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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.05.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020506024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902050602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902050602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-05
- Tag1902-05-06
- Monat1902-05
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Und doch ist ein Moment vorhanden, welches diese Annahme als unbedingt ausgeschlossen er scheinen lassen muß, wofern England nicht in einem be stimmten Puncte nachgicbt. Dieser Punct betrifft die Verweigerung der Amnestie für die mit den Transvaalcrn und Freistaatlern zusammen kämpfenden Bocren aus der Eapcvlonic und aus Natal. Wer objectiv denken kann, wird zugcben müssen, daß die Engländer von ihrem Standpuucte aus ein gutes Recht haben, die Begnadigung der Capbocren abzulchnen. Denn man mag auch mit diesen Männern, die Leben und Vermögen in die Schanze geschlagen haben, um ihre Stammcsgcnosten vor dem politischen Untergänge zu be wahren, die allergrößten Sympathien haben, so sind sic doch zweifellos Rebellen, da sic Staatsangehörige des englischen Weltreichs sind und gegen dieses die Waffen erhoben haben. Man wird ferner zugcben müssen, daß der Wunsch der Engländer, diese Bocren bestrafen zu können, durchaus nicht der Grausamkeit und der Rachsucht zu entstammen braucht, sondern nur dem Verlangen, durch die Anwendung einer strengen Strafe -er Wiederkehr solcher Erhebungen nach Möglichkeit vorzubcngen. Wenn also auch das Verlangen der Engländer durchaus verständlich ist, so wäre cs ein Act der unerhörtesten Ehrlosigkeit der Transvaal- und Oranjc-Bocren, wenn sic dieser Bedingung entsprächen und damit ihre Stammes- gcnossen der englischen Willkür preisgäbcn. Sie mögen auf die Bedingung entgehen, ihre politische Selbstständig keit theilweise einzubüßcn: so schmerzlich dieses Opfer wäre, so würde doch der Ehre der tapferen Streiter, die dreißig Monate gegen eine zehnfache Uebcrmacht gekämpft haben, dadurch kein Abbruch geschehen. Wenn sic aber die Männer, die aus englischen Colonien hcrbcigecilt sind, nm Schulter an Schulter mit ihnen für die Selbstständig keit der beiden Republiken zu kämpfen, im Stiche ließen, so würden alle Sympathien, die man bisher mit ihnen ge habt hat, mit einem Male weggewischt sein müssen. Man hat Alexander I. von Rußland die bittersten Vorwürfe gemacht, weil er im Sommer 1807 mit Napoleon einen besonderen Fricdcnsvcrtrag schloß und dadurch seinen Bundesgenossen Preußen der Willkür des französischen Emporkömmlings prcisgab. Aber was würde diese wankelmnthige Handlungsweise des russischen Kaisers be deuten, gegenüber der Preisgabe der Capboeren, die doch nicht nur, wie damals Preußen, Land und Geld, sondern voraussichtlich zum Theil ihren Kopf, zum Mindesten aber auf Jahre hinaus ihre Freiheit einbüßcn würden. Deshalb will cs uns als ausgeschlossen erscheinen, daß die Bocren diesen Punct der englischen Friedens bedingungen auch nur in Erwägung ziehen könnten, und deshalb wollen uns auch die Fricdensverhandlungen so lange als aussichtslos erscheinen, als England an dieser Bedingung fcsthält. Wir wiederholen, daß wir cs durch aus verstehen, wenn England gerade auf diese Bedingung besonderen Werth legt, aber auf der anderen Seite haben die Engländer auch ei» so außerordentliches Interesse daran, um endlich wieder zu friedlichen Zuständen in Süd afrika zu gelangen, daß sie wohl daran thäten, auf eine Bedingung zu verzichten, die den Abschluß des Friedens nicht nur gefährdet, sondern unmöglich macht. Die Fricdensverhandlungen. Der,.Tägl. Rundschau" wird aus Amsterdam dcpeschirt: Im Anschlüsse an die durch die Korrespondenz „Needer- land" veröffentlichten Ausführungen über die Friedens aussichten erklärte ein aus Südafrika zurückgekehrtcr Freund Louis Bothas: Ich kann mich von dem Erstaunen über die widersprechenden lügenhaften Berichte der englischen Zeitungen kaum er holen. Fast alle Berichte über den Stand des Krieges und die Haltung der Bocrenführer in der Friedensfrage sind unwahr. Bei der Beurtheilnng des Verhaltens dürfe man nicht übersehen, daß sic sich heute nicht als Besiegte fühlen und unter allen Umständen an den Forderungen der Amncstie und der Unabhängigkeit festhalten. Ter Ausgang der meisten für die Bocren sieghaften Treffen während der letzten fünf Monate wurde englischerscits unterdrückt. Die Bocrenführer sind mit dem gegenwärtigen Stande der Operationen sehr zufrieden und nur dann zum Friedeusabschluß geneigt, wenn in den beiden Hauptfragen Zugeständnisse erfolgen. * New Uork, 5. Mai. Nach einem Telegramm aus Bei muda ist ein gefangener Boer Namens Bosch bei einem Fluchtversuche erschossen worden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 6. Mai. Die am Sonnabend vom Reichskanzler Grafen Bülow Vertretern der konservativen, der National liberalen nnd des Ccntrums gemachte Eröffnung, daß der Reichstag vor seiner längeren Vertagung noch die Brüsseler Z u ck c r c v n v c n t i v n und die Zucker- st e u er n o v e l l e erledigen müsse, hat zunächst die Folge gehabt, daß schon gestern das hohe Haus in die erste Bc- rathung der beiden Vorlagen eintrat. Das war freilich nur oadurch möglich, daß Las Haus die sog. k l e i n e Diäten vorlage in dritter Bcrathung ohne Debatte annahm, die dritte Lesung des Gesetzentwurfes zur Abänderung des Gesetzes über die kaiserlichen Schutz trupp en in den afrikanischen Schutzgebieten nnd die Wehrpflicht da selbst von der Tagesordnung absctzte, um dem Abg. I)r. Hasse Gelegenheit zur Stellung eines Abänderungs antrages zu geben, und daß endlich die zweite Berathung des „Toleranzantrage s" in beschleunigtem Tempo gu Ende geführt wurde. Dem kentrum schien das ganz an genehm zn sein, und deshalb wird man sich die gestern ge faßten Beschlüsse bei Gelegenheit etwas näher betrachten müssen. Sic betrafen zunächst den 8 2b, nach welchem gegen Len Willen der Erziehungsberechtigten ein Kind nicht zur Thcilnahme an dem Religionsunterrichte oder dem Gottes dienste einer anderen Religionsgemeinschaft angehalten werden darf, der nicht den in 8 2 und 2a getroffenen Be stimmungen entspricht. Ebenso wie dieser, wurden auch die weiteren Paragraphen, die sich auf den Religionsunterrichi und auf den Austritt aus der Religionsgemeinschaft be ziehen, nach den Anträgen der Kommission angenommen. Die Nationallibcralcn und die Rcichspartci stimmten mit der Minorität gegen die Annahme, bei dem Paragraphen, der den Austritt aus der Religionsgemeinschaft behandelt, auch die Deutschconservativen. Die Berathung der Zucker vorlagen leitete der Reichskanzler selbst mit einer längeren Rede ein, in der er erklärte, daß die verbündeten Regierungen die mehrfach erhobene Einwendung, als ob durch die Zuckerconvention die Interessen der rübenbauen- den Landwirthschaft geschädigt würden, nicht für begründet hielten. In voller Würdigung der erwähnten und der sonst betheiligtcn Interessen hätten die Regierungen vor Allem gesucht, die deutsche Zuckerindustrie davor zu bewahren, daß sie den englischen Markt verlöre. Auch die Landwirthschaft würde nicht beeinträchtigt werden. Sie dürfe sich vielmehr überzeugt halten, daß durch die sich nothwendig anschließen den Reformen Bedingurigen geschaffen werden würden, welche es der Landwirthschaft ermöglichten , in Zukunft lohnendere Preise zn erhalten, als dies jetzt zum Theil der Fall sei. Der Kanzler ging dann auf die Verhandlungen