02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.01.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030107023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903010702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903010702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-07
- Monat1903-01
- Jahr1903
-
-
-
148
-
149
-
150
-
151
-
152
-
153
-
154
-
155
-
156
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs-Preis in der Haupterpedition vdcr deren Ausgabe« stellen abgeholt: vierteljährlich ./ü 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung inS HauS 3.75. Lurch die Post bezogen für Deutsch- land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, für die übrigen Länder laut Zeitungspreisliste. Redaktion und Expedition; Iohannisgasse 8. Fernsprecher 153 und 222. Filialreprditionrn r Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitätsstr.3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KöntgSpl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehlener Straße S. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Carl Duncker, Herzgl. Bahr. Hofbuchhandlg., Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603. Nr. II. Abend-Ausgabe. WpMcr TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Votizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die Kgespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme L5 H (excl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Poftbefördrrung 80.—, mit PostbefSrderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von L. Polz tu Leipzig. Mittwoch den 7. Januar 1903. 87. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Januar. RcgterungSsorgen. Wenn eS wahr ist, daß der Reichstag noch vor Ablaus der Legislaturperiode mit einem neuen, auf Grund des nach so langen Mühen zu stände gebrachten Zolltarifs abgeschlossenen Handelsverträge besaßt werden soll, so ist die Sorge sehr begreiflich, mit der man in Regierungskreisen die Auseinandersetzungen zwischen den Organen der Konserva tiven und des Bundes der Landwirte verfolgt. Ergibt sich aus diesen Auseinandersetzungen doch mehr und mehr, daß das terroristische Austrelcn der Bundes führer die Anhänger des Antrags Kardorff einschüchlert und sie geneigt macht, sich wieder unter daü Joch der Bundesführer zu beugen. So hatte jüngst das offizielle Organ der konservativen Partei, die „Koni. Korr.", aus einem hinterpommerschen Blatte einen angeblich von einem konservativen Reichslazsabgeordneten stammenden Artikel ab gedruckt, in welchem dem Bunde der Landwirte vorgeworfen wurde, er habe im Reichstage va lmuguo gespielt. Die „Dtsch. TageSztg." sand diesen Vorwurf „schlechthin unerhört" und schleunigst erklärt nun die „Kons. Korr.": „Sollte aus jenem Satz« (von dem „Va bavquo"-Spiel) auch nur im entferntesten ein Vorwurf gegen die konservative Fraktions- Minderheit zu entnehinen sein, so würde die „Deutsche Tageszeitung" Recht haben: Das wäre unerhört, wenn wir einem solche» Bor wurfe Raum gegeben hätten. Wenn man ohne Voreingenommen heit den von der „Tageszeitung" bemängelten Satz liest, so wirb man finden, daß der sehr bedingungsweise „Vorwurj" sich gegen eine ganz andere Stelle al- die konservative Fraktionsmindeiheit richlet." Angesichts solcher Demut muß sich der Negierungskreisc die bemächtigen, die aus einem zweifellos luspiriertcu Artikel der „Allgrm. Ztg." deutlich herauSklingt. Es heißt in