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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.01.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030129016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903012901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903012901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-29
- Monat1903-01
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Anzeigen-PreiS die 6gejpaUene Petitzeile 25 H. «,«,»«» «ter tze» U^aVMuSstUch (4 gespalt«) 75 vor d« Fumtnemach- richt« (Sgespalt«) 5S Dabellmrtscher «ad Htffernsatz entsprech«- höher. — Gebühr« für Nachweisungen uud Osserteuaunoyor» 85 (exel. Porto) Extra-Vellageu (gefalzt u»r «tt der Morgm-AuSgab«, ohu, Postbefürderuug ^l SS--» mit Postb^rdoraag 70^ Ännahmeschiuß für Atyei-ea: »-««d-An-gaber vormttt^ß w U-L Mor-on-Lachpb«, UachaütMg» L ll-r, Anzeige» stud stet« au dto Expedition P» richt«. Di« Expedition ist wocheuta-S mmuterbroche, geöffnet von früh S bi» ab«d« 7 Uhr. Druck uud Verlag vo» L. Pol» tu Leipzig. Nr. 51. Donnerstag den 29. Januar 1903. 97. Jahrgang. Die Reform -es Strafprozesses. m. Eine weitere Frage bet der Reform unserer Straf prozeß-Ordnung, welche in weiteren Kreisen interessieren dürfte, ist die, ob die Schwurgerichte beibehalten werden oder nicht, während der Nest der Fragen, welche die am 10. Februar zusammentretende Kommission be schäftigen werben, mehr technischer Natur sind und zwar lebhaftes Interesse erregen, wenn ein Fehlgriff amtlicher Organe erfolgt, wie eine nicht gerechtfertigte Festnahme, weil sich dann jeder in seiner Sicherheit bedroht fühlt. Die Abhülfemtttel können aber nicht wohl öffentlich dis kutiert werden, sind auch mit absoluter Sicherheit nicht zu beschaffen. Fordert doch das verehrliche Publikum von den staatlichen Organen eine Sicherheit der Person, des Eigentums, der Bewahrung von verletzenden psychischen Eindrücken usw., welche nur dann einiger maßen beschafft werden kann, wenn der Polizei scharfe Mittel zu Gebote stehen, während sie mit der Hand habung dieser Mittel auf ein Material von Personen an gewiesen ist, von dem bas höchste Maß von Umsicht, Takt, scharfem Urteil und dergleichen mehr nicht erwartet wer den kann. Doch kehren wir nach dieser -lbschrveifung zu den Schwurgerichten zurück. Als im vierten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts in den größeren Staaten Deutsch lands die sog. Reaktion sich darin gefiel, als Hochverrat und Majestätsbelctdigung solche Bestrebungen zu ver folgen, die heutzutage längst zum Ziele geführt haben, bczw. selbst in der neuesten Periode der Denun ziationen wegen Majestätsbeleidigung keinen verfolgen den Staatsanwalt mehr finden würden, trat unter den Gebildeten in Deutschland eine Stimmung ein, welche sich direkt gegen die StaatSgerichte und deren Besetzung mit rcchtsgelehrten Richtern wendete. Man glaubte, der Richterstand sei gleichfalls jenen reaktionären Be strebungen verfallen, oder mindestens durch die Regie rungen, welche mehr oder minder unter dem Einflüsse Metternichs standen, zu leicht zu beeinflussen. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß damals Gerichte sich fanden, in denen Abteilungen zusammengesetzt wurden, die unter allen Umständen verurteilten, mochte die Anklage auch noch so schwach beschaffen sein. Es war dies eine von mehreren Ursachen, die eine politische Stimmung hervor riefen, in die 1848 die französische Februarrevolution wie ein Funken in ein Pulverfaß fiel und die deutschen März tage erzeugte. Wir sagen mit Vorbedacht Märztage nnd nicht Märzrevolution; denn wenn es auch in Berlin, in Dresden, in Wien zu einzelnen sehr erheblichen revo lutionären Stürmen kam, so zeigte sich doch die ganze Schwäche deS reaktionären Systems, daß cs eigentlich ohne Gegenwehr umsiel und den sog. Märzministerien Platz machte, und -aß alle volkstümlichen Verlangen so fort als etwa- Selbstverständliches bewilligt wurden; dar- unter auch Rehabilitation und Entschädigung der Justiz opfer der dreißiger Jahre. Im Gerichtswesen hatte sich aber die Ucbcrzeugung gebildet, daß Schwurgerichte nach englischem und franzö sischem Muster ein Abhülfemtttel gegen alle gerichtlichen Mißstände bilden würden; hingen doch auch die links rheinischen Deutschen an den von Frankreich impor tierten Schwurgerichten mit Leidenschaft fest und er blickten in ihnen eine Schutzwehr bürgerlicher Freiheit. Man führte also mit größerer oder geringerer Beschleu nigung fast allenthalben in deutschen Landen Schwur gerichte ein; aber ausschließlich nach französischem Muster, da man sich von dem englischen doch überzeugte, daß es, auf historischem Boden gewachsen, sich nicht ohne weiteres übertragen lasse. Man erfreute sich also in Deutschland dieses volkstümlichen Instituts, und die ersten Schwierig keiten, die damit erwuchsen, bewegten sich fast ausschließ lich auf juridischem Gebiete, bedrohten aber die Volks tümlichkeit um so weniger, als man eS dem Juristentum nicht verargen konnte, wenn eS Kritik übte. Waren doch die Schwurgerichte in direktem Widerspruch gegen bas offizielle Juristentum verlangt worben. Diese Schwierig keiten lagen weniger in der Belastung des wenig be mittelten deutschen Mittelstände-, dem die Geschworenen zumeist entnommen waren, man trug vielmehr diese Be lastung willig, obgleich sie sehr ungleichmäßig wirkte. Die Schwierigkeiten waren hauptsächlich technische. Die den Schwurgerichten zu Grunde liegende Thesis war die: die Rechtsfragen mußten von den rechtsgelehrten Richtern, dem Schwurgericht-Hos, entschieden werden, den Geschworenen nur die Tatfrage Vorbehalten bleiben. Die Trennung beider Gebiete erwie- sich aber al- höchst schwierig und eS trat dabei eine merkwürdige Ver schiedenheit zu Tage. Während die Fragestellung an die Geschworenen, in welcher die Trennung von Rechts- und Tatsragen sich verkörperte, in Süddeutschlanb fast keine Schwierigkeiten bot, wußte man in Preußen fast nicht damit fertig zu «erden, wie sich jedermann überzeugen kann, »en« er die tttteren vünd« von Goltdammer- Archiv für Strafrecht, welches sich vorzugsweise damit beschäftigte, zur Hand nimmt. Diese Schwierigkeiten wirkten aber nicht allein. Auch die Justiz hatte wieder einige Mißgriffe mit politischen Prozessen gemacht und schweres Mißtrauen hervorgerufen. Als cs zur Be ratung der deutschen Strafprozeß-Ordnung kam, trafen deshalb die Leonhardschen Entwürfe, durch welche die Schwurgerichte durch große Schöffengerichte ersetzt wer den sollten, auf den entschiedensten Widerstand. Der liberale Doktrinarismus, der bei jener Beratung im Vordertreffen stand, konnte nicht erfassen, daß durch die seit den letzten gerichtlichen Mißgriffen eingetretcne Grün dung des Deutschen Reichs den politischen Boden, auf welchem die Reform des Justizwesens sich vollziehen sollte, vollkommen geändert hatte. Jener Doktrina rismus, der noch manches andere im deutschen Reiche verschuldete, weil er sich von den 1848er Reminiszenzen nicht frei zu machen wußte, glaubte in der Prozeß-Ord nung eine Schutzwehr aufrichtcn zu müssen gegen alle Tendenzverfolgungen, heckte deshalb die sog. Legal theorie aus und erzwang dadurch die Massenversolgung; er brachte die Staatsanwaltschaft, als verdächtig, williges Werkzeug höherer Reaktion nnd Verfolgungssucht zu sein, in eine ganz falsche Stellung; er hielt auch an der 1848er Hochschätzung der Schwurgerichte fest und brachte glücklich die bestehende Mustcrkarte von Systemen in den Schöffen-, Land- nnd Schwurgerichten zu stände, obgleich letztere damals schon manchen schwarzen Punkt auf dem