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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.01.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030110014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903011001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903011001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-10
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Der Engländer vom alten Schlage — und eö gibt deren noch eine ganze Menge, wenn auch das jiugo- istische Jung-Britannien den Patriotismus dieser ehren werten Leute als „Klein-Engländertum" zu verdächtigen sucht —, sie und alle Freunde Englands auf dem Fest lande haben auf eine Besserung nach dem Friedensschlüsse ge hofft. Heute können wir sagen: Diese Hoffnung war vergeblich. Im Gegenteil, es ist schlimmer und immer schlimmer geworden. Bor einem Jahre zogen noch nach jedem eingebildeten englischen „Siege" in Südafrika Trupps echter und nachgeahmter Khakimänner durch die Straßen Londons, cS fehlte nicht an fröhlichen Gesängen und Zurufen eines ehrlichen, wenn auch irregeleiteten Patriotismus. Die Scenen der Trunkenheit und roher Ausschreitungen spielen sich auch heute an der Themse ab; aber der kriegerische Hintergrund fehlt, der doch so manches entschuldigte. Heute ziehen Banden von entlassenen Sol daten durch die Gassen und schreien nach Brot. Das Land, das die allgemeine Wehrpflicht nicht als stolzen Ehrendienst jedes freien Bollbürgers kennt, sieht in dem Kriegsmarine nur -en bezahlten Schergen in Livree, und wenn er seine Schuldigkeit getan, mag er sehen, wo er bleibt, und da zur Füllung des ruhmreichen britischen Heeres in Transvaal während des Feldzuges die Zuchthäuser und Besserungs anstalten der Insel geleert wurden, -rängt sich jetzt das tSesindel, das auf den Feldern Südafrikas nicht mehr seinem Handwerk nachgehen kann, den altgewohnten Heim, stätten wieder zu. Den ^,Mann in der Straße" aber stimmt's nachdenklich, wenn er sich die in -en Helden liedern Kiplings gefeierten Krieger ansieht und wenn er sieht, wie die vielgepriesene Regierung für die Handlanger ihrer Kriegspolitik sorgt. Der Golbstrom, der sich von Vaal und Oranje über Alt-England ergießen sollte, ist auch ausgeblieben. Der Krieg hat rund 5 Milliarden bar gekostet, der Ausfall an Minenerträgen -beziffert sich auch nach 100 Millionen Pfund Sterling, der Krieg hat die Einkommensteuer sehr empfindlich in die Höhe getrieben und das Land mit Kohlen- und kaum noch verhüllten Getreidezöllen beglückt. Der wirtschaftliche Aufschwung, auf den die Spekulanten der City sicher nach Friedensschluß gerechnet, will immer noch nicht kommen. Die Erwerbsvcrhältnisse am Kap sind trostlos und Herr Chamberlain hat sich, trotz seiner vorgerückten Jahre aufgemacht, um selbst in Herr Mil - ners Reiche nach dem Rechten zu sehen. Wenn auch diese Reise nicht hilft — und es ist nicht recht abzusehen, was selbst der findige ehemalige Schraubenfabrikant aus Birmingham wird helfen können —, bann ist man in England mit seinem Latein zu Ende. Die glorreiche britische Staatsweisheit, die dem „Unwesen derKrügeroligarchie" ein Ende zu machen sich unterfing, ist bankerott. Die Nitlanderfrage, deret- wegen man sich den Spaziergang nach Pretoria leistete, der 20000 Engländern das Leben kostete, ist heute so ver fahren, daß man, nm überhaupt wenigstens provisorisch Ordnung zu schaffen, zu den Mitteln der alten Trans vaalregierung greifen muß. Warum dann aber der ganze Krieg? — Das begreift heute der eifrigste Regierungs anhänger nicht mehr, und die letzten Wahlen reden für die unionistischen Machthaber eine recht unbequem - deutliche Sprache. Man beginnt, an der imperialistischen Herrlichkeit zu verzweifeln. Die Kolonial-Konferenz, die bet Gelegenheit der Königskrönung das britische „Kaiserreich" geeint zeigen sollte, endigte mit einem völligen Mißerfolg. Die Kolonisten verlangten viel, wollten aber nichts dasü-r zahlen. So mußte man sich mit dem Spielzeug begnügen und die ernsten Geschäfte unerledigt lasten — das Nativ- nal-Denkmal für die Königin Viktoria wurde ange nommen, wobei schöne Reden gehalten wurden, die Ein- leitungSschrttte zur Begründung einer Zollcinheit und ge- meinsamen Reichswehr aber ohne viele Redensarten ab- gelehnt. Auch die KrönungSfeier brachte nur Enttäuschungen. Die Hauptfeste wurden der Krankheit Eduards VII. wegen abvestellt, und als bann die Salbung des ehemaligen, nur allzu lustigen Prinzen von Wales mit dem ganzen zopfigen und geschmacklosen Prunk Alt-EnglanbS gefeiert wurde, war von wirklicher, ernster Feierstimmung keine Rede mehr. Unter diesen Umständen war e» keine leichte Aufgabe, dievalfour übernahm, als er Nachfolger seines Ohms Sali-bury wurde. Daß eS ihm geglückt wäre, die Ne gierung volkstümlicher zu machen, wirb er selbst nicht ve- Haupte» wollen. Das neue Unterrichtögesetz, mit sr ö«n lang« vernachläfststen weg innerer Reformen betreten wollte, war zu diesem Zwecke so unglücklich wie möglich ge wählt. Die Linke wurde zudem durch Aendcrungen in der Geschäftsordnung des Unterhauses gereizt und die Ire n geberben sich trotz der drohenden Spaltung kämpf- lustiger als zuvor. Herr Balfour mag also recht trübe in die Zukunft blicken, denn die parlamentarische Schonzeit geht langsam zu Ende und bei den Erörterungen über die Ftnanzen, die im Februar bevorstehen, wird der Herr Premier manch unfreundliches Wort zu hören be kommen. In der auswärtigen Politik gelang es den britischen Staatsmännern endlich, nach langem Suchen im Japaner den schmerzlich entbehrten Bundesgenossen zu finden. Die Freude dauerte nur nicht lange, denn Ruß land antwortete prompt mit der Ausdehnung des Zwei bundes auf Ostasien. Die Mandschurei ist Rußland ver fallen, in Persien ist kaum noch etwas zu retten, der „tolle Mullah" macht im Somalilandc, -teWasiris bereiten an der indischen Grenze schwere Sorgen. Die Hoffnung, Deutsch land und Frankreich am Zjangtse nach alter Gewohnheit übers Ohr zu hauen, ist gescheitert. All der Groll, der sich bei diesem trüben Jahresrückblick in englischen Herzen ansammelt, macht sich in geiferndem Geschimpfe gegen den einst so brünstig umworbenen deutschen Vetter Luft. Während des Krieges, als manch' scharfes Wort hin und wieder flog, mochte dieses Gekeife noch hingchen. Jetzt aber, wo sich die deutsche Presse musterhafter Gelassenheit befleißigt, jetzt, wo sich das ekle Gift gemeinster Verleum dungen auch gegen den deutschen Kaiser richtet, der doch eben noch als einziger Freund Englands in Deutschland galt, jetzt liegt cs zu Tage, daß diesem Preßfeldzuge gegen Deutschland nicht die Aufwallung einer vorübergehenden gereizten Stimmung zu Grunde liegt, sondern das plan mäßige Borgchen einer Klasse gewissenloser Politiker, die -en englischen Haß gegen Deutschland zum wildesten Fana tismus aufpeitschen wollen, nm bet einem etwaigen kriege rischen Zusammenstoß der beiden Mächte ihre unsauberen Priwatgeschäfte machen zu können. Wir würden einen Krieg mit England für ein großes Unglück halten, glauben auch nicht, daß ein solcher bevorsteht. Immerhin ist die BolkSstimmnng in diesen Tagen jenseits des Kanals der artig, daß die größte Wachsamkeit erforderlich ist. Diese Tatsache ist sicher wenig erfreulich; aber cs Hilst nichts, vor ihr die Augen zu schließen. Ueligiöse Motive im Kriege von M0/71. Die bevorstehende Errichtung einer katholischen Fakultät an der Straßburger Universität macht das Zeugnis eines hervorragenden Elsässers über religiöse Motive im Kriege von 1870/71 doppelt bemerkenswert. Dieses Zeugnis findet sich in den Memoiren des verfftorbenen deutschen General konsuls August Schneegans, des Begründers der „autonomistischen" Partei der Reichslande, der vor nnd während der Belagenmg Straßburgs dort als Journalist gewirkt hat. Sein Sohn, Professor Schnee gaus in Würzburg, veröffentlicht im Januarhefte der Deutschen Rundschau" einen auf die Be- lagcruugs-cit bezüglichen, ungemein fesselnden Abschnitt jener Memoiren. Schneegans erwähnt darin, daß das Frankreich des Kaiserreiches in den letzten Jahren die Protestanten vor den Kopf gestoßen hatte, daß die kaiser lichen Behörden alles beargwöhnten, was nicht katholisch ivar, nnd daß speziell der Präfekt, Baron P ron, sowie Marschall Mac M ahon die Protestanten -er Konnivenz gegenüber dem Feinde für fähig hielten. So geriet auch der schon lange in Straßburg ansässige deutsche Pro fessor Grün in den Verdacht der Spionage; da er bei seiner Verhaftung sich auf Schnecgans berufen hatte, hatte letzterer eine Vernehmung zu bestehen, die folgendermaßen verlief: „Ein Ordonnanzoffizier empfing mich Md fragte mich, ob ich Herrn Grün kenne. Er sei ein Deutscher und als solcher verhandle er mit dem Feinde. Ich erwiderte, daß ich ihn sehr wohl kenne, er sei zwar ein Deutscher, aber sicher kein Spion. „Aber er ist Protestant — und Sie sind auch Protestant", fügte der Offizier hinzu. — „Gewiß, aber ich sehe nicht ein, was Sie damit sagen wollen!" — „O, gar nichts", — und er drehte mir den Rücken. Es war dies das erste Mal, wo ich diesen auf französischer Seite so sehr verbreiteten Argwohn gegen die Protestanten kennen lernte." Auf diese Seite bcS siebziger Krieges ihrer Wichtigkeit wegen näher eingehend, berichtet Schnecgans n. a. die nachstehenden charakteristischen Einzelheiten: „Der Prä sekt schickte der Kaiserin Telegramme, welche die Pro testanten anklagten, den Preußen die Hand zu reichen. Später, während der Belagerung, führte die Behörde genau Buch über die protestantischen Gebäude, welche die Granaten nicht erreichten, und schloß daraus auf Ein verständnis der Protestanten mit dem Feinde. Das Buch, welches der frühere Generalsekretär des Nieder rheins, Herr von Malorttc, über die Be schießung Straßburgs veröffentlichte, wirft auf die Hintergedanken der Regierung und der Verwaltung hin sichtlich der Protestanten ein seltsames Lickt. Aber auch wenn wir dieses Buck nicht hätten, könnten uns doch unsere eigenen Erfahrungen belehren, baß religiöse Motive eine sehr ariSschlaggebende Rolle in diesem ver hängnisvollen Kriege spielten. Es war nickt bloß Frankreich, welches Deutschland den Krieg erklärte —, cS war der Katholizismus, der eine Aera neuer blutiger Kämpf« gegen den Protestantismus eröffnete. In den ersten Tagen des Krieges erhielt der Generalrat Kratz, der frühere Bürgermeister von Straßburg und Mitglied des Direktoriums der Augsburger Konfession, Briefe von mehreren Pfarrern, welche ihm ankündigten, daß die Priester den heiligen Krieg gegen die elsässischen Protestanten predigten. Er begab sich zum Präfekten, um ihn davon in Kenntnis zu setzen. Der Präfekt lachte ihn aus. Am selben Tage telegraphierte er aber der Kaiserin, daß die Protestanten init den Preußen ge meinsame Sache machten.... Nach der Aus- hebumg der Belagerung begab sich Herr H ü m ann (der frühere Bürgermeister Straßburgsl nach Basel. Dort besuchte er meinen Freund, den Staatsrat Bischoff, einen der drei Schweizer Delegierten in Straßburg. Sie unterhielten sich über die politische Lage und das Unglück, welches das Elsaß treffen würde. Herr Hümann bemerkte dann zu Bischoff: „Was wollen Sie? Unter allen Umständen wäre das Elsaß unglücklich ge worden. Denn wenn Pf a c Mahon bei Wörth gesiegt hätte, würden alle Protestanten aus dem Lande getrieben worden sei n." Und er fügte hinzu, daß, wenn die Belagerung noch zwei Tage länger gedauert hätte, es zu einer Erhebung der Katholiken gegen die Protestanten ge kommen wäre. Bischoff traute seinen Ohren nicht, als er diesen alten kaiserlichen Beamten, den ersten Mann der Stadt, einen der Chefs der katholischen Partei in Straßburg, so reden hörte. Er ließ ihn seine Worte wiederholen und hörte ihn geradezu verblüfft an. Er zeigte mir nachher in Basel deir Ort, wo sic sich be fanden, als Hüjmann ihm dieses offenbarte, und er mächtigte mich, zu sagen und zu schreiben, daß er, Bischoff, Staatsrat in Basel, ans dem Munde Hümanns, des früheren Straßburger Bürgermeisters, wenige Tage nach der Kapitulation der Stadt derartige Aeußerungen gehört habe. So war also unter dem Einflüsse des I es u i ti s m irS, der das ganze Land verderbt hatte, der Patriotismus iu Frankreich erloschen; so war jeder Sinn für die Gemeinschaft der Interessen ver schwunden . . . Mochte Frankreich siegen oder besiegt werden, — wir Protestanten waren jeden falls Besiegte, und am Tage, wo wir uns über einen Erfolg der französischen Waffen gefreut haben würden, hätte uns Frankreich selbst den Mund zu gehalten, indem cs nnis denen, deren Niederlage wir feierten, gleichgestellt und uns in das Lager der Feinde getrieben hätte." Diese Schilderung eines vorzüglichen Kenners der Verhältnisse eröffnet einen überaus lehrreichen Einblick in die Art, wie die französisch-jesuitische Tradition dctz Straßburger Priester seminars sich geltend gemacht hat. Deutsches Reich. -4- Berlin, 9. Januar. (Die National-Sozialen und daS ReickStagö Wahlrecht.) Gleich der Sozial demokratie versprechen sich die National-Sozialen Er folge bei den nächsten ReickStagSwablen von der Ausstreuung, daß das Reichstagswahlrecht in Gefahr sei. Auch die Methode, mittels deren sic den Glauben an eine Gefährdung des Neichstagswahlrechteö zu verbreiten suchen, entspricht durchaus dem sozialdemokratischen Verfahren. WaS ins besondere daS national-soziale Verhalten gegenüber dem ReichStagSabg. Bassermann in dieser Beziehung anzeht, so übertrumpft es beinahe das der Sozialdemokratie. Denn die national-soziale „Hilfe" schleckt nicht vor einer gröblichen Verunglimpfung des national liberalen FraklionSführerS unter einer Beweisführung zurück, die jedem Jesuiten zur Ehre gereichen würde. Läßt sich doch das Organ deö Pfarrers Naumann wörtlich wie folgt vernehmen: „Bassermann hat bereits dem Sinne nach sein Wort gebrochen, daS er 1898 Nau mann gegeben hat. Wer die Anträge Gröber und Kardorfs unterstützt hat, dem kann es nicht Ernst sein um die Er haltung deö bestehenden Reichstagswahlrechtes, der hat sich bereits mitschuldig gemacht an der Zertrümmerung der gegenwärtigen parlamentarischen Formen, die mit diesem NeickstagSwahlrechte aufs engste verknüpft sind." — Die tatsächliche Unwahrheit, daß das ReichStagSwablrechl von der Aufrechterhaltung der Geschäftsordnung des Reicks- tage« in ihrer ur'prünglichen Form abhänge, läßt die Gegenwart als solche erkennen nnd wird die Zukunft als solche erkennen lassen, ganz abgesehen davon, daß in andern Ländern, wo gleichfalls daö allgemeine Wahlrecht besteht, die parlamentarischen Geschäftsordnungen ungleich strengere Be stimmungen enthalten als die abgeänderte des deutschen Reichstags. Wenn die „Hilfe" sich über derartige real« Tat sachen hinwegsetzt, um den Abg. Bassermann des Wortbruches zu bezichtigen, so steht diese publizistische Ausschreitung auf dem Niveau der parlamentarischen Ausschreitungen der sozialdemokratischen Obstruktion im Reichstage. DaS „einzige" Mittel aber, daS die „Hilfe" gleichzeitig zur Rettung deü bestehenden ReichSlagswahlrechteS em pfiehlt, nämlich die Anstrebung der MehrhcitSbildung durch die „freiheitliche" Minderheit, würde im Falle seiner Ver wirklichung dem bestehenden Reichstagswahlrechte sicherlich um so rascher ein Ende bereiten, je mehr rS für eine Regierung unmöglich ist, mit einer Majorität vom Schlage der heutigen Sozialdemokratie auch nur ein paar Wocken zu regieren. Damit schon bei der bevorstehenden ReichStagSwahl auch bürgerliche Wähler bei Stichwahlen für den Sozialdemo kraten stimmen können, rät die „Hilfe" der Sozialdemo kratie, „der bekannten wilden Maßlosigkeit vieler ihrer Agi tatoren" wenigsten« so lange einen Zügel anzulegen. bis die „freiheitliche" Mehrheit beisammen ist! Auch dieser Ratschlag kennzeichnet auf daS schlagendste den demagogischen Charakter der national-sozialen Agitation, weil er beweist, wie unbedenk lich die National-Sozialen die Unehrlichkeit als Waffe im Wahlkampfe empfehlen. Berlin, 9. Januar. (A »gehörige nsürsorge der Ortskrankenkassen.) Die LrtSkranken« kassen regeln durch Statut die Unterstützung dew in, Haushalte der Kassennritglieder lebenden Familien angehörigen dahin, daß Frauen und Kinder unter 14 ,>ahren im Falle der Erkrankung freie ärztliche Be handlung und Arznei für höchstens 20 Wochen erhalten und daß bei ihrem Tode das näher bestimmte Sterbe geld zu gewähren ist. Es war mehrfach streitig, ob unter den Kindern auch die im Hainshalte lebenden Enkel eines Kassenmitgliedes zu verstehen seien. Ein Orts- armenverband, der cs bejahte, verlangte von der Orts krankenkasse Erstattung der ihm für die Verpflegung des erkrankten Enkels eines Kasscnmitgliedes erwachsenen Kosten. Die gegen die Entscheidung des ersten Richters, der den Begriff der Kinder auf die ehelichen Abkömm linge ersten Grades beschränkte, eingelegte Revision des Ortsarmenverbandes wurde vom Oberverwaltumgs- gericht als nicht begründet erachtet. Nach seinem Be schlüsse «kommt es für die Auslegung des Statuts nicht darauf an, wie weit der Begriff der Familienangehörigen im Sinne des 8 21 Nr. 5 des Krankcnversicherungsgesetzes geht. Anch wenn dieser Begriff nicht auf die Ehefrauen und die Abkömmlinge ersten Grades beschränkt sein solle, habe die beklagte Kasse die freiwillige Leistnng auf di« Ehefrauen und die Abkömmlinge ersten Grades be schränken können. Und daß sie von dieser Befugnis in dem Sinne Gebrauch gemacht habe, daß sie die Unter stützung nicht auf die im Haushalte der Kassenmitglicdcr befindlichen Enkel habe anssühren wollen, könne nach dem Wortlaute des Kassenstatuts nicht zweifelhaft sein. * Berlin, 0. Januar, (Erforschung der nor t' i sch e n Meere im Interesse der Seefische rei.) Im Reichshaushaltsetat fiür 1908 wird sich auch wieder eine Forderung zur Beteiligung des Reichs an -er internationalen Erforschung der nordischen Meere im Interesse der Seefischerei vorfindcn. Die Länder, welche ihre wissenschaftlichen Arbeiten, soweit diese sich aus See fischcreifragcn, sowie auf Hydrographie und Biologie des Meeres beziehen, nach gemeinsamen Grundsätzen aus führen, sind Deutschland, Dänemark, Finland, Groß britannien, Holland, Norwegen, Rußland und Schweden. Belgien hat sich noch nicht entschlossen, dem gemeinsamen Programm beizutreten. Der Zentralausschuß für die internationale Meeresforschung, der in Dänemarks Hauptstadt konstituiert ist, gründet in Christiania ein hydrographisches Laboratorium. Für die geplanten bio logischen und Fischereluntersnchnngcn sirkd zwei K-vmrnis- sionen eingesetzt, eine, die sich besonders mit den Wande rungen der Fische zu beschäftigen haben wird nnd eine für alle sich auf die Uebersischung der Nordsee beziehenden Fragen. Jeder der beteiligten Nationen ist ein Meeres abschnitt Angewiesen worden, in welchem sic ihre wissen schaftlichen Untersuchungen nach dem gemeinsamen Ar beitspläne anznstcllen hat. Rußland übernimmt z. B. das Murman-Meer zwischen Spitzbergen, Nordkap-Lemlja und der Murman-Küstc und hat bereits einen eigenen Dampfer für diese Untersnchungcn zur Verfügung. Der Ausgangspunkt der russischen Kommission ist die neue Stadt Alexandrowsk mit Jekatcrincnhafcn (Gouverne ment Archangelsks. Deutschland hat die südlichen Teile der Nord- und Ostsee zu erforschen und bildet zwei besondere Kommissionen, die ihren Sitz in Helgoland und Kiel haben. Das Deutsche Reich hat dafür ebenfalls einen besonderen Fischercidampscr „Poseidon" gebaut, der seine Probefahrten in der Nordsee schon begonnen hat. * Berlin, 9. Januar. (DaS Datum des eigen ¬ händigen Testaments.) DaS eigenhändige Testament ist eine so beliebte TestamentSform geworden, daß jede Ent scheidung eine« höheren Gerichtshofes, die sich auf daS eigen händige Testament bezieht, auf ein weitgehendes Interesse Anspruch hat. lieber da« eigenhändige Testament enthält das Bürgerliche Gesetzbuch nur die Bestimmung, daß es von dem Erblasser unter Angabe des Ortes und Tages eigen händig geschrieben und unterschrieben sein muß. DaS Bürgerliche Gesetzbuch hat bekanntlich daS eigenhändige Testament dem französischen Rechte entuominen, welches über diese TestamentSform dieselben Bestimmungen enthielt. DaS Ergebnis der französischen Rechtsprechung wird deshalb auch für daö Bürgerliche Gesetzbuch als maß gebend angesehen. Im Anschlüsse an die französische Recht sprechung haben namhafte Kommentatoren des Bürgerlichen Gesetzbuchs, z. B. Planck, eS für unerheblich erklärt, ob die Angabe deö Tages und Orte«, das sogenannte Datum, am Anfänge, am Schluffe oder im Texte der Erklärung stehe. Diele Auffassung, welche die Stellung des Datums für ganz unerheblich erachtet, bat auch die Billigung des Reichsgerichts gesunden. Das Reichsgericht hat in der Entscheidung vom 13. Oktober 1902 (Juristische Wochenschrift 1902, Beilage S. 286) erkannt, daß ein eigenhändiges Testa ment auch dann rechtsgültig ist, wenn die Angabe des O>tes nnd des Tage« der Unterschrift räumlich nachselgt; cS genüg', wenn daö Datum in einen derartigen räumlichen Zusammen hang mit dem übrigen Inhalte des Testaments gebracht ist, daß seine Bedeutung als Datum ter unterschriebenen Er klärung daraus ersichtlich ist. Diese Auffassung ist auch die des Kammergerichts in Berlin, daS gleichfalls ein eigen händiges Testament für rechtsgültig erklärt hat, in welchem daS Datum sick unter der Unterschrift befand. (Jobow, Jahrbücher des KammeraerichtS Bd. 21 56.) Die lieber» einstimmung der beiden Gerichtshöfe in dieser Frage ist um so erfreulicher, al« ihre Entscheidungen über die Notwendig keit der richtigen OrtS- und Zeitangabe auSeinandergehen. (-) Berlin, 9. Januar. (Telegramm.) Die „Nord deutsche Allgemeine Zeitung" schreibt: Durch die Presse ist vor kurzem die Nachricht gegangen, daß die bulgarische Regierung die zwischen Bulgarien und verschiedenen Machten, darunter auch Deutschland, bestehenden Handels abkommen gekündigt habe. Tie Nachricht istz soweit sie sich auf Deutschland bezieh», nicht korrekt, da ein Handelsabkommen zwischen Deutschland und Bulgarien nichtb«steht. ES hat im Jahre 1897 zwischen den beiderseitigen Regierungen nur ein Notenwechsel stattgesunden, durch den Bulgarien der deutschen Einfuhr den Genuß der Vorteile au« der österreichisch ungarisch - bulgarischen Handelskonvention vom 9 bezw. 2l. Dezember 18SN in Gemäßheit ter Meistbegünstigung
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