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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020422020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902042202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902042202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-04
- Tag1902-04-22
- Monat1902-04
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Nach einer Meldung des „Standard" aus Pretoria begab sich De Wet nach Heilbron; Schalk Burger und De- larey verließen in Klerksdorp den Zug, LucaS Meyer und noch ein Führer begaben sich in die Gegend von Lydenburg, Reitz und ein Begleiter werden die Boeren jenseits Pietersburg treffen. Louis Botha begiebt sich direct nach Dundee und von dort nach Vryheid, wo er sein Hauptcommando treffen wird. Die Burgbers werden an be stimmten Daten zu einem bestimmten Rendezvous bestellt werden, um mit den englischen Bedingungen bekannt gemacht zu werden. Nur an den Tagen, da diese Versammlungen stattfinden, wird ein wirklicher Waffenstillstand sein. Wäh rend eS wahrscheinlich sein soll, daß einige Freistaat-Boercn sich widerwillig erweisen werden, hofft man bestimmt, daß die Transvaaler fast bis zum letzten Manne den Wünschen ihrer Führer zustimmen werden. — Der „Daily Telegraph"-Cor- respondent in Pretoria führt als bezeichnenden Umstand an, daß die meisten Boeren-Delegirten in Pretoria Kleidung und Lebensmittel auf baldige Lieferung bestellt haben. Der Special-Correspondent des „Standard" schreibt aus Kroonstad unterm 29. März: Der Friede werde kommen, gleichviel, ob Steijn zustimme oder nicht. Schalk Burger und seine College» hätten sich bei ihrem letzten Schritte nicht im Geringsten um Krüger und seine Satelliten in Europa gekümmert; sie sprächen von diesen beinahe mit Verachtung und hätten verlauten lassen, daß sie die Frage der Uebergabe allein von sich aus entscheiden wollten (?). Vom Kriegsschauplätze. * London, 21. April. Ein Telegramm Kitchener's aus Pretoria besagt: In der letzten Woche wurden 18 Boeren ge« tödtet, 19 verwundet und 325 gefangen genommen. Zehn haben sich ergeben. General French ist hinter den zerstreuten feindlichen Truppentheilen in den Districten von Ladygrey und Rhodes im Osten der Capcolonie her. Im Westen steht die Hauptmasse des Feindes um Oskiep, welches sie ohne Er folg angegriffen haben. Ueberdies haben die englischen Truppen jetzt Verstärkungen erhalten. Den District östlich von Pretoria hat der Feind jetzt verlassen, das von Süden her unternommene große Kesseltreiben ist eben beendet. Oberst Colenbrander operirt noch immer bei PieterSburg, eine detachirte Abtheilung seiner Truppen stieß am 15. April auf überlegene feindliche Streitkräfte, konnte sich aber trotz des schwierigen Geländes in ihrer Stellung behaupten. Politische Tagesschau. * Leipzig, 22. April. Im Reichstage spielte sich gestern zwischen 3 und 4 Uhr ein für unsere parlamentarischen Zustände bezeichnender Vor gang ab. Um diese Zeit begab sich nämlich der größte Theil derjenigen Mitglieder des Hauses, die zugleich ein Mandat sür das preußische Abgeordnetenhaus besitzen, nach diesem, um an einer namentlichen Abstimmung tbeilzunehmen. Diese vorübergehende Auswanderung und das Bild, das der im Sitzungssaale zurückbleibende Theil der Fleißigen dar bot, ließen erkennen, wie der Reichstag aussehen würde, wenn der preußische Landtag seine Session schließen sollte uno die Reichsboten, ganz auf sich selbst angewiesen, ohne die Hilfstruppen aus dem Abgeordnetenbause weiter berathen müßten. Bei der gestrigen Tagesordnung kam nicht viel darauf an, ob die Bänke etwas mehr oder weniger lückenhaft besetzt waren; stand es doch von vornherein fest, daß die Vorlage, betreffend den Servistarif und die Classen- eintheilung der Orte, sowie wegen Abänderung des Gesetzes über die Bewilligung von Wohnungsgeldzuschüssen, an die Budgetcommission verwiesen und daß die Berathung des viel besprochenen Entwurfs zur Abänderung deS tz 7 der Straf- proceßordnung (Fliegender Gerichtsstand der Presse) nicht bis zur Abstimmung geführt werden würde. Den letzteren Entwurf führte Staatsekretär vr. Nieberding mit der Bemerkung ein, die verbündeten Regierungen seien der Ueber- zeugung, daß eine Aenderung des gegenwärtigen Zustandes nicht nothwendig sei, und würden, wenn der Reichstag der pessimistischen Auffassung eines Theiles der Presse folgen und die Vorlage ablehuen sollte, damit nicht unzufrieden sein. Und um dem Wunsche des Reichstages entgegenzukommen, hätten sich die verbündeten Negierungen (wie in Reichslagskreisen verlautet, ist namentlich der Reichskanzler Graf Bülow in diesem Sinne thätig gewesen), zum Theil ungern und mit Widerstreben, entschlossen, die Klagen gegen Preßdelicte an den Ort des Erscheinens zu verweisen und Privatbeleidigungsklagen gegen die Presse auf den Ort des Erscheinens und den Wohnort des Beleidigten zu beschränken. Im Hause fand die Vorlage erfreulicherweise eine über wiegend beifällige Aufnahme; so Namens der National liberalen durch den Abg. Esche, des Eentrums durch den Abg. vr. Spahn, der Conservativen durch den Abg. vr. Oertel. Der Letztere verhehlte nicht gewisse Bedenken gegen die Zulassung des doppelten Gerichtsstandes für Privatbeleidigungeklagen, legte ihnen aber kein entschei dendes Gewicht bei, erklärte vielmehr, seine Partei würde das Gesetz ohne diesen zweiten, einschränkenden Satz in ihrer Mehrheit ablehnen. Einen schroff ablehnenden Standpunet nahmen, die grundsätzliche Auffassung des Staatssekretärs Nieberding über die Abänderungsbedürstigkeit des Bestehenden damit aufs Wirksamste unterstützend, die Socialdemokraten ein, deren Redner, der Rechtsanwall Heine, diesen Standpunct mit geradezu lächerlichem Doktrinarismus dahin begründete, daß der fliegende Gerichts stand der Presse auf rechtswidriger Interpretation des Reichs gerichts beruhe und durch Zustimmung zur Vorlage legalisirt würde. Daß das beständige Geschrei der socialdemokratischen Presse über die Wirkungen des fliegenden Gerichtsstandes übertrieben ist, gab der Redner auch dadurch zu, daß er erklärte, die gerichtliche Praxis befinde sich in diesem Punctc in einer günstigen Entwickelung. Für heute stehen außer der Weiterberalhung der Novelle auf der Tagesordnung: Schaum wein- und Saccharinsteuer. Nachdem diese Lesungen beendet sind, gedenkt der Präsident die dritte Lesung der Seemanns ordnung vorzunehmen. Die im Vorstehenden erwähnte Wanderung aus dem Reichstage in das preußische Abgeordnetenhaus hatte eine Kraftprobe zum Zwecke: es handelte sich beim Etat der Eisenbahnverwaltung um die bei der zweiten Berathung bekanntlich von der Mehrheit der Conservativen und des Cent rums abgelehnte Forderung für einen Erweiterungs bau des Bahnhofs zu Homburg. Die National liberalen halten für die gestrige drille Lesung den Antrag auf Wiedereinstellung der gestrichenen Position eingebrachl und zogen nun, um diesem Anträge die Mehrheit zu sichern, ihre Fractionsgenossen aus dem Reichstage herbei, während Conservative und Centrum das Gleiche thaten, um den An trag zu Falle zu bringen. Natürlich traten die Minister v. Thielen und v. Rbeinbaben energisch für den national liberalen Antrag ein, Hessen Annahme dem Kaiser besonders am Herzen liegt, und erörterten eingehend die Uebelstände, die den Erweiterungsbau nothwendig machen. Trotzdem und obgleich der Abg. vr. Sattler nachweisen konnte, daß in der Commission das Centrum die Homburger Uebelstände anerkannt hat, verharrte die Opposition, der man bekanntlich einen taktischen, mit den Tariffragen im Zu sammenhänge stehenden Zweck unterlegt, aus ihrem ablehnenden Standpuncte. Da aber die Freiconservativen sich durch ihren Wortführer Stengel für den Antrag der Nationalliberalen erklärten und die freisinnigen Abgg. vr. Krieger und vr. Barth den im Grunde genommen dieselbe Wirkung erzielenden Antrag stellten, eine Million sür Erdarbeiten zum Zwecke der Erweiterung des Bahnhofsbaues und zum Grund erwerb zu bewilligen, so blieb die conservativ-klerikale Coalition in der Minderheit. ZurAnnahme gelangte der freisinnige Antrag, für den auch die Nationalliberalen und die Freiconservativen stimmen konnten. Diese Stellungnahme der Letzteren ist um so bemerkenswerther, je eifriger ihr Organ, die „Post", jene Coalition gegen den Vorwurf in Schutz genommen hatte, nicht aus sachlichen, sondern aus tactischen und persönlichen Gründen die Forderung der Regierung in der zweiten Be- rathung bekämpft und abgelehnt zu haben. Die viel und hart aus die Probe gestellte Geduld deS finnischen Volkes scheint erschöpft zu sein. Seit dem Re gierungsantritt des jetzigen Zaren ist eine Ruffificirungs- maßregel der andern eilends auf dem Fuße gefolgt, eine immer drückender und brutaler als die andere, zuletzt die neue Militärorganisation, welche den Fin- ländern das alte Privilegium, nur in Finland zu dienen, einfach nimmt und die Selbstständigkeit der finnischen Truppenkörper völlig zerstört. Unaufhaltsam geht der Amalgamirungsproceß vor sich und alle Vorstellungen und Beschwörungen des treuen, aber wie die Boeren jäh an seiner Unabhängigkeit hängenden Volkes sind erfolglos in den weiten Räumen des Petersburger Regierungspalastes verhallt. Alle loyalen Mittel sind erschöpft und nun greifen die Finnen, zunächst in der Landeshauptstadt, zu dem Versuch directer gewaltsamer Auflehnung. Es wird uns in Ergänzung unseres Telegrammes in der Morgenausgabe noch berichtet: * HelfingforS, 21. April. Am 17. April Vormittags 10 Uhr sollte der Gouverneur des Bezirkes Ninland in Helsingfors in der Manege der Garnison eine Contra lversammlung der ge stellungspflichtigen Recruten abhalteu. Hierbei störte eine Menge von etwa 500 Personen durch Husten und Lärmen die Ver lesung der Kriegsartikel, sowie den Namensaufruf der Recruten. Bei dem Borruf der einzelnen Gestellungspflichtigen an den Tisch der Commission