Sündenregister hatten. Den Schwierigkeiten der Frage stellung mußte aber abgeholfcn werden, und so tat man den kühnen Sprung ins Blaue: man schaffte alle Kautelen ab, durch welche bis dahin die Wirksamkeit der Ge schworenen in den richtigen Geleisen erhalten wurde, man erklärte sic für souverän, indem man sie nur nach den gesetzlichen Merkmalen in abstracto fragen ließ, und ent zog dadurch den Wahrspruch der Geschworenen jedem Rechtsmittel. Die Folgen traten rasch ein. Hatten schon chronische Mißgriffe der französischen Jury, die kein hübsches Mädchen zu verurteilen imstande ist, mag sie verübt haben, was immer, nnd dergleichen mehr, gegen die Jury im allgemeinen etwas verstimmt, so folgten bald Mißgriffe auch der deutschen Geschworenen, ohne daß Ab hülfe möglich war, ivenn auch nicht so weitgehend, wie in Frankreich. Da auch in Deutschland größtenteils die Prcßdelikte nicht vor die Geschworenen kommen, fehlt auch das Interesse der Presse an dem Institut. Kurz, durch ein Zusammenwirken der mannigfaltigsten Gründe hat sich in Deutschland die Hvchschätzung der Schwur gerichte verflüchtigt und eS erhebt sich keine Stimme für ihre Erhaltung. Es könnten leicht Verhältnisse ein treten, die zu dem Bedauern zwängen, daß die öffentliche Meinung ein Institut so leicht hat fallen lassen, das, richtig organisirt, gute Dienste geleistet hat und sie noch würde leisten können und dessen Unabhängigkeit unter allen Umständen außer Streit steht. Allein cs muß vom Volksvertrauen getragen sein. Da cs dieses verloren zu haben scheint, so wird cs wohl fallen gelassen werden, und man wird zu einem neuen Experimente greifen, dessen Wirksamkeit noch nicht erprobt ist, zum gro ß c u Schöffengericht. Die Nkitwirkung der Laien bei der Strafrechtspflege will niemand missen; und sie hat große Vorzüge. Weniger weil die Schöffen in der Lage sind, dem Richter Aufschlüsse über die Strömungen des Lebens zu geben. Außerhalb desselben stehen auch unsere Richter nicht, und es werden selten Fälle Vorkommen, iu welchen der Richter solcher Aufschlüsse bedarf. Allein es läßt sich nicht leugnen, daß die Gewohnheit des Richtens und in der Mehrzahl Verurteilens eine gewisse Geneigtheit her- vorrust, allenthalben Schuldige zu sehen. Zweifel der Schöffen sind deshalb geeignet, auch Zweifel beim Richter hervorzurufen. Fraglich dagegen ist cs, ob dem Schöffen durchschnittlich jene Festigkeit der Ueberzcugung inne wohnt, die erforderlich ist, dem Richter auch gelegentlich Opposition zu machen. Die Erfahrungen, welche wir mit den Schöffen in dem Umfange ihrer bisherigen Ver wendung nur bet Strafsachen geringster Bedeutung machten, sind gering. Aus naheliegenden Gründen dringen selten Nachrichten aus den Beratungszimmern der Schöffengerichte an die Öffentlichkeit, und die beiden in diesen Beratungszimmern vereinigten Elemente sind keine unbefangenen Beurteiler. Werben aber, wie vorauszusehen, die Gerichte in kleine, mittlere und große Schöffengerichte organisiert, so haben sie den Vorzug eines einheitlichen Aufbaues, »mb in den Schöffen werben den rechtsgelehrten Richtern Zeugen eines menschlich-natürlichen, gewissenhaften Wirkens entstehen, deren sie bedürfen, um die fortwährenden Nörgeleien gegen unsere Strafjustiz zu widerlegen un bas Vertrauen wieder hcrzustellen, bas unter jenen Nörgeleien ins Schwanken gekommen ist. Ob sonst bie Wirksamkeit der ausgedehnten SchöffengertchtSbarkeit den Hoffnungen entsprechen wirb, welche viele an jede Neuerung knüpfen, bezweifeln wir. Wir leben in einem Zettalter -er Kritik. Teils aus Neigung zum Wider- spruch, »eil- »eil di« Urteil, nicht allen Wünschen ferne Stehender entsprechen können, werden auch künftig die richterlichen Urteile Widerspruch und Tadel finden. Möge nur auch die öffentliche Meinung endlich er kennen, daß nicht jeder Tadel einen aktuellen Hinter grund hat. Dadurch, daß eine größere Anzahl von Schöffen eitler größeren Anzahl von Richtern gegenüber treten und auch wichtigere Strafsache« die Schöffen gerichte beschäftigen werden, entspringt die Hoffnung, daß auch Erfahrungen über das Zusammenwirken beider Elemente bekannt werden uud ein gründliches Urteil ermöglichen, ob weitere Reformen nötig sein werden. Erfüllen die Schöffen die Hoffnungen, welche mau auf sie setzt, so bieten sic wenigstens die eine lSarantie, daß sie durch die Diskussion der mehrfach vorhandenen Juristen die Schwierigkeiten der einzelnen Fälle er kennen und daß sie dadurch vor Mißgriffen bewahrt werden, welche die führerlosen Geschworenen zuweilen machen. Wie schon gesagt, glauben wir, daß die Kommission, welche berufen ist, über das Beibehalten oder Ab schassen der Schwurgerichte ein Gutachten abzugeben, zu letzterer Alternative gelangen wird. Wir würden das Votum mit den Gefühlen dessen vernehmen, der von einem Freunde auf Nichtmehrwiedersehen Abschied nehmen soll, aber mit der Hoffnung darauf, das; deutsche Mannhaftigkeit und deutsches Rechtsgesühl auch in der Form großer Schöffengerichte Gutes für die Rechtspflege leisten werden. Deutsches Reich. -> Berlin, 28. Januar. (Un tertanen desBun - des der Landwirte.) Der Bund der Landwirte hat eS d.irchgcsetzt, den gegenwärtigen Vertreter des Wal kreises Kvlbcrg-Köslin, den konservativen Ziimnermeister Firzlaff, zu verdrängen und die Konservativen zu be wegen, an Firzlaffs Stelle bei den nächsten Reichstags wahlen den Redakteur Malkewitz ans Stettin aufzu stellen. Nur ganz beiläufig sei erwähnt, das; dadurch der Wahlkreis für die konservative Partei sehr gefährdet wird, denn selbst der bei den Handwerkern und Kleinbürgern des Kreises sehr beliebte gegenwärtige Abgeordnete siegte bei den letzten allgemeinen Wahlen nur mit etwa 200 Stimmen Mehrheit. Doch dies ist ja Sache der Kon servativen nnd des Bundes. Von größerem Interesse ist der Stand des früheren und des neuen Kandidaten; Herr Firzlaff gehört dem Handwerkerstände an, Herr Malkewitz ist Redakteur. Wenn man sich erinnert, mit welchem Eifer der Bund der Landwirte bei jeder Gelegenheit betont, das er sich mehr als jede andere Partei des Mittelstandes an nehme, so wird man es sonderbar finden müssen, daß er hier einen Handwerker durch einen Redakteur verdrängt. Männer ohne „Ar und Halm", Männer, die mit der Land wirtschaft praktisch gar nichts zu tun haben, scheinen beim Bunde eine immer größere Rolle spielen zu wollen. Die Angelegenheit hat aber noch eine andere Seite. Von Zeit zu Zeit, nämlich immer dann, wenn die Negierung eine demBunde nicht angenehme Politik verfolgt, wie etwa bei der Kanalvvrlage oder bei den Handelsverträgen von 1898, verficht der Bund der Landwirte mit großem Eifer die Tendenz, das; die konservative Partei möglichst wenig Landräte und sonstige von der Regierung abhängige Be amte in den Reichstag und das preußische Abgeordneten- Haus entsenden solle; nur unabhängige Männer sollen die Vertreter des deutschen, bezw. preußischen Volkes im Parlamente sein. Mit diesem Gedanken können auch andere Parteien durchaus einverstanden sein. In Kolberg aber sehen wir, wie der Bund der Landwirte einen wirtsäwftlich unabhängigen Mann durch den Redak teur einer von der Gnade deS Bundes abhängigen Zeitung ersetzt. Herr Firzlaff durfte es wagen, sich die Ungnade deü Bundes zuzuzichcn, denn er gefährdete dadurch nur sein Mandat, Herr Malkewitz aber würde seine materielle Existenz gefährden. Schon jetzt fehlt es im Reichstage nicht an bündlerischcn Abgeordneten — die Namen sind ja bekannt genug —, die materiell durchaus vom Bunde der Landwirte abhängen, und es scheint, als ob dieses System erweitert werden sollte. Ob die Neigung eines Abge ordneten, sich seine Meinung nach eigener freier Ueber- zeugung zu bilden, durch die Abhängigkeit von einer Partei mehr gestärkt wird, als durch die Abhängigkeit von der Regierung, scheint uns zweifelhaft. Berlin, 28. Januar. (Pfarrer Wacker und die Sozialdemokraten.) Der bekannte badische klerikale Agitator, Geistlicher Rat Wacker, hielt vor einigen Tagen im Volksverein für das katholische Deutschland zu Stuttgart eine Rede, die sich ausschließlich mit dem Vor dringen der Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten beschäftigte. Er machte dafür zu einem Teile die Lauheit, mit der die bürgerliche Wählerschaft sich an den Wahlen beteiligt, für dieses Vordringen verantwortlich und wies dabei besonders auf Aachen, Köln und München hin. Nun, Aachen ist zu 92 Proz., Köln zu 80 Proz. und München II zu 89 Proz. katholisch, was jedenfalls dafür spricht, daß die katholische Bevölkerung sich -och nicht über all als „Damm gegen die Sozialdemokratie" bewährt. Herr Wacker erklärte weiter: ,Hn den Stichwahlen sollten alle bürgerlichen Parteien einig sein... Die Verringerung der sozialdemokratischen Mandate muß bei den Neuwahlen im Vordergründe stehen; selbst die Interessen und die Verhältnisse einzelner Bundesstaaten müssen hinter diesem Gedanken zurück- stehen." Herr Wacker war e-, bei dem sich die Sozialdemo, kratie bei den letzten allgemeinen Reich-tag-wablen für drei von ihr erlangt« badische Mandat« in «rfter Reih« zu bedanken hatte. Sollte er bereuen und diesmal anders verfahren wollen? Dafür sprächen ja gewiß bie hier zitierte» Sätze, dagegen aber spricht der Zusatz: „Aber die Voraussetzungen hierfür müssen ge geben sein; wegwerfen werden wir uns nicht." Das heißt wohl kaum etwas anderes, als daß Herr Wacker ver langt, daß die aufzustellenden Kandidaten vorher sein Placet erlangen. H Berlin, 28. Januar. (Bewegung gegen die Neuauffüllung der berufsgenossenschaft lich e n N e s c r v e f o n d s.) In den weitesten gewerb lichen Kreisen macht sich die Bestrebung auf Abschaffung der Bestimmung der Unfallversicherungsnovellc über die Ncuauffüllung der berufsgenossenschaftlichen Reservefonds geltend. ES ist anzuncymen, daß bei der zweiten Lesung des Reichshaushaltsetats für 1908 im Reichstage die Ange- legenheit zur Sprache gebracht werden wird. Wie die Be stimmung in -er Praxis gewirkt hat, ist aus den dem Reichstage vorgelegten Rechnungsergebniffen der Berufs genossenschaften für das Jahr 1901 zu erkennen. Dieses Jahr war das erste, in dem die Vorschrift über bie Neuauf- sttllung Platz gegriffen hatte. Ende 1900 beliefen sich die Reservefonds -er Berufsgenossenschasten auf 140,1 Millio nen Mark, wovon 183,5 Millionen Mark auf die gewerb lichen und 6,6 Millionen Mark auf die landwirtschaftlichen Genossenschaften entfielen. Ende 1901 war der Bestand auf 150,7 Millionen Mark angewachsen, wovon 143,6 Millionen Mark auf die erstere und 7,1 Millionen Mark auf die letztere Kategorie kamen. Die den Berufsgenossenschasten angehörigen Arbeitgeber waren gezwungen gewesen, für das Jahr 1901, in dem sie schon sowieso infolge der neuen, auf die Erweiterung der Arbeiterfürsorge gerichteten Be stimmungen der Novelle einen weit größeren Entschädi- gungsbetrag als sonst aufbringen mußten, den Reserve- fonds eine Lumme von 10b Millionen Mark zuzuführen. Das Gewerbe i. e. S. beteiligte sich daran mit 10,1 Millionen Mark, die Landwirtschaft mit 0,5 Millionen Mark. Im jetzigen Unfallversicherungsgesetze ist vorge schrieben, daß im Jahre 1901 bei den gewerblichen Berufsgenossenschasten für den Reservefonds ein Zuschlag zum Bestände in Höhe von tv Proz.inchoben werden sollte. Dieser hätte bie Summe von 14,8 Millionen Mark au-ge» macht. Wenn tatsächlich um 4^r Millionen Mark menige» erhoben sind, so rührt die- einmal daher, baß di« Zinsen der Reservefonds nach -em Gesetze bei den Zuschlägen in Anrechnung kommen dürfen, und sodann daher, daß da» Rcichs-Vepsichernngsamt eine Entscheidung getroffen hat, nach der von denjenigen Reservefond-beständen, welche bei einzelnen Berufsgenossenschasten über die durch daS erste Ersetz ausgesprochene Verpflichtung hinaus ange- smmnelt sind, der jetzt gesetzlich verlangte Zuschlag nicht er hoben werden soll. Anderenfalls wären auch gerade die jenigen Berufsgenossenschaften, welche über die gesetzliche Grenze hinaus Reserven angesammelt hatten, dafür recht empfindlich bestraft worden. Einzelne gewerbliche Be- rnfögcnossenschaften haben trotzdem gewaltige Beträge anfbringeir müssen, so die Knappschaftsberufsgenoffen, sclwst 2,7 Millionen Mark, die Rheinisch - Westfälische Hütten- und Walzwerksberufsgenossenschast 0,5 Millionen Mark, die Brauerei- un- Mülzereiberufsgenoffenschaft 0,53 Millionen Mark, die Norddeutsche Holzberussge- noffcnschaft 0,45 Millionen Mark usw. Unter den 48 landwirtschaftlichen BerufSgenoffeüschaften gab cs Ende 1900 noch 29, die keinen Reservefonds angesammelt hatten. Von ihrem Nescrvcfondsbcstande in Höhe von 6,6 Millionen Mark ensielen auf die Königlich Säch sische nnd Hessische Berufsgenoffenschaft je 1,^Millio nen Mark, auf die badische 1,2 Millionen Mark. Ende 1901 gab es von landwirtschaftlichen Berufsgenossen, schäften, die keinen Reservefonds besaßen, noch 8. Diese Zahl wird aber ganz verschwinden, da die Ansammlung von Reserven auch bei den landwirtschaftlichen Genossen schaften obligatorisch gemacht ist. Die Beträge, welche im einzelnen aufgebracht werden müssen, sind hier bedeutend geringer, als bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften. Wohl aus diesem Grunde ist es zu erklären, daß die Be wegung zwecks Abschaffung der Vorschriften über die Neuauffüllung der Reservefonds in der Industrie schärfer als in der Landwirtschaft eingesetzt hat. (-) Berlin, 28. Januar. (Telegramm.) Der Kaiser unternahm beute morgen einen Spaziergang und hatte sodann eine Besprechung mit dem Reichskanzler. Um 12»/^ Uhr empfing der Kaiser den Fürsten von Hohrnzollern und hörte darauf die Vorträge deS Justizministers Or Schönstedt, des Geb. OberbauratS Thoemer und deS Stellvertreters des Chefs des CivilkabinettS v. Valentin;. 8. Berlin, 28. Januar. (Privattelegramm.) Die „Nat.-Ztg." schreibt: „Wir haben gestern ven Namen der Persönlichkeit nicht genannt, auf deren Vortrag die Ab schwächung de« ehrengerichtlichen UrterlS gegen den Major a. D. Endell, welche den Gegnern des Land rat« von Will ich neuen Mut zu ihrem Borgeben gegen diesen einflößte, erfolgt ist Da in der Presse heute ver schiedene Angaben in dieser Beziehung austauchen, so wollen wir nicht weiter verschweigen, daß eS der LandwirtschaflS- minister von Podbielski war. Der Oberprästveat von Bitter wird in dieser Hinsicht mit Unrecht genannt; aber wir bezweifeln nicht, daß sein bedauerliches Verhallen in der Angelegeobeit sich wesentlich im Hinblick auf den Er folg der Bemübungen des Herrn von Podbielski noch nach teiliger für diejenigen Deutschen der Provinz Posen gestaltet bat, die mit dem in den Tod getriebenen Landrat v. Willich einverstanden waren." — Dem Präsidenten Le« preußischen Abgeordnetenhauses hat Graf Ballestr «in mitgrteitt, daß sein Mandat für diese» Haus infolge der Berufung io- Herrenhaus erloschen sei. — Zum Kinderschusgefetze haben dir Abgg. Wurm und Genossen die in der Kommission schon gestellten Anträge auf Einbeziehung der in der Landwirtschaft beschäftigten Kinder in da« (Jesev und auf Ausdebnung der Ruhepausen iür di« in den Werkstätten beschäsrigten Kinder für di» zweit» Beratung im Plenum des Reichstag« wieder «ingetracht.
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