ihm: „Man macht die befremdliche Wahrnehmung, daß konservative Parlamentarier, welche sür daS neue Gesetz gestimmt haben, jetzt in der nnverkennbaren Absicht, sich bei dem Bunde der Landwirte zu rehabilitieren, eine Politik empfehlen, die auf eine systematische Erschwerung, ja a u f die Unm Sglich- machung neuer Handelsverträge hinauSkommen würde. Da wird geraten, recht scharfe Resolutionen über die Unzulänglich keit deS neuen Zolltarifs zu beschließen, obgleich man diesen soeben erst — „notgedrungen" allerdings — selbst angenommen bat. Ta wird getan, als hätten die zustimmenden Konservativen die Getrrideminimalsätze nur als eine Art Lockmittel betrachtet, niemals aber an ihre Verwirklichung geglaubt, während doch die Negierung deutlich genug bei auch nur um 50 höheren Sätzen daS Zustandekommen günstiger Handelsverträge sür ausgeschlossen erklärt hat. Da wird ermahnt, Arm in Arm mit dein Bunde der Landwirte ein festes Rückgrat zu bewähren, während man Loch weiß, daß die BundeSleituug Handelsverträge mit den Getreideminimaljätzen Les Zolltarisgesetzes unter allen Um ständen zu verwerfen entschlossen ist. Welche Früchte eine solche Agitation tragen wird, läßt sich leicht vorhersehen. Ob, wie vielfach angenommen wurde, noch vor dem Ab lauf dec gegenwärtigen Legislaturperiode dem Reichstage ein oder mehrere Handelsverträge vorgelegt werden können, sieht dahin. Geschieht es, so werden die Konservativen im Hinblick auf die nahen Wahlen durch den Terrorismus deS Bundes der Landwirte so stark eingeschüchtert sein, daß sie ein zustimmendes Votum nicht wagen werden. Den Aus fall ihrer Stimmen aber von der Linken her, wie seinerzeit bei den Caprivischen Handelsverträgen, Lecken zu können, ist keine Aussicht, denn dort wünscht man die Fortdauer des bestehenden Zustandes. Kommen die neuen Handelsverträge aber erst nach den Wahlen an Len Reichstag, so wird der Bund in der Wahlbewegung Zeit gehabt haben, alle Konservativen mit einem so unerbittlichen imperativen Mandat zu belasten, daß sie außer Stande sind, für die neuen Verträge zu stimmen. Gibt alsdann, wie voraus- zuseben, die radikale Linke Len Ausschlag, so wird dieselbe, gestützt auf die Tatsache, daß ja die alten Verträge noch laufen, ebenfalls jo lange ablehnen, bis die neuen Verträge ihren antiagrarischen Wünschen genug tun. Nur wenn die Zollgefrtzmehrheit fest zu- jamnienhält, können neue Handelsverträge auf Grund dieses Ge setzes zustande komme». Schwenken die Konservativen aus das Kommando Les Bundes von dieser Mehrheit ab, so laden sie die Verantwortung für eine unabsehbare schwere Schädigung der deutschen Landwirtschaft auf sich." Ist nun auch diese Sorge höchst begreiflich, so ist es nicht zu verstehen, warum die Besorgten lediglich zu dein schwäch lichen Hülfsmittel offiziöser Mahnungen greifen. Was solche gegen die BundcSsübrer nützen, sollte man doch endlich ein gesehen haben. So lange diese nicht eine feste Hand spüren, die sich durch keinerlei Drohung cinschüchtern läßt, fühlen sie sich nur ermutigt zu immer schrofferem Auftreten. Und den Konservativen kann inan cs nicht verübeln, wenn sie sich dein beugen, der seine Drobungen auch wirklich zur Aus führung bringt, nicht aber dem, der über schwächliche Mah nungen nickt hinauSkommt. Aus keinem einzigen der deutschen Bundesstaaten aber ist bis. jetzt hxkanns wörden, daß ß7e Regierung ein ernstes Wort mir den konservativen Führern gesprochen und ibnen unzweideutig klar gemacht hat, was sie im Falle oppositioneller Stellung zu den auf Grund des neuen Zolltarifs abzusckließenten Handelsverträgen zu gewärtigen haben. Schon während der Beratung des Zolltarifs stellte sich der Mangel einer straffen Führung klar heraus. Und jetzt fehlt cS an einer solchen erst recht. Man braucht nur die Regierungsblätter in die Hand zu nehmen, um das ;u erkennen. Und wenn das so fort geht, so wird sich a:n Ende Herausstellen, daß die „unabsehbare schwere Schädi gung der deutschen Landwirtschaft", die man den Konser vativen für den Fall weiterer Unterwerfung unter die Laud- bündler in Aussicht stellt, zu einem ganz erheblichen Teile auf dieSchulteru fällt, die es unterlassen, durch die ihnen zu Gebote stehenden Machtmittel den Konservativen den Rücken zu steifen. Tie Nene katholische Fakultät tu Straßburg scheint keine sonderliche Anziehungskraft auf die für die Be setzung der Lehrstühle in Betracht kommenden Dozenten zu üben. Nachdem die „Köln. Voltörtg." unterm 27. v. M. ge meldet hatte, daß vr. Ebses, Direktor des historischen In stituts der Görresgesellschaft in Rom, die Berufung nach Straßburg „dankend" abgelehnt habe, mußte sie bereits unterm 3l. v. M. mitteilen, daß Professor vr. Schrörs in Bonn, der bekannte Kirchenhistoriker, sang xbr»86 auf die Ehre, der Straßburger Fakultät anzugehören, verzichtet habe. Dazu wird der „Voss. Ztg." aus geistlichen Kreisen ge schrieben: X „Wie konnte man, wenn man auch nur die allernrueste Geschichte der katholisch-theologischen Fakultäten kannte, auch an einen SchrörS mit der Zumutung herantreten I Schrörs und seine Bonner Kollegen haben vor einigen Jahren die Abhängigkeit von bischöflicher Will- kür drastisch zu kosten bekommen. Die Mitglieder der katholisch theologischen Fakultät in Bonn beabsichtigten, als in Köln noch der bigotte Kardinal Kremcntz Len Krummstab führte, neben ihren Vorlesungen, wie das in allen anderen Fakultäten längst all gemeiner Brauch ist, wissenschaftliche Seminare eiiizusührcn. Kardinal Kcementz machte diese Absicht einsach Lurch die Hausordnung Les Konvikts, in welches er sämtliche Theologen eingepfercht halte, un möglich, uns trotz aller Vorstellungen der Fakultät, deren Sprecher Schrörs war, blieb die Hausordnung des Konvikts als Sieger aus dem Platze. SchrörS erklärte damals öffentlich, man scheine an der bischöflichen Kurie zu Köln keine gelehrten, d. h. wissenschaftlich gebildeten, sondern nur fromme Priester zu wünschen. Und ein Schrörs sollte da nach Straßburg gehen? Er geht nicht, wie auch Professor Dittrich in Braunsberg dem Rufe nach Straß burg nicht folgen mag. Zusage sür Straßburg hat die Regierung seitens ordentlicher Professoren deutscher Universi täten nur von Sckröder in Münster bekommen. Der war bisher, von den wenigen Jahren, die er in Münster doziert, abgesehen, Professor an bischöflichen Lehranstalten, zuletzt an der „katholischen" Universität Washington, wo ec wegen seiner allzu eifrigen Verteidigung der deutsch-ultramontanen Interessen mit schlichtem Abschied entlassen wurde. Dann hat die Regierung noch Aus- sicht, einen Professor Kirsch von der „katholischen" Universität zu Freiburg i. d. Schweiz nach Straßburg hinüberzuziehen; einen echten Jesuiten, den der gelehrte Bischof her jchiyeizeriicheu. Alt- ialhvulen b-r. Eduard Herzog in Vern soeben in seiner ausgezeich- neten Schrift: „Die kirchliche Sündenvergebung nach der Lehre des hl. Augustin. Erwiderung auf die Schrift von Dr. Kirsch: Zur Geschichte der katholischen Beichte. Bern 190i.", nicht nur wijsen- jchastlich, sondern auch moralisch abgetan hat." Ferner wird bekannt, daß auch Professor I)r. Mauöb ach in München, in katholischen Kreisen als einer der bedeutendsten Moraltbcolozen bekannt, die Berufung nach Straßburg ab gelehnt bat. Befremden kann das freilich nicht, da, wie man jetzt erfährt, das Abkommen mit Rom bezüglich der neuen Straßburger Fakultät getroffen worden ist, ohne daß vorher die Negierung die bestehenden kaiholischenFakuliäten, die doch als die Sachverständigen in dieser Frage gellen müssen, gehört worben waren. Wenn nun die Negierung in Verlegenheit gerät, so hat sie sich das selbst zuzuichreiben. Und diese Verlegenheit wird noch gesteigert durch die Lobsprüche, die sie sich von der vatika nischen Presse erteilen lassen muß. Eines dieser Organe, „l^u vorn Uomrr", das römische Sonntagsblatt, versteigt sich in seiner Ausgabe vom 26. Dezember 1902 sogar zu einem Urteile über den Kaiser, den es mit dem jetzigen Präsidenten der französischen Republik vergleicht. In diesem Vergleiche heißt eS: „Der Apostat Combes übertrifft in der Verfolgung der Religion Christi (?) den Apostaten Julian. Nero, Diocletian, Dionysius von ShrakuS (?!) und andre ähnliche Tyrannen erbleichen im Vergleich mit ihm." Und weiter: „Glücklich dagegen die Franzosen, die 1870 mit Elsaß-Lothringen unter die Herrschaft Deutschlands kamen. Alles andere als Revanche! Dieser verständige und tapfere Kaiser, der jetzt kaum mehr dem Nomen nach Protestant ist, begünstigt die katholischen Märtyrer, di» dir Sanskulotten von der Seine geächtet haben. Elsaß und Lolhringrn füllen sich mit oerbannlen Ordensbrüdern und frommen Schwestern und jene alten Franzosen sehen sich gezwungen, ihrem Baterlande untren zu werden und ihren Eroberer zu segnen. Kürzlich hat Kaiser Wilhelm beim heiligen Vater die Errichtung einer katholischen theologischen Fakultät an der Kaiserlichen Universität in Straßburg betrieben und erreicht. Die für diese Errichtung stipulierten uud von Deutsch- land unterschriebenen Bedingungen sind von reinstem apostolisch-römisch-katholischen Gepräge. Wir sprechen davon noch genauer. Unterdes unterhaltet euch damit, mit vollen Lungen zu rufen: eS lebe Wilhelm H." Freilich ist das hier dem Kaiser gezollte Lob ebenso dumm wie frech. Auf Dank von Nom für seine Bemühungen um die Einrichtung einer katholischen Fakultät in Straßburg wird ja der Kaiser nicht gerechnet haben. Wenn er aber erfahren muß, daß wegen dieser Bemühungen und anderer Beweise des Wohlwollens auch für seine katholischen Unter tanen sein Protestantismus verdächtigt wird, so kann daS nur eine Erkaltung seines Eifer- zur Folge haben. Englische Unverfrorenheit. Vor einigen Wochen hat die wegen ihrer Hetzereien gegen Deutschland bekannte englische Zeitschrift „The National Review" ganz absurde Mitteilungen über angeb liche Aeußerungen des Deutschen Kaiser» veröffentlicht, die seiner Zelt von der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" in folgender Werse energisch-chrmentier-wurden: , / — „Die englische Monatsschrift „The National Review" hat in ihrer Dezember-Nummer »ine Klatschgeschichte ausgewärmt, wonach Seine Majestät der Kaiser auf der letzten NordlaudSreis« an Bord einer amerikanischen Jacht abfällige Aeußerungen über