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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 29.01.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-01-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030129023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903012902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903012902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-01
- Tag1903-01-29
- Monat1903-01
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Der Terrorismus, den die Führer des Bundes der Landwirte ausüben, muß in ihnen die Besorgnis Wecken, daß ihre Erfolge bei den Wahlen geringer werden, wenn sie nicht mehr im stände sind, die Abstimmungen zu kontrollieren. Weniger verständlich ist es, daß auch die konservative Presse in daS VerbammungSurteil der Bundessührer einstininit. Geschieht dies nur aus gewohnter Gefälligkeit gegen die „Freunde", mit denen man sich erst kürzlich bei der Ent scheidung über den Zolltarif entzweite und die nun um jeden Preis versöhnt werben sollen? Man wird zu dieser Annahme gezwungen durch die Haltlosigkeit der Giünde, mit denen die „Konserv. Korr." und die „Kreuzztg." ihren Widerspruch be gründen. So muß eS wenigslens als eine völlig haltlose Unterstellung bezeichnet werden, wenn die „Konserv. Korr." wörtlich sagt: „Die letzten Erklärungen des Reichskanzlers und des Grafen Posadowsky geben doch immerhin der Vermutung Raum, daß jetzt, nachdem cs gelungen ist, die Obstruktion niederzuhallen, die Staats regierung eine unverkennbare Neigung zeigt, den an ibr beteiligten Parteien gefällig zu sein." Es versteht sich von selbst, daß ein solches Gerede nur erheiternd wirken kann angesichts des Faktums, daß zu der Mehrheit, welche am 1. Mai a. xr. zum so und so vielten Male das sogenannte Closetgesetz beschloß, auch Zentrum, Nationalliberale und Freisinnige Volkspartei gehörten. Das Zentrum mit all seinen Anhängseln an Polen, Welsen, El sässern und bayerischen Bauernbündlern. Daß alle diese Fraktionen oder auch nur eine derselben an der Obstruktion beteiligt gewesen seien, daS wird ja wohl niemand zu be haupten wagen. Um die sachlichen Gründe, welche in der konservativen Presse gegen die Jsolierräume und gegen die Abgabe der Stimmzettel in verschlossenem Couvert geltend gemacht werden, steht es nicht um ein Haar besser. Jsolier räume und Wahlcouverts sollen nicht durchführbar sein, ihre Anwendung soll eine Unmenge von Wablprotesten zur Folge haben und für das Land soll auch die Kosten frage eine Rolle spielen. Das sind samt und sonders an den Haaren herbeigezogene Scheingründe. Wo ein Raum für Vornahme der Wahl zu beschaffen ist, wird mau auch um Herstellung eines kleinen Jsolierraumes nicht in Verlegen heit sein. Die Wadlproteste werben sich nicht mehren, sondern vielmehr mindern, wofern nur der Wahlvorstanv seiner Pflicht nachkommt und keinen Wähler zur Abgabe seines Stimmzettels zuläßi, der nicht zuvor den Jsolierraum passiert hat und sich nicht des ihm übergevenen Couverts bedient. Und die Kosten? Wenn jede Reform dem Reiche oder dem Staate oder der Kommune so billig zu stehen käme, wie diese, dann könnle man wahrlich zufrieden sein! Alle diese Einwände sind QuiSquilien und bestätigen als solche offenbar nur, daß den konservativen Gegnern der Jso lierräume und Wahl-Couverts ein ernsthafter stichhaltiger Einwand nicht zu Gebote steht. Die „Konserv. Korresp." ist I dann noch auf den Gedanken verfallen, es müsse doch genügen,! wenn die Benutzung des Jsolierraumes nicht vorgeschrieben, nickt obligatorisch gemacht, sondern nur fakultativ ein- gesübrt würde. Das hieße den