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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020408026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902040802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902040802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-04
- Tag1902-04-08
- Monat1902-04
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ansgabe, ohne Postbesörderung ./L 60.—, mit Postbesörderung ./6 70.—. Fnnahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 96. Jahrgang. Der Krieg in -Südafrika. Zwei britische „Siege", die ihnen 258 Mann kosten. Man schreibt uns aus London unter dem 7. April: Zwei Siege hatte Kitchener in voriger Woche zu melden. Den einen derselben hatte Oberst Lawlcy's Colonne im Herzen des Transvaal zwischen Leeuwkop und Springs erfochten und des anderen rühmte sich des Generalissimus jüngerer Bruder, der brave Walter Kitchener. Beide Ge fechte haben das eine miteinander gemeinsam, das; die britischen Verluste verhältnißmäßig sehr schwer sind, kosteten doch die beiden Gefechte den Engländern insge- sammt 258 Mann an Todten und Verwundeten. Beide Gefechte wurden als englische Siege gemeldet, bei beiden aber wurde nur der Verlust als schwer bezeichnet und nicht in Ziffern genannt, um nicht die „Siegcsfreude" hier auf der Gasse zu verderben. Man wollte den guten Leuten Ostern nicht vergällen. Am Sonnabend aber hat das Kriegsamt die Verluste in beiden Gefechten bekannt ge geben, und cs steht heute so gut wie fest, daß die britischen Verluste in beiden Affaircn weit schwerer waren, wie die der Bocren. Heute liegen zudem Einzelheiten über die Gefechte vor. Die Colonne des Obersten Lawlcy verließ Springs (nahe bei Johannesburg) am 29. vorigen Monats. Sie zählte etwa 800 Mann. Kommandant Alberts ist letzthin in der Gegend sehr lebhaft thätig gewesen und ihm galt der Streifzug der Briten. Am Ostersonntag erfuhr man seinen Aufenthaltsort. Ein Oberst wurde deshalb von der Ko lonne mit den zweiten Garde-Dragonern und einigen der prächtigen National Scouts abgcsandt, um die Bvercn zu sangen. Durch Nooitgedacht und Leeuwkop kamen sie an den Holspruit. Die Nacht war außerordentlich dunkel, und plötzlich bemerkte die Vorhut einige angekoppelte weidende Pferde. In der Nähe war ein Kraal sichtbar und dort vcrmuthcten die Briten ihre Feinde schlafend. Der Kraal erwies sich aber als leer und nur in der Ferne sah man einige Capkarrcn davoneilen. Ein Major jagte den selben mit wenigen Leuten nach und faßte Kommandant Pretorius, der sich anscheinend aus dem Staube machen wollte. Pretorius wurde einigen National-Scouts über geben, um nach hinten transportirt zu werden, da fing aber das Unheil an, denn die National Scouts ritten mitten in einen Haufen Bocren hinein, die ihnen ihren Gefangenen natürlich sogleich wieder abnahmcn, denn wohl nur, um die Engländer in eine Falle zu locken, hatte der Boer, wenn er überhaupt Pretorius war, sich an scheinend aus dem Staube machen wollen. Im Flußbett«: und in dem Hohen Grase lagen die Bocren bereit und er öffneten ein so intensives Feuer, daß die Briten rasch davon reiten und ein Arriörcgardengefecht führen mußten, was nichts anderes heißt, als daß sic so rasch wie möglich sich aus dem Staube machten nnd den sic Verfolgenden., wenn sie zu nahe kamen, dann und wann einen Schuß aus dem Sattel zusandtcn. Da sic aber nicht wie die Bocren aus dem Sattel schießen können — können sic doch kaum darinnen sitzen — so war das Gainze eben nichts als eine eilige Flucht, die erst endete, als sic auf ihre ihnen cnt- gegenetlende Hauptabtycilung stießen. Nunmehr hielten es aber die Bocren für gcrathener, die englische Taktik zu befolgen. Die Briten verloren in diesem Gefechte 20 Todtc und 61 Verwundete- Die Verluste der Bocren sind nicht ermittelt worden, werden aber auf 50 bis 60 Mann ge schätzt. Walter Kitchcner hat seine Lorbeeren bei der Un- glücksstättc Klerksdorp zu ernten versucht, in unmittel barer Nähe der Stelle, wo von Donop's nnd Methuen's Kolonnen „Pech hatten". Seine Unterabtheilungcn mar schierten in westlicher Richtung von Klerksdorp nach Vry- burg, also etwa entgegengesetzt der Marschrichtung Me thuen's, als die Meldung kam, in der Front etwa fünf Meilen entfernt marschiere ein Transportzug der Bveren. Sofort ritten die Briten darauf los, das Gepäck zurück lassend- Doch aus einem Busche in der rechten Flanke er hielten sie plötzlich heftiges Feuer, während eine andere Boerenabtheilung drohte, sie abzuschneiden. Erst als die britische Artillerie cingrisf, zogen sich die Bocren nnvcr- folgt zurück. Die Engländer begaben sich dann zum Gepäck zurück nnd waren gerade damit beschäftigt, ihr Lager aufzu schlagen, als der Feind von verschiedenen Seiten abermals angrisf, nnd zwar eröffneten die Bveren ihren Angriff mit Artillericfener, welches aber schlecht gezielt gewesen sein soll und wenig Wirkung hatte. Mittlerweile hatten die Briten die Verschanzungen um ihr Lager herum fertig und vermochten aus guter Deckung das Feuer erfolgreich zu er widern. EineAbtheilung wurde dctachirt, um denVersuch zu machen, das Geschütz der Bocren wegzunehmcn. Auf beiden Seiten wurde mit größter Entschlossenheit und Tapferkeit gekämpft, und der dreistündige Fcuerkampf um das Lager herum gehört zu den erbittertsten und hart näckigsten Kämpfen des ganzen langen Krieges. Die britischen Pvmpoms und Geschütze errangen aber nach und nach die Feuerüberlegenheit, und die Bocren zogen sich zurück, oder „weigerten sich, den Befehl Tclarcn's, er neut anzugrcisen, anszuführen", wie Kitchener versichert. Davon kann aber keine Rede sein, denn sic haben mit größter Bravour gefochten, ebenso wie die Engländer. Die Verluste der letzteren betragen 29 Todte und 147 Verwundete. Die der Bocren sollen fast ebenso schwer gewesen sein. Da die Engländer aber während des zweiten^ Theiles des Kampfes ans günstigen Verschanzungen her aus feuerten, so müssen die Hauptvcrluste während des ersten Theiles des Kampfes sich ereignet haben, und wahr scheinlich in dem Augenblick, als sie wieder im Nebcreifer losgallopirtcn und den Bnsch in der rechten Flanke nicht recognosciren ließen. Die Zahl der Todten und Verwundeten der Bocren wird ans 137 angegeben. Auch der „Standard"-Corrc- spondcnt hebt hervor, daß Delarcy und Kemp nicht ver mochten, ihre Leute zu einem abermaligen Angriff vorzu führen und darin besteht wahrscheinlich das Motiv, das Gefecht als einen Sieg der Engländer zu bezeichnen. Dix Bocren sind aber keine geschulte Infanterie, die man gegen Verschanzungen führen kann, sondern sic sind alle mehr oder weniger ausgebildete Scharfschützen, die aber, wenn sie sehen, daß ihr Feuer keinen Erfolg haben