Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.01.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030117024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903011702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903011702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-17
- Monat1903-01
- Jahr1903
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezugs «Preis K der Hauptexpedition oder deren Ausgabe stelle« abgeholt: vierteljährlich 3.—, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus X 3.75. Durch die Post bezogen für Deut ch. land u. Oesterreich vierteljährlich ./c 4.50, ür die übrigen Länder laut ZeitnngSpreiSlistc. Redaktion und Expedition: Jvhannisgaffe 8. Fernsprecher lb3 und 322. Filialrrprditionrrr: Alfred Hast», Buchhandlg., UuiversitötSstr.3, jt. Lösche, Katharinenstr. 14, u. Königspl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehlener Straße S. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Serlin: Earl Duncker, Herzgl. Bahr. Hosbuchhandlg., Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr. 4603. Abend-Ausgabe. MlWM TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates nnd des Rolizeiamtes -er Ltadt Leipzig. Auzeigcu-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedaktivnSstrich (t gespalten) 75 vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffer»?«» entsprechend höher. — tvebühren siir Nachweisungen und Offertenaiinohme 25 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördrrung vO.—, mit Postbesördrrung 70.—. Ännahmeschluß für Äuzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 3V. Sonnabend den 17. Januar 1903. 97. Jahrgang. KoMsche Tagesschau. * Leipzig, 17. Januar. Aus dem Reichstage. Trotz des Einspruches des Staatssekretärs Grafen Posadowsky hat gestern der Reichstag die Reso lution Speck mit 141 gegen 67 Stimmen bei 2 Stimm enthaltungen angenommen, nachdem der Abg. Krhr. v. Heyl seine noch schärfer gegen die Meistbegün stigungsverträge gefaßte Resolution vor der Ab stimmung zurückgezogen hatte. Die verbündeten Regie rungen sind also nunmehr vom Reichstage aufgefordcrt worden, Metstbegünstigungsverträge tunlichst zu kündigen nnd nicht mehr abzuschließen mit solchen Ländern, bei denen die Erfahrung gezeigt hat, baß das Meistbegünsti- gungsverhültnis für Deutschland nachteilig gewesen ist. Selbstverständlich ist diese Resolution nicht bindend für die Regierung, die völlig freie Hand behält. Aus der Debatte, die noch über drei Stunden in Anspruch nahm, ohne baß ein einziger nener Gedanke austauchte, ist nur hervorzuheben, daß auch Abg. Fürst Herbert Bismarck sür die Resolution Speck sprach,' er trat allerdings dafür ein, -aß der Termin der Kündigung der Regierung über lassen bleiben müsse; aber er äußerte die Ansicht, daß wir desto bessere Handelsverträge mit den Bereinigten Staaten bekommen würden, je mehr im Reichstage gegen die Amerikaner losgezogen würde. Wir bezweifeln die Richtigkeit dieser Anschauung. In den Bereinigten Staaten kümmert man sich blutwenig um die endlosen zollpolitischen Debatten des Reichstages, wie man drüben überhaupt ein auffallend geringes Interesse an der Be schaffenheit eines neuen Handelsvertrages mit Deutsch land bekundet. In den Bereinigten Staaten wird man zweifellos an den hohen Einfuhrzöllen fesrhaltcn; die Frage nach den deutschen Einfuhrzöllen kommt sür den Amerikaner erst in zweiter Linie; er wird sich auch mit hohen deutschen Zollsätzen einzurichten wissen. — Die von den Sozialdemokraten