Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.01.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030112027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903011202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903011202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-12
- Monat1903-01
- Jahr1903
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug--Preis 1« der Hauptexpedition oder deren Ausgabe- stellen abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung in- Hau» .äl 3.75. Durch die Post bezogen für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4.50, sür di« übrigen Länder laut Zeitung-pret-llste. Leöaktiou und Expedition: - Iohannisgaffe 8. Fernsprecher 153 und 222. FUialevprdttione« r Alfred Hahn, Buchhandlg., NuiversitätSstr.S, L. Lösche, Kathariuenstr. 14, u. Königspl. 7. Haupt-Filiale Dresden : Strehlrner Straße S. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serliu: Carl vuncker, Herzgl. Bahr. Hosbuchhandlg-, Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603. Abend-Ausgabe. KipMer TaMatt Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- nnd -es Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates «n- -es Rolizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen-PretS die 6gespaltene Prtitzeile 25 H. - Reklamen unter dem Redaktion«strich ' t4 gespalten) 75 vor den Famrlirnnach- richten l«gespalten) 50 H Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgeu-Au-gab«, ohne Postbeförderung ^l 60.—, mit Postbesörderung .al 70.—. Iinnahmeschluk für Anzeigen: Abeud-Ausgabe: Bormittag- 10 Uhr. Morgen.Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Vrpedition zu richten. Die Expedition ist wochemagS ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig, Nr. 20. Montag den 12. Januar 1903. S7. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Januar. Die Stimmung in Lachsen. Die Luft ist wieder rein, nachdem acht Tage lang die unheimlichen Geister der I es u i tc n f u r ch t, den weit aufgesperrten Rcdaktionsvcrließen einiger Skandal- und Sensationsblätter entschlüpft, unheil verkündend in dem sonst so lebensfrohen Dachsenlanüe umhergeschwirrt — das halbamtliche Commnniquö des „Dresdner Journals" hat sic, wie frischer Morgenwind wirken-, verjagt, hoffentlich auf Mmmerwiederkehr. Allgemein beruhigend wirkt die Bestätigung der An gaben der Freiburger „LibcrtS", daß der französische Sprachlehrer nicht durch geistliche Mittelspersonen, sondern auf diplomatischem Wege acqutricrt worden ist, sowie der Umstand, daß der Hof dabei gerade betont hat, derselbe dürfe ein Jesuit nicht sein. Nicht überall dürfte verstanden worden sein, was die Auslastung des „Journals" mit der die Konfession des königlichen Hanfes betreffenden „geheimen F e st« stellung" sagen will. Es wird damit Bezug genommen auf eine angebliche Geheimklausel, welche vor 200 Jahren beim Uebertritte des protestantischen Knrfiirsten August des Starken zum Katholizismus vereinbart worden sein soll. Man sagt, der Kurfürst sei nicht aus innerer Ueberzeugung übergetreten, sondern nur um die polnische Krone zu gewinnen; seine Sachsen hätten ihm leid getan. Da hätte denn die römische Kirche, nm ihm über seine Bedenken htnwegzuhelfen, folgende Konzession gemacht: „Wenn ein direkter Nachkomme Augusts des Starken als Sohn eines sächsischen Königs geboren würde, dann dürfe das Haus Wcttin wieder protestantisch werden." Seit 200 Jahren hat keine sächsische Königin einem Sohne das Leben gegeben (die Krone erbte immer von Bruder auf Bruder usw.). Jetzt aber drohe dieser Fall, und darin liege die Wurzel der „unerhörten Agitationen der Jesuiten" gegen die Kronprinzessin. — Ganz besonders befriedigt der Eingang der offiziösen Verlautbarung, daß durch das eingcleitete gerichtliche Ver fahren den begründeten Ansprüchen der Oeffentlich - kett aus zuverlässige und unparteiische Klarstellung der Weg geöffnet sei, was so aufgefaßt wird, daß man nicht bloß die Publizierung des Urteils, sondern auch der Urteilsbegründung zu erwarten habe. Man wird also sehr bald völlig klar sehen. —Wenn die Blätter, welche mit Gerüchten tollster Art, mit Mutmaßungen, Reporter geschwätz und tendenziösen Aufbauschungen die Erregung geschürt haben, fetzt selbst mahnen, mit Ruhe und Ver trauen das Urteil des schwebenden Gerichtsverfahrens abzuwarten, so ist das gewiß anzuerkennen: es darf ihnen aber der Vorwurf nicht geschenkt werden, daß sie, unter Außerachtlassung jeglicher sich von selbst verstehenden Rücksicht auf die schwere Erkrankung des Königs, lediglich aus Sensa tionsbedürfnis die öffentliche Meinung innerhalb und außerhalb Sachsens irrezuführen und den Frieden der Konfessionen zu stören beflissen waren. Reflektiert hat diese Preßmachc dabei auf eine tatsächlich vorhan dene Beunruhigung der protestantischen Bevölkerung Sachsens. Diese ist aber nicht hervor- gerufen durch wirkliche Machinationen verkappter Jesuiten — sich offen zu zeigen, verbietet diesen ja in Sachsen das Gesetz —, sondern durch den gewaltigen An lauf, welchen die ultramontane Propaganda innerhalb der grün-weißen Grenzpfähle mit der Begrün dung einer klerikalen, ganz im Sinne deS Zentrums wir kenden Tageszeitung seit kurzem genommen hat. Man fürchtet, und zwar nicht mit Unrecht, daß die römisch-kleri kalen Herrschgelüstc Zustände wie in Bayern und Baden herbeiführen, und man gibt sich weiter der Besorgnis hin, daß derartige Strebungen an König Georg einen weit festeren Rückhalt haben könnten, als an dem verstorbenen König Albert. Für diese Besorgnis ist aber nicht der ge ringste Anlaß vorhanden. Ganz augenscheinlich fehlt, wie wir schon hervorgehoben haben, den seit einiger Zeit mit besonderem Eifer tätigen Führern des sächsischen Ultramontanismus jede Fühlung mit dem Hofe» und auch die fünf Hofgeistlichen, von denen einige Be ziehungen znr evangelischen Geistlichkeit haben, sind nicht al- jesuitische Platzmacher bekannt. ES ist im allgemeinen zutreffend, was der Leipziger Thcologiepro- fessor Vr. Gregory einem Redakteur der Wiener „Zeit" gegenüber äußerte: „Jesuiten haben lange Köpfe und haben schon manches ausgcheckt. Im Falle Giron halte ich sie für unschuldig. Aber der Verdacht ruht nicht; da ist cS noch ein Glück, daß König Georg, von dem man ein äußerst ultramontancö Regime befürchtete, durch äußerste Reserve und Korrektheit die Sympathien, die er besaß, zu bewahren gewußt hat. Man weiß, daß klerikale Einflüsse am Hofe arbeiten, findet sich jedoch mit ihnen ab, da es nicht unbekannt ist, daß der König ihnen keinen Spielraum läßt. Von dieser Seite ist also die Gefahr nicht so groß. Die protestantischen Interessen sind geschützt, und cs ist gut, daß e» so ist. Die ganze Bevölkerung, selbst solche Leute, die in dcn Augen der Pietisten indifferent sind, würden wie ein Mann aufstehcn, wenn e» klerikale Attentate abzuwchrcn gelten lvürdc." Wer behauptet, das sächsische Königtum stehe unter der „Herrschaft der Priester", eS gebe bei Hose ein „klerikales Nebenregiment"» der fälscht die Tatsachen oder sieht Gespenster. Sollte aber die Propaganda der Kaplanspresie dreister hervor treten, Fortschritte machen und gar den Hof zu beein flussensuchen,so wäre inLachsen auch in dtescmFalle vorge baut. Ucber dem Rechte deS Protestantismus wacht neben einer sehr schlagfertigen protestantischen Presse das ausge sprochene evangelrschc Bewußtsein -es säch sischen Volkes selbst und eine Regierung, die sch-on mehr als einmal derartigen Gelüsten ein sehr energische- „Bis hierher und nicht weiter!" entgegengcrufen hat. Heber das Verhältnis des sächsischen Hofes zu Kunst und Theater hat sich Generalintendant Graf von Seebach ebenfalls einem Redakteur der Wiener „Zeit" gegenüber in bemerkenswerter Weise ausgesprochen: „Alles, was über eine Knebelung von Kunst und Theater geschrieben worden ist, ist ganz und gar erfunden. Das Re. pertoirc der Hoftheater ist der beste Beweis dafür, daß weder klerikale, noch irgendwelche andre politische Einflüsse sich die Kunst dienstbar zu machen wußten. Wirhabeninallen künstlerischen Dingen absolute Freiheit. In dieser Hinsicht kann man uns höchsten» Stuttgart an die Sette stellen. Die Engheit der Gesinnung, die man unserm Hofe vorgeworfen hat, ist ihm vollkommen fremd; im Gegenteil interessiert sich dieser Hof recht lebhaft für Theater und Kunst... Die Kronprinzessin hat eine ungewöhn liche FreihettderBcwegung gehabt, und wenn man sie jetzt zu einer Heroine, zu einer Märtyrerin . . . doch nein, darüber will ich mich nicht äußern. Es genügt zu konsta tieren, daß alles Gerede von einer katholischen Partei, von katholischen Intrigen Ge fasel ist." Der verewigte König Albert war bekanntlich ein) herzhafter Lacher, nnd König Georg freut sich ebenfalls Über einen guten Witz und erzählt selbst gern harmlose Anekdoten. Freilich, die Erzähler von zweideutigen Späßen ernten nicht den erwarteten Beifall. Es geht innerhalb des KönigSschlosscs nicht zu wie in einem Trapntenkloster, sondern wie in einer hochgebildeten, allem Schönen und Edlen offenen kerndeutschen Familie. Zum Wiederbeginn der parlamentarischen Arbeit. Morgen kehrt der Reichstag auS den WeihnachtS- und Neujahrsserien zu seiner Arbeit zurück und gleich zeitig tritt der p r e n ß t s ch e L a n d t a g zu neuer Tagung zusammen. Was dcn letzteren betrifft, so werden seine Verhandlungen voraussichtlich nur insofern von Interesse für das ganze Reich sein, als bei der Etatsberatung sich Herausstellen wird, daß auch der führende deutsche Staat das Bedürfnis einer NeichSftnanzreform schmerz lich empfindet. Hoffentlich trägt dies dazu bei, den preußi schen Ministerpräsidenten Grafen Bülow zu nötigen, dem Reichskanzler Grafen Bülow die schleunige Vorbereitung wenigstens eines provisorischen ResormgesetzeS, das bis zum Eintritte der Wirkung der neuen Handelsverträge der Not der Einzelstaaten steuert, dringend ans Herz zu legen. Die Tagesordnung der ersten Sitzung deS Reichs tages legt die Besorgnis nahe, daß an das fröhliche Ende der berühmten Tag- und Nachtsitzung vom 13. zum 14. De zember sich sofort der fröhliche Anfang anschlicßt; denn es sollen die zum Zollgesetze cingebrachten Resolu tionen zur Beratung kommen. Die wichtigste von ihnen ist die, welche die Erwartung ausspricht, daß der Reichs kanzler beim Abschluß von Handelsverträgen namentlich auf ausreichende Schutzzölle siür die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Bedacht nehmen und insbesondere die Zoll sätze ßür Vieh nicht unter die bei der -weiten Lesung des Zolltarifgesetzcs vom Reichstage beschlossenen Mindestsätze ermäßigen werde. Es leuchtet ein, daß eine Debatte über dies Begehren den ganzen Streit, wie er vor -er Ver ständigung über den Antrag Kardorff bestand, wieder auf leben lassen könnte. Im Interesse des Zustandekommens von brauchbaren Handelsverträgen erklärte die Regie rung die in der zweiten Lesung beschlossenen Viehmindest- sätzc für unannehmbar, und in dem Antrag Kardorff wur den sie preisgcgcbcn. Trotzdem will man die Erwartung aussprechen, daß der Reichskanzler sich dennoch an diese Mindestsätze gebunden halten werde. Der Antrag ist von Mitgliedern deS Zentrums, der konservativen Parteien und der Antisemiten unterzeichnet worden. Dabei fehlen jedoch die Führer -es Bun-es -er Landwirte und die meisten derjenigen Konftrvativen, welche sich der Ver ständigung nicht angeschlossen haben. Im ganzen sind es 147 Unterschriften. Wird nicht noch eine erkleckliche An zahl weiterer Anhänger gewonnen, so hat die Resolution keine Aussicht auf Annahme; denn die Nationalliberalcn können, nachdem sie die Minimalsätze für Viehzölle seiner- zeit mit prinzipieller Schärfe abgelehnt haben, jetzt selbst verständlich nicht für diese Resolution stimmen. WaS aber gewinnen die Antragsteller, wenn ihre Resolution abge lehnt wird? Nicht allein nichts, sondern sie erschweren unserer Regierung die Erlangung möglichst hoher Vieh zölle in den Handelsvertragsverhandlungen. Und ge länge es, die Resolution durchzudrücken, so würde das der Autorität deS soeben erst beschlossenen Zolltarifgesetzcs in den Augen des Auslandes zum mindesten nicht zur Stär kung gereichen. Man kann daher nur n-ünschen, daß die Vertreter der verbündeten Regierungen mit aller Ent schiedenheit zwar den guten Willen, möglichst viel für die Landwirtschaft heranszuschlagen, aber auch die Unmöglich keit betonen, ein wie immer geartetes Versprechen auf Bindung an Mtntmalsätze für die Vichzülle abzugebcn. Bon den Nation allibcralen wird jedenfalls er wartet werden dürfen, daß sie möglichst vollzählig er scheinen und es einmütig ablehnen, durch Zustimmung zu der Resolution der Reichsregierung Schwierigkeiten bei den HandelsvertragSvcrhandlungen bereit«! zu Helsen. Zolltarif-Kämpfe in der Schweiz. Die Schweiz geht schweren öffentlichen Kämpfen ent gegen. Das Referendum, welches gegen da- Zolltarifgesetz erhoben worden ist, hat einen großen Erfolg errungen. Statt der nötigen 30 000 Unterschriften sind über 100 000 znsanrmengekommen. Nun ist das noch kein definitiver Sieg, da die Zahl der Unterschriften auf daS Ergebnis einer Volksabstimmung nicht einen entscheidenden Einfluß ausübt. Man weiß ja, so schreibt man dem „Schwäb. Merk." aus Bern, wie Unterschriften gesammelt werden. Sie werden oft unter dem Druck der persönlichen Ein wirkung und oft auch des Alkohols gesammelt. So ein Untcrschriftensammlcr, der von Referendunrsfreunben ausgeschickt wird, wird sür seine Bemühungen bezahlt, oft ans Grund der Zahl der Unterschriften, die er zusanunen- bringt. Es kam schon vor, daß pro Unterschrift mindestens 5 Ets. bezahlt wurden. Nun ist es begreiflich, daß ein solcher Ausläufer des Referendums nur darauf sieht, Laß er möglichst viele Unterschriften zusammen bekommt, gleichviel, ob die Träger derselben dem Referendum zuge- neigt sind oder nicht. Kommt dann die Volksabstimmung, können die Subskribenten immer noch stimmen, wie sic wollen, da die Unterschrift zu nichts verpflichtet. So nur ist es verständlich, daß schon im Jahre 1873 gegen das neue EtvilstandSgesetz 106 560 Unterschriften zusammcnkamen, daS Gesetz dann aber am 23. Mai doch angenommen wor den ist. Gegen den Schulsrkretär kamen 1882 sogar 180 995 Unterschriften zusammen, und in der Tat wurde dann die VerfaffungSrevision auch abgelehnt. Also im all gemeinen beweist die Zahl der Unterschriften in Bezug auf das Ergebnis der Volksabstimmung nichts. Nichtsdesto- weniger befindet sich jetzt die Schweiz in einer unerfreu lichen Lage. Im Oktober glaubte man den Generaltarif unter Dach zu haben, jetzt wird er von den Parteien hin- und herübergerissen und zerzaust und das Volk während Wochen in eine hochgradige Aufregung hinetngetrieben. Dazu kommt die Ungewißheit über das Schicksal des Tarifs. Wird er von der Volksmehrheit verworfen, so muß die Bundesversammlung eine neue Vorlage aus arbeiten, allerdings nicht eine von der bisherigen gan- verschiedene; dagegen sind diejenigen Positionen, die hart angegriffen wurden, anszumcrzen und durch weniger schuyzöllnerische zu ersetzen. Gefällt diese Vorlage wieder nicht, dann kann sie vom Referendum wieder weggefegt werden, so -aß die Schweiz zu einem neuen Tarifgesetz gar nicht gelangt. Diese Gefahr wird nun wohl nicht ein treten, aber sic ist vorhanden. ES wird naturgemäß mit der Einsetzung aller Kraft dafür gearbeitet werben, daß der Tarif in der Volksabstimmung, die Ende Februar stattfindet, angenommen wird. Glücklicherweise ist bis Fauillatsn. Frau Huna. Roman von Karl Tanera. Nachdruck verboten. 9kin beging sie einen großen Fehler. Sie schenkte einem der nur mit einem langen blauen oder weiße» Hemd und dem nationalen Fez bekleideten Straßen verkäufer Gehör und gab ihm für einen bunten Stroh fächer einen Franke». „Gnädige Frau, für diese liber reiche Bezahlung werden Sie büßen Missen!" Kaum hatte es der General geäußert, so kamen drei, sechs, zehn, ja zwanzig neue Verkäufer und boten ihr unter fortwähren dem Geschrei alles nur mögliche an. Ihr Gatte konnte die zudringliche Gesellschaft trotz all' seiner Mühe nicht ab wehren, und auch Herr von Menzheim war schließlich der frechen, unbescheidenen Bande gegenüber völlig machtlos. Man beschloß, auf den Dampfer zurückznkehren. Mit Mühe brachen sich die Reisenden bis zn ihrem Boote Bahn, stiegen ein und freuten sich, endlich der lästigen Gesellschaft entronnen zu sein. Ein neuer, ungemein malerischer An blick zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Zn beiden Setten des „Friedrich des Großen" lagen Kohlenleichterboote, von denen aus arabische und fcttachische Kohlcnträger bei Pechfackelbeleuchtung korbweise Kohlen in das Innere de- Dampfers verluden. Die an und für sich dunkelfarbigen, nnd noch dazu rußigen, nur mit dem Allernotwendigsten bekleideten Leut« sahen bei dem flackernden Lichte der Pechflammen wirklich wie Tenfel ans. Sie verrichteten aber ihre Arbeit schnell und fleißig, unter fortwährendem Singen arabischer, rhythmischer Weisen. Der Kohlenstaub erlaubte kein Verweilen auf den Decks. In den Kabinen aber herrschte eine schrecklich drückende Lust. Darum war jedermann froh, als das Signal zum Diner rief. Die Wciterfahrt war auf zwei Uhr nachts festgesetzt. Da es ein ganz eigenartiger, fesselnder Anblick ist, einen so mächtigen Dampfer, der am Vordersteven eine ge waltige elektrische Laterne mit Scheinwerfer führt, in den Kanal eintrctcn zu sehen, so wurde von den meisten Passagieren beschlossen, sich sofort nach dem Diner einige Stunden zur Ruhe zu legen und kurz vor der Abfahrt wieder auf dem Deck zu erscheinen. , - Ein Bild, wie man es sonst nirgends auf der Erde sieht, belohnte die Unterbrechung deS Schlafes. Langsam schob sich der mächtige Dampfer durch die vielen im Hafen ver- ankerten Schiffe. Der Scheinwerfer an seiner Spitze warf einen weißen Lichtstrahl gerade vor sich, der nach und nach eine große Breite cinnahm, in der Nähe des Schiffe- aber sich scharf von der umgebenden Dunkelheit abgrenzte. Obwohl Millionen von Sternen am fast schwarzen Himmel leuchteten, erschien doch die Nacht sehr dunkel, weil der Mond nicht am Himmel stand, aber dafür das grelle Licht des Scheinwerfers stark blendete. Es sah aus, als ob aus dem schwarzen Hintergründe ein glänzend wciße- Dreieck herausgeschnitten wäre und in diesem stet wechselnde Bilder gleich den Vorführungen einer latorn« megioa erschienen. Zwischen den hellgelben Dandbämmen der Kanalwände erkannte man hier und da Boote, Bagger maschinen und die kleinen StationSschisfe der Beamten. Oben auf dem Rande tauchten wandernde Kanalarbeiter nnd Aufseher, und hin und wieder eine von Port Said nach -er Wüste oder nach Jsmailia ziehende Beduinen- oder Fellachengruppc auf. Plötzlich verschwanden sie wieder außerhalb der Lichtgrenzc des Scheinwerfer-, und ein andere- Bild erschien. Lange hatten die Passagiere diese Wechsclsccnen mit großem Interesse beobachtet. Da erstrahlte weit vor ihnen plötzlich ein gleich mächtiger Lichtstrahl. Er kam von dem Scheinwerfer eine- anderen, entgegenkommenden Dampfers. Nun trafen sich die beiden Lichtbreiecke. Der „Friedrich der Große" wurde festgelegt, weil er während der Fahrt durch die kolossale Wasserverdrängung von 17 000 Tonnen dcn Kanalwänden geschadet hätte, wenn die von ihm erregten Wellen sich mit denen des entgegen kommenden Dampfer» gekreuzt hätten. Dieser war ein englischer Paflagiersteamer der P. a. O.-Gesellschaft. Wie eine geisterhafte Burg zog er vorüber. Al» er sich aber dicht neben -em „Friedrich dem Großen" befand, erkannte man doch, wie klein ersterer gegenüber feine,» deutschen Kollegen war. Alle Deutschen freuten sich in berechtigtem Stolze darüber, denn ihr Schiff und alle der gleichen Klasse bewiesen ja der ganzen Welt die vorzügliche Leistungs- fähigkett deutscher Lcktffsbaukunst. Stan, der Vorbeiiabrt de» Engländer» setzte auch der ».Friedrich der Große" seinen Weg fort Nun begaben sich die meisten Passagier« wieder in ihr« Kabinen, um di« unterbrochene Ruhe weiter zu genießen. Juli« fand aber die Nacht so zauberisch, baß sie Jzuna bat, noch länger mit ihr auf -cm Deck zu verbleiben. Beide stellten sich an die vorderste Spitze des Schiffes und sahen stumm im Sicht bereich des Scheinwerfers vorwärts oder in die dunkle Nacht nebenan, oder zum glitzernden Sternenhimmel empor. Nach einiger Zeit schmiegte sich die jung« Frau an ihren Gatten und sprach leise: „Ob es dort oben wirklich ge schrieben steht, welches Schicksal wir Menschen von der Zukunft zu erwarten haben?" Er entgegnete etwas nüchtern: „Wir glauben nicht an eine solche Behauptung. Wir sind der Ansicht, daß sich dort oben neue Welten bilden und alt« vergehen, selbständig und ohne Einfluß auf die anderen Bestandteile des un- ermeßlichen KvSmoS, und -atz wir auf unserer kleinen Erde nur ein winziger Bestandteil in dieser gar nicht zu schätzenden Masse von Sonnen und Planeten, von noch lebenden Erben und schon abgestorbenen Monden sind. Da würden wir es für eine unverzeihliche Anmaßung halten, wenn man ans dem Wechsel de- Standes der Ge stirne bedeutungsvolle Angaben Air daö Leben einzelner Menschen entnehmen wollte. Wir sagen daher nicht: „In den Sternen steht da» Schicksal der Erdenbewohner ge- schrieben", wir glauben also an keine Astrologie. Aber wir behaupten: „In den Sternen strbt das Schicksal un serer ganzen Erde, ihr allmähliche» Erkalten, Absterben und Vergehen geschrieben." Wir sind also reine Anhänger der Astronomie." „Oh, ihr nüchternen Gelehrten! Dasselbe glauben wir ja auch. Aber nebenbei geben wir un», ich will nicht sagen astrologischen, sondern nur schwärmerischen Träu mereien hin. Es liegt für uns ein Reiz darin, uns vorübergehend Selbsttäuschungen zu überlassen, deren Un natürlichkeit wir wohl kennen!" „Darin sind wir Japaner ganz ander- geartet. An etwas Geisterhafte» glauben wir, o. h. unsere gebildeten Klassen, gar nicht. Wir machen im» auch nichts Un- nafttrltche» vor. Daher sind wir selbst in religiöser Be- ztshung so wenig sanattsch. Wir hängen an der Moral- lehre de» Konsu-tse und folgen seiner Ansicht, welche, wenn auch nicht den Worten, so doch dem Sinne nach sagt: Ein gescheidter Mensch braucht nicht» Tran-eenben- tale», nicht» U«b«rirdische» zu glauben, denn da» Richtige können wir Menschen mit unserem beschränkten Gesichts kreis doch nicht erforschen, und um die menschlichen Er findungen von Priestern irgsnd rvrlcher Religion zu glauben, ist ein aufgeklärter, klar denkender Mensch zu gut." „Das ist ja schrecklich. Da haben die Japaner also gar keine Religion?" „Oh doch, meine geliebte Julie. Wir haben sogar zwei Religionen in unserem Lande. Der ShintoiSmuS, eine Art von Ahnenkult»-, ist die sogenannte StaatS- religion. Bei einem Fest im Hause der Tanten erzählte ich in meiner Tischrede einmal die Sage von der Er schaffung Japans durch das Göttcrpaar Jzanagi und Jzanami und von der Belebung der entstandenen Inseln durch die Sonnengöttin Amatcrasu. Deren Sohn soll nun der erste Mikado, also Kaiser von Japan geworden sein. Diesen und unsere ersten Kaiser umgeben wir mit göttlichem Nimbus. Das war eigentlich alles und er hielt nur im Laufe der Jahrtausende einige belanglose Zusätze durch Vergöttlichungen anderer Personen und von Naturkräften und natürlichen Empfindungen und Erscheinungen. Später trat der BnddhiSmuS als zweite Religion aus. Er hat aber von seiner ursprünglichen Reinheit viel verloren und ist durch die Priester tu der langen Zeit so entstellt nnd durch Götzenzutat verun reinigt morden, daß man die alte Religion gar nicht mehr erkennt nnd er nur noch beim unteren Volk An klang findet. Wir Aufgeklärten lassen aber den Leuten ihren Glauben, denn warum sollen wir ihnen etwas nshmen, waS sie besriedigt, und wosür wir ihnen keinen Ersatz bieten können! Wir sind daher in jeder Art tolerant. Nur erlauben wir nicht, daß ReligionSstreitig- keiten entstehen, oder sich die Priester in irgend etwas mischen, was außerhalb ihres religiösen Berufe- liegt." „Bei euch ist also der Priester nicht Tröster oder Be rater in den Familien?" „Nein, meine geliebte Julie. In dieser Beziehung tritt bei nmS sür die Fran die Mutter und für den Mann der Vater ein. llnscre Eltern sind unsere natürlichen Be rater, unsere Freunde und Tröster, und ich halte dies auch für richtig. Wie sollte ein Fremder, der noch dazu Anhänger einer parteiischen Religion ist, un- in dem Maße kennen, wie die, welche uns das Leben gegeben, unsere Jugend behütet, un» erzogen und uns in die Welt eingeführt haben!" „Wenn aber die Eltern gestorben sind?" „Dann müssen wir sür uns selbst einsteheu. Dann werden wir ber alte Stamm, an dem sich unsere Nach kommenschaft emporrankt und hält."
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite