02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.01.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030124021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903012402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903012402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-24
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Osferteaunnahme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung ./L 70.—. Ännahmkschlub für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 43. Tonnabend den 24. Januar 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 24. Januar. Aus dem Reichstage. Trotz der Buße, die sich vorgestern Graf Ballestrem, halb gezwungen, halb freiwillig, dadurch auferlegte, daß er den wilden Bebel über Dinge reeen ließ, deren Berührung er tags vorher dem manierlichen v. Bollmar hart näckig verboten halte, hat der Präsident des ReickS- lagS gestern sein Amt niedergelegt. Er scheint aber nicht abgeneigt, sich wieder wählen zu lassen. Sonst würde er fernen Rücktritt nicht mit einem Ailikel der „Kreuzzeitung" begründet haben, die zwar die in der konservativen RcichStagSsraktion herrschenden Ansichten auszudrücken pflegt, aber doch nicht das anerkannte Sprachrohr dieser Fraktion ist und nach der Gepflogenheit des hohen Hauses in diesem als „Stimme aus dem Ebaussee» graben" ebenso behandelt wird, wie jede andere Zeitung. Durch diese seine Begründung wollie wohl Graf Balleslrem, der genau weiß, daß das Zentrum seinen Anspruch auf die Besetzung des PräsieentenstuhleS nicht aufgibt und daß es überaus schwer, wenn nicht ganz unmöglich ist, in dieser Fraktion eine andere sür diesen Stuhl geeignete Persönlichkeit zu finden, zuerst den Komervativen Gelegenheit geben, ihm trotz des begangenen Fehlers ein Vertrauensvotum zu er teilen. DaS geschah nun allerdings nicht ausdrücklich, denn die „Kreuzzeilung" halte nur die Ansicht der konservativen Fraktion ausgesprochen, aber der Führer derselben, v. Nor» mann, konnte wenigstens erklären, daß cni Zeitungsartikel für einen Reichstags-Präsidenten keinen Anlas; zum Rückt,ilt zu bilden brauche. Der natiorraili''erale I)r. Sattler folgte dresem Beispiele, und so rst denn wohl anzunchmcn, daß am Donnerstag die Wiederwahl des Grafen Balleslrem gegen die Stimmen der Linken erfolgt. Uno damit kann man sich an gesichts der Schwierigkeit, die Präsidenlcnfrage in einem anderen sinne zu lösen, wohl einverstanden erklären; denn, abgesehen von dieser einen Entgleisung, hat Graf Vallestrem während seiner langen Geschäflssührung auch unter febr schwierigen Umständen eS stets verstanden, das ihm geschenkte Vertrauen vollauf zu rechtfertigen. Und gerade diese eine Entgleisung wird dem bisherigen Präsidenten eine Lehre fein, die er nicht vergißt und die vor Wiederholungen schützt. Und wenn es beißt, Graf Ballestrem wolle die Annahme einer Wiederwahl von dem Zugeständnis abhängig machen, daß die Hereinzichung deö Kaisers in die Erörterung wieder nach der alten Praxis eingeschränkt werde, 10 würde eine solche Emscknänlung einem vorgestern vom Reichskanzler auSgelpiochenen Wunsche entsprechen. Aber Graf Bülow weiß ganz gut, Lag dieser Wunich nur dann in Erfüllung geben kann, wenn überhaupt zur alten Praxis zurückgekehrt wird. Kann er das erreichen, so