Pelz waschen, ohne ihn naß zu machen. Der Zweck, der mit dem Jsolierräume verfolgt wird, würde durch eine solche bloße Anbeimgabe seiner Be nutzung von vornherein durckkieuzt. Denn wer sich frei willig, ohne zwingende Vorschrift, durch Benutzung des Jsolier raumes der Beobachtung enizöge, würde schon dadurch Mut maßungen über die Art seiner Abstimmung Tür und Tor öffnen. Und für Personen in abhängiger Stellung würde das einfach gleichbedeutend sein mit dem bisherigen Zustande, so daß der Jsolierraum von ihnen gemieden und so in der Tat zu einem überflüssigen Beiwerk werden würde. Zentrum und Welfcntum. Die klerikale „Germania" breitet ihre Arme schirmend Wer die braunschweigischen Welfen und schreckt sogar nicht davor zurück, dem Welfentum zu Lieche der deutschen Sprache Gewalt anzutun und über die ein fachsten geschichtlichen Tatsachen sich hinwcgzusetzcn. Den Anknüpfungspunkt hierfür hat die eigentümliche „Feier" von Kaisers Geburtstag geliefert, die das Organ der braunschweigischen Welfen veranstaltete, indem es in der Teilnahme der Prinzessin Maxvon Vaden, einer Tochter des Herzogs von Cumberland, an der Ber liner Geburtstagsfeier des Kaisers den Beweis dafür er blickte, dasz beim Kaiser wie beim Herzoge die Geneigtheit zur Versöhnung vorhanden sei, und alsdann schloß: „Würde es dem Kaiser gelingen, das durch das Un glücksjahr 1866 über deutsche Lande gebrachte Unheil zu lindern und gut zu machen, so würde er in Wahrheit ein Mehrer des Reiches genannt werden, nicht an äußerem Zuwachs, sondern an innerer Stärke und innerem Frieden." Daß in den vorstehenden Worten die Wicderherstellun- dcs Königreiches Hannover gefordert wird, bestreitet die „Germania", um m't folgender Auslegung aufzuwarten: „Liegt hier die Annahme nicht viel näher, daß es dem Organ der Rechtspartei in Braunschweig nur darauf ankam, dem Ge danken Ausdruck zu geben, daß der Herzog von Cumberland der rechtmäßige Herzog von Braunschweig ist, dem durch den bekannten Beschluß des Bundesrats jedoch der Antrittt der Re gierung noch immer verweigert wird?" Da das WelseWlatt dem Kaiser zumutet, ein Unheil „gut zu machen", das „durch das Unglücksjahr 1806" Wer deutsche „Lande" gebracht sei, so muß es die Wiederher stellung des Königreiches Hannover im Auge gehabt haben; denn das Herzogtum Braunschweig wurde im Jahre 1806 von keinerlei Unheil betroffen. Wenn die „Germania" dem welfischen Begehren eine verhältnis mäßig harmlose Deutung unterschiebt, so mag sie dabet von einer gewissen peinlichen Einpfinduug geleitet sein. Ist doch jedes melfischc Zeugnis für das Streben nach der Lederherstellung des Königreiches Hannover für die „na tionales Zentrnmspartei deswegen kompromittierend, weil vier wsifische Reichstagsabgeordnctc lBaron von Arns- wald-Hardenbostcl, Götz von Olenhusen, Freiherr von Schele-Schclenburg, Freiherr von Wangcnhcim-Wake) Hospitanten der Zentrumsfraktion sind. Charakteristisch für die „nationale" Zentrumspartei ist auch das unver blümte Bedauern über die Fernhaltung des Herzogs von Cumberland von dem Antritt der Erbfolge in Braun schweig — doppelt charakteristisch, nachdem in Braun schweig soeben die „authentische Interpretation" des NegentschaftSgeseyes ergangen ist, die die Fortdauer der Regentschaft nach dem Ableben des Herzogs von Cum berland sichert. Klerikale Angriffe auf das österreichische Reichs- volksschulgcscß. Der Abgeordnete vr. E i s e n k o l b hat an den Unter richtsminister im Abgeordnetenhause eine Anfrage ge richtet, die Klarheit darüber verlangt, welche Stellung die Regierung den neuerlichen klerikalen Angriffen auf das relativ freiheitliche