02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.05.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020502029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902050202
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- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902050202
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-05
- Tag1902-05-02
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April ge meldet: Die Boerenführer stellen die Friedenöfrage bei -en Burghers offen und ohne Vorbehalt zur Berathung. Rach neueren Meldungen soll De Wet freimüthig seine Meinung dahin ausgesprochen haben, daß der Kampf jetzt hoffnungslos (?) sei und daß die von der britischen Regie rung angebotcnen Bedingungen billig und großmüthig (?) seien. Delarey soll beabsichtigen, sich dem Beschluß der Mehrheit anzuschließen. Auch die Oranje-Regie rung erklärte, sich diesem Beschluß zu fügen. Die Bocrcn frauen in Klerksdorp und Westtransvoal er klären, wenn ihre Männer sich nicht für den Frieden aus sprechen, wollten sie es selbst thun und sich für die Rückkehr nach den Farmen entscheiden. (?) — Die Bcrath ungen im Felde werden wie folgt geschildert: Der Einfluß reichste unter den Anwesenden, der nicht nothwendig der Befehlshaber des Commandos zu sein braucht, führt den Vorsitz; die übrigen Burghers sitzen auf offenem Feld im Kreise um ihn herum. Zuerst legt -er Vorsitzende seine Ansicht -ar, dann erhebt sich, wer von den Mitkämpfern sprechen will, und giebt, nach alter Art auf seine Flinte gelehnt, seine Meinung für oder wider den Frieden knnd. * London, 2. Mai. (Telegramm.) Der „Stan dard" erfährt, -atz die Versammlungen der Boeren bis jetzt eine dem Frieden günstige Mehrheit auf wiesen, (?) es sei jedoch nicht unwahrscheinlich, daß die Un versöhnlichen standhaft bleiben werden, was anch immer für großmüthige Bedingungen gestellt werden. * London, 2. Mai. (Telegramm.) Im Kricgsamt wird mitgetheilt, daß Vorkehrungen getroffen seien, um über zehntausend Mann, darunter Acomanry, und 2000 Remonten in 14 Fahrzeugen von jetzt ab bis Ende dieses Monats einzuschiffen. Englische Soldaten in Boerennniform. Gefangene Boeren in Khaki werden bekanntlich, einem Befehle Lord Kitchener's zufolge, ohne jede kriegsgericht liche Verhandlung sofort erschossen, obwohl sie, wie alle ihre Landsgcnossen überzeugend versichern können, daß sic englische Uniformen nicht zu Spionagezwcckcn, sonder« nur nothgedrungcn, um ihres Leibes Blöße zu decken, tragen. Es wurden erwiesenermaßen sogar schon Leute erschossen, die Uniformen aus den Beständen der freistaat- eichen Feldartillcric trugen, die, zumal wenn sie abgetragen und, in der Farbe dem Khaki ähneln. Daß aber die Be schuldigung des widerrechtlichen Khaki - Tragens in der Hauptsache nur ein Borwand ist, um die Stärke des ge fürchteten Gegners zu verringern und ihn der Verletzung des Kricgsgebrauches verdächtigen zu können, beweist die Thatsache, daß England beispielsweise seine Husaren vom Fuß bis zum Kopf in die Boeren uniform st eckt. Eine englische Zeitschrift, der „Graphic", selbst ist es, der die beiden Typen mit den charakteristischen Unterscheidungsmerkmalen in wahrheits getreuen Bildern vorführt. Tas eine zeigt den englischen Husaren in seiner regulären Uniform und Ausrüstung in England, das andere das Gegenstück zum Vocreu in Khckki, den englischen Husaren in Südafrika im Boerenhut, Boerenrock mit Bocrenpatronengürtel, nach Boercnart aufgckrempcltcn Hosen, ohne die in England so beliebten Wickelrcitgamaschen; vom Boeren unterscheidet sich der englische Husar eigentlich nur durch den nicht sofort in die Augen fallenden Umstand, daß er das Gewehr anders trägt. Bekanntlich tragen auch ganze eng lische Corps, namentlich die Colonial truppen, den ch a r a k t c r i st i s ch e n prak tischen Boerenhut, oft sogar verziert mit den Boeren abgenommenen Wappen- s ch i l - ch e n u n d E m b l c m c n. Dieser, an der rechten Seite aufgekrempcltc, meist mit einer republikanischen Cocarde geschmückte Hut bildet die einzige „Uniform" der Boeren im Felde. Welch' neuer unerhörter Schandthat würden wohl die Boeren bezichtigt werden, wenn sic zur gerechten Vergeltung jeden gefangenen Engländer in Boercnuniform erschössen! Die „Corrcspondenz Nederland, 's Gravenhagc", Holland, ist bereit, jedem Interessenten aus unserem Leser kreise die Photographie der beiden Typen n n c n t g c l t - l i ch zur Verfügung zu stellen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. Mai. Der Reichstag scheint gestern vergebliche Arbeit geleistet zu haben. Er nahm zunächst, wie in früheren Sessionen, den von den Freisinnigen uno dem Centrum cingebrackn n Initiativantrag wegen des Schutzes des Wahl geheimnisses — es sollen in der Hauptsache amt liche Wablcouverts eingeführt und in den Wahllokalen Zellen eingerichtet werden, in denen die Wähler die Wahlzettel in die CouverlS thun können — auch in dritter Lesung gegen die Stimmen der Rechten an. Hat dieser Beschluß dasselbe Schicksal wie frühere gleiche Be schlüsse, so bleibt er eben Beschluß ohne Gesetzeskraft. Dieses Schicksal wünschen und hoffen wir für den zweiten Be schluß, den das bohe Haus in Bezug auf den H 1 des sogenannten klerikalen „Toleranz"-Antrags faßte, dieser Paragraph bestimmt bekanntlich nach der Cvm- missionSfassung, daß jedem NeichSangehöriHen innerhalb des Reichsgebietes volle Freiheit des religiösen Bekennt nisses, der Religionsübung und der Vereinigung zu Religions gemeinschaften zusteht und daß den bürgerlichen und staats bürgerlichen Rechten durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch geschehen darf. Der Paragraph klingt also ganz harmlos. Der klerikale Abgeordnete Bachem hat aber früher selbst zugeben müssen, es gebe zwar zunächst ein Gebiet, aus dem die Wirkung des tz 1 ganz klar sein, darüber hinaus jedoch ein weiteres Gebiet, auf dem die Wirkung deS tz 1 erst durch Ausführungsgesetz geregelt werden müsse Deshalb hatten die Nationalliberalen durch die Abgg. vr. Hieber und vr. Sattler den Zusatzantrag zu tz 1 einbringen lassen: „Der Erlaß von Gesetzen zur Aus führung des vorstehenden Grundsatzes ist bis zum Erlaß eines Neichsgcsetzes über Vereins- und Versammlungsrecht Sache der Einzelstaaten." Gestern begründeten nun die genannten Abgeordneten diesen Zusatzantrag besonders damit, daß ohne ihn durch den ß 1 Sachsen zu einer Revision seiner Gesetzgebung verpflichtet und Bayern zu einer Ab änderung seiner Gesetzgebung betreffs der Altkatboliken genöthigt werden würde. Gerade das wollte ja eben das Cenlrum erreichen. Da aber die deutsche Ncichepartei im „Toleranz"-Antrage über haupt einen unzulässigen Eingriff in die den Bundesstaaten ver bliebenen SouveränilätSrechte erblickte und der größere Tbeil der Deutschconservaliven wenigstens Bedenken gegen den tz 1 ohne den Zusatz Hieber-Sattler hegte, so mußte sich das Centrum bequemen, wenigstens etwas von diesem Zusatze in den Kauf zu nehmen. Dafür, daß die regierende Partei nicht den ganzen Zusatz zu schlucken brauchte, sorgte der Abgeordnete Ur. Oertel-Sachs en (!), der es fertig brachte, den Zusatz für ganz überflüssig zu erklären, an seiner Stelle aber in Compagnie des Cenlrumsabgeordneten Gröber einen anderen zu beantragen, der dem Centrum weniger unbequem war. Er lautet: „Unberührt bleiben die allgemeinen polizeilichen Vorschriften der Landes gesetze über das Vereins- und Versammlungsrecht." Der Abg. vr. Sattler kennzeichnete den Unterschied zwischen diesem und feinem eigenen Zusatzantrage treffend dahin, daß der erstere die besonderen örtlichen Bestimmungen aufheben wolle, durch die z. B. Proeessionen verboten werden. Aber das machte auf die Mehrheit keinen Eindruck. 8 1 wurde mit dem Anträge Grober - Oertel gegen die Stimmen der Nationalliberalen, der Reichspartei, der Socialdemokraten, einzelner Conservativer und des Abg. Prinzen Hohen lohe angenommen, der Antrag Sattler gegen die Stimmen der Nationalliberalen, der Reichspartei und des Abg. Prinz Hohenlohe abgelehnt. Eine praktische Bedeutung wird dieses Votum ja hoffentlich und voraussichtlich nickt gewinnen, da ter Bundesralh bisher keine Neigung gezeigt bat, dem „Tolecanz"-Antrage mit seinem Eingriff in die Rechte der E"-rsista.rlen in irg-nv einer Form zuzustimmcn. Aber Herr vr. Oertel wird wenigstens bei der Berathung des Branntweinsteuergesetzes Gelegenheit haben, die Herren vom Centrum an seinen guten Willen zu kleinen Gefällig keiten zu erinnern. Wie in Großbritannien die Gewerkvereine, so bestreben sich bei uns die socialdemokratischen Organi sationen die Arbeitsleistung der Arbeiter herab- ^udrücken. Angesichts der socialdemokratischen Maifeier, die ja auch dem erstrebten achtstündigen Arbeitstage gilt, ist cs von Interesse, darauf hinzuweisen, daß, wie der vormalige kaiserliche Gesandte ».Brandt in einem Aussatze „Die Krisis in der englischen Industrie" in der von Professor Jul. Wolff herauögegebenen Zeitschrift für Socialwffscnsckaft näher darlegt, in England von urtbeils- fäbigen Kreisen überwiegend dem Vorgehen der Gewerkvereine der Niedergang der britischen Industrie zur Last gelegt wird. Nach diesen Darlegungen ist das Bestreben der Gewerkvereine, für die Arbeiter eine Höchstleistung festzustellen, mehr und mehr zu einer planmäßigen und übermäßigen Herabdrückung der Leistungsfähigkeit der Arbeiter ausgeartet. Als be sonders charakteristisches, aber keineswegs eine Ausnahme bildendes, sondern beinahe typisches Beispiel der Wirkungen dieses Bestrebens wird angeführt, daß in dem Baugewerbe vor 30 Jahren noch 1200 Steine am Tage gelegt wurden, vor 20 Jahren 1000, jetzt aber die Durchschnittsleistung auf 400 Steine am Tage gesunken ist, ja in London in manchen Verträgen des Grafschaftsraths sogar nur eine Leistung von 330 Steinen auf den Tag ausbedungen wird. Aehnlich liegt cS in anderen Zweigen des Baugewerbes. Es liegt auf der Hand, daß bei einer solchen übermäßigen Verminderung der Arbeitsleistung die Concurrenzfäbigkeit der englischen Industrie gegenüber ihren ausländischen Mitbewerbern, vor allen Dingen der amerikanischen und der deutschen Industrie, bedenklich ge schwächt werden muß. Tbatsächlick sind denn auch bereits mehrere Industriezweige in England eingegangen, andere führen nur noch eine kümmerlicke Existenz und in manchen Fällen hält man sich nur nock durch Heranziehung auSländisckerArbeitSkräfte über Wasser. DaS sind schleckte Vorzeichen für den scharfen Wettkampf, der zweifellos in Folge der amerikanischen Aus dehnungsbestrebungen demnächst auf dem Weltmärkte bevor steht. Dieser Concurrenzkanipf wird Deutschland ebenso wenig wie England erspart bleiben, und Deutschlands Aus sichten in demselben hängen wesentlich davon ab, daß es den socialdemokratischen Organisationen nicht gelingt, die Arbeitsleistungen der deutschen Arbeiter soweit herabzu drücken, wie die englischen Gewerkvereine dies in Eng land durchgesetzt haben. Die energische Abwehr solcher Be strebungen liegt bei den Vortbeilen, welche die Arbeiter von der Erhaltung und Fortentwickelung der heimischen Production haben, nicht nur im Interesse der Unternehmer, sondern ebenso, ja in noch höherem Maße im Interesse der Arbeiter. Es zeigt sich daher wiederum, daß die Socialdemokraten, die sich selbst als die einzigen und wahren Vertreter der Interessen der Arbeiter hinzustellen belieben, in Wahrheit durch ihre Bestrebungen deren Interessen auf das Schwerste zu schädigen drohen. Wir glauben nicht, daß die der radikalen Regierung wohl gesinnten Blätter in Frankreich und Deutschland Recht daran haben, wenn sie über den unzweifelhaften Erfolg der Staatsstreich männer in Paris bei den eben beendeten Wahlen mit der Bemerkung Hinweggleiten, daß dieser Sieg des reactionären Elements durch die Niederlage der Nationalisten und Klerikalen in der Provinz wett- gemachl werde. Es ist zuzugeben, daß Paris heutzutage nicht mehr ganz so Herz und Haupt Frankreichs ist, wie es dies Jahrhunderte hindurch gewesen ist. Beweis dafür ist, daß die Provinz vielfach in politischer wie in künstlerischer Hinsicht (wir erinnern an die „kslidres" in Südfrankreich) sich anderer Meinung zu sein gestattet, als die Hauptstadt. Der dem Ergebnisse in Paris entgegen gesetzte Ausgang der Wahlen in der Provinz ist j^a neuerdings ein Beweis für die erwachende Selbstständigkeit der Provinz. Die Selbstständigkeit wisst aber nur für rudige und normale Zeitläufte zu. Bei revolutionären Be wegungen ist das Vorbild von Paris immer maßgebend ge wesen und wird es auch künftighin sein. Die große Revo lution nahm ihren Anfang von dem Bastillesturm in Paris; die Revolutionen von 1830, 1848 und 1870 gingen ausschließlich von Paris aus und das Land hatte sich der von den Parisern decretirten Veränderung der Staatsordnung einfach zu fügen. Die Art, in der Paris bei derartigen Anlässen sich als ganz Frankreich auffaßt, kommt am klassischsten vielleicht in der Proklamation der neuen republikanischen Regierung nach dem Aufstande vom 4. September 1870 zum Ausdruck. Die Revolution war, wie erwähnt, ausschließlich in Paris und von den Parisern gemacht worden, aber die Proklamation sagte: „Franzosen, das Volk hat die Republik verlangt. Die Feuilleton. A Der MUitärcurat. Roman von Arthur Achleitner. Nachdruck rcrdotcn. DicHäuscrin schlug dieHändc zusammen und jammerete: ..8snguo clvjla Alactollua! 8:>,ckenv! L m>poLsibilo! ^iemo! Wir haben kein Geld, Sardcne kosten zu viel!" Ernsthaft erwiderte Corazza: „Welche Mißwirthschaft! Bringe Trippe!"*) Dabei zuckte cs lustig in den Mund winkeln. „Trippe! Bei solcher Hitze! Hochwürden verlangen Unmögliches!" „Na, dann koche die ewige Polenta!" „Ist schon fertig, Hochwürden!" „Bravo! Kemprs polovts! Aber un kisseo vino karte, Teroldigo!" Wieder jammerte die Domestica über schlimme Zeiten und Geldmangel, sic wagte sogar, den gnädigen Herrn einen Verschwender zu nennen, der inmitten des Monats einen unerschwinglich thcuren Wein fordere. Nun schmunzelte Corazza und verlangte Jsera oder Barbera **), der Curat wollte die Domestica offenbar necken. Doch die Häuserin kannte die Art ihres seelenguten Herrn insoweit, als sie die Steigerung der geforderten Weinsorten nicht ernst nahm und eilig verschwand, um nach einer Weite auf einem Steinguttellcr die Portion trockener Polenta und eine Flasche gewöhnlichen Nothweins ans den Tisch -u bringen. „Lvocstlonti^imn!" rief Corazza, widmete, au den Tisch gehend, der Polcuta einen Blick, der