wird auch der Reichstag auf die etwaige Be dingung deS Grafen Balleslrem eingehen können. — Nachdem der Schreck, den der Brief des Präsidenten dem Hause be reitet hatte, überwunden war, vollzog sich der Rest der ersten ElalSberatung ziemlich glatt. Bemerkenswert war nur oer hochfahrende Ton, den die bündlerischeu Redner l)r. Oertel und vr. Hahn sowohl gegen tue Regierung, als auch Hegen die Nationalliberalcn und alle anjchlugen, die sich Nicht blind den Forderungen der Führer des Bundes der Landwirte unterwerfen. Allen diesen wurde sür die Wablen mit strenger Abrechnung, der Regierung mit Ablehnung der Handels verträge gedroht, falls diese den Erwartungen der Bündler nickt entsprechen sollten. StaatssekretLrGrafP o sado wsky unterließ es allerdings nickt, diesen Herausforderungen entgegen- zntreten, aber auch er wird fick wohl schwerlich daiüber täuschen, daß mit Worten allein gegen Agitatoren nichts auszurichtcn ist, denen es augenscheinlich gar nicht darauf ankommt, ob die durch ihr Treiben zersplitterten bürger lichen Parteien eine Anzahl Sitze an die Sozial demokraten verlieren, wenn nur dafür die extremsten Agrarier einige neue Mandate erobern. Ebarakteiistisch für die beiden bündlerischen Redner war cs übiigenö auch, daß sie sich gegen die in Aussicht gestellten Maßnahmen zur Sicherung des Wahlgeheimnisses wendeten. Man kann daraus schließen, daß sie Wahlbecinflussungen und Racke sür Ungesügigkeit beim Wählen zu ihren geheiligten Rechten zählen. Lozialvcmokratischrr Schwindcl-Paropismus. Die erste Lesung des Reichsetat- wird von der sozial demokratischen Presse gewohnheitsmäßig dazu benützt, die sozialdemokratischen Redner mit der ausschweifendsten Ver- berrllckung zu beglücken. Was aber dieses Mal nach der Rede Bebels im „Vorwärts" in der aedacklen Richtung ge leistet wirb, stellt an schwindelhafter Uckertreibung selbst die blühendste morgenländiicke Eifindungsgabe in den Schatten. Sckon die Uebcrsckr'fl des betreffenden Leitartikels, die sogar in besonderen Drucktypen erstiablt, läßt durch die bescheidene Anlehnung an den Philoiophen Fichte (sie lautet nämlich: „Eine Rede an die deuischc Nation") einen zutreff nben Schluß auf den Ebaratter dieser Darbietung zu. Diese gipfelt in rwei Behauptungen. Deren eine lautet wörtlich folgendermaßen: „Der Genius des lauge geluechteteu und verstümmelten Deutsch. lumS halte (in Bebels Antwort ans die bcfuuiitcn Kaiicrrrdcn) jäh seine Fesseln gesprengt und kündete sudelnd. Laß das deutsche Volk doch nickt qauz in feige Sklaverei nud würdelose Luge gesunken sei. Im Wortführer des deutsche» Proletariats ward die Nnlturehrc der Nation endlich lebendig." Eine solche Sprache ist nichts weiter als der reine Schwindel gegenüber der Danach-, daß daS persönliche Hervor treten deö Kaisers im politischen Memungstampfe seit Jahren gerade von monarchischer Seite öffentlich auf daS unum wundenste beklagt worden ist. Erst die letzten Tage mit ihrer Erörterung des Swinemünder Telegrammes haben diese Tat sache aufs Neue in Erinneiung gebracht. Wie kommt unter derartigen Verbältnisien dem Gerede von Sklaverei und würdeloier Lüge eine andere Bedeutung als die eines reinen Schwindels zu? Der „Vorwärts" variiert dasselbe Thema sodann gegenüber dem Auslände, indem er behauptet, daß im Auslanve „Hohn und Verachtung" Deutsch land gegenüber herrschten: „Mau begreift es draußen nicht, daß ein Volk, das die größten Kulturgüter der Menschheit geschenkt, zu solcher Tiefe stummer und lacherl cher Sklaverei gesunken sei, daß eS sein Behagen in einem plumpe» Götzendienst finde, daß derprometheische kiaftvoll trotzende Gedanke erloschen, verschüttet sei, daß eS seine Zeit verbringe mu läppischen Nichtigkeiten und unehrlich und heuchlerisch sein Elend lobe — ein Volk, wie eS draußen scheint, von Unmündigen, Toren und Knechten. Bebels Rede wird vor dem deutschen Namen wieder Achtung werben." Es schlägt der Wirklichkeit ins Gesicht, wenn dem AuS- lande, das uns allerdings an manchen Stellen nicht liebt, sondern haßt und eifersüchtig beneidet, nachgesagt wird, daß seine Empfindungen Deutschland gegenüber Holm und Ver- acktung seien — welche Gebiete des öffentlichen und geistigen Lebens von den sozialdemokratischen Schimpsbelden auch immer gemeint sein mögen. Was aber insbesondere das politische Gebiet anbetrifft, so bat derselbe „Vorwärts", als derselbe Reichstag daS „ZucktbauSgesetz" verscharrte, triumphierend des moralischen Eindrucks gedacht, den jene Verscharrung zu gunsten Deutschlands im AuSlande Hervor rufen müsse. Und derselbe „Vorwärts" hat mit grimmiger Schadens, ende wiederholt über den „Sieg des Junkertums über die Krone" in Sachen der Kanalvorlage gefrohlockt. Demnach feblt dem sozialdemokraiischen Zentralvrgane selbst von seinem eigenen Standpunkte aus das Recht, über d>e angeblicke Versunkenheit Deutschlands in Knechtschaft rn faseln. Eine derartige Herabwürdigung der eigenen Heimat vor dem Auslande fällt lediglich aus ihren Urheber rurück. G>bt es in Deutschland irgend etwas, wodurch die Verachtung und der Hohn deS Auslandes bervorgerusen wird, dann ist es die sozialdcmokratilche Gepflogenheit, deutsches Wesen in den Staub zu ziehen. Beschießung des Forts San Carlos. Jetzt liegt endlich eine amtliche Mitteilung über den Grund der Beschießung deS Forts San Earlos duich daS deutsche Kanonenboot „Pantber" vor. Man depeschiert uns: Berti», 24. Januar. tT.) T»e ans Willemstad hier cingegangcnc von Maracaibo, den 2l. Januar, datierte amtliche Meldung des Kommodore scheder tautet: „Aist 17. Zannar wurde beim Passieren der Maracaibo-Barre der „Panther" vom Fort San Carlos »nerwartet mit lebhastcm Feuer an gegriffen. Ter „Panther" führte eine halbe Stunde lang de« Gcsckützkninp, durch, brach danu aber den Kampf wegen negativer Sckwierigkriteu ab. Um sofort eine Strafe für den Angriff folge« zu lassen, habe ich, zumal die venezolanische Negierung denselben als Erfolg prokla miert hat. mit der „Bineta" am 21. Zannar das Fort San Carlos bombardiert nud zerstört. Dadurch ist die Sachlage mit einem Male und iu einer syr uns hockst befnekigenden, sür die amerikanische Presse aber und eiven Teil der engliickcu dagegen höchst beschämen den Weise llar geuelll. Nicht der deutscheKommandant ist aggressiv vorgegangen, auch nickt, wie angenommen wurde, wegen eines Versuchs, die Blockade zu durchbrechen, der „Panther" ist vielmehr mit unerhörter, her aus» sorve rüder Frechheit, ohne daß zwischen Deutschland und Venezuela der Krieg erklärt wäre, von San Earlos beschossen worden. Selbst verständlich konnte das deutsche Kriegsschiff nicht einfach davonsabren und die in der Vvtkergeschichic kaum erhörte Pi ovokali on undeaulwo, let lassen. Die Strafe folgte prompt auf dem Fuße und heute ist das Fort San Earlos nur noch ein Trümmerhaufen. Drei deutsche Kriegsschiffe haben ganze A beit getan. Welche Folgen Vers Friedenedruch des Fort- Kommandanten haben wird, entzieht sich noch unserer Beurteilung, eS wäre aber nicht verwunderlich, wenn er die im Zuge befindlichen Verhandlungen in einer für Venezuela lehr empfindlichen Weise beeinflußt, zumal die Regierung Castros mit dem Angriff aus den „Pantber" völlig einverstanden gewesen zu sein scheint. Unsere „Freunde" in den Vereinigten Staaten und England aber mögen mit dem erhebenden Bewußtsein die Tinte aus der Feder wischen, daß sie wieder einmal mit Verdächtigungen und Verleumdungen über Deutschland hergefallen sind, ehe sie begründeten Anlaß dazu hat en. Der blindwütige Haß ließ sie nicht warten, bis die Sachlage klar war. Dann hätte man allerdings nicht im Trüben fischen können, und darauf kam es ledig lich an. Im übrigen liegen noch folgende Meldungen vor: * Caracas, 23. Januar. Die Verbindung zwischen der Stadt Maracaibo und dem Fort San Carlos ist sehr schwierig. Sie nimmt mit einem Boot 6 Stunden in Anspruch. D:e Indianer die in Maracaibo die Bootsleute sind, wollen aber nur gegen sehr hohe Bezahlung nach dem Fort hinausiahren. * Caracas, 23. Januar. („Reuters Bureau" ) 8s verlautet, das niederländische Panzerschiff „Te Ruyter", welches am 21. Januar von Los Roques in La Guayra eintraf, fand aus der Insel 17 Menschen tot, welche durch den infolge derBlockade entsta «denen Lcbcus- mittelmaugel verhungerten und verdursteten. Bestätigung bleibt abzuwarten. Möglicherweise liegt eine von venezolanischer oder nordamerikanlicher Seite beeinflußte Falschmeldung vor, welche den Zweck verfolgt, die öffentliche Meinung der neuen Welt noch mehr gegen den deutich-eng lischen Zweibund in Harnisch zu bringen. Tie Gewissensfreiheit ein — Mordgcschcnkl Durch dieses „sinnige" Wort die deutsche Sprache bereichert zu haben, ist das „Verdienst" des in einer Auslage von 25 500 Exemplaren in Brixcn (Tirol) erscheinenden „Volks boten", Organ zur Belehrung und Unterhaltung des ka'holischen Volkes. In seiner'Nummer vom 8. Januar l003 macht derselbe zunächst „mit großer Freude" die Mitteilung, daß ein früherer erster Redakteur, der Theologreprojessor Ur. Sigm. Wartz, in Anerkennung seiner außer ordentlichen Veidienste „um die christliche Nächsten liebe" (!) soeben von Papst Leo XIII. zum päpstlichen geheimen Kämmerer ernannt worden sei. Auf der folgenden Seite wendet er sich dann mit Muckt gegen die Los von Rom-Bewegung, als einer Bewegung, welche der Gewiffens- srerheil zum Sieg verhelfen will. Diese Aussicht erregt ibn so, daß er erklärt: „Zwischen Gewissenlosigkeit und Gewissens freiheit ist kein groß r Unterschied." Dann setzt er Weiler wörtlich auseinander: „Gewissensfreiheit ist ein schönes Work, aber eine grundschlechte Sache: mit der Ge- wlsfenssreiheit ist den Menschen ein solches Mord- gcfchenk gemacht, wie wenn man einem leckerha>ten Buben volle Freiheit gibt, in einer Apotheke zu nehmen, was ihm beliebt; jede Schublade und Büchse und Flasche steht ihm offen ohne Aufsicht und ohne Warnung. Der Bube ginge vielleicht schon am ersten Tage zu Grunde, da er leicht an irgend ein G»ft- glaö, z. B. Blausäure, geraten würde" usw. Deshalb solle man alle Los von Rom-SLriflen, als Förderer der Gewisseiissrerbeit, aus katholischen Häusern feinhalten. „Ja^t die AaSrabeu weg von Euren Dächern." So schließt anmutig der Artikel. Gewiß wird eü auch der Feuilleton. Frau F;una. Roman non Karl Tanera. plachdruck verboten. Siradoma war jedes Wort ivic ein Stich ins Herz ge drungen. Tas sollte also ihre Zukunft werden! Statt hier als Genossin eines Reformators, als ein Beispiel einer höher stehenden Frau angesehen und bewundert zu werden, mußte sie sich hcrnnterdrüclen lassen in die Sphäre von Unwissenheit und von Knechtschaft dieser japanischen Puppen. Und wie leicht er davon sprach, sich von ihr ans sechs Wochen zu trennen! Wie wenn sic nichts wäre, als ein Gegenstand, -en inan ohne Schmerz aus Wochen ver leiht, oder ein junger Hund, den sein Herr einige Zeit in die Dressur schickt. Dieses Bcrhalten ihres Gatten war das Bitterste, was sic bis jetzt erduldet harte. Aber sic konnte sich doch schon so beherrschen und verstand die japanischen Hösiichkcits- sormen so gut anzuwcnden, daß weder ihr Mann, noch seine Angehörigen bemerkten, was in ihrem Innern vor ging. Als die Gäste abends Abschied nahmen, äußerten ne sich wiederholt in hohem Grade von Siradoma ent zückt, und der Vater Jzuna sprach zuletzt: „Tein Monn wird dich nächstens zn uns schicken. Wir srcnen uns darauf, und du sollst eS bet uns gut haben." Nicht eine einzige Frage nm ihr Einverständnis zu dieser Reife geschah, niemandem, nicht einmal ihren Schwägerinnen, fiel eS ein, sic um ihr Kommen ,n bitten, sie sollte eben wie ein Eolli versendet werden. Mit Muffe verhielt Siradonm ihren Groll, bis Zzuna und sie die Verwandten ihres Mannes zur Straße be gleitet, und diese sich entfernt hatten. Kanin war der letzte Rikscha derselben venchwnnden und das Ehepaar wieder in das Hans znrnckgetretcn, da mußte sie sich Lust machen. „Akira, das ist geradezu abscheulich von dir. Ick habe jedes Wort, welches du deinem Vater sagtest, verstanden. Also statt, daß du dich bestrebst, >v'< du es mir und uns allen in Berlin ucrsvrockwn hast, sür die Erhebung der Frauen in Japan cinzutretcn, und mir dabei eine tätige Mitarbeiterschaft zuzuteilen, willst du mich auf den Stand- punkt eurer, zwar niedlichen und lievenpwürdigen, aber entsetzlich verdummte», zurückgebliebenen und sklavischen Puppen herabdrücken. Dieser Vernich, der dir nie ge lingen wird, ist ein Wortbruch deinerseits, den ich dir nicht zugetrant hätte. Ich habe dich für verlässiger ge halten, für einen echten Mann. Und was ich als noch schlechter bei dir ansche, ist, daß du mich sogar in der Liebe getäuscht hast!" „Wie kannst du nur so etwas —" „Bitte, laß mich aussprechcn. Ich bin nicht deine Sklavin, sondern deine Frau. Eine solche schickt man nicht von sich weg, ohne sie nur mit einem Worte um ihre Zu stimmung zu befragen. Ich Hove geglaubt, du hättest mich so lieb, daß dir der Gedanke einer sechswöchcntlichen Trennung von Anfang an als unerträglich, als unmög lich erscheinen würde. Statt dessen gehst du ohne weiteres auf den Vorschlag deines Vaters ein, und versprichst ihm einfach, mich ihm ans sechsWochcn zu schicken. Tas lautet ja wie eine Versendung eines Hundes oder einer Katze. So weit sollte sich, wenn es dir nicht die Liebe sagt, wenigstens die vierjährige Erziehung in Deutschland bei dir geltend machen, daß du eine derartige Vergewaltigung einer Fran für undenkbar hältst. Ich lasse es mir auch nicht gefallen. Ich gehe einfach nicht nach Nagoya." Jznna war ganz starr. So Imtte er noch nie eine Frau sprechen stören, und nie wäre cs ihm in den Sinn ge- kommen, daß seine Fran, senie sanfte, liebe Siradonm, mit solcher Energie anstrcteu könne. Eigentlich gefiel sie ihm jetzt besser, wie je zuvor. Tie Erregung und der Zorn verliehen ihren Augen einen ganz außergewöhnlichen Glanz, cur unheimliches Feuer. Sic sah schön aus, wie noch nie. Am liebsten halte er sic umarmt, an sich gepreßt und glühend geküßt. Aber er wäre kein Javaner gewesen, wenn er dieser Neigung nachgegeben, die Selbstbeherrschung verloren hätte und ihrem Liebreiz erlegen wäre. Obwohl er sic mit ver langenden Blicken zn durchbohren schien, behielt er doch ganz die Gewalt über sich, und sprach in strengem Tone: „Wie tannst du nur in einer so unweiblickeu Art aus- bransen! Vergißt du denn ganz, wie sich eine Dame zu betragen hat! Dein Verhalten zeigt mir ja deutlich, wo- h°n es führt, wenn man Frauen zu viele Freiheitcn ge nehmigt. Ich bin sehr froh, daß ich mich nickt hinrcißen ließ, den phantastischen Ideen, welche mich in Berlin er griffen hatten, hier nachzugcbcn. Für unsere Verhält nisse paffen nur Frauen, welche in echter Weiblichkeit sanft, bescheiden, liebenswürdig und freundlich sich mit der Ausgabe begnügen, welche ihnen die Natur zugewicsen hat, das heißt, brave, treue Dienerinnen des Mannes zu sein und gute Mütter zu werden. Ich müßte mich ja gründlich schämen, wenn meine Mutter oder eine meiner Schwestern dein Ausbrauscn gesehen hätten! Es hat mich aber chelehrt, nie beizutragcn, daß japanische Frauen eine so falsche Erziehung wie die Europäerinnen erhalten, welche ihnen die vornehme Ruhe und die Selbstbe herrschung raubt. Auch iu der Beurteilung unserer gegenseitigen Liebe täuschst du dich sehr. Ich liebe dich so, wie ich nur zu lieben vermag. Aber trotz dieser Liebe lasse ich mir nicht die Reckte des Mannes verkümmern. Natur, S2tc, An stand, Recht und Gesetz verlangen, daß die Frau unbedingt dem Manne gehorcht. Wenn ich es für gnt finde, dich auf einige Zeit zu meiner Familie nach Nagvna zn senden, so hast d», ohne zu fragen, warum, dorthin zu reisen. Einen solchen Befehl zu geben, ist mein Recht, und ich werde ihn geben, wenn ich eS für deine Erziehung oder aus anderen Gründen für notwendig halte. Zunächst aber mutz ich dir sagen, datz ich glaube, es ist für uns beide, das heißt, für das Glück unserer Ehe, bester, wenn ich nickt mehr so sehr deinen europäischen Neigungen nachgebe. Ich werde öfters von Harne abwesend sei», und so, wie alle meine Kollegen, Feste mitmachen, die den Franc» verwehrt sind. Noch beule abend will ich zum Ehrnsanthenieniest nn roten Theehaus von Asutnsa geben. Ick babc schon so lange leine i^cishas mehr gehört, datz ick mick freue, wieder ein mal im Kreise fröhlicher Kollegen den heiteren Liedern solcher zu lauschen, und ihren graziösen Tänzen znzu- sclien. Da ick, voraussichtlich spät nach Hanse komme, io lege dich zu Bett. Ich hoffe, daß du gnt schläfst. Leb' wvbl!" Er hätte sic ja so gern zum Abschied innig geküßt. Aber er fürchtete, dann schwach zu werden, ihr zn erliegen, nnd sich von dem vvrgcnvmmcnen Ausgang zu den Geishas abbringcn zu lassen. Das wollte er nm keinen Preis, denn sie mutzte für ihr Ansbransen bestraft werden. Sie wurde ja sonst ganz ansarten nnd damit sein und ihr Eheglück gefährden. Daher drehte er sich rasch nm nnd verließ schnell das Hans. Siradoma fühlte sich tief unglücklich. Sic saß in einem Rnhestnhi nnd weinte bitterlich. Sic wähnte alles ver loren. „Er liebt mich nicht mehr; er verläßt mich wegen Geishas, wegen öffentlicher Sing« nnd Tanzmddchen!' Neue Tränen liefen ihr über die 'Wangen, sie schluchzte herzzerreißend. Von dem Wesen nnd Treiben der Geishas wußte sic ja nur, was ihr der General von Mcnzbcim er zählt halte. Nun stellte sie sich vor, derselbe habe ihr nickt die volle Wahrheit gesagt, weil er sich einer jungen Frau gegenüber nickt ganz offen ansdrnckcn wollte. Dieser Glaube veranlaßte sie, wett Schlimmeres ',» vermuten, als cs inWirklichkcitderFall war. Siesab imGeiße ihrenMann im Verkehr mit Hetären, sie nahm an, das; er den Vcrfnh- rungcn gefährlicher Sirenen nnd dem schleckten Beispiel leichtsinniger Kollegen erliegen müße. Es schauderte sie, wenn sie daran dachte, daß er dann zurnckkchren nnd ne nmarmcn und küssen wollte. Zum ersten Male stieg in ihr der Gedanke aus: „Wäre ick doch in meiner lieben, deut schen Heimat geblieben!" Gleich darauf rief sie sich aber selbst zn: „Nein, ne<n, tausendmal nein! Dann hätten wir nnS sa nicht heiraten können: dann wäre ich nickt die Seinige geworden, dann wäre mein ganzes Leben mrschlt gewesen, denn ick liebe ihn trov allem doch unsagbar." Neue Schmcrzcnsansbrncke folgten. Wiederholt wünschte sie: „Wäre ich nur gestvroen!" Auf solche Weise marterte sich die arme Siradonm bis tief in die Nacht hinein. Die Resaus batten sie gehört und kamen, nm zu fragen, was dcon ihrer lieben Herrin fehle, nnd ob sic ihr nickt Helsen tonnten? Die junge Fran behauptete, ec- fehle ihr gar nichts Ernstes, cs seien ilnr ihre Nerven sehr erregt. Obwohl Kik und Hat sich erboten, bei ihr zn wachen, schulte sie die Mädchen zu Bett. Kino, die älteste der Resaus, flüsterte den andern etwas ins Ohr. Run kicherten und lachten alle drei und machten sich keine »'eiteren Sorgen wegen der erregten Nerven ihrer Herrin. Nino wußte nichts Sicheres. Sic ver mutete nnr. Siradoma aber batte keine Ahnung von dem, was ihr die Resaus nacksagten. Und doch war es wahr, ihre übergroße Erregung, di.- sonst bei ibr nicht vorhandene Neigung, alles tragisch anfzufassen, beruhte teilweise in einer ganz natnrlickn'n Ursache. Sie mutzte sich bald darüber klar werden, dan sie einem freudigen Ereignis cntgegensab. Vorläufig aber hing ne ahnungslos ihrem Schmerz über die getäuschten Hoffnungen und über das von iln angenommene Anshörcn der L'ebe ihres Gatte» nach. Während sie kein Auge schloß und sich unruhig aus ihrem Lager hin und her warf, befand sich Jznna in lustiger Gesellschaft, trank mit sejnen Kollegen Lake, ließ sich von den Geisha« vorfingen »nb vortanzen, nnd dachte
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