nahm der Lärm und die Unruhe noch zu. Gegen 12 Uhr Mittags wurde die Controlversammlung unterbrochen. Als der Polizeicommissar Kaitokangassa die Manege ver ließ, empfing ihn die Menge mit Heulen und Lärmen, warf nach ihm mit Steinen und Eisstücken und verletzte ihn schwer. Dank dem energischen Eingreifen des Gehilfen des Polizei meisters Stabscapitäns Maximow konnte der Commissar aus der wüthenden Menge befreit und aus die Centralstation der Polizei geschafft werden, wobei die Menge mehrere Schutzleute thätlich an griff. Bei Wiedereröffnung der Controlversammlung hatte sich die Volksmenge noch wesentlich vermehrt. Unter ihr befand sich der Sekretär dessinländisckenSenatsG urughelm, BaronBorn.AxelLilijö, die Stadtfiscalen und andere, den gebildeten Ständen angehörige Leute. Diese erlaubten sich noch viel größere Ausschreitungen. Von insgesammt 857 Gestellungspflichtigen waren nur 57 erschienen. Zwei Gestellungspflichtige traten an Len Gouverneur heran und meldeten ihm, Laß die Menge sie verhindere, sich beim Militär- bezirkscvmmissar zu stellen. Gegen 4 Uhr Nachmittags versammelte sich eine große Menschenmenge vor dem Magazin in der Es planaden st raße, wohin inzwischen der verwundete Polizeicommissar Kaitokangassa gebracht war. Letzterer wurde nunmehr, von berittenen und anderen Schutzleuten geschützt, weggeschafit. Die Menge machte erhebliche Anstrengungen, seiner Person habhaft zu werden und zog dann auf den Senatsplatz vor das Polizeigebäude, von wo die Polizei sie zerstreute. Am 18. April Morgens 10 Uhr eröffnete die Ersatzcommission ihre Sitzung in der Caserne des 3. finnischen Leibgarde bataillons zur ärztlichen Untersuchung der Recruten. Eine Menge von mehreren tausend Personen hielt trotz wiederholten Eingreifens der Polizei und trotz mehrfacher Aufforderungen zum Auseinandergehen den Casernenplatz besetzt und empfing jeden Recruten, der aus der Caserne hcraustrat, mit Schreien, Pfeifen und Schimpfworten. Gegen 11 Uhr Vormittags wandte die Menge sich gegen einen an einer Straßenecke stehenden Gend armerie-Unterofsicier. Um sich zu schützen, begab sich dieser in einen in der Nähe befind lichen Auktionssaal, wurde jedoch von der Volksmenge wieder herausgerissen. Er zog nunmehr die Waffe, auch der Gehilfe des Polizeimeisters, Stabscapitän Maximow, eilte mit gezogenem Säbel herbei. Einen Augenblick lief die Menge auseinander, fiel aber dann über Maximow her, der schwer verwundet zusammen brach, der ihm zu Hilfe eilende Schutzmann wurde von der Menge niedergeworfen und durch Schläge und Fußtritte jämmerlich zugerichtct. Gegen 12 Uhr Mittags sandte die Volksmenge eine Ab ordnung ab, welche erklärte, daß, wenn die auf dem Platz stehenden Polizeiwachen und Posten zurückgezogen würden, die Menge sich ruhig verhalten und auseinandergehen wolle. Daraufhin entschloß sich der Polizeimeister, die Polizei zurückzuziehen, um damit einen letzten Versuch zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zu machen. Einzelne aus der Menge entfernten sich auch, die große Masse wich jedoch nicht und wurde noch durch die nach Aushebung der Controlversammlung auS der Caserne heraustretenden Recruten vermehrt. Gegen 2 Uhr Nachmittags hatte die Menge den Senatsplatz und alle Nebenstraßen besetzt. Die ge- sammle Polizei der Stadt wurde aufgeboten, um die Menge zu zer- ! streuen, war aber ohnmächtig. Polizei und Senatoren, durch die ! Lage beängstigt, zogen nun fünfzig Kosaken der orenburgischeu Feuilleton. Eva oder Anneliese? iss Roman von Er n st Georgy. >>tachtri«t «krboten. „Sic sind eine Zauberin, Feodora Alexandrowna!" meinte er verwundert. „Woraus entnehmen Sic es, daß ich verstimmt bin?" „Aus Ihren Augen. Ich sehe Sie an, und weil ich Sie gern mag, durchschaue ich Sie sofort. Hellschen der Lynipathie. Ist das so unbegreiflich?" „Unbegreiflich nein? Aber ich bin Ihnen dankbar für diese Sympathie!" entgegnete er. Ihre Augen ruhten ineinander. Das schlanke Mädchen reichte ihm fast bis zur Stirn. „Mir ist cs, als müßten Sic auf dies Gefühl stoßen, wohin Sie auch immer kommen, Bernd Julianowitsch!" flüsterte sic in innigem Tone. „Ich weiß auch, daß Sie noch etwas Anderes bedrücken muß, und ich wollte, ich könnte es sie vergessen machen!" „Das wünschte ich auch, Feodora Alexandrowna; aber für gewiße Dinge giebt es kein Lethe! Auch Sie können das nicht!" „Lassen Sic mich nur singen, lieber Graf!" sagte sie sicher. „Vielleicht darf ich Sie heute auch noch begrüßen, mein gnädigstes Fräulein, oder gedenken Sie sich immer hinter meinem Freunde zu verschanzen?" rief Stephan un geduldig. Bernd trat zurück. Wie sicher sie sprach! dachte er. — Laßen Sie mich nur fingen, als ob sie damit mein Leid aus der Seele, mein Erinnern an Eva fortsingen könnte, die Thörtn! — Das Gewirr mn ihn her bedrückte ihn. Seit dem letzten Ball, den er mit Comtesse Warell zusammen verlebt, hatten ihn nicht mehr so viele Menschen umgeben. Dabet diese fremden Laute der unbekannten Sprache; diese fremden Gesichter. Am liebsten wäre er geflohen. Langsam schritt er in das Nebenzimmer. Hier hatten sich jetzt Gruppen um die Tische gebildet. Man spielte Karten: „Wind" und „Polnische Bank". Die kurzen Worte der Unterhaltung klangen erregt. — Zer streut blickte er auf die Spielenden, horchte er auf das feine Klimpern der Geldstücke. — Wie konnte man nur daran Vergnügen finden? „Sie lieben das Spiel nicht, Herr Graf?" fragte jetzt „Ich hatte schon zu verschiedenen Malen das Ver gnügen, Sie zu sehen. Auf der Universität, auf Bällen und in der Oper. Das letzte Mal trafen wir uns, wir, dazu rechne» Graf Warell auch, bei dem Empfange des Ministers Frhrn. v. B. Ich wurde Ihnen von meinem Vetter, dem Attachö unserer Botschaft, vorgestellt. Mein Name ist Konstantin Wassiljewitsch von W." „Ach, gewiß, ich entsinne mich jetzt! Sie erfreuten uns damals mit Ihrem herrlichen Clavicrspiel!" rief Bernd. „Entschuldigen Sie nur meine Zerstreutheit. Ich habe Ihre Variationen über Tschaikowski und Rubinstein nicht vergessen!" „Sie sind sehr freundlich, Herr Graf! Ich freue mich, Ihnen hier zu begegnen! Sic kennen die Familie gewiß schon lange?" „Woraus gsaubcn Sie dies herleiten zu können, Herr Baron?" „Bitte, Konstantin Wassiljewitsch! — Ganz einfach aus der Begrüßung, die Ihnen unsere schöne Feodora Alexan- ürowna angedeihen ließ!" sagte der Jüngling mit zu sammengezogenen Brauen. „Ich kenne die Herrschaften seit unserer gemeinschaft lichen Reise von Nizza nach hier. Heute bi» ich zum ersten Male Abends hier, weil ich erhoffe, das gnädige Fräulein singen zu hören. Nach Ausspruch ihrer Mutter mutz sie ja eine phänomenale Stimme haben!" „Sie ist eine gottbegnadete Künstlerin. Ich habe nie etwas Aehnliches gehört, besonders wenn sic unsere Volks lieder und Balladen singt." „Fräulein Mamönow ist aber doch für die Bühne aus gebildet?" „Leider!" erwiderte der Russe gequält. — „Der leidige Ehrgeiz der sonst so angenehmen Eltern treibt das Mädchen in eine Laufbahn, die ihr bei ihrem Temperament keinen Segen bringen kann. Feodora ist reich, sie sollte der Bühne fernbleiben und sich begnügen, auf Gesellschaften Lorbeeren zu ernten. Es würde ihr in Petersburg und in ihrer Hetmath Riga auch nicht an Gelegenheiten fehlen, in Wohlthätigkeitsconccrten vor die Oeffcntlichkcit zu treten!" Bernd beobachtete den Sprechenden, weil er fühlte, daß dieser eine tiefe Zuneigung für die junge Sängerin gefatzt haben mußte. „Ich habe gehört, daß man in Rußland „Feodora erscheint schon zum zweiten Male an der Thür, um nach Ihnen zu sehen!" Wirklich eilte das junge Mädchen jetzt herbei. Thee und eingemachte Früchte, Gebäck und Süßigkeiten wurden gereicht. „Hier spielen die Barbaren Karten, kommen Sie doch zu uns, Bernd Julianowitsch. Wir wollen dann mnsi- ciren! Sie auch, Konstantin Wassiljewitsch, Sie müssen mich begleiten!" Gleichgiltig hatte sie dem Landsmanne ihre Worte zngcschlcndert, ohne ans sein verstörtes Aussehen zu achten. Bernd hatte Mitleid mit ihm. „Ich habe eine alte Bekanntschaft mit demHerrnBarvn erneuern dürfen.Er war mir seines Spieles wegen unvergeßlich. Sie werden einen ebenbürtigen Begleiter an ihm finden!" — Er bot Feodora den Arm. Sie warf bei seinem Lobe dem Andern einen freundlicheren Blick zu. „Ja!" sagte sie dann. Kon stantin Wassiljewitsch wäre ein idealer Künstler, wenn er nicht so thöricht vor dem großen Publicum zurückschrecken würde. Er könnte der erste Clavierspieler der Welt wer den. Wenn er mit seiner Verehrung nur nicht solch langweiliger Peter wäre!" flüsterte sie Bernd zu. „Sie sind ja grausam!" entgegnete dieser vorwurfsvoll. —„Ja, wo ich nicht liebe!" murmelte sie hastig. „Aber wenn ich liebe, dann bin ich gnt!" „Woher wissen Sie denn das? Haben Sie, trotz Ihrer Jugend, schon geliebt?" fragte er lächelnd. — „Jei, bogn, wie er nur spricht! Wir Russinnen sind keine deutschen Lämmer. Ich habe schon verschiedene Male geliebt. Man feiert mich sehr daheim!" „Das müssen ja recht tiefe Gefühle gewesen sein, wenn sie sich schon mehrmals wiederholten!" „Vielleicht war cs nicht die große Liebe, von der Ihre Dichter singen", sagte sic hastig. — „Ich habe viel Glück bei den Herren; überall habe ich Verehrer. In Paris eine Menge, am meisten in Petersburg. Sic verwöhnen mich alle, ich habe Macht über die Männer! Auch Ihr Freund ist in mich verliebt. Ich könnte mit ihm und allen machen, was ich will!" Ihn durchschauertc cs geheimnißvoll. „Glauben Sie auch, über mich Gewalt zu haben, Feodora Alexandrowna ?" — „Jene andern mußten mich erobern. Hier liegt es anders, ich müßte Sie erobern und könnte es, wenn ich singe! Sie sind ein guter Mensch!" „Sind Sie dess' so sicher?" „Ja!" „Doch glauben Sic wirklich, daß Sie mich be zaubern könnten, wenn Sie cs wollten?" fragte er. „Ich zweifle nicht daran! Für eine Zeit kann ich auch Sie zwingen!" „Versuchen Sie Ihr Heil. Aber ich fürchte, Sie haben kein Glück." Sic standen zwischen den Thüren. „Sic werden mich verachten, wenn ich Ihnen entgegenkommc. Wenn ich den Kampf beginne, scheue ich kein Mittel. Bernd, Graf Bran ds», Haven Sie Venn gax keine Angst vor mir? Fürchten Sic nicht den Rausch?" — Ihr Arm bebte leise auf dem seinen. Dies Zittern theilte sich ihm mit. Sein Herz klopfte; aber dennoch lachte er heiser: „Sie werden keinen Erfolg haben, ich bin gefeit! Aber versuchen Sie es, und ich will Ihnen danken, wenn Sie mich ein paar Wochen vergessen lehren!" „Bernd Julianowitsch! Hüten Sie sich!" — „Ich fange an, mich zu hüten!" — Er scherzte; aber sein Blut wallte. Diese fremde Person! Er mochte sie nicht und dennoch! Er wollte ihr gar keine Comödie von eisen gepanzerten Helden bieten. Hier reichte man ihm einen vollen Becher. Ein Narr, der ihn ausschlug! Er wollte trinken von dem süßen Gift, bis es ihn bewußtlos machte! — Plötzlich ließ er sie los. Warell stand vor ihm und seiir Gesicht zeigte einen sonderbaren Ausdruck. Bernd stöhnte heimlich. Eva Mutti! Man konnte nntcrgehen im Sumpfe! Aber war cs nicht besser, jauchzend zu ertrinken, als sein Leben lang mühselig zn schwimmen? — Graf Brandau sprach französisch. Eine unstete Lebhaftigkeit hatte ihn gepackt. Unrast, Fieber, Ab neigung und ein rasendes Verlangen nach einem Taumel gährten in ihm. Zum erstcnmale in seinem Leben verließ ihn die geläuterte Klarheit, welche ihm der mütterliche Einfluß und die Erziehung der Neubert's verliehen. Seine Augen flammten. Auf seinem Gesicht zeigte sich eine flackernde Röthc, als ob er zuviel getrunken hätte. — Er stand in einer Ecke und plauderte mit einer jungen Russin, die eben in Zürich ihre incdicinischcn Studien vollendet hatte. Ihr sprühendes Temperament riß ihn fort. Meinungen und Wiyc prallte» aufeinander. Sie lachten, und Bernd bewunderte seine eigene Schlagfertigkeit. Er schwatzte und schwatzte, ohne selbst zu wissen was. Schon nach einer Stunde hätte er das Thema ihrer Unterhaltung nicht mehr angeben können. Aber was that es?! Die Doctor Waskvkin war eine feine Psychologin. Sie fühlte, daß der schöne, junge Mann vor ihr wie ein Trunkener am Rande eines AbgrnndeS tanmelte, um sich zu übertäuben. Sie verstand den Rausch, der oft starke Naturen nach Seelcnleid iind Hcrzenskämpfcn überfiel. Und sie forderte ihn noch immer mehr heranS, bis er seine gewohnte Art völlig verlassen hatte. Stephan beobachtete ihn, trotz seines Gespräches mit Feodora. Beide wußten kaum, was sie sprachen, weil sie Bernd »nd seine Partnerin im Auge hatten. Endlich erhob sich die junge Sängerin: „Ich will jetzt singen. Nach dein Souper liebe ich es nicht!" Sie rief Konstantin Wassil ¬ jewitsch herbei und suchte mit ihm die passenden Note» heraus« (Fortsetzung folgt.) freier denkt als bei uns. Selbst hohe Officiere, Adlige, so- gar Fürsten sollen Bühnenkünstlerinnen ohne Störung in Earriere zu Gattinnen gewählt haben!" „Das stimmt im Allgemeinen wohl; aber in vielen Kreisen ist das Vorurtheil doch noch ein recht großes, genau eine sanfte männliche Stimme neben ihm. Er wandte sich I wie hier. Doch Sie müssen besonders bevorzugt sein, Vr«, Stecher zü, „Nein, mein Lex*!? entgegnete er knrz. I lieber GxaP, Unterbrach er seine Auseinandersetzung.
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