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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.05.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020505017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902050501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902050501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-05
- Tag1902-05-05
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Auzeigen-Preis die Sgespallene Petilzeile 25 Reelamen unter dem RedactionSstrich (Sgespallrn) 75 vor den FamUiennach- richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Zisfernsatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme L5 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördernug X SV.—, mit Postbeförderung 70^—. ÄnnahMschluß für Anzeigen: Abend-AnSgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgeu-AuSgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expeditton zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 6 bi- Abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 96. Jahrgang. Nationalliberaler Landesverein für das Königreich Sachsen. i. * Leipzig, 4. Mai. Die Vorversa m m lnng, die gestern Abend die für heute in Aussicht genommene Haupt- veiffammlung des Nationalliberalen Vereins für das Königreich Sachsen einlcitete, hatte sich eines so starken Besuches -n erfreuen, -aß -er Gartensaal des Zoologischen Gartens dicht besetzt war. Aus allen Theilen des Landes waren die Vertreter der Partei zusammengeeilt, um sich in Leipzig, dem Sitze des Vorstandes zu ernster Arbeit zu ver einen. Auch die hiesigen Parteimitglieder waren zahlreich vertreten und so entwickelte sich schon vor Eröffnung der Versammlung im Saale ein reges Leben. Von den nahe stehenden Parteien hatten die konservativen in den Herren Geh. Hofrath Landtagsaba. I)r. Schober, Pro fessor vr. Steffen und Redacteur Scyferth, die deutschsoeiale Reformpartei in den Herren Stadtrath Listing, Rechtsanwalt Schnaub und Architekt Mcy - rose Vertreter entsendet. Ferner waren für den All deutschen Verband die Herren Kaufmann Zeih und vr. Schmiedt erschienen. Gegen Uhr eröffnete der Vorsitzende des Landes vereins, Herr Justizrath vr. Gensel, die Versammlung mit etwa folgenden Worten: Hochgeehrte Herren! Ich habe die Ehre, im Namen des Vorstandes des National liberalen Vereins im Königreich Sachsen Sie hier will kommen zn heißen. Mein Willkommengrutz gilt im Be sonderen den Vertretern -er verbündeten Parteien. Wir sind gewohnt, hier in Leipzig bei den Wahlen zusammcn- -ugrhen, und so meinen wir, daß es ihnen recht sein wird, den Bericht über die politische Lage im Reiche hier mit zu hören. Herr Neichstagsabgeordneter Professor ttr. Hasse ist leider erkrankt und deshalb am Sprechen verhindert, aber umsomehr bin ich erfreut, daß er doch erschienen ist. Hierbei sei gleich des in Leipzig verbreiteten Gerüchtes Er wähnung gethan, daß Herr Professor I)r. Hasse für die nächsten NeichStagswahlen als Candidat vom Partetvor- stande sollte fallen gelassen werden. Eine unverschämtere Lüge ist mir, so kann ich wohl sagen, und das sei vor der Oeffentlichkeit festgestellt, noch nicht vorgekommcn. Wir hoffen, ihn noch recht lange unfern Vertreter ncnnncn zu dürfen. Redner begrüßte dann noch mit herzlichen Worten den aus Berlin erschienenen bewährten nationalliberalen Reichstagsabgeordneten Geh. Regirungsrath Professor vr. Paasche und ertheilte ihm dann zu dem zugesagten Vorträge über die tnnerpolttische Lage im deutschen Reiche das Wort. Der Genannte führte in einstündiger Rede hierüber etwa Folgendes aus: Es sei ihm der ehrenvolle Auftrag geworden, über die innerpvlitische Lage hier zu sprechen. Solle man über dieselbe ein Urtheil fällen, so lasse sich dieses dahin zu sammenfassen, daß diese Lage eine wenig geklärte und wenig angenehme sei, denn die nationalliberalen Elemente verfügten nicht über den Einfluß, der ihnen für die Ent wickelung des Reiches zu wünschen wäre. Diesen Einfluß zu erreichen, müsse daS Ziel der Partei sein. Er wende sich nun bei Betrachtung der innerpolitischcn Lage zunächst wirtschaftlichen Fragen zn, denn mit solchen beschäftige sich heute das Land zumeist. Im Vordergründe des Interesses stehe die Zolltarifvorlage, aller dings nicht mehr in der Weise, wie das zuerst der Fall ge wesen sei. Man habe sich zu einer gewissen Resignation be quemen müssen und sehe nunmehr mit Geduld dem Ver laufe der Dinge entgegen. Dabei sei immer noch nicht ab- znsehcn, wie die Entscheidung fallen werde. Bon funda mentalster Bedeutung sei nun die Frage, o b etwas zu Stande komme und wiees zn Stande komme. Das o b sei beinahe von noch größerer Wichtigkeit als das wie, denn sollte gar nichts zu Stande kommen, so würde der Parla mentarismus damit geradezu seinen Bankerott erklärt haben. DaS müsse allen Denen immer und immer wieder zu Gemllthe geführt werden, die, ohne den extremen Richtungen anzugchören, doch meinen, ein nützliches Werk zu thun, wenn sie die Vorlage zu Falle bringen. Sie denken nämlich, bei den künftigen Wahlen etwas gewinnen zu können. Das sei eine ganz falsche Rechnung,- den Ge winn hätten sicher nur die radicalen Parteien, denn der Respccl vor der Volksvertretung würde bei einer solchen Banlerotterklürung, wie sie im Nichtzustandc- kommcn der Vorlage läge, in weiten Kreisen total schwin den, ui, dav könnte nur von Gewinn für die Gegner des Reiches in seiner heutigen Gestalt sein. Gewiß, die Minder heit müsse gehört werden, sie müsse Gelegenheit haben, ihre tteberzeugung zum Ausdruck zu bringen, aber sie müsse sich auch, wenn sie Minderheit bleibe, der Mehrheit fügen. Man brauche, wenn nichts zu Stande komme, keine Ge spenster an die Wand zu malen, etwa einen Staatsstreich zn fürchten und dergleichen mehr. Daran glaube er nicht. Aber -er ganze Parlamentarismus Hütte damit auf lange Zeit ausqespielt, und das würde von unabsehbarem Schaden für die Zukunft sein. Er wende sich nun dem zu, wie etwas zu Stande komme. Man habe die Vorlage eine agrarische genannt, namentlich sei das vom Eentrum ans geschehen. Er wolle hier keine genaue Untersuchung darüber anstelleu, aber es sei seine feste tteberzeugung, daß sich in weiten Theilen Deutschlands die Landwirthschaft in einer Nothlagc be finde, einer Nothlagc, der abgeholfen werden müsse. (Zu stimmung.) Nun sei bekannt, daß die Forderungen ein flußreicher Parteien vielfach über die Vorlage hinaus gehen, besonders im Punctc der Minimalsätze. Vom Reichskanzler sei hierzu kürzlich erst in Düsseldorf, und vom sächsischen Minister v. Metzsch im Landtage in der be stimmtesten Weise erklärt worden, daß die verbündeten Ne gierungen in diesem Punctc über die Vorlage nicht hinaus gehen werden. Er brauche nun weiter kaum zu betonen, daß es die Gesammtwohlfahrt -cs deutschen Reiches er fordere, langfristige Handelsverträge abzuschlicßen. Die Regierungen erklärten, solche nur auf der Basis der Mini- malsütze erreichen zu können. Trotzdem sei bet den Mehr- fordernngen beharrt und in den Commissionen seien solche beschlossen worden. Wenn nun auch eine Regierungsvor lage gewöhnlich kein voll wo tangoro sei und er selber gern mehr erreicht hätte, so könne es bei dieser Sachlage für die nationalliberale Partei nur eine Richtschnur geben: das Eintreten für die Minimalsätze der Regierungsvorlage. 