kann, wäh rend sie sich selbst exponircn, es vorziehcn, eine günstigere Gelegenheit abzuwartcn, anstatt sich den Kopf cinzurennen. Fest steht nur das eine, daß auf beiden Seiten glänzend gefochten wurde. Vor Allem zeichneten sich die Canadier auf britischer Seite aus, und sie hatten auch die schwersten Verluste. An Verfolgung konnten die Briten aber nicht denken, sie waren zufrieden damit, ihr Lager gehalten zu haben. Dies Gefecht hat sich nur wenige englische Meilen von der Stelle entfernt abgespielt, wo Mcthucn geschlagen und gefangen wurde, nnd man wird es wohl Klerksdorp Nummer zwei nennen müssen- Das Gefecht bei Springs hat sich übrigens innerhalb der durch Blockhäuser als gesichert erachteten Zone abge spielt. Die Engländer haben sich einmal anständig benommen. Sie haben Kruitzinger nicht standrechtlich erschossen, wie man das leider von früheren sonstigen Heldenthaten erwarten konnte, sondern das Kriegsgericht hat ihn freigesprochen. Es liegen darüber folgende Tele gramme vor: * London, 7. April. Kitchener telcgraphirt aus Pretoria unter dem gestrigen Datum: Der Bocrcncomman- dant Kruitzinger ist freigesprochen worden und wird als gewöhnlicher Kriegsgefangener behandelt werden. * London, 8. April. (Telegramm.) Die Morgen blätter nehmen die Freisprechung Kruitzinger's mit Freude auf und geben ihrer Genugthuung darüber Ausdruck, daß der Rus eines der tapfersten Feinde, dessen Muth und Gewandtheit so viel Bewunderung errungen hätten, sich als fleckenlos erwiesen habe. * Pretoria, 6. April. Die amtliche Zeitung veröffent licht eine Bekanntmachung, daß Kasper Krüger, der älteste Sohn des Präsidenten, ehemaliger Richter in der Transvaal-Republik, England den Treueid ge leistet hat. (Voss. Ztg.) * London, 7. April. Kitchener telcgraphirt aus Pretoria: nach den seit 31. März hier cingcgangenen Meldungen der ver schiedenen Truppcnabtheilungen sind 17 Bocren gefallen, 6 ver wundet, 107 gefangen genommen und 31 haben sich ergeben. Frcnch's Mannschaften haben kein Gefecht gehabt. Die im Westen der Capeolonie stehenden Bocren haben sich nach Norden zurückgezogen. Ein kleines Boercncommando aus den mittleren Districtcn der Eapcolonie ist auf Barkleh East marschirt. Seit dem 31. März sind die in Westtransvaal opcrirenden britischen Truppcnabtheilungen nicht im Kampf gewesen. Der Bocrcn- commandant Erasmus ist bei Boschhof gefallen. - Politische Tagesschau. * Leipzig, 8. April. Von dem velsiorbenen Centrumssübrer vr. Lieber ist während seiner ganzen politischen Laufbahn nicht so viel die Rede gewesen wie jetzt infolge der Meldung, es sei ihm nach Durchdringung der ersten Flotrenvorlage im Jahre 1898 ein hohes Staatsamt angetragen und ihm die Wahl zwischen einem Oberpräsidium, einem Staatssekretär- und einem Ministerposten gelassen worden. Und wenn die Verbreiter dieser Geschickte den Helden derselben in aller Leute Mund zu bringen beabsichtigt haben, so ist dieser Zweck erreicht. Glauben findet die Meldung aber doch nicht überall. Außer uns sind es vor Allem zwei Organe, die der Erzählung den stärksten Zweifel entgegensetzen: die „Nat.