Seine Majestät den König von England, die britische Regierung und das britische Volk gemacht haben soll. Da diese Geschichte jetzt unter Berufung auf die „National Review" in englischen und auch in französischen Blättern verbreitet und zu Hetzereien gegen Deutschland auSgebeutet wird, so ist es nölig, sie als daS zu kennzeichnen, was sie ist: «ine dreiste Erfindung." , Die „National Review" kommt nun in ihrer Januar- Nummer auf diese Angelegenheit zurück, und zwar hält sie gegenüber dem entschiedenen Dementi der „Nordd. Allg. Ztg." nut größter Unverschämtheit ihre früheren Behauptungen in allen Punkten aufrecht, indem sie die ganze Geschichte nochmals wiederholt und dazu schreibt: „Wir würden niemals daran denken, diese Seiten herabzuwürdigen dadurch, daß wir bloßes Geschwätz veröffentlichen oder „dreiste Erfindungen" verbreiten. Unsere Leser mögen daher von dec absoluten Richtigkeit der vorhergehende» Erzählung überzeugt sein, die wir nur deshalb nicht weiter aussühren, weil wir nicht Namen von Privatpersonen hineiumischen wollen, die übrigens gut unterrichteten Kreisen in den Bereinigten Staaten und F-irrlletsn. 4, Frau Huna. Roman von Karl Taner a. Nachdruck verboten. „Glauben Sie, Fräulein Julie, daß der Zug des Her zens bei Frauen mächtiger sein kann, als Heimatliebe und Familienangehörigkeit?" „Ich halte es für möglich, vorausgesetzt, das; es eben ein außergewöhnlich starker Herzenszug ist." „Daß cs einen so gewaltigen gibt, habe ich bisher nicht für möglich gehalten." „Das begreife ich gut, denn Ihre japanischen Frauen können sich ja auch nicht zu einer so gewaltigen Liebe, welche die Frau befähigt, dem Manne ihrer Wahl alles zu geben, ihm »überallhin zu folgen, aufrasfen, weil sie nicht dem Manne ebenbürtig sind. Bei uns ist daS etwas ande res. Wir stehen, wie Sie wissen, nicht unter, sondern neben ihm. Deshalb empfinden wir so stark wie der Mann und in Herzensangelegenheiten meistens noch stärker. Da durch entsteht jener Zug, der uns lehrt, alles zu opfern für den einen, den mir lieben, und wäre es auch die Heimat und das Vaterhaus." Er wollte antworten, doch Klara und Grete Braun erschienen. „Julie, Herr Doktor, die Tanten möchten zurück kehren." Ohne ein Wort weiter zu wechseln, begaben sich die drei Mädchen und der Japaner zu dem Tisch der Damen Edwalb-Erzberg. Bald darauf fuhren beide Wagen, dies mal auf der Straße über Geltow, nach Potsdam zurück. Sobald es für den Doktor Zeit war, sich nach der Bahnstation zu begeben, schlug Grete Braun vor, die drei Mädchen sollten ihn; für die kleine Strecke das Geleit geben. Julie aber rief den Schwestern zu: „Geht ihr nur mit Herrn Jzuna. Ich bin etwa» ermüdet und möchte gern bei Tante Elisabet bleiben." Als sich hierauf der Japaner verabschiedete, reichte sie ihm möglichst unbefangen die Hand. Er fühlte aber doch, daß sie ein wenig zitterte, und eS kam ihm auch vor, als ob ihr „Gute Nacht! Auf Wiedersehen!" etwas bewegt geklungen hätte. Seinem Abschtedögruß merkte man nicht bas geringste Außergewöhnliche au. Er hatte sich vor- -iiglich in der Gewalt; er war ja ein Japaner. Seit dem Ausflug nach Werder zur Kirschblüte fühlte sich Doktor Jzuna wie verwandelt. „Ich bin plötzlich durch ein Tor in einen wunderbaren Garten gekommen, von dessen Pracht und Lieblichkeit ich vorher keine Ahnung hatte; ich habe eine für unersteigbar gehaltene Bergeöhöhc erreicht und sehe ein Zauberland vor mir; ich fand den Schlüssel zu einer Geheimschrift, und plötzlich enthüllen sich mir ungeahnte, süße Geheimnisse; ich bin völlig verändert; ich liebe." So zog es durch seine Seele, so beschäftigte es ihn Tag und Nacht. Er konnte nicht einmal mehr mit gleichem Eifer seinen Studien nachhängen, er kam in einen Zu stand, der ihm, dem im großen und ganzen ziemlich nüch ternen Japaner, ganz unbekannt war, er schwärmte. Bald folgte aber dem Wonnegefühl dieses ungewohnten Em pfindens die Qual des Zweifels. „Ist cS von Julie nur eine phantastische Regung vdcr wirkliche Liebe? Und wenn es eine solche märe, würde sie es wagen, mir anzugehören, mein Weib zu werden und alle Folgen einer so ungewöhnlichen Verbindnng, wie zwischen einem Japaner und einer Deutschen, wirklich zu übernehmen! Hat sie Willens- und Tatkraft genug, den ihr ungewohnten Verhältnissen freudig entgcgcnzutrctcn und sie zu beherrschen? Ich glaube, ja. Sie ist ein Kind dieses Landes der zielbewutzten Pflichttreue. Es fehlt ihr vielleicht die nachgiebige Sanftmut meiner Lands männinnen. Mer dafür ist sie in höherem Maße geeignet, eine freiwillig übernommene Aufgabe voll zu erfüllen, und durch ihren scharfen Verstand sich jeder Lage anzupassen. Und treu ist sic wie eine echte Japanerin. Davon bin ich fest überzeugt." Nachdem er sich in solcher und ähnlicher Weise eine Ehe mit Julie ausgemalt und sich in einen romantischen Liebes, rausch versetzt hatte, erfaßten ihn aber auch nach und nach die nüchternen Erwägungen, wie seine Heirat in Japan aufgefaßt werden, und wie man dort seitens der Negierung und Universität, an der er eine Professorenstclle einnchmen wollte, seiner zukünftigen Frau entgcgcnkommcn würde. Es war selbstverständlich, daß die Anhänger der alten Rich- tnng ihm in jeder Art entgcgentreten und die Stellung einer europäischen Frau, wo und wie sie nur könnten, er schweren würden. Aber er hoffte auf den modernen Zug, der ja durch alle japanischen Einrichtungen ging. Vielleicht sah man es bet den maßgebenden Spitzen der Regierung sogar gern, daß er durch das Einführen einer Europäerin in die japanischen Familienkreise auch hier gegen veraltete Vorurteile auftrat, und nicht nur durch Wort und Schrist, sondern auch durch sein Beispiel klärend ivirkte! Er wollte ja seinen Landsmänninnen die Augen öffnen, und ihnen zeigen, wie sehr sic gegen ihre europäischen Schwestern be nachteiligt seien. Bei dieser Aufgabe konnte ihn eine so gebildete und feinfühlende europäische Dame, wie Julie, nur unterstützen. Durch ihr bescheidenes und taktvolles Auftreten würde sie alle Frauen und Mädchen für sich ge winnen. Außerdem mußten sie in ihr eine Bahnbrecherin sehen. Aber die Männer! Nun stellte er sich Juliens Aeußeres vor. und überlegte weiter: „Sic ist hübsch, sehr hübsch. Dazu hat sie etwas, was sic meinen Landsmänninnen ähnlich macht. Das sind ihre tiesschwarzcn Haare. Eine blvnde Frau könnte ich ja selbst nicht lieben. Wenn ich auch frei von dem Aber glauben alter Zeiten bin, so ist doch in uns Japanern die Vorstellung, daß alle bösen Götter und Geister blond oder rothaarig sein müssen, so in Fleisch uno Blut überge- gangen, daß auch ich einen instinktiven Widerwillen gegen Helle Haare habe. Ich könnte mich also darauf verlassen, daß bei denen meiner Kollegen, welche in ihren Ansichten den europäischen Frauen nnd deren Wesen entgegenstehen, doch die äußere Erscheinung Juliens in -em Maße günstig cinwirkte, daß sie höflich und achtungsvoll mit ihr so weit verkehren würden, wie es die Verhältnisse bedingten. Ich könnte es also wagen, ohne mir Vorwürfe machen zu müssen, eine Frau, wie Julie, nach Tokio zu bringen. Sie würde sich dort einleben, und sie würde mir sogar helfen, die Ziele, die ich mir gesteckt habe, bester und schneller zu erreichen, als cs mir ohne sie möglich wäre. Es kommt jetzt nur darauf an, zu erfahren, ob sie mich so liebt, daß sie wirklich meine Frau werden will." Nun begann sein Zweifeln von neuem. Wie ein echter Verliebter rief er all ihre Worte der letzten Tage zum so- nnd sovielten Male in sein Gedächtnis zurück, stellte sich ihr Verhalten bet dem Ausflug nach Werder vor, nnd wurde wieder unsicher. So quälte er sich noch zwei Tage, bis er abermals zum gewohnten Sonnabcndsthec nach Wannsee fahren durfte. Tie erste, die ihn begrüßte, war Julie. Sie hatte eS so cinzurichten gewußt, daß sie im Borhof stand, als er eintrat. Er schritt auf sie zu, küßte ihr so respektvoll, wie ein Offizier der preußischen Gard«-, die Hand und rief: „Wie glücklich bin ich, Li« fo frisch und wohl zu sehen. Auf Ihren Wangen liegt es wie der Widerschein eines herrlichen Abendrots." „Guten Tag, Herr Doktor. Wir haben Sie lange nicht hier gesehen." Damit schnitt sie seine weiteren Lob preisungen ab. Sic wnßte wohl, warnm sie so rot ge worden war. Ter Doktor entnahm aus ihren Worten einen leichten Vorwurf, und entgegnete: „Konnte ich denn eher kommen, Fräulein Julie? Ich habe doch nur die stete Einladung für Sonnabend-Nachmittag und Sonntag erhalten." „Oh, nach einem solchen Ausflug, wie am letzten Sonn tag, hätten Sic ohne Scheu kommen dürfen, um sich nach dem Befinden der Tanten zu erkundigen. Es hätte beide jedenfalls gefreut, wenn Sie am Montag oder Dienstag erschienen wären, nm zu fragen, wie ihnen die Fahrt be- kommen sei?" „Warum haben Sie mir das nicht gesagt? Wie gern wäre ich schon am Montag wiedergekommen! Habe ich also einen Fehler begangen?" „Das nicht, höchstens eine kleine Unterlassungssünde." „Bitte, liebes Fräulein Julie, machen Sie mich doch stets auf solche Dinge aufmerksam. Sie wissen ja, daß ich die europäischen Formen noch lange nicht genug beherrsche. Und ich lerne so gern von Ihnen. Ich könnte mir ja keinen bessern Lehrmeister denken." Sic wollte wieder ablenkcn, und bemerkte daher schnell: „Wir könnten den Tanten entgegengehen! Sie sind nach Zehlendorf gefahren, nnd beabsichtigen, durch den Grüne- wald zurückzukommcn. Sie haben die Schwestern Braun bis dorthin begleitet. Diese bringen den heutigen un morgigen Tag bei Bekannten in Zehlendorf zu." „Ich bin sehr gern bereit und möchte nur noch meine Tasche ablegen. Darf ich wieder in dem Zimmer über dem Tor wohnen?" „Ja, Tante Klara hat es so bestimmt. Ich mache mich auch schnell bereit. Auf Wiedersehen!" Während Julie in den Hauptbau zurückging, stieg er in sein Zimmer. Wenige Minuten später trafen sie sich am Tor wieder. Der Weg führte zunächst an mehreren Villen vorbei. Hierauf überschritt er eine kleine Niede rung, nnd dann gelangten die beiden jungen Leute in den hohen, schönen Grünewald. Nach einer ganz allge- meinen Unterhaltung trat eine kleine Panse ein. Zufällig begegneten sich beider Blicke. Sic erröteten und sahen grade vor sich. Tiefe Verlegenheit hatte sie ergriffen. Lie wagten kaum, laut zu atmen.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht