stach sie mit einer Gabel auf den Hahn ein „Hopsa!" sagte sie, „iech ho en Knochen verwischt." Ein weiterer Stich traf wieder einen Knochen, und auch ein dritter fand harten Grund. „Saperment", rief Gustel, „der Hah muß doch überol Knochen Hom!" Sie trug ihn nach dem Fenster, um besser sehen zu können aber auch hier drang die Gabel nickt durch das knochenharte Fleisch. „Ujeh!" meinte Gustel, während sich ihre Stirn in Falten state, „der muß noch a Stunder zweea kochen!" Mit sorgenvoller Miene brachte sie den Braten in dcn Ofen zurück und legte noch einmal gründlich nach. Das Heilig-Abend-Esien bildet im größten Theil des Erz gebirges die wichtigste und feierlichste Mahlzeit des ganzen Jahres. Die dreifache Verstärkung der heiligen Drei im „neunerlei Essen" spielt noch eine große Rolle, und wenn Barthel — in seinem Leben vielleicht das erste Mal — heute von der althergebrachten Speisenzusammensetzung abwich uuo an die Stelle von Rind- und Schweinefleisch den heidnischen Hahn setzte, so beweist das, daß er sich von diesem Vogel einen Genuß versprach, der die geheimnißvoll wirkenden Kräfte dec heiligen Neun ersetzte, wenn nicht gar in den Schatten stellte. Auf seinem Gange durch's Revier begleitete ihn darum stän dig der Gedanke an den geliebten Hahn, dec nun nach seiner Be rechnung unter Auguste's kunstverständiger Hand einer appetit lichen Wandlung entgegenging. Als er um sechs heimkchrte, da war sein erstes Wort: „Gustel, wos macht unner .Hah?" Die Angeredete machte ein bedenkliches Gesicht. „Jech waß net, er will fei gar net rächt waach waarn." „Host Dä soht neigelegt?" „Jnusse freilich; s Feier is kaa Minut auSgange." „Na do well mir ne när noch a Stund kochen lossen. Die Metten dinne üm achte ah; wenn mir do üme sieben affen, do war mir noch ganz schie fertig." In der Zwischenzeit verrichtete Barthel die kleinen Vorbe reitungen für das Festmahl. Er zündete di« „Lichter" in der Krippe an, die Bergleute auf den Fensterstöcken erhielten ibre Lämpchen, und drei langsam glimmende „Werhrich-Karzle" sandten dustende Rauchwolken durch daS freundliche Stübchen, vas mit fernem Lichtglanz und seinem Tannengrün gar bald von dem weihnachtlichen, feierlich innig«» Zauber durchweht war. Gustel deckte den Tisch, den heute, wie an jedem Tage des Herrn, ein schneeweißes Tischtuch zierte. Sauerkraut, Hirsebrei — wegen des Geldes im kommenden Jahre — und Kartoffeln dampften in thönernen Schüsseln, und nun kam auch der Mittelpunkt der Mahlzeit, der stattliche Hahn. „Mit dan Haahnel Hot mir mei Harr Färschter schu a rächte Frahd gemacht", meinte Barthel schmunzelnd. Bedächtig wetzte er das Messer am Stahl und dann ergriff er den dampfenden Hühnerfürst, um ihn mit sicherer Hand zu „zerwirken". „Himmelseitengewehr!" rief er nach dem ersten vergeblichen Schnittversuch, „is der Hah oder hart! Halt amol miet, Gustel!" Die Frau that es, und Barthel führte mit beiden Händen die Klinge. Aber auch diesem doppelten Angriff hielt der Hahn Stand. „Jech ho mir'sch schu asu gedacht", seufzte Auguste. „Hoste epper net soht Wasser nahgeschütt?". „Ha, wu denkst Du dä hie! Wühl a drei Nctzkanne vull ho ich nooch un nooch draufgeschütt — an Wasser Hots net ge zahlt!" „Do blcbbt uns nu wedder nischt übrig, mir müssen verweile dos annere Zeig assen, un dan sackermanschten Hah heben mir für morng auf." „Dankst Du dä, doß mir'n nock waach brenge?" „Un wie! Morng ho ich kenn Dienst, do waar ich mieck sal berscht drüber her machen; un wenn der .Hah morng net asu waach is, doß er off der Jung zerleeft, do will ich Matz haaßen!" „Jech ka noch net rächt draf gelaam." „Worzu de net? När soht Wasser un Hitz muß mor namme. Mit Wasser un Hitz läßt sich Alles vermachen, mit Wasser un Hitz käste ne Gottseibeiuns aus der Höll raus un wlever nel- schaffen epper net?" „Jnusse ja — oder —" „Gar nischt „oder" — morng loch iech unner Haahnel waach un wenn geleich der ganze Ufen flöten gieht!" Nachdem so der Tagesbefehl für ven ersten Feiertag erlassen war, ließen sich die braven Eheleute ihr Essen schmecken, und als sic bei der „Semmel-Milch" angelangt waren und dann noch vle Gaben des „Bornkinnels" entgegcngenommeu batten, da wußten
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