01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.01.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-23
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030123012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903012301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903012301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-23
- Monat1903-01
- Jahr1903
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Wie es heißt, haben dem beliebten Flensburger Rechtsanwalt die Grazien ein gut Teil Anmut und Liebenswürdigkeit mit auf den Weg gegeben, und Frau Venus wird der äußer lich imposanten Erscheinung ein aller weiblichen Hold seligkeit und Zutraulichkeit gegenüber gar zu leicht ent flammbare- Herz in die Brust gelegt haben, lieber die vermeintlich unter gewissen Unrstänben bestehende Not wendigkeit, bezw.dlr absolnteBerwerflichkeit der Pistolen duelle ist sattsam öffentlich diskutiert worden. Die von gowifseu studentischen Korporationen angestrobte Ein schränkung derselben zwischen Männern, die sich einem Eivilberuf ergeben, und solchen in Königs Rock ist durch die kürzlich erfolgten Reskripte der Herren Kriegsmtnister zwar als löblich, aber, weil auf ungesetzlicher Grundlage ruhend, als undurchführbar bezeichnet worden. So wird also, auch trotz kaiserlicher Bermahnung, ruhig weiter ge knallt, zwischen den Offizieren unter sich, wie nicht weniger zwischen Civiltsten und Militär. Man wendet ein, daß die Voraussetzungen, die seitens deS betreffenden Ehrengericht- für die Dekretierung des Ptstolenduells geltend gemacht würden, heutzutage weit fester auf -em vou den gebildeten »kreisen anerkannten und streng zu befolgenden Sittengcsetze basiert sein müssen. Ein Paragraph dieses Sittenkodex, der auch bei sehr vielen Ehrenhändeln zur Richtschnur dient, scheint nun aber noch immer gar zu sehr voranzustehen. Wir meinen den, betreffend die Rettung derFrauen- ehre seitens eines Dritten. Selbstverständlich gibt es für ein weibliches Wesen nichts Höheres, als Keuschheit und Züchtigkeit; wird letztere doch gerade in unserer materiell gesinnten Zett sogar vom Manne ge fordert. Und wie die Reinheit der weiblichen Ehre für jeden Kavalier etwas Begeisterndes sein soll, so soll natür lich auch die verletzte Ehre einer Frau Schutz und Schirm und, wenn eS sein muß, auch blutige Vergeltung bet jedem waffenfähigen Manne finden. Indessen, die den Mann selbst zu todesmutigem Vorgehen gegen den Ebrenräuber anspornende Züchtigkeit der Frau kann in der heutigen modernen Welt nicht mehr so voll in Geltung sein, wo sich das Weib so sehr außerhalb des häuslichen Wirkungs kreise» absichtlich stellt, ganz zu schweigen von den vielen Frauen, die sich ihr Brot außerhalb des eigenen Herd banne» werdienen müssen. Die Frau ist und will heutzu- Feuilleton. Jahrmarkt. Etue Erinnerung von Paul H. Hartwig. r>4chdruu vrrooten Paul Hermann schinrpste wieder einmal auf den, der die Arbeit erfunden hat. Er tat das oft. Sie war ihm, wie den meisten Fungen, herzlich zuwider. Der kleine Ploetz uud der kleine Daniel und Cornelius Nepos, wie schrecklich sie ihm zu Zeiten sein konnten! Und er mußte sich Loch mit ihnen beschäftigen. Zu Michaelis war Ver setzung, und Las Osterzeugnis hatte den wenig beglücken den Hinweis enthalten: „Wenn Paul sich nicht ändert, so ist an eine Versetzung zu Michaelis nicht zu denken". Das AuferstehungSfest war infolge dieser Fußnote nicht besonders erheiternd gewesen. Wer kann Hausarrest und einen widerlichen Primaner wohl „schön" finden? Den Nachhülfe-Primaner. der immer einen muffligen Geruch an sich