9kur auf dieser Grund lage, daS sei klar erkennbar, laste sich eine Gestaltung der Dinge erreichen, die der ganzen Nation Nutzen bringe. Nun sei gesagt worden, daß Diejenigen, welche zu diesen Sätzen -er Regierungsvorlage stehen, keine Freunde der Landwirthschaft seien. Er frage: wer sei der wahre Freund der Landwirthschaft, Derjenige, der das Erreichbare nehme, wenn es besser als das Vorhandene sei, oder Derjenige, der -'s zurückweise, weil es ihm nicht genug sei, und der nun die Landwirthschaft im alten Nothstande lasse? (Bewegung.) Sicherlich werde ihm Jeder zustimmen, daß, wenn cs nicht gelingen sollte die Zvllvorlage im jetzigen Parlament durchzubringen, dann in einem künftigen Parlament die Opposition nur noch größer werden würde, und man dann n'.cht einmal das jetzt von der Negierung Ausgestellte durch bringen könnte Gerade die Landwirthschaft würde dann auf lange Jahre hinaus den meisten Schaden haben. Er glaube, die Nation illiberale Partei st ehe auf dem rechten Boden, wenn sie das Er reichbare jetzt durchzubringen suche. (Bravo.) Die letzten Wahlen in Saarbrücken nnd Celle-Gifhorn dürften übrigens gezeigt haben, daß die Haltung der na tionalliberalen Partei in weiteren Kreisen mit Verständnis? ausgenommen worden sei. Hierin sei wohl ein Beweis da für zu erblicken, daß die Partei auf dem rechten Wege sich befinde. Was nun die i n du str i e l l e n Zölle betreffe, so stehe er auf dem Standpunkte, daß das Mögliche erreicht werden müsse. Nun, sei mau in -er Commission, nament lich von socialdemokratischer Seite, eifrig bemüht, die von der Regierung in dem autonomen Tarife auf Verlangen der industriellen Kreise vorgeschlagenen Sätze auf die Hohe des jetzigen Tarifes zurückzuschrauben. Jeder Unbefangene werde aber zugeben müssen, daß man zu neuen, für die In dustrie und die Bevölkerung günstigen Handelsverträgen nur gelangen könne, wenn man Sätze aufstelle, von denen man erforderlichen Falles etwas ablasten könne, um seinen Willen an anderer Stelle durchzusetzen) denn nur auf diesem Wege werde cs möglich sein, Vertrüge ohne Schaden für uns selbst abznschlicßen. Die Opposition vergesse ganz, daß es sich für uns darum handele, unsere Industrie vor über mächtiger ausländischer Concurrenz zu schützen. Als der größte Concnrrent komme Amerika in Betracht. Die Ver einigten Staaten haben es vorzüglich verstanden, ihre In dustrie durch kolossale Schutzzölle in die Höhe zu bringen. Wir unsererseits werden nie Zölle in dieser Höhe ein führen, aber daß wir uns mit dem zehnten Theile der Zölle begnügen, die Amerika von uns erhebt, das sei doch zu viel verlangt. Nun werde eingewcndet, wenn wir erhöhten, würden es auch Andere thun. Dem müsse entgegnet werden, daß Deutschland auf dem Weltmärkte doch eine Macht repräscn- tire, und daß man die deutschen Abnehmer sehr wohl brauche. Er müsse leider der Meinung Ausdruck geben, daß der deutsche Reichskanzler bei solchen Tarifsätzen, die als Compensationssätze aufzufassen seien und die nicht, wie die Minimalsätze, eine Erhöhung schlechterdings nicht ver trügen, viel zu viel Rücksicht auf das Anöland nehme, zum Nachthcilc der deutschen Vertragsunterhändler. (Sehr richtig!) Es wäre zu wünschen, daß in dieser Hinsicht die verbündeten Negierungen viel mehr ihre eigenen Wege gehen, als bisher. ^Zustimmung.) Auf der Heimaths- politik müsse sich die Weltpolitik aufbauen, das werde eine gesunde Entwickelung für die Zukunft verbürgen. (Beifall.) Eiu schweres Stück Arbeit stehe noch bevor, denn noch nabe die Zolleommission nur einen verhältnitzmäßig kleinen Theil der Vorlage bewältigen können. Und die Arbeit sei -sine hochvcranwortungsvolle, wenn man das Wohl Aller in Einklang bringen wolle. Wenn da noch bet den nun ge botenen Entschädigungen von „Accordarbett" und dergl. geredet werde, so sei das gerade kein glänzendes Zeugniß für die politische Einsicht. Daß für diese Mühe, die von den Mitgliedern der Commission gefordert werde, eine Ent schädigung gewährt werde, sei nur angemessen, und des halb habe auch die Partei für die Commissionsdiäten ge stimmt. Er wolle nun noch auf besonderen Wunsch auf die Zucker-undSpiritussteuer eingehen. Vor Allem wolle er betonen, daß eS sich hierbei um keine Ertrags stenern handele, sondern in erster Linie um die Regulirung der heimischen Industrie handele. In dem neuen Gesetze über die S p ir i t n s st e u er seien Bestimmungen ent halten, die dazu führen sollen, die Spiritnsindustrie in sicherere, geregeltere Bahnen zu lenken. Jeder wisse, daß bisher der trinkbare Branntwein sehr hoch besteuert war, namentlich, um dem Alkoholmißbranch entgegen zu treten. Daß aber hohe Steuern die Ausfuhr hindern, brauche er nicht erst zu beweisen. Wenn sich nun in Folge verminderter Ausfuhr die erzeugten heimischen Mengen gehäuft hätten, so müsse erst oeder eine gewaltige Einschränkung der Pro duction folgen, oder ein stärkerer Verbrauch des Spiritus zn gewerblichen Zwecken herbeigeiührt werden. Die Re gierung wolle deshalb, da die Einschränkung der Pro duction eine Grenze habe, den Weg beschreiten, den gewerb lichen Spiritus geringer zu besteuern, damit er im Lande mehr Verwendung finde und im Anstande concurrenz- fähig sei, und auch auf den Trinkbranntwein die Steuer so zu legen, daß er verkäuflich bleibe. Leider sei die Re gierungsvorlage abgelehnt worden, und es sei nur ein Flickwerk zu Stande gekommen. Der Nothlagc der Spiri tus-Industrie sei also nicht abgeholfen worden. Aber wir brauchen, drS sei nicht zu bestreiten, ein Gesetz, das die Spiritusindustrie bestandfähig erhalte, denn sonst würde in vielen Bezirken geradezu ein Rückgang im allgemeinen Wohlstände eintreten. Und das werde doch Nieman- wollen. Anders stehe es mit der Z u ck e r ste ü e r. Deutschland sei heute der erste zuckerprvducirende Staat. Aber auch vier seien w.r gegen früher zu einem Stillstände gelangt, und zwar in Folge wachsender Ueberproduction des In landes uno des Auslandes. Das habe zu großem Preis stürze geführt. Diesen konnten wir, trotz des großen Aus falles der Einnahmen auf dem Weltmärkte, noch ertragen, weil eine Ausfuhrprämie gezahlt wurde. Dieses Prämien wesen, in dem die prvducirenden Länder einander Ober boten, muß nun fallen. Damit höre aber die Concurrenz- fähigkcit dem Auslände gegenüber vollständig auf. Keiner vermöge zu leugnen, daß eine solche Prämienwirthschaft, wie sie jetzt die meisten Staaten haben, auf die Dauer keinen Erfolg habm könne, aber in einer wirthschaftlich so schwie rigen Zeit, wie gerade jetzt, die Prämie abschaffen zu wollen, sei doch im höchsten Grade bedenklich. Dazu komme, daß andere Länder, wie Frankreich, noch viel höhere Prämien zahlen, das könne auch nicht mehr lange dauern, denn schon stehe Frankreich am Rande seines Könnens. Allein wir selbst können nur dann vorgehen, wenn das von Anderen geschehe. Sonst schaden wir uns in hohem Maße. Die Vorlage, wie sie jetzt die Regierung vorgclegt habe, müsse deshalb in ernstester Weise geprüft werden, denn die Verantwortung vor der heimischen Industrie sei eine ganz außerordentliche. Er befürchte nicht, daß die Zuckerindnstrie zu Grunde gehen werde, aber gleiche Waffen wüste in dem Kampfe ein Jeder führen. Bei einem solchen Kampfe werde, namentlich wenn man den heimi schen Markt durch geeignete Maßnahmen mehr erschließe, unsere Zuckcrindustric gewiß glänzend bestehen. Er habe, so schloß der Redner, zu seinem eigenen Be dauern meist von wirtschaftlichen Dingen sprechen müssen. Gewiß seien die Zeiten ernste gewesen, gerade auch hier in Leipzig, aber darüber brauchen wir den Kopf nicht zu ver lieren. Der Deutsche sei so geartet, daß er mit einem tüchtigen Wissen ein tüchtiges Können verbinde. Mit solchen Eigenschaften ausgerüstet, werde der Deutsche auf dem Weltmärkte seine Position immerdar behaupten, wenn er fest im heimathlichen Boden selbst wurzele. Er könne nur nochmals sagen: ans der Hcimathspolitik müsse sich die Weltpolitik aufbauen. Darum müssen wir über alles Andere die Pflege des nationalen Gedankens setzen. Noch strebe der deutsche Aar aufwärts, und wir brauchen wahr lich nicht zu befürchten, daß cs anders kommen könnte, wenn wir selbst Alles thun, um einen solchen Flug zu be günstigen. Geachtet werdenwirdann in aller Welt dastehen, und das sei auch Alles, was wir als patriotische Männer wollen. (Allseitiger, minutenlang anhaltender Beifall.) Herr Justizrath I)r. Gcnscl dankte mit warmen Worten. Es sei ihm Herr Prof. Di-. Paasche als guter Redner längst bekannt, allein die heutigen Ausführungen wären so treffliche gewesen, daß er noch seinen besonderen Dank an dieser Stelle mit Freuden bekunden wolle. Es nahm nunmehr unmittelbar der C o m m ers seinen Anfang. Derselbe wirrde eingeleitet mit dem allgemeinen Gesänge des Liedes „Sind wir vereint zur guten Stunde", worauf der Vorsitzende das Wort ergriff, nm in altge wohnter Sitte zuerst den Kaiser- und KönigStoast auszu bringen. Wir haben heute, so sagte Herr Oe. Gcnsel, ans beredtem Munde gehört, daß noch so Vieles in der Ver tretung des deutschen Volkes zu wünschen übrig bleibe. Er wolle zn dem, was erwähnt worden sei, auch noch den „Toleranzantrag" hinzufügen, den ciu anders zusammen gesetzter Reichstag wohl von vornherein abgelchnt hätte, denn sei auch so Manches geändert worden, so bleibe in diesem Ccntrumsantrage doch noch genug übrig, was Ge fahr bringen könne. Seinen Halt erblicke das deutsche Strohfeuer. Novelle von Aubry-Vszan. Aus dem Französischen von Gustav Leon Melden. Nachdrua vcr^otcii. I. Als Charlie Fremcy am Casino vorüberging, richteten sich seine Augen unwillkürlich auf den Anschlagszettel, der in der frischen Seebrise an der Gtttcrthüre flatterte; un beirrt Anblick der Namen, oder vielmehr des Namens, der in riesigen Lettern auf dem strohgelben Papiere prangte, kam ein Ausruf unangenehmer Ueberraschung und leb haften Mißvergnügens über seine Lippen. „Alle Wetter! .... Welch' eine vertrackte Idee von diesem Daltert, hier zu singen!" In der That kündigte das Programm mit einem großen Aufwand schmeichelhafter Worte an, daß der zur Vtlleggia- tnr in O. eingetroffene berühmte Tenorist Felix Dalieri eingcwtlligt habe, sich am selben Abende im Casino hören zu lasten, „zur größeren Unterhaltung der Badegäste" — und auch, so hätte man hinzufügen können, zu seinem größeren Bortheill Denn Dalieri, das war bekannt, ver stand sich ebenso gut auf seine Interessen, als auf seinen Gesang. Charlie's Gesicht wurde immer finsterer, während er langsam die Stufen -es CasinoS hinanstieg, um sich zu er kundigen, ob Herr Leighton sür die Abendvorstellung für sich und seine Tochter Plätze bestellt hatte. „Herr Leighton hat deren drei belegen lasten, mein Herr." „Schön, ich danke." Charlie fragte sich nicht erst, für wen dieser dritte Platz bestimmt war. Er wußte sehr wohl, daß er ihm zugedacht war. ES war das eine Aufmerksamkeit des Herrn Leighton, der den Wunsch hegte, ihn das Herz der sehr unabhängigen Annie erringen zu sehen. Er kehrte dem Casino den Rücken und schlug, in nicht weniger als freundliche Betrachtungen versunken, den schmalen Weg ein, der längs der Küste nach der Villa Letgh- ton führte. Da drüben, in New ?)ork, schien ihn Annie inmitten der Schaar von „Iovsr8", von denen sie in ihrer doppelten Eigenschaft als sehr hübsches Mädchen und Erbin mehrerer Millionen beständig umschwärmt war, thatsächlich auszu zeichnen. Sie litt es gerne, daß er von dem Vorrechte einer weitläufigen Verwandtschaft Gebrauch machte, um sich überall zu ihrem getreuen Ritter aufzuwcrfen. Aber er schien plötzlich in ihren Gedanken eine zweite Stelle einzunchmen seit dem Abende, wo sie, während ihres gemeinsamen Pariser Aufenthaltes, in der Oper zum ersten Male den Tenoristen Dalieri als „Romeo" gehört hatte, in welcher Rolle sich dieser als ein hervorragender Künstler erwies. Sehr lebhaft in ihren Eindrücken, hatte sie sich alsbald für ihn begeistert, hatte keine Vorstellung mehr versäumt, in der er auftrat. Sie duldete keinerlei Kritik über ihn und schrieb ihm großmüthig Eigenschaften zu, die er im besten Falle dem Namen nach kannte. Ins besondere lieb sie eö nicht zu, daß man ihn beschuldigte, eine nur sehr mittelmäßige Intelligenz, dagegen aber eine stark entwickelte Eitelkeit zu besitzen und dem SelbstcultuS in einem Maße zu huldigen, daö alle Grenzen überstieg. „Wenn dieser unausstehliche Dalieri einige Tage hier bleibt", dachte Charlie, indem er mit seinem Spazierstock grimmig auf den in dichten Masten am Wege stehenden Stechginster einhicb, „wird sie Mittel und Wege finden, sich ihn vorstcllcn zu lasten. Die KingSmill kennen ihn sehr gilt! . . . Sie wird mit ihm musiciren, mehr als je unter seinem Banne stehen, und dann . . . dann bin ich ver loren ... Er ist berühmt, erst fünfunddreißig Jahre alt, und wenn sie die Laune anwandelt, wird sie ihm -en Kopf verdrehen, genau so, wie sie eine Blume pflücken würde, und sie wirb ihn heirathen. Allen und Jedem zum Trotz! . . ." Charlie konnte den Gang seiner pessimistischen Betrach tungen nicht weiter verfolgen, denn er hatte die zwischen grünem Buschwerk verborgene Villa Leighton erreicht, und durch die große Glasthürc der Veranda bemerkte er Annie, vor dem Piano sitzend, frisch, wie eine schöne Blume, in ihrem leichten Matt-Rosakleide, einen weißen Spitzen kragen um den schlanken Hals, über welchem ein paar neckische, kleine, blonde Löckchen zitterten, die dem schweren, von einem Schildkrötkamm im Nacken zurückgchaltenen Haarknoten entwischt waren. Er konnte sie mit Muße betrachten, denn sie war so ver tieft in ihr Spiel, daß sie die Thüre nicht hatte öffnen hören, und dem armen Charlie ward schwer um's Herz, als er in den Accorden eine der Glanznummern Dalieri's erkannte. „Guten Tag, Annie", sagte er, unfähig, länger zuzu hören. Sie schrak leicht zusammen, dann wandte sie ihm ihr hübsches, rosiges Gesicht zu, nnd indem sie ihm die Hand entgegenstreckte, rief sie, heiter lächelnd: „Wie abscheulich, Charlie, sich so einzuschlctchen, ohne ein Wort zu sagen!" „Verzeihen Sie mir, Annie. . „Aber ja, ich verzeihe Ihnen, und das ohne jede Mühe! Ach, ich bin so zufrieden! Stellen Sie sich vor, daß Felix Dalieri sich hier befindet! ES ist herrlich, nicht wahr? Papa hat rasch die Plätze für unS belegen lasten . . . auch für Sie. Es scheint, daß er die ganze Woche hier bleiben wird, und ich habe heute Harry KingSmill getroffen, der mir versprochen hat, ihn mir vorzustcllenk . . ." Charlie erwiderte, trotz seiner Anstrengung, sich zu be herrschen, in ungeduldigem Tone: „Ja, ich weiß, daß Datiert unS die Ehre seines Besuches schenkt, und ich danke Ihnen, -aß Sie daran gedacht haben, auch mich daraus Nutzen ziehen zu lasten." Ein maltttüseS Lächeln kräuselte ihre schönen Lippen. Sie erhob sich vom Piano und nahm einige Schritte von ihm in einem Schankclstnhle Platz. „Charlie", begann sie, „was haben Sie eigentlich gegen Dalieri? Denn schließlich, Sie werden zugeben müssen, daß er mehr als Talent hat, und daß es Leute giebt, die auf ihn das Wort „Genie" anwenden." „Ja, Annie", sagte er resignirt. „Sic werden auch nicht bestreiten wollen, daß er ans guter Familie ist, und daß er in Kreisen Zutritt hat, welche sich, wie es scheint, nicht Jedermann öffnen, Harry Kings- mill versicherte cs mir noch Henle." Charlie wünschte Harry KingSmill innerlich eine lange Reihe von Schandtbatcn, znm Danke für seine Schwätze- reicn, nnd mit einer Gereiztheit, die er nicht mehr zn zügeln vermochte, rief er ans: „Ich wollte, KingSmill nnd der Gegenstand seiner Lob sprüche wären, wo der Pfeffer wächst? . . . Wenn Hari» einen Funken gesunden Menschenverstand hätte, würde er Ihnen im Gegenthcil sagen, daß Dalieri weiter nichts ist, als ein unerträglicher Zierbcngel, trotz seines Talents!" Annie sprang aus ihrem Schaukelstuhle auf und be trachtete Charlie mit so entrüsteter Miene, als ob er eine für sie geheiligte Gottheit beleidigt hätte: „Charlie, Sie sind ein abscheulicher Mensch!" Das war nun gerade nicht der Eindruck, den Charlie auf Annie zu machen wünschte, und er schickte sich an, sich zu vcrtheidigcn, aber sie fuhr in halb klagendem, halb er zürntem Tone fort: „Warum zeigen Sie sich so ungerecht gegen Felix Dalieri? Schlecht sprechen zu hören von Denen, die ich verehre, ist etwas, das ich nicht ertragen kann . . . selbst nicht von Ihnen, Charttel" „Oh, Annie, wie hart Sie sind . . ." Er machte ein so unglückliches Gesicht, daß der ganze Zorn Annie'S sich plötzlich legte, und sie in ein Helles, fröh liches Gelächter ausbrach. „Kommen Sic, Charlie, schließen wir Frieden, und tadeln Sie Felix Daltert nicht mehr, wenigstens nicht vor mir . .. Sie versprechen mir das, nicht wahr?" Sic reichte ihm ihre zierliche, kleine Hand; er nahm die selbe und küßte sic, znm Zeichen der Versöhnung. „Ich verspreche es Ihnen, Annie, da Sie eS wünschen." „tzuite veil! Und nun würde ich Sic nm die Erlaub nis; bitten, nnhüslich zu sein, und mein Spiel wieder anfzu- nehmen, tndcß Sic, um sich zu zerstreuen, auf der Terrasse mit Papa eine Cigarre rauchen werden "
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