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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.05.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020503020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902050302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902050302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-05
- Tag1902-05-03
- Monat1902-05
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Aunahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeige« sind stets an die Spedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 96. Jahrgang. Zur Frage des sächsischen Landtagswahlrechts geht unS beute von geschätzter Seite folgende Zuschrift zu: Sie haben in Ihrer Nr. 218 vom 1. Mai auS der Feder eine- Wähler- einen die Abänderung des säch sischen LandtagSwahlrechte- besprechenden Artikel gebracht, der sich, fall- die nationalliberal« Partei ihm zustimmen sollte, als ein politischer Mißgriff für sie erweisen würde. Bekannt ist ja zur Genüge, daß der Alt-ReichSkanzler von jeher in der offenen Stimmabgabe ein Correctiv der allgemeinen und direkten Wahl erblickt bat. Aber, si äuo taciunt ickem, non est ickem! Wenn Zwei dasselbe thun, ist es nicht dasselbe. Ein solcher Vorschlag mag für den weiteren Rahmen der Reichstagswahl am Platze sein und braucht deshalb für unsere Landtag-Wahl noch nicht zu paffen, und einen solche» Vorschlag mag eine Regierung von ihrem Standpunkte aus machen, der über den Parteien und der jeweiligen Zeitströmung stehen soll, aber darum wird er für eine politische Partei, die sich seiner anmaßt, zu keiner Politischen Leistung! Würde die nationalliberale Partei mit einem solchen Vorschläge der offenen Stimmabgabe vor daS Land treten, so wäre cS meine- Erachtens mit ihrem Ein flüsse bei dem GroS der Wählerschaften auf lange, lange Jahre hinaus vorbei. Warum? Weil dieser Vorschlag die ganze socialpolitische Entwickelung der letzten dreißig Jabre ignorirt. WaS hat unsere socialdemokratrsche Bewegung ent stehen lassen und groß gemacht ? Das bis zu einem gewissen Grade vollbegrüudete Empfinden in weiten Kreisen unseres deutschen Volkes, daß unsere sociale Entwickelung hinter der politischen zurückgeblieben war und daß die schönsten politischen Frei heiten nur auf dem Papiere stünden, wenn sociale Un gleichheit und Gebundenheit sie au-zuüben hindern. Unsere ganze socialpolitische Gesetzgebung zielt darauf ab, diesem Empfinden, soweit eS berechtigt ist und von Seiten deS Staate- geschehen kann, Rechnung zu tragen. Der Vorschlag aber muthet der nationalliberalen Partei zu, gerade den Puuct herauSzugreifen, an dem diese Differenz der politischen Freiheit und der socialen Hemmnisse in Ausübung der ersteren am drastischsten in die Augen springt: die Wahl frage! Ja dem weilen Rahmen der ReichStag-wahlen würde gewiß noch mancher Wähler trotz seiner socialen Abhängigkeit von einem Dritten den Muth der eigenen Meinung finden, weil hier noch allgemeinere Interessen obwalten. Aber eng im Raume stoßen sich die Sachen. Der Herr Verfasser deö Vor schlages mag sich mal selbst die Frage beantworten, auf wie weite Kreise der Wähler sein Vorschlag einen moralischen Druck legen und wie viele er von der Wahl zurückbatten würde? Außer selbstständigen Geschäftsleuten und unab hängigen Grundbesitzern würden wohl kaum Viele übrig bleiben! Ebenso gut aber, wie dieser moralische Druck zu einer Wahlcnthaltung auf Seiten einer großen Zahl Wähler führen würde, wäre er bei einer vielleicht noch eben so großen Zahl, auf denen daneben noch die sociale Abhängigkeit lastet, dazu angethan, zu einer Stimmabgabe wider Willen, d. h. zu einer direkten Wahlfälschung, zu führen. Also mit diesem Vorschläge möchte man sich die Sache Loch sehr überlegen. Uebcrhaupt ist e- um die verschiedenen Wahlsysteme ein eigenes Ding. Es soll das System