hatte, war er ja endlich los geworden, die letzten Extemporalien waren gut ausgefallen. Uebcrhaupt, wenn er wollte, konnte er schon etwas leisten, aber das Fleisch war so sehr schwach, besonders an einem so köstlichen Sonnabendnachmittag wie heute. Mor gen war doch auch ein Tag und Sonntag dazu. Aber die Schulaufgaben sollten durchaus nicht auf den Feiertag verschoben werden, sonst gab eS Unannehmlichkeiten, wie Konfiskation der Stiefel und ähnliches. SS half also nicht». Man muhte in den sauren Apfel beißen. Schnell die Accusativbcifptele: kort« kortuou ackiuvat usw., und bann den kleinen Daniel vorgenommen. Zuvor aber warf er einen wehmütigen Blick au» dem Fenster seine» gemütlichen kleinen JungenztmmerS, das Gott sei Dank eine Treppe höher lag al» die Familien räume. — Weithin über fung begrünte Linden und rote steile Dächer eilte das Auge, bi» e» auf dem blauen, schim mernden Fluß hasten blieb mit dem erweiterten Hafen, in dem die S-boi, r der nordischen Reiche vor Anker lagen. Und von dort her tönt« durch die reine Juntluft «in Ge wirr von seltsamen Klängen, au» dem sich der neue Gaffen- Hauer einer quietschenden Drehorgel, dem Ohr deutlich erkennbar, heraushob. Jahrmarkt! tage selbständig sein; dann aber trägt sie auch heutzutage dafür mehr Verantwortung für ihr Tun und Treiben außerhalb des Hauses, insbesondstro für khr sittliches Verhalten dem andern Geschlecht gegenüber, dem cs ob des aufgezwungenen Konkurrenzkampfes auch den Kreis der moralischen Pflichten immer mehr zu verwirren droht. Uebersüllung der Berufe, unlauterer Wettbewerb hüben und drüben, geringer werdende Einschätzung deS beiderseitigen moralischen Werte»! Auf der andern Seite, sowohl infolge deS erschwerten Daseinskampfes, als auch des räumlich engeren Zusammenarbeitens beider Geschlechter ein stärkere- Gesuchewerden deS ManncS seitens der liebe- und schutzbedürftigen, sich zu versorgen trachtenden Frau. Dazu der durch die dekadenten Er scheinungen aus manchen Geistesgebicten in eine von dem weiblichen Hirn und Herz nicht zu regulierende Schwingung versetzte Gehalt der Frauenseele. Wie kann unter solchen sozialen und gemütlichen Verhältnissen noch der Grundsatz verfochten werden, daß die verletzte Keusch heit des Weibes auf alle Fälle, noch dazu durch einen Dritten, bis zur Vernichtung -es Gegners ver teidigt werden muß? Wer den Versuch macht, bei der Gattin eines andern Rechte zu enverben, die nur dem Gatten zustehen, wer sonst auf unehrenhafte Weise das Familienstück anderer stört, wer die weiblichen Geschwister eines andern mir- nichts dirnichts entehrt oder beschimpft, der soll von dem zur Wahrung der Ehre Berufenen mit der Waffe in der Hand zur Rechenschaft gezogen werden! Wo aber ein allzu sehr von der sinnlichen Leidenschaft beherrschtes, die natürlichsten Vorschriften über Anstand, Famtltenbande und sittliches Verhalten leichtlebig und leichtsinnig von sich weisendes jungfräuliches Weib sich einem geliebten, vielleicht sogar verheirateten Manne an den Hals hängt, und, die physischen und moralischen Folgen einer solchen Leidenschaft außer Acht lassend, koste, was eS wolle, dem „einzigen" Manne ganz anzugehvren willens ist, da hat' doch wohl kein Dritter mit Pulver und Blei mitzu sprechen. Die Schuld in solchem Drama trägt, soweit nicht Unmündigkeit, geringer Bildungsgrad und mangelhafte Erziehung in Krage kounncn, einzig und allein das Weib, und was die verführende Person mit der verführten ver brochen, das haben auch beide nur gemeinschaftlich zu sühnen. So mancher wird es sicherlich mit seinem Ehrbegriffe nicht für vereinbar