-lib. Corr." und die Münchn. „Allgem. Ztg." Die erstere schreibt: „Wer sich in die Stimmung jener Zeit vor den entscheidenden Tagen über das Flottengesetz des Jahres 1898 zurückversetzt und sich jener ungeheuerlichsten Gerüchte erinnert, die im Reichstage vor den Abstimmungen in der Commission und iin Reichstage circulirten, der weiß auch, daß der umgehende Parlamentswitz jeden Tag und jede Stunde für vr. Lieber eine neue Aus zeichnung in Gestalt hoher Orden oder mindestens eines Minister- oder Staatssekcetärpostens iu pstto hatte. Ob aber wirk lich von Seiten der Regierung ein solches Anerbieten an vr. Lieber erging, möchten wir start bezweifeln und im bejahenden Falle aufrichtig bedauern. Wir gehen nicht so weit, wie ein Berliner Blatt, in dem — noch gar nicht erwiesenen — Handel die Anzeichen einer Corruption zu erblicken, sondern sähen darin, falls sich die Erzählung der „Kölnischen Volks zeitung" bestätigen sollte, eine verhängnißvolle Concession für eine parlamentarische Regierung, für welche die Ver süssung deS deutschen Reiches nicht zugeschnitten ist. Daß das Centrum selbst sehr gerne aus seinem Kreise die ein flußreichsten Posten besetzt sähe und vielleicht gerade bei Gelegenheit der Flotten Vorlage im Jahre 1898 auf die Er füllung seiner Wünsche drängte, geht aus einer charakteristischen Klage der „Kölnischen Volkszeitung" gerade aus jenen Tagen des Jahres 1898 hervor. Dicht vor der Entscheidung über das Flottengesetz tischte nämlich die „Kölnische Volkszeitung" das Märchen auf, daß man in Beamtenkreisen von einer geheimen Darlegung spreche, wonach die Katholiken von allen hö Heren Aemtern mit selbstständiger Verantwortlich keit ferngehalten werden sollten. Diese „geheime Darlegung" beruhte selbstverständlich auf einer ganz al bernen Erfindung der „Kölnischen Volkszeitung", sollte aber doch wohl den Zweck verfolgen, der Regierung nahe zu legen, den Beweis zu liefern, daß jetzt die Gelegenheit gekommen sei, die angebliche „geheime Darlegung" durch Beförderung ober Belohnung eines der Centrumsmitglieder mit einem hohen Amte thatsächlich zu widerlegen. Wie sich damals ater die Geschichte der „Kölnischen Volkszeitung" als eine ganz haltlose Hintertreppengeschichte erwies, so glauben wir auch jetzt der nachträglichen Erzählung der „Kölnischen Volks zeitung" mit der für vr. Lieber in Aussicht gestellten Belohnung keinen größeren Werth beimessen zu dürfen, als damals bis wir von authentischer Seite eines Anderen belehrt werden sollten." Wir erinnern uns jenes Drängens der „Köln. Volksztg." noch sehr genau; haben wir doch s. Z. oft genug darauf hin gewiesen. Deshalb können wir uns auch nicht vorftellen, daß die klerikale Presse so lange geschwiegen haben sollte, wenn ihr Drängen wirklich daS jetzt behauptete Anerbieten an Herrn vr. Lieber zur Folge gehabt hätte. An dieses An erbieten glaubt, wie gesagt, auch die Münch. „Allgem. Ztg." nicht. Sie hält es für undenkbar, daß Fürst Hohenlohe, der in dem Ultramontanismus die Negierung deS Staats zweckes im Reiche wie in den Einzelstaaten erblickte, auf einen solchen Gedanken gekommen wäre, und für eben so undenkbar, daß die allerhöchste Stelle ohne Wissen des damaligen Kanzlers und preußischen Ministerpräsidenten Herrn vr. Lieber in die Lage versetzt haben sollte, eine abschlägige Ant wort auf ein Anerbieten zu erthcilen. „WaS bleibt da", fragt daS genannte Blatt weiter, „von dem Angebote noch übrig?" und fährt dann fort:. „Wir wollen auch dies andeuten, und möchten dem Andenken des verstorbenen Centrumsführers und auch seinen „vertrautesten Freunden" nicht wehe thun. Die gemeinsame Hypothek der meisten Leute, die in der Arena der Oefsentlichkeit wirken, ist die Eitel leit. Herr vr. Lieber besaß eine nicht geringe Hypothek. Ec besaß auch die Fähigkeit, sich über die Bedeutung in. vertrau- licher Besprechung hingeworfener Worte gründlich zu täusche». Wir erinnern in dieser Hinsicht nur an seinen, nach den vertraulichen Besprechungen mit dem verstorbenen klugen Finanz- Feuilleton. Eva oder Anneliese? j Roman von Ern st Georg y. -iawtruck verboten. Und der Morgen kam! Die Stunden flogen. Wieder stand Marie auf ihrem Guckaus und schaute ins Weite, in der Richtung nach dem Bahnhof. Unten, neben der Ehren pforte, stand die Dienerschaft, weiterhin schlossen sich die Einwohner des weitgestrccktcn Besitzes im Spalier an. Ihr Herz pochte. Ihr schlanker Körper zitterte in nngc- ouldiger Erregung. Thrünen rollten über ihre blassen Wangen, würgten quellend in ihrem Halse. — Anneliese war mit dem vierspännigen Wagen zur Station gefahren, um ihn zu holen. — Plötzlich donnerten die Kanonen, die Fahnen flatterten im Wurde. Ein brausendes Hurrah pflanzte sich aus der Ferne heran, von den Getreuen mit Begeisterung weitergetragon: Der Erbe nahte! Die Gräfin fürchtete, die Besinnung zu verlieren. Sie schwankte. Kahle und die Engländerin stürzten herein: „Er kommt, er kommt!" Und dann trieb sie etwas vor wärts, immer weiter, treppab. Wurde sie geschoben, ge tragen? Sic wußte es nicht. — Plötzlich stand sie im Freien, am Eingang der bewimpelten, laubgeschmücktcn Mastenallee. Er fuhr heran. Sie sah im flimmernden Sonnenschein ein weißes Tuch wehen. Sic hörte das jauchzende: „Willkommen, hurrah, willkommen!" undeut lich, wie in weiter Entfernung. Der Wagen hielt. Eine schlanke Gestalt sprarrg heraus. Sie stürzte vorwärts. Und angesichts der Leute lagen sich Mutter nnd Sohn fcstnmschlungen in den Armen,. Marie schluchzte an seiner Brust. Er drückte sie sest, fest an sich. — Kein Auge blieb trocken. Alle weinten vor Mitgefühl und Freude! — Die stille Dulderin, die gütige Herrin, der schöne junge Graf waren die Idole ihrer Umgebung. Der Besitzer und Erbe war da! Nun würde das alte fröhliche Leben wiederkchren, von dem die Alten erzählten, das man zu Graf Julians Zeiten entbehrt hatte. Und wieder schrieen sie „hoch" nnd ließen die Frau Gräfin und den Herrn Grafen hochleben. Dazu domrertcn die Böller. „Mutti, meine einzige Mutti!" — stammelte Bernd. „Mein Junge mein Sohn! Gott segne Deinen Eingang mein Ein nnd mein Alles!" entgegnete sie murmelnd und tief erschüttert. — Sie sahen sich in die Augen und fanden sich unverändert! — Oh Wonne des Beisammenseins! — Dann ließ sie ihn los. -- An einen Baum gelehnt, sah sic glückselig lächelnd zu, wie er Allen die Hand schüttelte, für Jeden ein liebes Wort fand. Ihr Blick fiel auf Anneliese. Mit gefalteten Händen und weit aufgerissencn Augen starrte sie Bernd in anbctender Verzückung an. Marie ries das erschreckende Mädchen an ihre Seite. „Nun haben wir ihn wieder, kleine Dcrn,-das ist doch schön! Du hast Deinen Bruder wieder!" — — Das blonde Kind senkte dm Kopf und nickte schweigend seine Bejahung. Ein nie gekanntes, brustweitendes Glücksgefühl lohte in dem stillen Dum- melchcn auf. Scheu verbarg sie ihr Gesichtchen. — Dann führte Bernd die Mutter am Arm in das Schloß. Hinter ihnen löste sich die Ordnung ans. Alle lachten und schwatzten. Die Engländerin blieb mit der Kleinen zu rück. — Die Mutter geleitete ihn in seine Gemächer im Oberstock. Vor der Thür umarmte sie ihn noch einmal: „Der Herr beschütze Dich allezeit!" sagte sic leise und feier lich. Bernd neigte sich aus seiner stolzen Höhe zu ihr herab und ließ sich von ihr schweigend das Tegcnszeichcn des Kreuzes auf die Stirn drücken. Ernst zog er ihre Hand an die Lippen. Dann führte sie ihn zum Schreib tisch, über dem die Bilder hingen. „Das schenke ich Dir, mein Sohn! Es ist der liebe verstorbene Papa in seinen besseren Tagen. Ich wollte Dir nicht die Erinnerung an den Kranken geben, darum ließ ich ihn Dir malen, wie er noch gesunder aussah. Ich besaß, wie Du Dich erinnern wirst, ein kleines Gemälde aus seiner Bräntigamszeit. Das ließ ich vergröbern! " „Welch herrliches Geschenk! Oh ich danke Dir!" — rief Bernd und blickte wehmüthig empor. — So hatte er den Vater allerdings nicht mehr gekannt! Der stattliche Officier mit dem hoch- müthigcn, wenig sympathischen Gesicht war ein ganz An derer, als der schlagslüssigc Kranke in seinem Rollstuhl. Darum wandte sich sein Blick schnell dem Porträt der Gräfin zu. Sie war erst jetzt gemalt. Ihre Züge waren, trotz aller edlen Regelmäßigkeit, so vergrämt wie^ jetzt. Durch ihre Haare zogen sich auch dort oben weiße Sträh nen. Da der Altersunterschied ein sehr bedeutender zwischen den beiden Eheleuten gewesen war, paßte sie auch jetzt, als Vierzigerin, besser zn dem dreiundzwanzig Jahre älteren Gatten, der damals schon zweinndvierzig Jahre alt war. — Nach einer kleinen Weile kehrte bei dem Jüngling das Bewußtsein für die Außenwelt wieder. Er schaute sich in seinem Reiche um und freute sich aller Schätze. Mit kind licher Dankbarkeit sprach er der Mutter immer wieder sein Entzücken aus; „Du vcrwöhrrst mich, Mutti, machst einen Sybariten aus mir!" — sagte er cndlrch. — „So haben cs weder Stephan noch Franz und Paul! Mein Zimmer in Berlin war mir aber trotz seiner casernenartigcn Einfach heit eine liebe zweite Heimath geworden. Ich bin ordent lich beschämt über Deine Güte!" „Du unterschätzt Dich, Liebling! Durch Papas Tod bist Du ein sehr, sehr reicher Erbe!" entgegnete sie lächelnd. „Das ist schön, dann kann ich eine ganze Menge Wünsche erfüllen! Aber der Reichthum soll mich nicht hindern, fleißig Jura zu stndiren. Herr Docror klingt mir mindestens so schön, wie Herr Gras. Auf den Titel habe ich mich nun einmal verspitzt!" „Und Du willst nicht Officier werden, wie alle Brandaus, Bernd? Da werden die Verwandten recht enttäuscht sein! Sic waren Alle erst Soldaten und dann Landwirthe!" — meinte Marie. Er richtete sich auf. „Nun, so werde ich ganz in den Traditionen der Familie bleiben, meine treue Mutti. Sobald ich den Doetor der Rechte habe, dicue ich mein Jähr ab und werde Officier der Reserve. Dann wird geheirathct und Großbrandau bewirthschaflet!" — — „So bist Dn mit Deinen Zukunftsplänen schon fertig?" — „Ei gewiß! Ich habe sie oft genug mit dem Onkel dnrchgesprochcn. Damit ich Dich, — Du mich nicht wieder so lange zu entbehren brauchst, ziehst Dn mit Tack und Pack mit mir durch die Universitätsstädte!" Marie schüttelte leise den Kopf. „Das werden wir Alles später überlegen! Jetzt bin ich froh, daß ich Dich hier habe und lasse Dich sobald nicht wieder fort! — Doch sage, mein