noch gefunden werden, welche» von keiner Seite Anfechtung erfährt! Fest steht nur der «ine Satz: daß, je umfassender der Kreis einer Wahl ist und je mehr durch die Größe des Kreise« Gewähr und Ge legenheit geboten ist, daß die Interessengegensätze einander au-gleichen und paralysiren, desto freier da- Wahlsystem ge staltet sein kann, und umgekehrt, daß, je enger der Kreis wird und je unvermittelter die Interessen aufeinander stoßen, man auch den größeren Interessen ein ihrer Bedeutung angemessenes Gewicht zugestehen und einräumen muß. In diesem Mangel des Schutzes schwerwiegender materieller Interessen gegen eine Majonsirung und Vergewaltung durch dir Menge in unserem früheren Landtags- wie städtischen Wahlsysteme und in der vielleicht nicht ungerechtfertigten Befürchtung, daß eine solche Majorisirung Loch einmal einlreten oder wenigstens der Versuch einer solchen die Quelle langwieriger, den Organismus des Staates wie der Gemeinde erschütternder Parteilämpse werden könne, dürfte die Geneigt heit zu einer Aenderung dieser Wahlsysteme begründet ge wesen sein. Daß das Classenwahlsyslem als solches keine Garantie für conservative Wahlen ist und eine Partei als solche nicht vom passiven Wahlrechte ausschließl, beweist sowohl unser Stadlverordnetencollegium, wie es die Geschichte des preußischen Abgeordnetenhauses im Anfänge der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts be legt, wo dasselbe trotz des DreiclassenwahlsystemeS eine er drückende fortschrittliche Majorität hatte. Was die Social demokratie von unserem Landtage fern hält, ist nicht das Wahlsystem, sondern der geuieiniame Widerstand aller übrigen Parteien, den diese herauSgefordcrt bat. Wo die social demokratische Partei ausgetreten, hat sie sich stets allen anderen Parteien gegenüber gestellt, und wo sie je einen gewissen Ein fluß gewann, da trat ihr Bestreben zu Tage, auS andrer Leute Beutel die Volksbeglückerin zu spielen und aus andrer Leute Haut ihre Riemen zu schneiden! Das verträgt das große geduldige Publicum eine geraume Zeit, aber nicht auf die Dauer. Die mehr conservative oder mehr liberale Zusammen setzung einer Versammlung, wie es unser Landtag ist, hängt unsere- Erachtens nicht sowohl vom Wahlsysteme als viel mehr von den großen politischen Zeitströmungen ab. Jetzt hat eine mehr conservativ gefärbte Strömung noch das Ober wasser. Aus wie lange, da- ist die Frage. Zur Zeil steht z. B. der Stand unserer Gewerbtreibenden überwiegend im conservativen Lager, weil er wieder einmal in dem Innungs wesen das alleinige Heilmittel für alle Schäden des gewerb lichen Lebens erblickt und von Seiten der conservativen Partei die meiste Unterstützung für seine Auffassung erhofft. Die Zeit liegt noch nicht so lange hinter uns, da waren die Rollen vertauscht; da konnten unsere Gewerbtreibenden die Innungen als die Wurzel alle- U-bels nicht rasch genug aus der Welt schaffen. Als ihnen hierin Herr v. Beust mit unserem säch sischen Gewerbegesetze entgegenkam, welches den Innungen zu Leibe ging, hatte auch er sie auf seiner Seite, während sie in Preußen mehr auf liberaler Seite standen, da man dort dem Verlangen Rechnung zu tragen zögerte, bis die Reichs gewerbeordnung ihren Wunsch, wenn auch nicht in so weit gehender Weise wie unser sächsisches Gewerbegesetz, erfüllte. Ein jedes Ding hat seine Zeit, Hal seine Licht- und seine Schattenseiten. So lange das große Publicum nur die Vor- thcile einer Sache oder eines Principe- empfindet, hebt es dieselben in den Himmel; sobald es aber die Schattenseiten und Nachtheile derselben erfährt, erschallt das „Kreuzige" gegen deren Vertreter. Dieser Meinungsumschlag auch in rein materiellen Dingen gelangt in den politischen Wahlen zum Ausdruck und so schlägt bei ihnen das politische Pendel mal nach der einen, mal nach der anderen Seite. An der Weite