des Reichstags im Jahre 1^06 ein und erinnerte daran, daß damals von allen Seiten die Abschaffung der Prämien als ein höchst crstrebcnswcrthes Ziel bezeichnet worden sei. Wenn sich Deutschland an der Brüsseler Konferenz nicht bctheiligt hätte, fo würden die dort vertretenen Mächte sich möglicherweise geeinigt haben und Deutschland wäre das Nachsehen geblieben. Nicht ans Nachgiebigkeit gegen das Ausland und svccicll gegen England, sondern in voller Würdigung der Lage der Verhältnisse hätten die deutschen Unterhändler der Konvention zugestimmt. Ihre Be mühungen, einen späteren Termin für das Inkrafttreten der Konvention zu erreichen, seien erfolglos geblieben. Die Verantwortung für das Zustandekommen der Convention rnhc jetzt beim Reichstage. Die verbündeten Regierungen wollten in keiner Weise, daß die Berathung übers Knie gebrochen werde. Sie glaubten aber auch vor einer Ver schleppung warnen zu müssen, denn im Zusammenhänge mit einer solchen würde eine Beunruhigung und Unsicher heit cintrctcn, die schädlich wirken müsse. Dieses Treiben zur Eile war aber nur nach dem Sinne der Freisinnigen und der Socialdcmokratcu, denen die Zuckerprämie nicht rasch genug beseitigt werden kann nnd die deshalb am liebsten die Verweisung der Vorlage an eine Kommission hintertrieben. Die Mehrheit sah augenscheinlich nicht ein, warum gerade der deutsche Reichstag zuerst sein Ja und Amen zu der Brüsseler Convention sagen und zuerst seine Gesetzgebung nach ihr rcsormiren soll, und verlangte daher kommissionsberathung. Besonders betonte der Abge ordnete v. Lev e v v w im Namen derDcutschcönscrvativen, ne dächten nicht an Verschleppung, wollten aber auch die Folgen der Konvention klar übersehen, ehe sic znstimmten. To wird denn heute, jedenfalls auf die Gefahr hin, erst nach. Pfingsten die zweite und die dritte Plcnar-Bcrathung vor nehmen zu müssen, Verweisung an eine Commission be schlossen werden. Gestern kam cs nicht mehr dazu. Das Hans wollte die Rede des Reichskanzlers erst beschlafen und vertagte daher die Wcitcrberathung. Bei einer Ge- schäftsordnungsdcbattc darüber, ob heute außer dem Zucker auch der Branntwein auf das Menu gesetzt werden sollte, gönnte sich der Führer der freisinnigen Vvlkspartci das Vergnügen, Auszählung zu beantragen und die Be t'ch l n ß u n f ä h i g k c i t des Hauses scststellen zn lassen. Infolge dessen genießt das hohe Hans heute Zucker ohne Branntwein. Durch die Ausgabe, die seiner im Reichstage harrte, war Graf Bülow davon abgehaltcn, im preußischen Herrcnhausc zu erscheinen und dort, wie er beabsichtigt hatte, den Polen entgegenzutreten, deren Angriffslust und Maßlosigkeit am Sonnabend dort höchst ungewöhnliche Scenen hervorgerufen hatte. Herr v. Koscielski zieh am Sonnabend das Verhalten bei Ansiedelungsgütern geradezu des Betruges, und Fürst Radziwill sprach von „horrender Ungerechtigkeit" und „bedauerlicher Be griffsverwirrung" -er Staatsrcgierung. Beide Redner er hielten Ordnungsrufe. Bon einer Seite, die den parlamentarischen Verhältnissen seit einem halben Jahr hundert nahesteht und die Ereignisse genau verfolgt hat, wird den „Berl. 9k. N." versichert, man könne sich nicht entsinnen, vorher je von einem Ordnungsrufe im Herren hause vernommen zu haben. Die Wogen der Erregung lind zwar bei mehreren Gelegenheiten auch dort hoch ge gangen, wie in den Sechziger Jahren bei Beseitigung der Grundsteuer, in der Konflictszeit, bei Einführung der Krcisordnung, haben aber nie die Grenze parla mentarischer Sitte überschritten. Da nun gestern ein neuer polnischer Vorstoß zu erwarten war, so wollte, wie gesagt, der Ministerpräsident selbst anwesend sein, um den An greifern entgegenzutreten. Da er verhindert war, übernahm es der Minister -cs Innern, mit den genannten beiden Herren, die gestern der Regierung systematische Be kämpfung der Polen zum Borwurfe machten, abzurechnen. Der Minister trat ihnen nachdrücklich entgegen, indem er die Linie der preußischen Polenpolitik ohne Aggression, aber fest und bestimmt zog. An der Hand einer Reihe polnischer Prcßäußerungen wies er gegenüber den Loyali- tätsversicherungcn des Fürsten Radziwill den deutschfeindlichen und in den letzten Zielen l a n d c sv e r r ä t h e r i s ch e n Charakter der polnischen Agitation nach und erklärte kategorisch, daß der preußische Staat diese Aspirationen, die zum Mindesten auf die Er richtung einer polnischen Satrapie innerhalb des Staats gebietes gerichtet seien, niemals dulden werde, daß die Staatsrcgierung vielmehr in vollem Bewußtsein der Ge fahr zu deren Abwehr entschlossen sei und das Deutschthum in den Ostmarken mit allen Mitteln zu stärken für ihre ernste Pflicht erkenne. Sie wisse, daß, wenn es einmal zur Entfaltung der Aufruhrfahne käme, die polnische Geistlichkeit — deren ungehemmte Bethätigung die polnischen Redner gegenüber der neulichen Warnung des Grafen Hocnsbrocch, der gleichfalls in die Debatte cingriff, reclamirt hatten — nicht Zurückbleiben werde, und sic werde darum auch weiter wachsam sein, wie weit die polnische Geistlichkeit an der Erregung der „polnischen Volksseele", von der die Vorredner gesprochen hatten, tbeilnehme. Auf wirthschastlichem und kulturellem Gebiete möge man polnische Traditionen ungehindert pflegen, po litisch aber gebe cs keine Polen, sondern nur Preußen und Deutsche. Bon den übrigen Rednern sprach FürstBts - marck seine Gcnugthuung darüber aus, daß die gegen wärtige Polenvolitik wieder zu den bewährten Traditionen der achtziger Jahre zurückgckehrt sei. Er forderte gleich dem Minister die polnischen Herren auf, ihre loyalen Ge sinnungen nicht nur im Parlamente zu betonen, sondern sür sie auch unter der polnischen Bevölkerung zu wirken. Da diese Mahnungen ebenso fruchtlos bleiben werden, wie alle früheren, so wird unnachsichtliches Handeln um so mehr Pflicht der Regierung, je weniger diese im Zweifel darüber sein kann, daß bei einer auswärtigen Verwickelung den Polen Alles zuzutrauen ist. Die seit längerer Zeit zur Berathung Uber die R e - organisation der fortiftcatorischen und militärischen Landesvertheidignng Dänemarks in Kopenhagen versammelte Commission hat ihre Arbeiten nunmehr zum Abschluffe gebracht. Danach soll zunächst das Princip der allgemeinen Aushebung mehr als bisher zur Ausführung gebracht, die jetzt in Jütland be findlichen Garnisonen sollen in Seeland stationirt werden. Für die Feld- nnd Fcstungsartillerie wird eine sehr be trächtliche Vermehrung in Aussicht genommen, die Kriegs marine soll durch eine größere Zahl von Kreuzern und Farrilletsn. S) Der Militärcurat. Roman von Arthur Achleitner. Na<i>tru<k »krbotkn. Hiller vermochte von der Fringuelli-Speise nicht einen Bissen zu essen und nur mit Mühe meisterte er die auf- guellende Entrüstung über solchen Bogelmord, der in diesen Kreisen etwas ganz Harmloses und Selbstverständ liches zu sein scheint. Wenn Hiller dabei das zierliche Fräulein betrachtete, ward es ihm unfaßlich, daß eine zarte, feinfühlende Dame an solchen Grausamkeiten Gefallen finden kann. Doctor Chiste benützte die kleine Pause, um zu ver sichern, -aß Ilccellctti eine sehr erwünschte Beigabe zur Polenta seien. An sich lasse sich ja die Polenta selbst schon toben, von der es im Liede heißt: Da toco» cki polevta I'a dow, ta dow, ta dow, l_'u tocc» cki t'ormaggio da dom, ka dow, ka dorn. (Ein Stückchen Polenta Thut gut, thut gut, thut gut, Ein Stückchen Käse Thut gut, thut gut, thut gut.) „Nun also, Herr Doctor, Sie sagen ja selbst, daß auch Käse zur Polenta gut thut! Lasten Sie