beantragte, in die Rechte der Einzelstaaten eingreifende Resolution gegen die Ge- fängnisarbeit wurde zwar abgelehnt, hatte aber die angenehme Folge, daß ein Vertreter der Regierung erklärte, die Gefängnisarbeit werbe in absehbarer Zeit so gut wie ganz verschwinden, da die Einzelstaaten in folge einer Vereinbarung im Bundesräte gewillt seien, die Gefangenen nach Möglichkeit nur zu Arbeiten im Interesse der allgemeinen Landeskultur zu verwenden. Heute wird sich das Haus mit der Interpellation Roes icke wegen der Braugerste beschäftigen. Tie Jesuiten und der Ehebruch. Den absurden Gedanken, daß die Jesuiten den Sprach lehrer Giron angestiftet hauen, die Kronprinzessin Luise wegen ihrer angeblich freien kirchlichen Richtung zu verderben, haben gleich uns alle ruhigen Beurteiler abgewiesen. Aber nicht abzuweisen ist die Vermuiung, daß die jesui tischen Lehren und daß insbesondere die Lignori- Moral, deren eifriger Vertreter bekanntlich Prinz Max von Sachsen ist, einen nicht unwesentlichen Schuldanteil an dem Fehltritte der Kronprinzessin trägt. Die „Deuisch-evangel. Karr." spricht diese Vermutung aus und begründet sie folgendermaßen: „In seiner Schrift zur Verteidigung dieser sür den katholischen Beichtstuhl bestimmten sittlichen Lehren kommt Prinz Max u. a. auch auf Las in der weitverbreiteten katl olischen Mocaltheologie von Gury angeführte Beispiel der ehebrecherischen Frau Anna zu reden. Dort wird nämlich Folgende« ausgeführt: Frau Anna hat einen Ehe bruch begangen. Ihr Mann stellt sie darüber zur Rede. Sie aber erklärt da- erste Mal, daß sie die Ehe nicht gebrochen habe, das »weite Mal, weil sie sich mittlerweile in der Beichte vom Priester hat absolvieren lassen: „Ich bin eines solchen Verbrechen- nicht schuldig." Da- dritte Mal behauptet sie geradezu: „Ich habe den Ehebruch nicht be gangen", indem sie dabei an einen solchen Ehebruch dealt, den sie zu offenbaren verpflichtet wäre, mit anderen Worten: „ich habe keinen dir zu offenbarenden Ehebruch begangen." Gurv verteidigt dies Verhalten der Frau Anna und erklärt, sie sei nach katholischer Anschauung in allen drei Fällen nicht zu ver- urteilen und könne von der Lüge freigesprocheu werden. Im ersten Falle nämlich konnte sie sagen, sie habe die Ehe nicht ge brochen, weil diese Ehe ja noch bestand (d. h. noch nicht geschieden war). Im zweiten Falle hatte ihr der Priester bereits vergeben, sie war also nicht mehr „schuldig". Deshalb konnte sie ihre Un- schuld „sogar mit einem Eide bekräftigen, nach dem heiligen Liguori, nach Lessius, nach den Calmaniicensen und Suarez gemäß der allgemeinen Meinung". Auch im dritten Falle konnte sie ihren Ehebruch leugnen mit dem Gedanken vorbehalt, sie habe ihn nicht so begangen, daß sie ihn ihrem Gatte» offenbaren müßte, ebenso wie ein Verbrecher dem ungesetzlich fragenden Richter (nach katholischer Anschauung) sagen kann: „Ich habe das Verbrechen nicht begangen; wobei er sich denkt: er habe es nicht so begangen, daß er verpflichtet sei, es jenem einzugestehen". Großmann hatte in seiner bekannten Broicküre sich mit Entrüstung gegen derartige unglaubliche Anschauungen gewandt. Prinz Max von Sachsen aber verwundert sich über diese Entrüstung Graßmanns in seiner Schrift gegen diesen (S. 34, 35). Ec findet, das, was Frau Anna tut, sei gar keine eigentliche Lüge (!) und eine solche ehebrecherische Frau sei gar nicht verpslichtet, ihrem Manne ihre Schande einzugestcheii, weil dies möglicherweise zur Ehescheidung führen könne! Dem Prinzen Max erscheint es also entschuldbar, wenn eine Frau ihren Mann sein Lebelang betrügt und wenn sie darin im Beichtstühle bestärkt wird. Eine solche auf Heuchelei und Unaufrichtigkeit ruhende Ehe ist ihm lieber als eine Sühnung des von der Frau be gangenen Ehebruchs durch »in offenes Geständnis gegenüber dem von ihr betrogenen Manne. Denn schlimmer als Ehebruch scheint ihm als katholischem Priester die bei ehrliche,» Geständnis etwa drohende Ehescheidung! Deshalb ist es ihm auch „unverständlich", wie man sich daran stoßen kann, daß die Liguorimoral ein Mädchen nicht für verpflichtet erklärt, einen von ihr begangenen Fehltritt ihrem Bräutigam zu offenbaren. (S. 42). Auch bei Begründung einer Ehe Lars somit nach der Uebcrzeugung dieses Priester-Prinzen von unbeoingter Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zwischen den beiden sich fürs Leben vereinenden Herzen abgesehen werden! Ueberdies ist ihm der Ehebruch garuichts so Schlimmes. Er sagt wörtlich (S. 33): ,Datz aber die (katholische) Kirche den Ehebruch nicht für das allerjchwer sie Verbrechen erklären kann, ist doch klar. Moro, Unglaube, Abfall vom Glauben sind zweifellos noch größere Verbrechen." Wenn also z. B- Prinz Max die Wahl hätte zwischen einer hochachtbaren katholischen Frau, die ihr Herz treibt, von der katholischen Kirche „abzusallen", um dem evangelischen Bekenntnis sich onzuschließen, und seiner ehebrecherischen Schwägerin, so würde er ohne Bedenken der letzteren d,e Palme reichen: denn eine katho lische Ehebrecherin ist nach ihm „zweifellos" eine ge- ringere Verbrecherin als eine ehrbare Frau, die protestan tisch wurde!" Wenn, waS doch wohl anzunehmen ist, die Kronprinzessin nicht nur die Schrift ihres prmzlichen Schwagers zur Ver teidigung der Liguon-Moral, sondern auch die von ihm an gezogenen jesuitische» Moral-Theologen gelesen hat, so ist allerdings em Einfluß solcher Lehren und ihrer Verteidiger auf die Handlungsweise der Prinzessin mehr als wahr scheinlich. Gerade darüber ist inan sich aber am Dresdener Hofe sicherlich am wenigsten im Unllaren. Und daraus darf man d,e Hoffnung schöpfen, daß nicht nur im Bundesrate die sächsi'chen Stimmen gegen die Aufhebung des Jesuiten gesetzt- werden abgegeben werden, sondern daß auch die Köiiigl. sächsische Regierung nichts unterlassen wird, was zur Fernhaltung jesuitischen Einflusses und jesuitischer Moralbegrifse dienen kann. Ter Kronprinz in Petersburg. Mit Achtung, ja zum Teil mit großer Wärme begrüßt die russische Presse den Besuch deS deuischen Kronprinzen am Zarenhofe und rollt dabei der deut,wen Politik in einer so accentuierlen Weise Beifall und Anerkennung, wie wir es bisher nicht gewohnt waren. Wenn früher immer wieder ein ziemlich starkes Mißtrauen gegen den westlichen Nachbar durchbrack, an dessen Aufrichtigkeit und Uneigennützigkeit mau nicht recht zu glauben vorgab und gegen de» man wohl auch au? Rücksicht aus den französischen Alliierten keinen freundlicheren Ton anfchlagen mochte,so sind dieAuSsübrnngen dermaßgebenden ruisüchen Organe, deren Instrumente natürlich im Petersburger Au wäitigen Amte abgesimunt sind, von uneingeschränk tem Vertrauen zu der Korrektheit nickt nur, sondern zu dem Wohlwollen und der Freundschaft Deutschlands gegen über dem russilchen Interesse in der Mandschurei, im Orient usw. getragen Es klingt ia hier nnd da eine gewisse Ver stimmung wegen des deutschen Zolltarifs hindurch, ohne aber die Harmonie zu stören. Man meldet unS: * Petersburg 16. Januar. „Nowosti" besprechen an