de- Ausschlages hat man den Gradmesser für den Grad des Unbehagens, welche- sich der Bevölkerung in socialer oder politischer Beziehung bemächtigt bat, und eS wäre unseres Erachtens politisch unklug, dieses Ventil in der in Nr. 2l8 vorgeschlagenen Weise verstopfen zu wollen. Will man den Versuch unternehmen, diesem Pendel einen ruhigeren Gang zu geben und die politischen Anschauungen unseres Landtages mehr auf einer mittleren Linie zu halten, dann kann dies unserer Meinung nach nur nach der Weise des CompensationSpendelS dadurch geschehen, daß man eine Combination von politischer und Interessen - Vertretung an strebt, oder mit anderen Worten, daß man unseren Landtag nickt bloS aus politischen Wahlen hervorgehen läßt, sondern daß für einen Theil seiner Mitglieder andere Wahlkörper schaften thätig werden, für deren Erwählte nicht sowohl die rein politischen Gesichtspunkte, als vielmehr sachliche und wirth- schaftliche Interessen und Anschauungen bestimmend sind. Wir denken hierbei an die etwaige Wahl eines TheileS der Zweiten Kammer durch die Kreis-, Bezirks- und Gemeinde vertretungen, durch die Handels« und Gewerbekammern, den Landesculturratb, die landwirthschaftlichen Kreisvereine, die Berufsgcnossenschaften u. dgl. m. Ob Zeit und Verhältnisse zu einem solchen Experimente und nach so kurzer Dauer unseres jetzigen Wahlgesetzes schon angethan sind, möchten wir bezweifeln. Eine Aenderung in dem gegenwärtigen Systeme möchte aber schon jetzt spruchreif sein und zwar ist das die aus früheren Zeiten überkommene Scheidung zwischen Stabt und Land. Seit der Verab schiedung unserer Verfassung hat die Entwicklung, welche in gewerblicher und industrieller Beziehung unser Sachsen ge nommen hat, die Verhältnisse von Grund aus umgestaltet und den Unterschied zwischen Stadt und Land in einer Weise verwischt, daß man nur noch in einzelnen Strichen des Lan des von rein ländlichen Bezirken sprechen kann, wie sie die Verfassung im Auge gehabt hat. Eine Verbindung von Städten mit umliegenden Landgemeinden würde vielfach in sich homogencre Wahlbezirke zeitigen, al- wir sie jetzt haben, ohne daß jedoch damit eine Gewahr gegeben sein dürste, daß unser Landtag dadurch sofort ein total anderes Gesicht erhielte. , 2 Der Krieg in Südafrika. Kriegskosten. Nach der letzten Schatzung des Schatzkanzlers kostet England -er Krieg in Südafrika 222 974 000 Lstr. (4 459 480 000 ^), das ist dreimal so viel, als der Krimkrieg den Briten gekostet hat. Die Chauvinisten trösten sich damit, daß die Aufrechterhaltung der von den Boeren an geblich bedroht gewesenen Oberherrschaft Englands in Südafrika so viel werth sei. Zugegeben wird allerdings, daß die Kriegskosten durch „Mangel an Einsicht und Organisation ans Seiten des Kriegsministeriums" be deutend gesteigert worden seien. Nach einem Berichte des „Bureaus Reuter" auS St. Helena vom 9. April ist die Lage der Boerengefangenen daselbst keine günstige. Es fehlt an Lebensmitteln und im Lager von Dcadwood sind mehrere Fälle von Typhus vor gekommen. Zwischen Boeren und Ausländern fänden häufig Streitigkeiten statt, und die Behörden hätten 15 weitere Gefangene nach dem Fort High Knoll geschickt, wo auch Eloff und seine vier Genossen internirt sind. Diese Leute würden scharf bewacht; man gestatte ihnen „daun und wann", einen Spaziergang zu mache« oder zur Kirche zu gehen, aber immer unter Begleitung einer Wachtmann- schaft. General Cronje besucht immer noch, in Begleitung einer berittenen Wache, das Lager von Deadwood; er habe sich seine Gesundheit erhalten, aber seiner Frau gehe es gar nicht gut; sie zeige Spuren einer großen geistigen Depression. Zwei Skandinavier versuchten, an Bord eines norwegischen Schiffes zu entkommen, seien aber auf gegriffen nnd in das Lager zurückgeschickt worben. * Pretoria, 2. Mai. („Reuter's Bureau".) Oberst Barker meldet, daß am 80. April Manie Botha mit zwei Adju tanten und elf anderen Boeren 15 Meilen südöstlich von Franko fort gefangen genommen worden sei. Manie Botha ist ein Neffe des Generals Borha und De Wct's tüchtigster Lfficicr. politische Tagesschau. * Leipzig, 3. Mai. Gestern wieder ein beschlußfähiger Reichstag! Er war aber auch stolz darauf. Wenigstens die Brust des Abg. vr. Barth von der Freisinnigen Vereinigung schwellte dieser Stolz bei seinen Vorwürfen gegen die verbündeten Regierungen wegen ihres beharrlichen Schweigens auf den vor fast einem Jahre von einer großen Majorität deS Hauses angenommenen allgemeinen Diäten-Antrag. Freilich war gerade bei dieser Gelegenheit der Stolz nicht am Platze. Wenn eine parla mentarische Körperschaft gar kein andere- Mittel mehr sieht, der chronischen Beschlußunfähigkeit vorzubeugen, als die Einführung einer Entschädigung für die Pflichterfüllung, so hat sie wahrlich kein Anrecht darauf, sich zu brüsten. Be- klagenSwerth ist es ja, daß der BundeSrath auf die Be schlüsse des Reichstage- nicht selten ebensowenig achtet, wie auf da- Niesen einer Katze, und gewinnen kann Lurch eine solche Behandlung da- Ansehen des Reichstage- nicht. Aber wenn die große Mehrheit der Männer, die bei den Wahlen der Ehre halber um ein Mandat sich beworben und gekämpft haben, nach beendetem Kampfe an der Ehre deS Sieges sich genügen läßt und nur in den allerseltensten Fällen der über nommenen Pflicht gedenkt, so ist eS wenigstens nicht unbe greiflich, wenn der BundeSrath sich nicht beeilt, Stellung zu den Beschlüssen der Körperschaft überhaupt zu nehmen, ins besondere aber zu einem Beschlüsse, durch den die Körperschaft sich feierlich ein testimonium paupertatw ausstellt. Unangebrachter Stolz und Groll verdichteten sich bei dem Abg. vr. Barth und seinen FractionSgenossen zu dem Anträge, die Beschlußfassung über die Vorlage wegen Entschädigung der Mitglieder der Zolltarif-Commission so lange auSzu- setzen, bis der BundeSrath zu dem ReichstagSbeschluß vom 10. Mai 1901 betreffs Einführung der allgemeinen Diäten Stellung genommen habe. Aber die Mehr heit deS Hauses hatte wohl da- Gefühl, daß sie bei der Seltenheit ihres Zusammenkommens dem BundeSrathe nicht imponiren und ihn zu einer schleunigen Stellungnahme zu dem allgemeinen Diälenbeschlusse nötbigen könnte; und da sie deS Zolltarifs halber wenigstens die Entschädigung für die CommifstonSmitglicder retten wollte, so verwarf sie mit 158 gegen 91 Stimmen den Antrag Barth. Ein an derer Antrag des Socialdemokraten Albrecht, an die Stelle der Vorlage ein DiäteneinführungSgesey (20 Feuilleton. 3j Der Militarcurat. Roman von Arthur Achleitner. Naiddruck vkrtolen. Sternburg promenirte unter den Oelbäumen im Vor gefühl eines tommenden Abenteuers und zwirbette sich den braunen Schnurrbart auf, um sich ein noch schneidigeres Aussehen zu geben. Was kann dem feschen Leutnant auch passtren? Verboten ist die Landung nicht, denn es steht keine Warnungstafel am Ufer. Eine Promenade im Park kann den Kopf nicht kosten, selbst dann nicht, wenn der Glückliche des Anblicks der blonden Italienerin theilhaft werden sollte. Und wenn der Zufall besonders gut ge launt sein sollte, konnte sogar ein Anfenthalt im wunder- bur gelegenen Seeschlotz möglich werden. Im Ausspinnen solcher Gedanken machte Baron Sternburg plötzlich Halt, er erinnert sich jäh der gespannten leidigen Verhältnisse zwischen den Signori „Patriott" und dem im Süden cxtlirten Militär, und hält es nun selbst für undenkbar, mit den welschen Besitzern des Schlosses in Fühlung zu kommen. Fast reut cs Sternburg, den Park betreten zu haben, und einen plötzlichen Entschluß fassend, tritt er den Rückweg an, um auf der Landzunge seitlich des Schlosses an daS eigentliche Gceufer zu gelangen und z» Fuß nach Rasso zu wandern. Gedacht, gethan, doch am nächsten