daher die armen Vögelchen singen und leben!" meinte der Leutnant. „O nein! Ucccllettt sind ja dazu da, gegessen zu werden! Sie sind eben kein Feinschmecker, Herr Leutnant! Die Deutschen verstehen das nicht!" „Gott sei Dank, fehlt den Deutschen dieses Verständniß!" erwiderte Hiller im Brustton der Uebcrzengnng. Frau v. Marzari hatte sich bislang an der Konversation nicht bctheiligt und glaubte nun Anlaß zum Themawechsel geben zu sollen, indem sie den Ehrengast fragte, welcher Wein ihm besser behage; der Herr Leutnant habe bisher vom Vino Bianco kaum ein Glas getrunken, also schmecke - esc Sorte dem Herrn Leutnant nicht. „Sein vielleicht Iskra, Madbalena gefällig? Oommancka Signor tsnsnts?" hat liebenswürdig die runzelige Matrone und setzte dem Gaste so lange zu, bis Hiller, nur um der Dame gefällig zu sein, um den würzigen, doch schweren Isärawein bat. Lebhaft und entzückend liebenswürdig erhob sich Pia, schritt zur Credcnz und brachte eigenhändig eine Flasche dieser Weinsortc, ließ selbe vom Diener öffnen und goß das dunkle Rebcnblut in ein frisches Glas. „Lwiva Signor liier, ii nostro saivator«! Lvviva!" „Orarie tanto, Signorina!" Hell erklangen die Gläser. Auch die Herren erhoben sich und stießen mit den Gläsern an nnd Marzari wieder holte seinen Dank für die rasche und ausgiebige Hilfe des Militärs. Zum „schwarzen Kaffee" begab sich die Msell- schaft in das anstoßende Gemach, das verschiedene Rauch garnituren aufwies. Pia blieb an Hiller's Seite, reichte, als man sich an die kleinen Tische gesetzt hatte, Cigaretten nebst Licht. Als der Leutnant die Cigarette in Brand hatte, zündete auch das zierliche Fräulein sich eine Papyros an und ranchte mit Behagen. vr. Chiste schoß giftige Blicke auf das Paar und qualmte dazwischen eine Virginier, die nicht recht brennen zu wollen schien, denn der junge Jurist quetschte die Ci garre am Ende ab und zu und brummte über schlechtes Ncgiefabrikat. Die Laune des Advocaten wurde nicht bester, als Pia den Leutnant fragte, ob er sich für alte Gemälde und Gculpturcn im Palazzo interessire und auf die Bejahung hin die Eltern um Erlaubniß bat, den Gast durch einige Räume führen zu dürfen. „8i, 81, con molto piaosre!" hatte Mama gesagt und Marzari begnligte sich, sein Einverständniß durch ein Kopf nicken auszudrücken. Nach höflicher Verbeugung wollte Hiller den Rauch salon verlassen, doch Pia wirbelte auf den Leutnant zu, nahm seinen Arm nnd plapperte: „kerm«s8o, Signor, a vanti!" Ein Blick des Wohlgefallens aus Frau von Marzari's Augen folgte dem Paare, und ein Gedanke zog der Matrone durch den Kopf: „Schade, daß der schmucke Mann ein Te desco ist! Impossidils!" Die Herren waren nach Hiller s Abgang im Nu auf politischem Gebiet« und verbissen sich in die Autonomie frage nnd deren Chancen. Eine Weile hörte die Matrone zu, dann aber entfernte sie sich geräuschlos, um die ge wohnte Siesta zu halten. Hiller empfand wohlige- Behagen an der Seite des ziemlichen, lebhaften FräuleinS, da- ohne Scheu, ja zu traulich neben ihm trippelte, und den Gast auf dies und jenes Bild aufmerksam machte und dabei viel Berständ- niß für alte Kunst verricth. Ein niedliches Geschöpf, mit Formen, die sich ein Künstler im elastischen Ebenmaß nicht schöner, berückender denken kann, und die das Auge des jungen Offieiers ebenso gefangen nahmen, wie der jetzt so seclcnvvlle Blick des Mädchens. Und plötzlich ließ Pia den Arm des Leutnants los, blieb Äug' in Ange vor ihm stehen und sagte in deutscher Sprache: „Err Leutnant, sein Sie mir noch böse?" Ucberraschl rief Hiller: „Ich ? Weshalb soll ich Gnädig ster böse sein?" Pia lehnte sich an Hiller's Schulter und blickte weich und innig zu ihm auf und sprach: „O, ich meine wegen der Fringuelli! Ich sic auch nimmer mögen! Itzt man in Ihrer Heimath keine Uccelletti? Wo sind Err Leutnant bchcimathct?" Hiller blickte lächelnd das süße Geschöpf an und sprach: „Gnädiges Fräulein sind zu gütig'. Ich bin in St. Anton zn Hause. Aber meinethalben sollen Sie gewiß nicht eine Aenderung vornehmen. In Welschland herrschen eben andere Sitten und Bräuche." „O, ich fühle jetzt auch, es sein nicht schön, kleine Vögel umbringen und essen! Aber Err Leutnant dürfen auch nicht mehr böse sein auf mich!" Hiller, dem ganz eigen um das junge Herz wurde, drückte leise das Händchen Pia's nnd betheuerte, daß er dem Fräulein recht gut gesinnt sei. „O, das mich freuen sehr, machen mich ganz glücklich! Salvatore mio müssen ganz gut sein und lieb bleiben, dann ich werden auch ganz lusttk!" „6on molto piaeore!" lachte Hiller. „Bravo! Err Leutnant werde»« seil« «avaliere inio, meine Ritter, was begleiten mich zur Kirche, ans die Pro menade, fahren mit mir in der Barchctta, ganz meine Ritter, ja?" Das klang sv zutraulich, nett und allerliebst schelmisch, daß Hiller »nit Freuden seine Cavalterdienste zugesichert haben würde, wenn nicht der Gedanke an den Dienst und die gespannten Verhältnisse von San Giorgio zn einer unvermeidlichen Reserve zwingen würden. Hiller deutete diese Hindernisse denn auch vorsichtig an. Mit einem energische«« Ruck richtete sich Pia auf, die dunklen Augen loderten und scharf klang es von den fein geschnittenen Lippen: „Gespannte Verhältnisse? Wer trägt daran die Schuld?" „Wir nicht, gnädiges Fräulein!" „Wir haben die Tedeschi hereingerufen? Die Sig nori nicht, wir wollen im Süden selber die Herren sein!" „Pardon, gnädiges Fräulein! Es ziemt dem Officier nicht, hierüber eine Meinung abzugcben. Wo immer wir stehen nnd weilen, stehen wir im Dienst unseres Kaisers. Der allerhöchste Herr befiehlt, seine Officiere und Soldaten gehorchen! Der Kaiser hat das Bataillon deutscher Offi- cicrc und Soldaten hierher befohlen, wir sind da und er füllen unsre Pflicht im kaiserlichen Dienst. Es ist öster reichische Erde, auf der wir stehen, und des Kaisers Unter- thanen sind Dentsche wie Welsche, die Grenze ist weiter unten gezogen. Ich bitte, verlassen wir dieses Thema! Kehren wir zur Gesellschaft zurück! Auch wird eS Zeit, das gastliche Haus zu verlassen!" Sinnend stand das Mädchen vor dem pflichtbewußten Officier, dann Hub Pia an: „Eine Frage noch, Signor tenente! Haßt der Tedesco den Welschen?" „Nein, Fräulein! Zu Haß und Mißgunst hat der Deutsche keinen Anlaß; cs besteht wohl eine trennende Kluft zwischen Germanismus und Romanismus " „Kann diese Kluft überbrückt werden?" „Das vermag ich nicht zu beurtheilen, gnädiges Fräulein!" „Sic wollen nicht reden! Ich möchte aber wissen, was der Tedesco über die Romanei« denkt!" „Generaliter kann diese Frage wohl kaum beantwortet werden. Die wirthschaftlichen wie die politischen Verhält nisse contrastircn zu sehr. Der Deutsche respectirt jede an dere Nation ans gesetzlicher Basis —" „Müssen Sie mich Haffen, weil ich keine Deutsche bin ?" „Aber, gnädiges Fräulein! Welch' paradoxer Ge dankensprung! Vor wenigen Minuten forderte«« Die von mn, Laß ich sehr gut zu Ihnen sein müsse, und jetzt stellen Sie eine geradezu verblüffende Frage. ES ist von einem „n ub" keine Rede und von „Haß erst recht nicht!" „Werden Err Leutnant «avalier« mio sein, wenn der Dienst es erlaubt ?" „Mit größter Freude, gnädiges Fräulein! Ich fürchte jedoch, daß Ihre Landsleute solchen Frontwechsel verübel«» werden!" „Wer soll das thun?" „Nun znm Beispiel !)>-. Chiste, der Herr Advoeat, wird kaum erbaut sein, wenn er gnädiges Fräulein von einem österreichischen Officier begleitet sieht!" „Ah pah!" klang cS überraschend geringschätzig von Pia'S Lippen.
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