halten, daß — wir denken hier an die jüngste Sensationsaffäre auf der Bühne des Ehe lebens — ein Bruder mit dem Entführer sich auf Len schwägerlichen Duzkomment stellt, statt letzterem recht deutlich „den „Moralischen zu blasen". Und doch, sollte er wirklich sich zum Rächer der Ehre einer Frau auf werfen, die, reif an Jahren und reich an Lebenserfahrung, ungeachtet des allerhöchsten Ansehens, unerschöpflicher Geldmittel, gewissenhaftester Erziehung, um einem andern anzugehörcn, den Gemahl treulos verläßt und Auf dem Arbeitstisch zwischen Cornelius Nepos und dem kleinen Ploetz stand eine Sparbüchse. Sie war aus gemeinem, unglastertem Ton und hatte die Gestalt einer unten abgeplatteten Kugel. Oben klaffte wie ein breites Maul der Einschnitt, und der herumgeschriebcne Spruch „Spare in der Zett, so hast du in der Not!" bildete Zierde und Mahnung zugleich. Paul Hermann hatte dieses köst liche Kleinod um den stolzen Betrag von drei Reichs pfennigen erworben. Sein ungezogenes Jungengesicht, das widerwillig über den „Daniel" gesenkt war, nahm jedes Mal einen fast zärtlichen Schimmer an, wenn es aufsah und die Büchse iu ihrer ganzen breiten Behäbigkeit mit einem Blick streifte. „Iller, Lech, Isar, Inn fließen in die Donau rin!" Seine braune Knabenfaust griff nach der tönernen Kugel. „Mal 'n bischen klappern ... 50 und 15 sind 65 und 1 Mark 30 sind 1 Mark 85, nee 1 Mark 05 und, und .. ." er redete sich ein, die Gesamtsumme seines Ver mögens gar nicht mehr feststellen zu können. Dann zog er sein unter Bindfaden und kleinen Nägeln verborgenes schmutziges Taschenmesser heraus und för derte langsam eine Münze nach der andern ans Tages licht. 2 Mark 75 — und am Strande dudeln die Leier kasten, drehen sich die Karussell- — der kleine Daniel flog in die Ecke. Auf leisen Sohlen machte sich Paul davon. . . . Jahrmarkt — diese Welt von Wundern, lieber- raschungen und interessanten Erlebnissen! Diese lange doppelte Budenretbe am Strande unter blühenden Lin den. Wie alle Sinne in Tätigkeit gesetzt wurden! Der Schmalzkuchcnbude entströmte ein geradezu be rauschender Duft, und das Wachsfigurenkabinett reizte die Schaulust mit den schönsten und farbenreichsten Meister werken der plastischen Kunst. Wie prachtvoll wirkte die wilde, herrlich verkleidete Judith mit dem Haupte des Holofernes, da- durch eine mechanische Vorrichtung die Augen öffnen und schließen konnte. Die gefiel Paul außer- ordentlich. Wa» war dagegen die „Venus von Milo", die er nach einer von ihm bestrittenen Familientradttion in unverfälschten Heimatklängen mit dem Ausruf: „Mutter, iS dat FrugenSmensch äwerst nackigt" begrüßt haben sollte, al» sie zur Zierde de- Talon- aufgestellt wurde. Judith war doch etwa- ganz andere-, die hatte wenigstens etwas an: echte Seid, und stolze Federn. Und die Leierkasten und Musikinstrumente der Ka russells machten einen himmlischen, ohrenbetäubenden Lärm. Zuerst inspizierte Paul sämtliche Schaubuden von die Kinder für alle Zeit mutterlos macht? Mit Nichten. Allein Sache deS Gatten ist eS, falls er den Satzungen des Ehrenkodex folgen will und, soweit Standesrücksichten mitsprechen, folgen muß, in solchen Fällen Vergeltung zu fordern. Das Recht aber, mit der Feuerwaffe Rache zu nehmen, auch auf mündige Personen auszudehnen, die außerhalb deS engsten Familienkreises willensfrei und aufsichtslos sich bewegen, geht sicherlich zu weit. An der betreffenden Stelle des Ehrcnkodex müßte cö heißen: „Stiehlt mein Bruder, so hängt den Dieb. Mein Ehrenschild ist rein, und ich will ihn stets rein zu erhalten trachten/! Ehebruch un- Strasgeleh. Die iu der Gegemvart auch in Deutschland sich so sehr häufenden Fälle von Ehebruch veranlaßen mich, auf einen Umstand aufmerksam zu machen, der bisher die Aufmerk samkeit noch nicht oder noch nicht nachhaltig genug aus sich gezogen hat Es wäre sonst schlechterdings nicht einzusehen, daß noch von keiner Seite Gesetzesvorschläge gemacht worden sind. 8 172 deS Strafgesetzbuches lautet: Ter Ehebruch wird, wenn wegen desselben die Ehe ge« chieden ist, an dem schuldigen Ehegatten, sowie besten Dcu- cbuldigen mit Gefängnis vis zu 6 Monaten be traft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein. 8 185 be straft die tätliche Beleidigung mit einer Geldstrafe bis 1000 oder mit Gefängnis bis zu 2Jahren. 8 263 bestraft den Betrug neben einer Geldstrafe bis 3000 mit Gefängnis, wobei auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, und der Versuch strafbar ist. Die Bestrafung des Betrugs geschieht nicht erst auf An trag, sondern der Staatsanwalt nimmt die Verfolgung des Betrügers ex askieio, d. h. kraft seines Amtes, auf. Sind Ehebrecher etwa keine Betrüger und Betrügerinnen?! Es fällt in die Augen, daß der Ehebruch im Vergleiche mit der Beleidigung und dem Betrüge überaus mild vom Strafgesetzbuch« behandelt wirb, das der Ehre und dem Eigentume einen größeren Schutz angedethen läßt, als der Ehe. Das Strafmaß für den Ehebruch ist unbegreiflich, man möchte sagen, lächerlich milde. Im Ehebruch liegen unbestreitbar die Begriffe der Ehrverletzung un- des Be truges eingcschlossen. Eine Umgestaltung des 8 172 des Strafgesetzbuches dürfte wohl als eine Notwendigkeit an- zusehen sein. Es wird nicht an Leuten fehlen, die einwcnden werden, daß eine so private Angelegenheit schon genügend durch das Duell geschützt und gesühnt sei. Was zunächst die Sühne anbetrifft, so ist diese zweifellos nicht vorhanden, wenn man den Fall vor Augen hat, -aß der Geschädigte zu Grunde geht und der Schädiger triunrphiert. Bon einem Schutze kann nicht die Rede sein: wie kann die Mög lichkeit eines Duclles des ungeliebten Ehemannes die leichtsinnige Kokette von der verbrecherischen Tat ab schrecken? Ein wirksam abschreckendes Motiv könnte viel mehr dadurch gesetzt werden, daß mau im 8 172 das An tragsdelikt fallen ließe und wie beim Betrug, dessen Ver wandtschaft, ich möchte behaupten Identität, unleugbar ist, der Staatsanwaltschaft ex okkioic, die Verfolgung über trüge. Alte und junge Gecken würden es nicht mehr wagen, sich der staatSanwaltschaftlichcn Verfolgung auSzu- setzen. Eine höhere Strafandrohung aber würde den Ehe bruch zurückdrängcn, wie die englische Gesetzgebung das „Thauma, dem körperlosen Weibe", bis zu den „Feuer fressern". Dazwischen aß er „arabisches Manna aus der Wüste Sahara", „türkischen Honig", Süßholz und ähnliche Scheusüligkciten. Dann lockte ihn der M'>meutphotvgraph — er fand das Bildchen, auf dem er wie ein häßlicher, kleiner Neger aussah, einfach prächtig. Der Rest des einst fürstlichen Vermögens ging für „Pflastersteine" und „Bomben" drauf, die er für „zu Hause" mitnahm. Müde, etwas graugrün im Gesicht, wanderte er den heimischen Penaten zu. Die Mutter sagte ihm auf den Kopf zu, daß er wieder zuviel Näscheretcu vertilgt habe. Er überreichte ihr zur Beschwichtigung ihres Zornes die Schnellphotographie und die „Bomben". „Tas ist ja sehr schön und lieb von dir, mein Junge, aber sage mal, wieviel Geld hast du denn eigentlich noch ?" Wehmütig zi>g der Sprößlmg ein Zwcipfennigstück und ein als besondere Kostbarkeit gehütetes 10-Oerestück hervor. „Das ganze schöne Geld, und drei Tage ist noch Markt." Schwer fiel es ihm aus die Seele. „Schwester Annie borgt mir etwas." Diese saß am Fenster, in einen zentnerschweren „orbia pietvs" vertieft. Nun horchte sic auf: „Nie im Leben, ich kriege es ja nicht wieder." „Dann erhebe ich den großmütterlichen Gehalt." Die Großmutter gab den Enkeln extra ein kleines Taschengeld, Paul Hermann war natpirltch immer im Vorschuß. .... Großmutter kannte ibn und er sie. Er druckste erst eiue Weile bei ihr im Zimmer herum. „Ach, Jungchen", eröffnete sie die Unterhaltung, „die Zeiten sind so schlecht. Du hast ja eben Geld, da kannst du mir wohl den Vorschuß wiedergcbcn." „Aber Großmamachen, mach' doch keinen Spaß, ich bin auch gerade abgebrannt. Weißt du was, Großmamachcn, ich habe mich photographieren lassen, das Bild ist schön geworden. Mama hat cs aber, ich will mich doch nun sür dich auch photographieren listen." „Das ist aber nett von dir", lobt sic. „Ich habe aber kein Oield mehr", bemerkte er kleinlaut und bofsnungSfreudig zugleich. „Ich auch nicht, Jungchen." Nach längeren Verhandlungen zog er mit einer Mark ab. „Lungerhanä", sagte die Schwester verächtlich. Er streckte ihr die Zunge aus und beendete dadurch vor läufig den Austausch geschwisterlicher Zärtlichkeit. — Duell beseitigt hat. Die Hauptveranlafsung de- Duells unter verständigen Männern Hst und bleibt ja doch der Ehebruch. Ueber die Frage, ob die Angelegenheit al» rein privater Natur angesehen werden könnet, dürste wohl kein Zweifel obwalten. Das Strafgesetzbuch selbst ist in seinem 8 172 eine Antwort hierauf. Man könnte etwa einwenden, da- Interesse des Staates gehe über die im 8 172 ausge sprochene Bestrafung nicht hinaus. Daß dem nicht so ist, zeigt ein Blick auf die Zustände aller Völker und Zetten. Wo derartige Grundsätze acceptiert worden sind, und der Staat es nicht für nötig erachtete, die Ehe ausreichend zu schützen, hat er es mit seinem Untergange bezahlen müssen. Ich erinnere an das alte Rom und die Zustände kur- vor der französischen Revolution. Um noch zur rechten Zeit Deutschland vor dem Ein dringen einer Gesinnung und Entartung, wie sie da» mo derne Frankreich zezgt, zu bewahren, ist e» an der Zett, daß die einsichtigen Männer der Gesetzgebung, welche für das künftige Wohlergehen des Vaterlandes ein warmes Herz haben, der Frage näher treten, und sich die Folgen einer in dieser Richtung verbesserten Gesetzgebung einer- seits, und des sich unter der drohenden sozialistischen Ehe- auffassung entwickelnden Volkslebens andererseits vor Augen führen. Dr. HL. Deutsches Reich. /». Berlin, 22. Januar. (Zur Etat-debatt« im Reichstage.) D«r „Deutschen Tage-ztq." ist «S auf- gefallen, daß der Reichskanzler bei der Etatsdebatte die Person deS Kaisers in den Bvldergrund de« politischen Interesses stellte, und sie zweifelt daran, ob da« diplomatisch srbr geschickt sei. Wer unbefangen urteilt, wird gesteden muffen, daß bei der gegenwärtigen Etatsverhandlung diplo matische Getchicklichkeit sich nicht darin zeigen konnte, die Person des Kaisers in den Hintergrund zu rücken, sondern lediglich in der Art, wie die Person deS Kaiser» gegen Angriffe ge schützt wurde. Nachdem der ZentrumSabg. vr. Schaedler das Swinemünder Karsertelearamm in einer national-politisch sehr ins Gewicht fallenden Weise zur Erörterung gebracht barte, konnte der Reichskanzler gar nicht ander-, al» da- Thema von dem Verhältnis zwischen Kaiser und Kanzler und von der Stellung deS Kaiser« im allgemeinen zu behandeln. Hierzu nötigten auch die Angriffe, die wegen der kaiser lichen Kunvgebungen nach dem Tode Krupp- von der Sozialdemokratie gegen den Kaiser gerichtet Word« sind. Wenn Graf Bülow bei diesem Anlaß da- kaiseruche Recht auf Initiative energisch verfocht, so befand er sich oadei durchaus in Uebereinstunmung mit dem Fürsten Bismarck. ES ist vielleicht grade im Hinblick auf die augendlick ichen Reichstagsverbanblungen nicht überflüssig, an die AuSfübrungen zu erinnern, die Fürst BiSmarck in der RcichStagesitzung vom 29. November 188l getan hat. Damals wandte er sich gegen die Kritiker der berühmten kaiserlichen Botschaft vom 17. November 188l, indem er u. a. jagt«: „ES wird Ihnen nicht gelingen, dem Kaiser Wilhelm im Deut'chen Reiche zu verbieten, daß er zu seinem Volke spricht. Den Kaiser Wilhelm nach 20 Jahren unserer Geschichte mundtot zu mache» — daS ist ein ganz vergebliches Beginnen. Wie wollen Sie dem Monarchen, der aus seine Verantwortung und Befahr die groß« nationale Politik gemacht hat, die Möglichkeit abschneiüen, eine eigene Uaberzeogoug zu haben und, wenn er sie hat, sie auSzusprechen; wie wollen Li» «iu«m Könige verbieten, über die Geschick« de« Lande«, welche« er «giert, «ine eigene Meinung zu haben und sie zu äußern. Wenn die andere Ansicht Schwestern haben in der Regel innncr Geld — Paul Her manns Schwester hatte nur leider eine leidenschaftliche Neigung für Lustsahrtcn auf dem Schifsskaruflell: einmal fuhr sie fünfmidzwanzig Louren hintereinander, eiue Extravaganz, die Geldmangel und Uedelkett nach sich zog. Anleihen bei der Schwester verliefen diesmal ergebnis los — der Vater äußerte mit geringem Mitgefühl: „Gott sei Dank, — wenn er kein Geld hat, bleibt er wenigstens zu Hause." Wie schlecht der Vater seinen lieben Knaben kannte. Er ging dennoch, nachdem er die Mark durch den heim lichen Berkaus zweier ausgedienter Schulbücher um einige Pfennige vermehrt hatte. Aus Karussells konnte man sich ja durch Beschummeln Helsen, das taten alle. Am dritten Tage — mittlerweile war wieder tiefe Ebbe in seiner Kasse cingctretcn — ließ er sich aus einige Nach mittagsstunden von einem Budenbesitzcr engagieren. Bei den „Fcnerfrcffern" war nämlich das Mitglied erkrankt, das durch gräßliche Gestikulationen die Aufmerksamkeit des Publikums für Augenblicke von den eigentlichen Feuer fressern abzulcnkcn bestimmt war. Paul Hermann lief dem Budenbesitzcr gerade in die Hände, als dieser sich nach einem Ersatz umschaute. Ta war ja die ersehnte Gelegenheit. Mit schwarzen Trikots angetan, das Gesicht scheußlich bemalt, fühlte kr alle Wonnen eines erfüllten Wunsches, als er mit dem wilden Rufe: „Ei fis. ei sis. ei stS tambabemt Huh Huh!" nachmittags von drei bis sechs Uhr neben den Feuer fressern stehen diirfte. Aber das Unglück schläft bekanntlich nicht. Der Ordi narius von Quarta mußte ausgerechnet an diesem Nach mittag das Bedürfnis fühlen, seinen Pensionären die in struktiven Bilden des Jahrmarktes zu zeigen. Darunter waren auch die „Fenerfresicr". Bei dem Eintritt deS Machthabers über 02 Pennäler verließ den kleinen Fenersrcsser Paul Hermann fein« oft erprobte Geistesgegenwart. Er versuchte, freie Luft zu ge winnen, lenkte aber durch sein aufgeregtes Gebaren die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Die nun folgende Erkcnnuttgsscene lieferte dem ertappten Fcuersreffer den „schlagenden" Beweis, daß dcö Lebens ungemischte Freude keinem Sterblichen zu teil wird. Und bann die Scene zu Hause. . . - Paul Hermann erzählte nicht gern davon. Tast er in der Klaste den Spitznamen „Füerfrrter" er hielt. war noch das Wenigste. Aber eine gute Erinnerung hat er dem Jahrmärkte trotz alledem doch bewahrt.
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