leitender Stelle Len Be>uch des Kronprinzen, in dessen Person die Residenz die Zukunft Deutschlands, des durch historische Erinnerungen mit Rußland eng verbundenen nächsten Nachbars, begrüße. Tas Blatt glaubt demselben mehr Bedeutung als den gewöhnlichen von Zeit zu Zeit sich wiederholenoen Besuchen fürstlicher Häupter brimessen zu können. Ter Artikel fährt fort: Vcrwandt- tchastliche Beziehungen unter den Mitgliedern regierender Häuser sind nicht ohne Einwirkung auf die gegenseitigen Beziehungen der Staaten; dies ist in der Geschichte Preußens, später Deutschlands zu Rügland sichtbar. Hinsichtlich der äußeren Politik hat Rußland in gewissen Grenzen immer freundschaftlichen Beistand bei Deutschland gesunden. Wir wollen hoffen, daß der Besuch des Kronprinzen auch auf wirtschaftlichem Ge biete, wo wir nicht immer harmonierten, die Beziehungen günstig beeinflussen wird. Rußland kann, obgleich kulturell selbständig, doch viel von dem großen Nachbarn lernen. Rußland be grüßt in dem Kronprinzen das junge Deutschland, Las mit ihm durch Verwandtschaft der Dynaslie, gegenseitige Interessen, historische Erinnerungen und gleiche kulturelle Bestrebungen ver bunden ist. * Petersburg, 16. Januar. „Birschewija Wjedomosti" schreiben aus Anlaß der Anwesenheit deS Deutschen Kronprinzen: Der Kronprinz trifft heute in Petersburg als Gast der kaiserlichen Familie ein. In russischen gebildeten Kreisen begegnet man dem Gesuche mit dem Gefühle lebhafter Freude wie immer in Fällen innigen Verkehrs von Nachbarstaaten untereinander. Von Rußland und Deutschland bängt hauptsächlich das Geschick Europas ab Daher kann dieser neue Beweis guter nachbarlicher, auf gegenseitigem Vertrauen gegründeter Beziehungen nicht ohne Einwirkung auf die Befestigung derselben bleiben. Als Symptom der traditionellen verwandtschaftlich-freundschost- lichen Baude, die das Kaiserhaus mit dem deutschen Kaiserhaus verbinden, erhält der Besuch des Kronprinzen die Bedeutung eines großen politischen Ereignisses gerade in dem Augenblicke, wo die Gemüter unseres Weltteils durch die Zustände im nahen Orient beunruhigt werden. Der Besuch des Deutschen Kronprinzen stellt das letzte Glied in der langen Reibe von Tatsachen dar, die seit der Zusammenkunft deS Deutschen Kaisers mit Kaiser Nikolaus sich angrsammelt und noch srisch im Gedächtnis aller erhalten haben. Alles dies harmo niert auss beste mit der äußeren Politik, welche Deutsch land in internationalen Fragen befolgt, welche aus die eine oder andere Weise Rußlands Interessen berühren. Seine eigenen realen Interessen, wie man sie in den deutschen leitenden Kreisen in Berlin versteht, verfolgend und seine eigenen Wege gehend, hat Deutsch land alles vermieden, was in der politischen Wagschale als Gegengewicht gegen Rußland hätte interpretiert werden können. Besonders klar ist das treue Festhalten Kaiser Wilhelms an dem Vermächtnis seines verstorbenen Großvaters in der Frage der Mandschurei und der Auffassung hecrorgetreten, die das ganze ojfizirlle Deutschland über die Reise des russischen Ministers des Auswärtigen nach Sofia, Belgrad und Wien ausgesprochen hat. Der leitenden Rolle Rußlands im nahen Orient begegnet Deutschland mit un- bedingtem Vertrauen nnd Zustimmung, wobei es gleich den übrigen Großmächten im voraus seine vollständige Bereitwilligkeit ausgcdrückt hat, die ans Erhaltung des Friedens aus der Balkan halbinsel gerichtete Politik des österreichisch-russischen Einvernehmens mit allen iym zu Gebote stehenden Mittel» zu unterstützen. Wir glauben da- Ereignis nicht unrichtig zu verstehen, wenn wir be haupten, Laß der Besuch des hohen Gastes in der Residenz Ruß lands die Hoffnung zerstreuen muß, zwischen Rußland und Deutschland Zwist und Uneinigkeit Hervorzurusen, wo man sie auch immer hegen mag, und welcherlei Pläne auch darauf gebaut werden. Wir glauben, daß Deutschland sich diese Anerkennung durch seine konsequent unanfechtbare Haltung Dezennien hindurch verdient und Rußland ab gezwungen har, wenn wir auch nicht verkennen, daß das provo zierende Auftreten Englands in der Meerengenfrage dem Zarenreiche gegenüber und die englischen Versuche, Petersburg und Berlin einander zu entfremden, ivwic die Koalition Englands und Deutschlands in der Venezuela-Angelegenheit nnd die in Marokko sich verwickelnde Lage, durch die auch Rußland nicht unberührt bleiben kann, mit dazu beigetrage» haben, die Begrüßung des Deutschen Kronprinzen um eine sehr merkliche Nuance freundlicher zu stimmen. Der Trinkspruch des Zaren, den wir hier anfügen, ist ziemlich farblos gehalten, waS sich aber mit Fenilletsn. iss Frau Huna. Roman von Karl Taner a. -Nachdruck verboten. Am anderen Morgen fuhren das Ehepaar Jzuna und der General wieder zusammen an das Land, da der „Friedrich der Große" noch fünf Stunden vor Nagasaki liegen blieb. Selbstverständlich hatte hier der Professor die Führung übernommen. Man setzte sich in NitschaS *) und fuhr nach dem bedeutendsten Tempel der Ltadt, zum O'Smva. Die Reisenden passierten auf dem Wege dorthin ganz Nagasaki. Was sah da Julie für neue und unge kannte Bilder! Bor allem die vielen, freundlichen, lachenden Mädchen und Frauen in ihren kleidsamen Gewändern und künst lichen Haartrachten. Alle sahen keineswegs gedrückt und unzufrieden, sondern im Gegenteil sehr glücklich aus. „Ob bei diesen unsere Reformbestrebungen guten Boden finden!" Da sie aber allein in ihrem kleinen Rikscha saß, konnte sie diese Befürchtung nicht laut äußern. Unschön fiel ihr die Fußbekleidung der Japaner und Japanerinnen auf. SS waren hölzerne, kleine Gestelle, welche nur eine Art von Trippeln gestatteten. Dann sah sie buddhistische Mönche in schwarzen Talaren, den Kopf ganz in einer Art von Korb versteckt, welche Klarinetten bliesen und bettelten; Damen hatten gelbe Schönheits flecken auf die Wangen gemalt; in Gärten von Schulen waren Kinder zu hübschen Reigcnspielen versammelt; be ladene Büffel und Pferde zogen durch die Straßen; Zci- tungsverkäufer machten durch Schreien und Läuten auf ihre Blätter aufmerksam. Sehr poetisch sahen die vielen Mütter aus, welche ihre Kinder aus den großen ObiS lRückenschleifen über Kissen) trugen. So bot jeder Schritt des Rikschamannes der jungen, aufmerksam nach allen Seiten blickenden Frau Jzuna interessante Bilder dar. Man hielt vor dem Tempeleingang. Mehrere große, japanische Tore jtorii), zahlreiche Stein- und Bronzelaternen, welche von gläubigen Shintoisten ge stiftet waren, bezeichneten den Treppenweg, der hinauf zum eigentlichen Tempel führte. Man durchschritt den *) Die Schriftsprache in Japan ist „Jnrikscha". Aber man sagt auch dort im allgemeinen nur „Rikscha". Borhof, in dem ein großes Pferd aus Erz, ein Symbol der Wachsamkeit, stand, und trat ein. Der Professor erklärte die bescheidene, bei allen Shiutvtcmpeln wenig ausfallende Einrichtung. Dann kehrten die Reisenden wieder in den Hof zurück, und der General machte auf die herrlichen, von dort sich darbietcndcn Ausblicke aufmerksam. „Seyen Sie, gnädige Frau, mit weicher Geschicklichkeit die Japaner auch diesen Platz für einen Tempel ausge- wühlt haben. Daö muß ich Ihren Landsleuten nachsagcn, Herr Professor, daß sie mit weit mehr idealem, beinahe könnte man sagen, poetischem Sinn die Orte für ihre heili gen Stätten anszusuchen wissen, als ich cs bei irgend einem europäischen Volke kenne." „Ich danke Ihnen, Herr General, stür diese Anerken nung. Aber sie ist wahr. Air sind ge wöhnt, unsere Tempel in den schönsten, ältesten Hainen und Waldungen, ans den besten Aussichts punkten oder in den romantischsten Tälern zu sehen. Ist dies nicht erreichbar, so umgeben wir sie wenigstens mit herrlichen Parks und Gärten. Ich muß daher gestehen, daß es auf mich einen sehr ernüchternden Eindruck machte, als ich sah, daß man die christlichen Kirchen meist in die Mitte von Hüusermassen gestellt hat. Bei uns wünscht man, daß der dem Tempel nahende Gläubige schon durch die Tempelumgebung in eine gewisse gehobene Stimmung kommt." „Das ist sehr schön, und wir könnten in dieser Be ziehung viel von Ihren Landsleuten lernen." Nunmehr mußte man nach dem Schiff zurückkehren. Jzuna führte seine Frau und den General noch durch einen höchst originell angelegten Bazar. Wie in einem Irr- garten mußte man, um zum Ausgang zurück zu gelangen, alle möglichen Räume durchschreiten nnd war dadurch ge zwungen, an sämtlichen ausgclegten Waren vorberzugehen. Dies reizte wiederum die Kauflust an. Letztere wurde noch mehr durch das freundliche Wesen der verkaufenden Krauen und Mädchen und die nette Art und Weise, mit der sie alles anboten, gehoben. Julie ließ sich auch verleiten, verschiedene Einkäufe zu machen, nnd freute sich fast noch mehr über die Höflichkeit der Verkäuferinnen, als über die billigen Erwerbungen. „Meine Herrschaften, ivir kommen zu spät, wenn wir noch länger hier verweilen." Sie folgten der Warnung des Generals und rissen sich los. Julie war von ihrem ersten Besuch in einer japanischen Stadt ganz bezaubert und äußerte dies lebhaft gegen Herrn von Menzheim. Der General wollte ihr diese Freude nicht gerade nehmen, bemerkte aber doch: „Der erste Eindruck, den Japan auf jeden Europäer macht, ist stets ein bestechender. Aber mit der Zeit wird man immer mehr ernüchtert. Uebrigcno, gnädige Frau, habe ich keinen lebhafteren Wunsch, als den, daß Sie mich, wenn wir uns wieder begegnen, einen Schwarzseher nennen." „Ich wünsche es auch, Herr General. Aber ich be fürchte, daß cs nicht dazu kommen wird, weil sich ja auch ein Freund meiner Pflegemütter, ein Schriftsteller namens Tücher, in ähnlichem Sinne geäußert hat. Jedenfalls sollen Sie mündlich oder schriftlich von mir nach Jahren er fahren, wie ich mich eingelcbt habe." „Gut, gnädige Frau. Ich nehme Sie beim Wort. Meine Adresse werden Sie immer rechtzeitig erhalten." Der „Friedrich der Große" setzte sich in Bewegung, die Passagiere traten an die Reling, um noch einen letzten Blick auf das allerliebst gelegene Nagasaki und seine Um gebung zu werfen. Gleich nach dem Diner meinte Jzuna zu seiner Krau: „Wir wollen noch einige Male auf dem Promenadedeck hin nnd her wandern und uns dann zu Bett legen, weil ich dich veranlassen möchte, morgen früh schon kurz vor Sonnenaufgang dich zu erheben. Du solltest die Einfahrt in die Suo Nada bei Schimonoseki nicht versäumen, denn dort beginnt die schönste Seefahrt, welche man auf der ganzen Erde machen kann. Ist eS nicht so, Herr General ?" „To weit ich die Erde gesehen habe, stimme ich Ihrem Ausspruch bei. Ich kenne keine schönere McereSfahrt. Darum folge ich ebenfalls Ihrem Rat und begebe mich bald in meine Kabine." — Das Krühaussteüen am anderen Morgen hatte sich sehr belohnt. Der Dampfer bog gerade in die reizende, oder besser gesagt liebliche Wasserstraße zur Jnlandsee hinein. In der Mitte der nur 400 Meter breiten Meer enge fuhr der „Friedrich der Große" langsam dahin. Grüne Berge, Wälder, Dörfer, Felder, Wiesen, ein Bild anmutiger als das andere, schoben sich an den Beschanern vorbei. Allmählich erweiterte sich die Wasserstraße; man gelangte in den Teil der japanischen Jnlandsee, welche den Namen Sno Nada führt. ES war eine wirklich zauber hafte Fahrt. Hunderte, ia Tausende von Inseln nnd Inselchen, von einzelnen auS dem Meere cmporragenden Felsen nnd Riffen boten eine unglaubliche Fülle stets wechselnder Bilder, jedes einzelne fesselnd nnd entzückend. Tausende von Dschunken, Segelbooten, Fischerkähnen usw. belebten das Wasser, Dampfer zogen hin und her, das Grün der Wälder und Felder, das Braun und Gelb der Felsen, Grau der Häuser, Weiß der Segel, Blau des Meeres nnd des Himmels paßten wunderbar zusammen. Julie Ivar hingerissen. Sie fand gar nicht Worte ge nug, ihr Entzücken zu äußern. Als der General einmal aus die andere Seite des Decks gegangen war, flüsterte sic ihrem Gatten ins Ohr: „Mein geliebter Akira, unsere Heimat ist wunderbar schön. Ich glaube, wir werden hier sehr glücklich sein." Er dankte ihr diese Worte durch freundliche Blicke nnd, als sic eine Sekunde unbeobachtet waren, durch einen zärtlichen Händedruck. Am folgenden Tage mußten beide sorgsam packen und sich zum Verlassen deS Dampfers bereit machen. Mau sollte abends in Kobe anlvmmen. Dort wollten Jzuna und seine Fran ans Land gehen, nm mit der Eisenbahn über Kioto nach Nagoya zu fahren. Der Professor beabsichtigte, seine junge Frau seinen Eltern zu bringen, ehe er die neue Laufbahn in Tokio begann. Am Abend des 15. Januar erschienen die Lcuchttürme von Kobe nnd Hivgv. Ncnnnnddrcißig Tage hatten der Professor nnd seine Frau aus dem „Friedrich dem Großen" zugebracht, um die Reise von Genna bis Kobe znrückzu legen. In so langer Zeit gewinnt man ein so schönes und stolzes Schiff wie diese Llond-Dampscr lieb; man lernt cs als ein Stück seiner Heimat anzusebcn, man trennt sick von ihm mit einer gewissen Trauer. Dieses Gefühl er griff auch Julie. Sie wanderte nochmals durch alle Räume, die sie in der langen .seit betreten, sagte dem Kapi tän, den Offizieren »nd den bekannten Passagieren Lebe wohl nnd verabschiedete sich mit innigen Worten von dem liebenswürdigen General von Menzheim, der noch bis Yokohama an Bord blieb. „Hoffentlich", meinte derselbe, „sehen wir uns bald in Tokio wieder, gnädige Frau. Wenn dies der Zufall nicht wollte, dann denken Sie immer an meinen alten Soldatcnwablspruch: „Kops in die Höh' nnd flott drauf!" Ferner vergessen Sie nicht, was Sie mir versprachen, nämlich mir öfter zu schreiben, wie eS Ihnen geht, ganz besonders dann, wenn Ihnen mein Rat nützen kann. Sie haben es ja sicher längst empfunden, daß ich an Ihnen Anteil nehme, wie wenn Sie mein eigenes Enkel kind wären." Julie trennte sich schwer von dem guten, alten Herrn. Sie hatte in ihm eine Hülfe gehabt. Von nun an — das sah sie klar voraus — mußte sic ans eigenen Füßen stehen. Jzuna konnte es kaum erwarten, bis er ans Land kam. Das war ihm gewiß nicht zn verdenken; er kam ja in sein Vaterland zurück. Es herrschte schon ziemliche Dunkelheit, als ein Lam-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite