02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-14
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020414022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902041402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902041402
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- LDP: Zeitungen
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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- Tag1902-04-14
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). 'M '»'«»- - Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung ./i 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Ab end »Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stets an dle Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Berlag von E. Polz in Leipzig. Montag den 14. April 1902. 98. Jahrgang. Der Generalstreik in Lelgien. Man schreibt uns: Zn wenigen Stunden wird r» sich entscheiden, ob in ganz Belgien zur Erringung de« all gemeinen gleichen Wahlrecht» der Generalstreik ausbrechen soll. Die socialistische Parteileitung ist, wie man unö aus den verschiedensten Jndustriecentren melde», sehr ge- theilter Meinung; gewiß hat sie vie Kohlenarbeiter, Vie an geblich mit Revolvern bewaffnet sind, hinter sich, von den Hüttenarbeitern folgt aber nur ein kleiner Theil der socialisti« scheu Fahne. Die GlaShüttrnarbeiter, die sonst mit in erster Linie der aufrührerischen Elemente standen, haben eine recht schlechte Saison hinter sich und sind prcuniär vollkommen machtlos. Die Tausende der Hau Sarb eiter (in Lüttich ist die ungeheuere Waffenindustrie zum größten Theile Haus industrie) entbehren jeder Organisation und sind wenig ge willt, um eine politische Frage ihre Existenz in die Schanz« zu schlagen. Das ist insofern sehr bemerkenSwerlb, als der Niesenstreik 1886 mit dem Ausstand der Gewehrarbeiter in Lüttich seinen Anfang nahm. Nach allen uns zugehcnden directen Mittheilungen glauben wir behaupten zu können, daß e« zu einem General streik nicht kommen wird. Die Organisation der bel gischen Arbeiter ist eine sebr schwache und lockere; auch nur nennenSwerthe Geldmittel (wie z. B. in Deutschland die Buchdrucker) besitzt keine einzige Organisation; selbst die reichst dotirte wird ihre Mitglieder kaum 2—3 Tag« über Wasser halten können. Die Erbitterung der Koblenarbeiter ist freilich groß; e» ist ein Jammer, daß die belgischen klerikalen Machthaber für die Socialpolitik absolut kein Verstänvniß gezeigt und für die Kohlenarbeiter nichts, rein nicht» gethan Haven. Auch die letzten Berichte des kaiserlichen Consulat» in Lüt tich werfen nach dieser Richtung hin interessante Schlag lichter auf die Situation und Beschäftigung der Arbeiter und Kinder. Zn der Provinz Lüttich wurden in sämmtlichen Kohlengruben 32 052 Personen beschäftigt, von diesen waren thälig unter über der Erd« der Erd« Männer und Knaben über 16 Jahre . . 23503 5598 Knaben von 14—16 Jahren 1184 2S2 - von 12—14 Jahren ..... 393 194 Also zarte Knaben von 12 Jahren müssen unten in den Kohlengruben arbeiten, Mädchen von 12—16 Zähren sind in dieser einen Provinz 415 in den Kohlengruben über ver Erde thätig. Ich sah 1886 junge Frauen sich zur Kohlenarbcit unter der Erde begeben, di« mit 22—23 Jahren einer Greisin glichen, das Haar schneeweiß, die Züge welk und schlaff, ein Bild deS JammerS und deS ElendS. Emil Zola's ergreifende Schilderungen in seinem „I.'assommoir" wurde mir in der Wirklichkeit vorgesührt. Ein StrrikcomitS in einem kleinen weltverlorenen Dorfe bei MonS war für mich eine furchtbare Anklage auf die bestehenden Gewalten »in Belgien. Ich glaubte, zwölf Schwindsüchtige in dem höchstem Stadium vor mir zu sehen; nur wenige konnten schreiben; Alle hatten nichts zu beißen und zu brechen. In Berlin hatten wenige Monate später die Mitglieder deS StreikcomiteS Gänsebraten vor sich, schlürften ihre Weißen, rauchten ihre Cigarren, und Alle, ohne Ausnahme kräftige Personen, waren mit der Feder sehr gewandt. Unser deutscher Consul in Lüttich giebt den letzten durch schnittlichen Tageslohn sür die Bergarbeiter auf 4,53 FrcS. an; daß bei diesen Löhnen, zumal leider der belgische Arbeiter dem Trünke stark ergeben ist, nichts erübrigt wird, liegt auf der Hand. Abtr 4,53 FrcS. ist schon ein sehr hoher Lohn; die Arbeiter in den anderen Industrien verdienen nach den Angaben deS Consul» weniger. Zn der Hüttenindustrie (Eisenbrrritung) soll der Durchschnittslohn 3.38 FrcS. betragen, in den Stahlwerken 3,90 FrkS., in den Zinkhütten 3,77 Frcs. In der Provinz Namur, über die der Consul in Brüssel bericht«», wird bei den B«rgarbeit«rn der Durchschnittsverdienst «ine» Arbeiter» unter Tage auf 5,88 Frcs., eines Arbeiters zu Tage auf 3,09 Frcs angegebin; daß diese letztere Be zahlung ganz unzureichend ist, bedarf wohl keiner Hervor hebung. Zn den Erzgruben der Provinz Namur, die ja freilich bedeutungslos sind, beträgt der durchschnittliche Tage lohn 2,79 FrcS. Daß so schlecht bezahlte Arbeiter, die ja auch körperlich heruntergekommen sind, nicht in der Lage find, in einem Generalstreik« auch nur eine Woche auSzu- barren, wissen die socialistischen Führer Bandervelve und Genossen ganz gut; und darum ist es ganz ausgeschlossen, daß es zu einem Generalstreik kommt. Der Aerlaß auf da» Heer ist inBelgiennur ein gering««; Meut«r«ien in den einzelnen Regimentern, die sich zu 9 Brigaden (Gent, Brügge, Antwerpen >, Ant werpen 2, Brüssel 1, Lüttich, Bergen (MonS), Brüssel 2, Namur) formiren, sind l«ider wiederholentlich schon zu be klagen gewesen. Der durchschnittliche Bestand deS Heeres auf Friedensfuß ist im Vorjahr folgender gewesen: Milizen, Stellvertreter, Freiwillige mit Prämie, Freiwillige de» ConttiigentS 33 669, Andere Freiwillig« 7829, Fntwillig« Milizen........ 1 000, Zöglinge 400 Im Ganzen 42 898 ohne Lsficiere und Eivilperfoaen. Aber, wie gesagt, wir glaube« ganz bestimmt, daß eS zu einem Generalstreik nicht kommen und es ohne Einschreiten de» Militärs abgehen wird. Der Krieg in Südafrika. Die Familie Krügers im Felde. Englische Zeitungen lieben eS, ihren Lesern von Zeit zu Zeit die Nachricht aufzutischen, der oder jener Sohn oder sonstige Verwandte Krüger's sei von der Sache seines Volkes abgefallcn und habe, sich in daS Unvermeidliche schickend, freiwillig den NeutralitätSeid geleistet. Demgegenüber stellt die „D. Wochenzeitung in den Nieder!." die Betheiligung der Familie Krüger's am Kriege wie folgt zusammen: Präsident Krüger hat vier Sohne. Der älteste, Caspar Jan Hendrik, von dem die Engländer behaupten, er habe den NeutralitätSeid geschworen, ist noch auf Commando. Er wurde früher schon zweimal verwundet und sieht fast älter auS als sein Vater, eine Folge der Malaria, an welcher er stets litt. Caspar hat drei streitbare Söhne: Stephanus Paulus (vor Kurzem unter Delarey verwundet), Pieter Gerrit Wessel, der, schwer krank, den Engländern in die Hände fiel und den Neu- tralitätSeid ablegte; er wohnt jetzt in Holland. CaSpar'S dritter Sohn, Caspar Jan Hendrik, ist noch bei seinem Vater auf Commando. Der zweite Sohn des Präsidenten, Jan Adriaau, kämpft noch mit. Seine drei Söhne sind kur» hintereinander gefallen. Der dritte Sohn Piet sitzt auf Ceylon. Der vierte Sohn Tjaard AndrieS Petrus ergab sich schwerkrank reu Engläuderu und starb Ende September in Pretoria. Von den Schwiegersöhnen Krüger's ist: 1) Christoffel Fourie gefallen. 2) Tennis Eloff mit seinem Sohn auf Commando, 3) Frederik Christoffel Eloff bei seiner Mutter zurückgeblieben, nach ihrem Tod ging er nach Holland. Sein Sohn Sarel Johannes wurde bei der Erstürmung von Mafeking gefangen genommen; 4) Gerrit Eloff mit seinem Sobn Frederik Christoffel im Feld, während der zweite Sobn in Utrecht als Privatsekrelär deS Präsidenten fungirt, 5) Piet Smit auf Commando, während sein Sohn gefallen ist, 6) Koos Malan gefallen. Maa steht, die KrÜgerS haben ihre Schuldigkeit gethan. * Lands», 13. April. Dem „Observrr" zufolge wird da» Cabinet heute voraussichtlich wieder zu einer Sitzung zu sammentreten. * London, 13. April. Chamberlain erschien heute auf dem Colonialamte, was er seil den ersten Tagen des Krieges Sonntag» nicht mehr gethan hat. — Wie der Hofbertcht meldet, ist Chamberlain heute vom König in Audienz empfangen worden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 14. April. Der Reichstag, der morgen nach einer mehr als vier wöchigen Fericnpause seine Plenarberathungen mit der 165. Sitzung wieder aufnimmt, hat sich zuerst mit einem Gegenstände zu beschäftigen, der ibn schon wiederholt be schäftigt bat und in erster Linie die Schuld daran trägt, daß daS HauS im September vorigen Jahres nicht eine neue Session begonnen, sondern die über den Sommer vertagteSeffion auS der 97. Sitzung fortgesetzt hat. ES ist die Seemanns- ordnung, die schon einmal unerledigt blieb und darauf bei Beginn der laufenden Session von den verbündeten Regierungen nochmals vorgelegt wurde. Schon Ende November 1900 trat die zu ihrer Vorberathung niedergesetzte Commission zusammen und dielt unter dem Vorsitze des Ab geordneten Rettich zwei Lesungen in nicht weniger als 44 Sitzungen ab. Die zweite Plenarberathung begann mit dem Wicberzusammcntritte des Reichstages am 26. November 1901, mußte aber bereits nach fünf Sitzungen abgebrochen werden, um der Beralhung des ZolllarifentwursS und deS ReichShauShaltSetatö Platz zu machen. Bis jetzt ist die zweite Lesung der Seemannsordnung, die schon nach dem Bundesrathsentwurse 122 Paragraphen zählt und in der Commission noch um 19 vermehrt worden ist, bis -um tz 54 gediehen; sie wird also vermuthlich noch eine reichliche Zahl von Sitzungen in Anspruch nehmen, zumal die wichtigsten Abschnitte, die Disciplinar- und Strasvorsckristen, sehr lebhafte Besprechungen Hervorrufen werden. Obwohl die Commission an dem Entwürfe bereits weitgehende Aenderungen vorgenommen und namentlich die Disciplinargewalt der Schiffssührer in einer nicht unbedenklichen Weise abgeschwächt bat, ist die social demokratische Fraction damit noch bei Weitem nicht zufrieden, sondern Hal jetzt schon eine Liste von 28 Abänderungsanträgen eingebracht, durch welche die DiSciplinar- und Strafvor schriften noch erheblich mehr heruntergedrückt werden sollen. Da diese Anträge, die u. A. auch auf die Bewilligung eines unbeschränkten CoalitionsrechtS der Schiffsmannschaft während der Fahrt ver Schiffe hinzielen, vollständig unannehmbar sind, kann der socialdemokratische Antragssturm nur den Erfolg haben, die Berathungen der Seemannsordnung in die Länge zu ziehen und da- Zustandekommen dieses wichtigen Gesetzes, auf dessen Wohl» thateu die Seeleute bereits sehnsüchtig harren, in Frage zu stellen. Außer der SeemannSordnung, welche die Arbeitskraft und die Geduld unserer Volksvertreter voraussichtlich noch stark in Anspruch nehmen wird, sind noch einige andere wichtige, aus dem vorjährigen Tagungsabschnitte überkommene Auf gaben zu erledigen. In erster Linie ist die Branntwein steuervorlage zu erwähnen, die bekanntlich in der fort gesetzte» dritten Berathung wieder an die Commission zurückoerwiesen worden ist und dort noch ruht. Ueber die Entwürfe, betreffend die Schaumweinsteuer und die Süßstoffsteuer, bat die Commission bereit» Bericht erstattet, die Vorlagen würden auch schon erledigt sein, wenn ihre Berathung nicht zurückgehalten worden wäre, um sie für ein beschlußfähiges HauS auf zusparen. Wann dieser günstige Moment eintreten wird, ist allerdings eine offene Frage. Wie die .Kreuzztg." vermuthet, wird man die Entscheidung über alle derartigen streitigen Fragen auf einige Sitzungen am Schluffe der Tagung zu sammendrängen und dazu versuchen, ein beschlußfähige» Haus zusammenzutrommeln. Von neuen Vorlagen ist in erster Reibe noch ver angekündigte Nachtrag-etat behufs Einstellung von Mitteln zur Verbeffrrung der Jn- valivenbezüae zu nennen. Dann aber soll noch ein Entwurf über den Gerichtsstand der Presse und angeblich die soeben im BundeSrathe fertig gestellte Vorlage, betreffend erweiterten Schutz der Kinder gegen Übermäßige Beschäftigung in der gewerblichen Lohn arbeit, vvrgelegt werden. Ob eine Vorlage über Diäten gewährung an die Mitglieder der Zolltarifcommission ein gehen wird, ist wieder fraglich geworden. Dir Reform der Börsengesetzgebuug scheint mit Rücksicht auf die parla mentarische Lage vertagt zu sein, so wüuschenSwerth und nothwendig sie wäre. Der klerikale Reichstagsabgeordnete Prinz Arenberg bat bekanntlich unlängst im Wahlkreise Saarbrücken eine Rede gehalten, in der er sich bitter über angebliche Wahl- bcctnflussungcn durch Staatsbeamte beschwerte, aber eS als geradezu selbstverständlich hinstellte, daß die katholische Geistlichkeit alle ihre Machtmittel zu Gunsten deS Cen trums in Anwendung bringe. Die »Köln. VolkSztg." findet nun diese Rede sehr bemerkenSwerth, giebt aber auch folgender Zuschrift Raum, die offenbar von einer hohen kirchlichen Stelle auSgeht: „Die trefflichen Ausführungen des Herr« Abgeordneten Prinzen zu Arenberg über die Wahlfreiheit könnten an der Stelle, wo der verehrte Herr von der Thätigkeit der Geistlichen in der Wahl- agitalion redet, zu dem Mißoerständniß Anlaß geben, als sei auch eine directe Agitation von der Kanzel berechtigt und wnn- chenswerth. Daß der Geistliche auf die moralisch« Pflicht der gewissenhaften Ausübung des Wahlrechts im Allgemeinen hioweist, wird Niemand ihm verwehren wollen. ES gehört zu seiner un bestreitbaren Competenz. Auch wird Jedermann es ihm zugesteheo, daß er als Privatperson an der Agitation sich betheilige. Aber aus der Kanzel, wo er sich ausschließlich im Dienste seine» Amtes und seiner ganzen Gemeinde befindet, würde es sich schwer recht fertigen lassen und zweifellos pastoral nicht emPfehlenS- werth sein, direct in die Agitation einzugreifen." Dasselbe Blatt theilt ferner ein Hirtenschrriben deS Bischofs von Moutiers in Frankreich, Msgr. Lacroix, mit, der, ge stützt auf Auslassungen des Papstes Leo XIII., über die politische Haltung der Geistlichkeit Folgendes auSführt: „Laut seiner seelsorgerischen Aufgabe, die er von oben erhalten, soll der Priester sich außer und über den Parteien halten. Als Feirilletsn. Eva oder Anneliese? 12) Roman von Ernst Georgy. Nachdruck verboten. Ncubcrt ging selbst hinaus, um zu hören, was cs gäbe. Er stellte sich in die halbvffcnc Thür. Der junge Graf stürmte die Treppen herauf. „Nanu, Herr Doctor, was ist los", fragte der Professor. „Ist Mutti angckommen?" fragte Bernd heftig athmend. „Nein, mein Junge, wieso glaubst Du?" „Eben traf ich Onkel Hubert Brandau", keuchte Bernd mit einem sehr enttäuschten Gesicht und lehnte sich auSruhend gegen die Mauer. — „Er behauptet, eine mit Koffern beladene Droschke gesehen zu haben, in der Mutti saß. Der Alte war seiner Sache tv sicher, daß ich die Anderen allein ins Hotel gehen lief; und hierher stürzte! Es ist zu arg!" „Komm vor Allem herein, mein Junge!" mahnte Ncubcrt. — „Es ist ein Brief von Mutti da. Sie wirb Dir darin näheren Aufschluß geben!" Beide traten in das sogenannte gute Zimmer. Bernd warf sich in einen Sessel und riß den Umschlag von dem Briefe, den ihm Ncubcrt gegeben hatte, ab. Erst überflog er die wenigen Zeilen hastig, dann laS er sic mit wechselndem Mienenspiel noch einmal durch Die Hand, welche das Schreiben hielt, sank schlaff nieder. Er sah den väterlichen Freund, welcher ihn beobachtete, wie abwesend an. Endlich holte er tief Athcm und fuhr sich betroffen über die Stirn: „Ich ver stehe meine Mutter nicht. Entweder ist Anneliese todt- krank oder Mutti ist ganz verwirrt. Erst gratulirt sie mir. Dann verlangt sic höchst energisch, daß ich nicht etwa nach Hause komme, sondern hier bleibe oder nach Linden-Aue gehe. Zuletzt erwähnt sie kurz, daß daS Mädel ihrer bedürfe und sie nicht kommen könne. LieS selbst, Onkel!" — Er reichte ihm den Bogen. — „Hast Du schon jemals einen solchen Brief von Mutti ge lesen? Kalt, lieblos oder benommen, was weiß ich?!" Ncubcrt versenkte sich in Maricn's Schreiben. Endlich sagte er: „Irgend etwas ist da nicht in Ordnung; aber schlimm kann die Lache nicht sein! Mutti schreibt hier am Ende ausdrücklich, Du sollst recht lustig sein ugd die Zett nach dem schweren Examen so gründlich als mög lich auskostcn!" „Ja", unterbrach Bernd — „aber darunter steht eine merkwürdige Phrase. Bitte, zeig' einmal!" — Er beugte sich über die Seite. — „Benutze jeden fröhlichen Augenblick, mein Liebling, schwere und sehr ernste Tagen werden leider nicht ausbleibcn. So bald als möglich werden wir uns sehen; aber in jedem Falle erwarte unbedingt meine Nachricht. Ich kann Dich hier jetzt absolut nicht gebrauchen. Wenn wir mit unserem lieben Mädchen weiter sind, wird sich alles Andere finden. Also sei recht heiter! Du hast Dir die Muße schwer verdient! Grüße Alle, besonders Onkel Neubert, innig. Dich umarmt in unveränderter Liebe Deine treueste Mutti!" — Bernd wirbelte unruhig seinen Schnurrbart und ging mit stürmischen Schritten auf und ab. Ncubcrt blickte ihn besorgt an. „Da steht noch auf -er vierten Seite eine Nachschrift, mein Junge!" „Wo?!" — Der Jüngling drehte das Schreiben und überlas auch diese Zeilen. Er wurde blaß, faltete den Bogen und steckte ihn ein, ohne Neubert von dem Gelesenen Kunde zu geben. Vergebens zermarterte er sein Hirn, um Klarheit zu erlangen. WaS meinte Mutti mit ihrer angchängjen Bemerkung? — „Halte Deine Gefühle zurück, mein Bernd, und offenbare dem Mädchen, welches Du liebst, noch nicht-. Du bist noch zu jung, um Dich zu binden! Mir zu Liebe warte, bis tch mit Dir noch einmal Rück sprache genommen habe! Hoffen wir das Beste und warten wir ab!" „Wenn eS nach mir ginge, Onkel, so fahre ich jetzt zur Bahn und reise nach Großbrandau. Du kannst mix glauben, da ist etwas Schreckliche» geschehen!" rief er dann. „Nein, Bernd, Mutti wünscht eS nicht und wird ihre Gründe haben. Wenn Du Dich aber beruhigen willst, drüben ist die Post! Krage noch einmal tele graphisch an. In ein paar Stunden ist die Antwort da, dann weißt Du Bescheid!" „Da- ist eine großartige Idee, Onkel! Ich danke Dir dafür. Na, ich will nicht sparen mit -en Worten! Ich renne sofort hinüber, dann bin ich zurück, ehe die Anderen hier sind!" Der Pro fessor nickte zustimmend. Bernd ergriff seinen Hut und stürmte fort. Neubert sah ihn im Postamte ver schwinden. Nach kurzer Ucbevlcgung warf der junge Graf fol gende Worte aus- Papier: „Bin nach Bries in größter Unruhe. Erbitte vollständige Wahrheit über vor- gefallene». Va» ist geschehens warum ist mein Kommen unerwünscht? Bitte Drahtantwort — Bernd." — Nach dem der Beamte das Telegramm besorgt, fühlte sich Bernd ordentlich beruhigt« Er wischte sich über die feuchte Stirn und athmete auf. Was konnte eigentlich ge schehen sein? Mutti war gesund, das war die Haupt sache! Und Anneliese? Nun, das Dummclchen war noch nie in seinem Leben eine Minute unpäßlich ge wesen! Da stand wahrscheinlich das ganze Schloß Kopf, wenn sie einmal krank war. — — Im Grunde war Mutti s Brief wohl nur so verstört, weil sic enttäuscht mar, die kommenden Tage nicht bei ihm verleben zu können. — Mit d«m Leichtsinn seiner glücklichen Jugend raffte er sich auf. Seine Stimmung hob sich. Zum Teufel auch, hinter ihm liegt ein schwerer Berg, den er durch seine eigene Tüchtigkeit erklommen hat. Warum sollte er da nicht lustig sein? Der heutige Tag war ein Ehren tag für Stephan und ihn! Darum wollte er ihn feiern! Eva Warcll war eigens dazu nach Berlin gekommen. Er sollte das süße Ding Wiedersehen, welches er bisher nur aus der Ferne verehrt hatte. Sic war jetzt die bei Hofe vorgcstclltc junge Weltdame. Aber er war auch nicht zu verachten — er, der Gras Brandau, Doctor iuris und Referendar! Die Welt stand ihm offen, das Glück lag vor ihm. Nicht in unerreichbarer Kerne, sondern greifbar nahe. Und er wollte cs am Schopfe packen, sein blauschwarzcs Glück mit den leuchtenden Blauaugcn! Alles hatte er: Seine Mutter, Stellung, Neichthum und Gesundheit. Wenn Eva noch die Seine wurde, dann mar er vollkommen glücklich. — Obwohl er noch soeben in verdüstcrtstcr Stimmung war, hätte er jetzt am liebsten laut aufgcjauchzt. — Die Sonne lag in wärmend weichem Schein über der stillen Straße. Oben stand harrend der liebe, alte Onkel. Und da fuhren die Wagen heran, in denen die Freunde saßen. Der Alte, die Freunde und Eva! Mit wenigen Sprüngen war er jenseits des Dammes. Er kam gerade zurecht, als die große Ertradroschke vor dem Hause hielt. Schnell riß Bernd die Wagcnthtir aus und rief ein frohes „Willkommen, meine Herrschaften!" „Mojen, Brandan, Bengel, Tausendsassa, gratulire zu den bestandenen Examina", schrie der alte Warell und sprang heraus. Habe cs Ihrem Beispiel zu danken, daß mein Stephan so prompt mit durchgcrutscht ist. Haben 'n bischen Schleppdampfer gespielt, nicht wahr, mein Sohn? Schiff mit in 'n Hafen buasirt?" — Bernd hörte kaum auf die dröhnend hervorgestoßenen Worte seines väterlichen Freundes und unermüdlichen Bewunderers. Er streckte die Hand aus und umschloß mit seinen leicht bebenden Fingern eine schmale, elegant behandschuhte Rechte, die sich zögernd in die seine legte. Seine Augen hingen wie gebannt an Eva's lieb reizendem Gesichtchen, welches unter seinem heißen Blicke tief erröthete. „Comtcsse — Fräulein Evchenl" sagte er weich. — „Endlich, endlich, darf ich Sic Wieder sehen. Und wie schön sind Sic geworden eine Dame, eine vollkommene Dame!" „Herzlichen Glückwunsch, Herr Doctor!" erwiderte sie mit holdem Lächeln und erhob sich. — Als sie den Fuß auf den Tritt setzte, ergriff Bernd sic mit plötzlichem Entschlüsse und hob sie tactvoll heraus. Einen Augenblick preßte er die schlanke Gestalt fest an sich, dann ließ er sic zu Boden gleiten. Mit einer schnippisch stolzen Bewegung warf sie den Kops zurück und eilte an ihm vorüber. Ihre keusche Natur lehnte sich gegen die überströmende Leidenschaft des Jünglings ans. Seine Werbung war ihr viel zu stürmisch. Eva wollte langsam die Freude genießen, von Bernd erobert zu werden. Sic hatte ihn von jeher schwärmerisch bewundert. Heute, im Augenblicke, da sie in sein schönes, klar gütiges Gesicht schaute, fühlte sic, daß sie ihn liebe. Ihr Trotz erwachte. Sic wollte sich gegen dies Gefühl wehren. Brandau durfte nicht wissen, wie leicht er sic eingcfangcn. Sic beschloß, cs ihm zu erschweren, ihn nach Herzenslust zu quälen, ehe sic eS ihm einem Tages jauchzend zu gestehen wollte: „Ich liebe Dich, Du Lieber, mache mit mir, was Du willst; denn Dir gehöre tch mit jedem Athcmzugc, von meinem zwölften Jahre an!" Bernd war betroffen stehen geblieben. Er erblaßte. Wie heftig sic sich losgcrtsscn, wie zornig sic mit federndem Gange entfloh. Was hatte er gethan? Hatte sic die Wildheit verletzt, die ihn übermannt? Er griff mechanisch nach der Stirn. Wie er dies herbe, süße Weib liebte! Am liebsten hätte er sie an sich gerissen, und ihr schon heute die Einwilligung abgerungcn! — Plötzlich rann ein erkältender Schauer seinen Rücken entlang. Der Bries seiner Mutter — die räthselhafte Nachschrift fielen ibm ein. Heute durfte er noch nicht sprechen. „Na, sage 'mal. Du willst wohl hier Wurzeln schlagen!" lachte Franz Neubert und klopfte ihn kräftig auf die Schulter. — „Träumt der Kerl hier am Heller- lichten Tage. Komm rauf, sonst zankt Adclchcn, daß ihr Essen kalt wird!" Bernd war zusammcngefahren. Dann zwang er sich zur Ruhe und schritt mit Franz depj
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