gutmüthigcnSpott ver- rieth, roch an der Weinflasche und sprach schalkhaft vor wurfsvoll: „Domestica, Du panschest! Dieser Wein ist dünn wie Scewafser!" „Beim heiligen Kreuz, Hochwürden! Meinerseits ist kein Tropfen Wasser in den Wein gekommen! Starker Wein schadet auch dem gnädigen Herrn bei solcher Hitze!" „Schon gut! Abtreten!" *) Kuttelfleckc klein zerschnitten in Paradiesäpfeltunke. **) Köstliche, thenre Weinsorten des edelsten südlichen Gewächses. Nach dem Verschwinden der Häuserin setzte sich der Curat an den Tisch, verrichtete ein kurzes Gebet nnd ver zehrte dann die trockene Polenta so eifrig, als stünde das leckerste Gericht auf dem Tisch. Dazu ein Schluck des dünnen Landweines, und die Mahlzeit des genügsamen Priesters war zu Ende. Eben wollte Corazza mangels einer Zimmerglocke die Domestica durch einen Pfiff herbei rufen, da gellte die Glocke an der Wohnnngsthür, und ver wundert darüber, wer zu später Stunde nochEinlaß fordern könnte, horchte Hochwürden auf. Offenbar will eine Or donnanz mit dem Curaten sprechen, es klingen deutsche Laute herein und Fran Bcnattt sprudelt einen welschen Wortschwall hervor, anS welchem der deutsche Soldat nicht klug wird. Corazza tritt in den dunklen Flur und ruft: „Hierher, Ordonnanz! Was willst Du, mein Sohn?" Stramm schreitet der Kaiscrjäger heran, salutirt und meldet: „Zu Befehl! Im Lazareth liegt ein Mann schwer krank und bittet um den Besuch des Herrn Curaten!" „Schön, wie heißt der Mann?" „Zu Befehl! Der Schirhakl Muckl meint, er muß sterben!" „Wird hoffentlich nicht so schlimm sein! Ich komme sofort! Hast Du Durst, mein Sohn?" Der überraschte Soldat guckte, grinste dann und nickte, ohne seine stramme Haltung zu ändern. Schnell goß der gutherzige Curat ein Glas mit Wein voll und reichte eS dem Soldaten. „Zn Befehl! Mit Verlaub! Vcrgelt's Gott, Hoch würden!" Auf einen Schluck leerte der Soldat das GlaS und stellte es vorsichtig auf den Tisch. „Gescgne 's Gott! Ordonnanz, abtretcn!" Wieder erwies der Mann stramm die Honneurs und verließ dann die Wohnung des Geistlichen. Wie Corazza nun die Bluse mit dem schwarzen Gehrock vertanschte und die Dienstmütze forderte, begann die allzeit um ihren Herrn besorgte Wirthschaftcrin mit großem Eifer ans italienisch auf den Geistlichen cinznredcn und ihn zu er mahnen, den Hausschlüssel, das Taschentuch und dasWachö- kerzchen nicht zu vergeßen. Auch wollte die Domestica wißen, ob der Sagrestano wegen der Spendung des Sterbc- sacramentS verständigt werden müßte, und außerdem bat sic, cs möge Hochwürden nicht zu spat nach Hause komme». Corazza brummte, der langen Ermahnungen über drüssig, ein „Hei", steckte den Hausschlüssel ein und verließ die Wohnung. Die engen Gaffen deS Städtchens mußte der billige Mond zur Nachtzeit erleuchten, die Stadtver waltung sparte das Ocl, und da die Sichel Selcnens erst um Mitternacht hoch genug stand, blieb es dämmrig, ja ffnster in manchen Gassen, sofern nicht Lichtschimmer aus Osterien und Cafes herauSströmte und das bucklige Pflaster beleuchtete. Corazza will den armen Soldaten, der nach dem Priester verlangt, nicht nnnöthig warten laßen, und schreitet daher eilig den gntbckanntcn Weg zum Lazareth dahin; wo cs möglich ist und die HauSthürcn noch offen sind, benützt der Curat noch DurchgangShänser und kürzt dadurch die Ent fernung. Tic Dienstmütze veranlaßte manchen in der lauen Luft herumlnugerndcn „Patrioten" dem Wanderer das üb liche „Patatc" nachzurufcn, doch Corazza reagirte hierauf >'u keiner Weise, er lächelt nur darüber, daß die „freund lichen" Leute auch einen Landsmann verunglimpfen, weil der Wanderer die Militärmütze trägt. Im Lazareth angckommen, erhielt der Curat sofort vom anwesenden Regimentsarzt nähere Mittheilungcn über den erkrankten Soldaten, der die Nacht nicht mehr durchleben wird. Corazza gab daher Ordre, -aß der Sagrestan ver ständigt nnd der Curat selbst kommen werde, das Cibvrium aus der Kirche zn holen, dann aber begab sich der Curat in das Krankenzimmer, nm den Soldaten zu besuchen und vorzuberciten. Angst und doch wieder Freude kündete der Blick des armen Soldaten, als der Kranke den Priester eintretcn und zum Bett schreiten sah. Corazza nickte dem Manu liebreich zu und wollte eben zu sprechen beginnen, da richtete der Soldat sich trotz aller Schwäche auf und ächzte: „Hochwürden, hoam mücht' i!" Tiefes Mitleid erfaßte den Geistlichen, so oft der Curat schon Sterbenden den letzten Troff der Religion gespendet. Ter Todcscandidat hier hegt weniger Sorge vor dem Sensenmann, sein Herz, das in wenigen Stunden zu schlagen aufhören wird für immer, ist von Heimweh er füllt, von -er Angst, in fremder Erde begraben zu werden. Die Rührung niederkämpfend, sprach Corazza: „Lieber Freund, vertrauen Sie ans Gott! Will cs der Allmächtige, wird auch dieser Wunsch in Erfüllung gehen!" Leise antwortete der Soldat, dem das müde Haupt in die Kissen sank: „Ist recht, Hochwürden! Ich hab' all- ivcil gut und recht 'betet zum Herrgott! Aber dasmal läßt er mich im Stich! Hoam möcht' i, iu mein Berg- hoamatl!" Sterben muß i, das g'spür' i, dahoam möcht i etng'raben werden!" „Gedulde Dich, meiu Freund, im Vertrauen auf Gott! Verhalte Dich ruhig! Kann ich, Dein Seclenhirte, für Dich etwas thun? Willst Du Deinen Angehörigen eine Botschaft übermitteln, ich werde die Briefe in Deinem Namen schreiben und gern Alles nach Deinen Wünschen besorgen!" Ter Kranke flüsterte: „Meine Leut' sind schon alle g'storben!" „Du Armer! Lebt Niemand mehr, dem Du eine Nach richt zukommen lassen willst?" „Herr Curat!" „Sprich, mein Freund und Brüder! Dn kannst mir Alles anvertrauen, was Dein Herz bedrückt!" „Hochwürden scjn ein guter Herr und allweil Freund g'wcseu zu uns Soldaten!" „Gewiß! Ich bin ja auch Svldatenpsarrer, und gehör' zu Euch mit Leiv und Seele! Sprich offen, lieber Freund; sei versichert, cs wird kein Wort über meine Lippen kommen, von dem, was Deine Zunge mir anvertraut.". „I glaub's. Die Zcnzi —" „Dein Schatz wohl, nicht?" Der Soldat nickte und wimmerte dann: „Schimpfen L' mt nit, Herr Pfarrer!" „Aber nein, lieber Freund! Lei ohne Sorge!" „I hätt's ja gern g'hcirathet, bald ich von der Militär frei werd'! lind in der Uniform spart cs sich schlecht, die Löhnung ist so viel klein, hoam schicken hab' i schier nir können. Tas Mädel -erbarmt mir schrecklich, wird schlecht denken von mir. Grad' hoam möcht' i, nm Verzeihung möcht' i 's bitten und aftn lhcruachs stirb' i gern, wenn s der Herrgott so haben will. Können S' nit an' Herrn Kaiser telegraphiren, daß er mich auf vierzehn Tag' fort läßt?" Ein Bluthusten hinderte den Armen am Weiterspreche». Corazza holte einen Assistenten herbei, der dem Todes kandidaten Linderung zn verschaffen suchte. Als der Anfall vorüber war und der Hilfsarzt sich ent fernt hatte, begann -er Curat zu sprechen: „Gräm' Dich nicht, meiu lieber Freund! Reg' Dich nicht weiter auf! Nenn' mir nur die Adresse Deiner Zenzi, ich werde ihr Alles schreiben. Dich entschuldigen nnd rechtfertigen, und ein Sümmchen nur- sich finde», das wir -cm Mädel schicleu." „Bist ciu guter Herr, Hochwürden!" flüsterte der Soldat und nannte die Adresse, welche sich der Curat sogleich notirte.
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