BoSkett hemmt der Anblick der blonden Donna den Schritt; Stcrnburg richtet sich auf, salutirt, das Auge schwimmt in Seligkeit und gar wundersame Gefühle durchziehen daS junge Leutnantsherz. Die junge schlanke Dame mit dem entzückenden Blond haar erhob sich, dankte für den ehrerbietigen Gruß mit Grazie und echter Vornehmheit in einem Italienisch, das Sternburg für reines Toskanisch halten zu müssen glaubte. Die junge Dame schien keineswegs von dem Eindringen deö Besuchers überrascht, eher angenehm, weil Zer streuung bringend, berührt zu sein, und fragte, ob -er Signor wünsche, sich La Rocca zu besehen. In Gedanken sagte Sternburg nur zwei Worte: „Und ob!", laut aber versicherte er, daß ihn die Erlaubnis be glücken würde, voranSgeseüt, baß die Besichtigung des zauberischen Seeschlosse» für die erlauchten Bewohner keine Belästigung involvire. Zugleich stellt« sich Stern burg der eleganten Dame vor. „Giustina Gravina!" nannte die Blondine ihren Namen, fügte aber nichts Näheres bei und reichte dem Be sucher die Hand, die Sternburg, trotz der in militärischen Kreisen üblich gewordenen Aechtung deö alten Handkuß brauches, ehrerbietig küßte. Eine graziöse Handbewegung der Dame lud zum Ntederlassen au ihrer Seite ein, und als Lternburg in einem Gartenfauteuil Platz genommen, fragte die Blon dine, wo der Baron in Garnison stehe und ob er das erste Mal den Ausflug nach La Rocca gemacht habe. Etwas langsam gab Stcrnburg Antwort, er fühlte sich einer wirklichen Italienerin, die reines Toskanisch spricht, gegenüber unsicher und schämte sich seines eigenen, etwas holperigen Italienisch. Liebenswürdig wechselte die Dame das Idiom und bat, falls cs dem Herrn Baron angenehmer sein sollte, die Conversation französisch führen zu dürfen. Sternburg's „Äeroi" klang geradezu freudig und munter plapperte -er vom Schnauzbart beschirmte Mund in gallischer Sprache, wobei der Leutnant des Sprachlehrers am Theresianum gedachte, dem ein erträgliches Französisch zv denken ist. „Wie finden Herr Baron La Rocca?" „Reizend! Ein ideal gelegenes Schloß in herrlicher Umgebung! Man wäre versucht, an Dornröschen zu denken, wenn die Burg von Dornhecken umwuchert wäre, statt der südlichen Schlingpflanzen!" „Dornröschen? Wer ist das?" Nichts konnte dem jungen Schwerenöther erwünschter sein, als nun eine schwungvolle Schilderung Dornröschens zu geben und der reizenden Dame das deutsche Märchen zu erzählen, wobei die Gelegenheit zu günstig ist, um nicht fcurig zu erklären, daß La Rocca ein italienisches Dorn röschen besitze. „O, Sic schmeicheln wie ein Franzose! Es ist wohl ein Naturipiel, daß ich deutschblondes Haar habe, doch von einer Märchenprinzessin besitze ich nichts, gar nichts. Bin auch nicht verzaubert, nur gewissermaßen eine Gefangene in diesem langweiligen Schlosse!" „Eine Gefangene?" „Ja, doch kann sich nicht mehr darüber sagen; die Ver hältnisse zwingen mir das Schweigen hierüber auf. ES soll uns das aber nicht hindern, einige frohe Augenblicke zv genießen, und noch am Vormittag den AuSsichtsthurm zu besteigen, falls Herr Baron einen Blick auf die firn gekrönten Berge werfen wollen." Wenn Sternburg in diesem Augenblick schnell gewußt hatte, was „Donnerwetter" auf französisch heißt, würde er ccn Kraftausdruck gebraucht haben. Schöner hätte man nicht in ein interessantes Abenteuer htneinkommen können. Eine reizende „Gefangene" von hoher Distinctton, geheim- nißvolle Verhältnisse, die Bereitwilligkeit, mit einem so zusagen hereingeschneiten jungen Leutnant einige frohe Augenblicke genießen zu wollen — Herz, was begehrst Du noch mehr! Und die Kletteret auf einen AuSsichtsthurm an der Seite einer entzückenden Mädchenblume ist auch nicht zu verachten. ,„Haben Herr Baron keine Lust zum Klettern?" fragte die Blondine schelmisch. „O, Gnädigste, mit Ihnen klettere ich wonnig in den