Junge, Onkel Neubert und Stephan wollten doch mitkommen. Wo sind sie denn?" „Sie kommen zu Kuße hinterdrein, Mutti! Die braven Menschen waren nicht zn bewegen, bei dem Empfange da bei zn sein! Ich denke, sie werden gleich cintreffcu!" „Dann wollen wir in die erste Etage, Bubi, um sie zu begrüßen!" — Jahrelang hatte auch sie den Professor nicht gesehen. Ihr Herz klopfte noch immer, wenn sic an ihn dachte, Briefe von ihm las. Vielmehr erst jetzt, wo sic ihn erwartete. — Die sonnige Zeit der glücklichen Jugendliebe tönte in der einsamen Frau noch immer nach; wenn auch in völliger Wunschlosigkeit! — In des Sohnes Arm gehängt, schritt sic neben ihm die Treppe hinab. „Wie gefällt Dir Anneliese, mein Bubi?" Er sann eine Secunde nach: „Sie ist ein niedliches Mäd chen geworben, eine bescheidene Waldblume; aber schüch ¬ tern ist sie noch immer. Sag', Mutti, unter uns Beiden kannst Du cs doch cingcstchen, sie ist noch immer das süße Dummelchen?" „So sollst Du nicht sprechen, Böse ¬ wicht!" — lachte die Gräfin leise. — «Ich sage ja nichts gegen ihr goldenes Gcmüth, Mntti! Darum behalte ich sie auch lieb! Aber ihre Briefe waren doch gar zu naiv. Da gewann ich so den Eindruck! Ich kann mich ja auch täuschen?" — fügte er lächelnd hinzu und sah die Mutter schelmisch au. Sic zog seinen Kopf herunter und küßte ihn auf sein sprossendes braunes Schnurrbärtchen. „Dn Loser!" schalt sie zärtlich. Unten waren Neubert und Warell bereits angclangt. Sie saßen mit Mißchcn und Anneliese im Salon und harrten der Wirthc. Marie trat ein, hinter ihr Bernd. Ter Professor kam ihr entgegen. Schweigend küßte er ihre Hand und blickte lange in das durchfurchte Gesicht der vor ihm Stehenden. „Zuweilen ist der Tod ein Erlöser", — sagte er halblaut. — „Beklagen Sic den Entschlafenen nicht. Er hat Ruhe und Frieden gefunden! Sie aber, Gräfin, haben eine Frendengnelle in Bernd. Au ihm richten Sic sich aus!" „Daß er zu einer Freuden ¬ quelle geworden ist, danke ich Ihnen, Neubert!" — er widerte sie und drückte seine Hand. „Wie soll ich Ihnen danken?" „Ick habe Ihnen von Herzen zn danken, daß Sie mich eine alte Schuld ansgleichen ließen! Innige Grüße von Emma und den Jungen, Gräfin!" — — sagte er ablenkend. ,-Danke herzlich, Professor! — — Sieh da, Stephan, seien Sie willkommen! Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind! Bernd hätte Sie nnd den lieben zweiten Vater schmerzlich vermißt! — — — Doch die Herren wollen gewiß den Reiscstaub abwischcn ?" — fuhr sie fort, nachdem der fremde Jüngling ihr seine Thciluahme bezeigt hatte. — „Ich werde Sie ans Ihre Zimmer geleiten lassen!" — Sie drückte auf einen Knopf. Ter Diener erschien und empfing den Auftrag. Nach einer Stunde versammelte sich die Familie mit ihren Güsten und der Engländerin im hohen, eichen getäfelten Speisesaal. Kahle stand, ohne mit der Wimper zu zucken, hinter dem Stuhle der Gräfin. Die beiden liv- rirten Diener servirten. — Die Gutsbcamten speisten, nach der aufrecht erhaltenen Bestimmung des seligen Herrn beim Rentmeister in einem der Airthschaftsge- bände. — Nach Tisch gingen Alle in die Dorfkirchc zum Gottesdienst und alsdann in die Schloßeapcllc, in welcher der geschloffene Sarg vorläufig aufgebahrt stand. — Man ließ Mutter und Sohn allein und traf sich nachher mtj ihnen im Park.
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