Himmel!" „Ohne Leiter?" „Auf Flügeln der " Sternburg sprach nicht weiter, da er doch nicht gar zu kühn vorgehen wollte. „Vorher werden wir uns aber stärken. Wollen Mon sieur die Marcnda mit mir theilen?" „Oou molto piacero, nvoe plaisir!" „Also sind Herr Leutnant hungrig! Und ich plaudere grausamer Weise die längste Zeit! Nein, La Rocca soll kein Hungerthurm werden, das Schloß hat genug -er Opfer und soll dem Empcrcur d'Autriche keinen Officier rauben. Wollen wir im Park oder im Schlosse speisen, Herr Baron?" „Wo Gnädigste befehlen. Ich werde mich überall wie im Himmel fühlen!" „Jubeln Sie nicht zu früh! Wer kann wissen, ob nnsere Marcnda nicht mit Schrecken endet! Gift und Dolch waren in La Rocca oft genug zur Handl" „Huhn!" lachte Sternburg. Belustigt stimmte auch die Dame in daS Lachen ein, erhob sich nnd bat um den Arm des BaronS. „Wir haben gut ein Stündchen für unS, -er Graf ist erst auf Mittag angcsagt!" Diese Aenßerung erzeugte in Stcrnburg doch ein ge wisses Unbehagen und deutete unzweifelhaft an, bah man sich vor der Ankunft des Genannten zu verflüchtigen habe. Doch wozu an die Zukunft denken, wenn die Gegenwart so angenehm ist. Die Gnädige schritt an Sternburg's Seite elastisch und ohne Ziererei, mit völligem Ver- trauen auf den chevaleresken Charakter deS Officters, Arm tu Arm und plauderte unbefangen, froh über den un» erwartet gekommenen, angenehmen Besuch. Auf der Freitreppe kam der Castellon dem schmucken Paare entgegen und vor Staunen, die Gnädige an der Seite eines Officiers zu sehen, riß der alte Mann Mund und Augen weit auf, und vergaß sogar die pflichtschuldige Reverenz. „Pietro! Sage der Zofe, daß sofort die Marcnda im blauen Zimmer scrvirt werde, zwei Gedecke, hörst Du?" rief die Dame. „Sehr wohl, gnädige Frau Marchesa!" stammelte der Castcllau, warf noch einen Blick maßlosen Erstaunens auf de«-Officier und trippelte dann ins Schloß. Stcrnburg gab cs einen Ruck, als er hörte, daß die schöne Dame eine Marchesa, verheirathet sei, und im Nu wirbelten die Gedanken durcheinander, ganz sonderbare Gedanken. Hat die Gnädige nicht von einem Grasen ge sprochen, dessen Ankunft auf Mittag angesagt ist? In welcher Beziehung sieht dieser Graf zur Gnädigen? Ge mahl kann der Cvnte nicht sein, denn dann wäre die Gnä dige eine Gräfin, nicht eine Marchesa. „Warum so nachdenklich auf einmal, Herr Baron? Fürchten Sie sich wirklich, mit mir zu speisen? Nur un besorgt, ich werde von jeder Speise vorher kosten, ob sie wirklich giftfrei ist!" Ein munteres Silberlachen folgte dieser Bemerkung. „ O nein! Gnädigste Frau Marquise sehen mich nur etwas überrascht!" „Weshalb? Was erregt Ihre Verwunderung?" „Ich vermag mir nicht zusammenzureimen — doch pardon, es liegt mir fern, mit meinem Wissensdurst, der nur aufdringliche Neugierde ist, lästig zu fallen!" „Ach ja, ich sagte vorhin, ich sei eine Gefangene auf La Rocca, und der Graf werde erwartet. Nun hörten Sic soeben, -aß -er erschrockene Castellon mich als Frau Marchesa ansprach, und Ihr Denken conccntrirt sich auf die Frage nach dem Gemahl, nicht?" „Frau Marchesa können wahrhaftig Gedanken lesen!" rief überrascht Sternburg aus. „Das zu errathcn ist nicht schwer! Doch bitte ich, vom Gatten weiter nicht zu reden. Aber nun ernsthaft zu Tisch, sonst fordert La Rocca am helllichten Morgen dock ein Opfer!" Die Marchesa stieg, den Arm Sternburg's frei gebend, die Treppe hinan, der Leutnant folgte ihr in einiger Verblüffung. Eine allerliebste Zofe, gleich der Herrin echt italienischer Typus, doch mit rabenschwarzem Haar und gelbblassem Teint, servtrtc alsbald ein kaltes Frühstück mit Weißwein, entfernte sich aber, als die Herrschaften zu speisen begannen. Lternburg war zu sehr in den Anblick feiner entzücken den Partnerin vertieft, bewunderte das dunkle, feurige
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