Reichsvolksschulgcsetz gegenüber ein zunehmen gedenkt. In der umfangreichen Eingabe heißt cs u. a.: Seit der päpstlichen Verfluchung dieses Gesetzes und infolge derselben haben die Klerikalen der verschiedensten Schattierungen, die neueste der Christlichsozialen inbegriffen, den Kampf gegen dieses Gesetz teils offen, teils geheim geführt, weil sie einsehen, daß ein aufgeklärtes Volk die Herrschaft der römisch-katholischen Priesterkaste und des mit ihr Verbündeten Feudaladels nicht länger ertragen würde. Den Feinden des Volksschulgesetzes ist es gelungen, namentlich durch Verwaltungsverordnungen und den Klerikalen willfährige Bezirks- und Landesschulräte und Inspektoren und unterwürfige Schulleiter und Lehrer, sowie durch Knebelung der Lehrerschaft in materieller Beziehung, die Wirkung desselben zu lähmen und teilweise zu behindern. Nach dem von den Christlichsozialen in Wien und Nieder österreich bei der letzten Landtagswahl errungenen klerikalen Siege hält man offenbar wieder die Zeit für gekommen, einen neuen offenen Ansturm auf das Rcichsvolksschulgcseh wagen zu dürfen. Die Vereins- und Versammlungsrcden der dem Thron so nahe stehenden Feudaladeligen Lichtenstein, Windischgrätz, Nostiz usw. und der überall auftauchendcn offenen und geheimen Jesuiten während der letzten Wochen geben Zeugnis dafür. Des halb verdient die Mitteilung vollen Glauben, daß sich der nieder österreichische Landtag bei seinem Wiedcrzusammentritte mit diesem Kampf gegen das den Klerikalen so verhaßte Gesetz zu befassen haben und diesfalls an den Reichsrat herantreten wird. Es geht das klerikale Streben, wie bestimmt verlautet, dahin, den UnterrichtausderNaturgeschichte,Natur lehre, Geographie und Geschichte, wovon ja jetzt schon nur daS Faßlichste und Wissens werteste — zumeistnochdazuganznachrömisch- jesuitischem Zuschnitt — gelehrt wird, aus der Volksschule vollständig zu beseitigen, ferner die Prügelstrafe wieder einzuführen und die Lehrpersonen zu zwingen, anstatt der bisherigen bloßen Aufsicht, an allen religiösen Hebungen der Kinder, z. B. an der Beichte, selbst teilzunehmcn. Offenbar denkt man dabei, daß eine so erzogene Jugend nicht in die Gefahr kommt, sich eine eigene Ucbcrzeugung zu bilden, also vor jeder sogenannten Ketzerei gesichert ist, ferner, daß durch Prügel das Ehrgefühl schon im Kinde so geschwächt wird, daß ein Auflehncn gegen die römische, jesuitische und feudale Volksausbeutung unmöglich wird, und daß die Heuchelei, wie sich ein päpstliches Blatt aus drückt, gegenüber der freien, ehrlichen Ucberzeugung das kleinere Nebel ist, weil der Heuchler nur sich selbst, der mit der Römer kirche nicht übereinstimmende Ueberzeugungstreue aber sich und anderen schadet. Nie und nimmer können wir solchen Be strebungen, welche auf eine Verhinderung der Volksaufklärung hinauslaufen, ruhig zusehen. Die Schule, der Beichtstuhl und die Kanzel werden für solche Bestrebungen mißbraucht. In solcher Zeit ist zum Schutze des bestehenden Gesetzes und seiner wohltätigen Wirkungen eine deutliche Erklärung von berufenster Seite nötig, weil Oesterreich nur durch Festhalten an seiner ohnedies so kargen freiheitlichen Gesetz gebung und durch Vermehrung der allgemeinen Volksbildung im Weltkonkurrenzkampfe bestehen und sich nur auf diese Weise wieder kräftigen kann. Wissenschaft und wahre Religion schließen sich nicht aus, sondern fördern einander. Die Interpellation schließt: „Die Unterfertigten fragen den Minister: 1) Ist Seiner Ercellenz von den Be strebungen der Klerikalen, einschließlich der Christlich sozialen und der Fcudaladeligen, gegen das Reichsvolks schulgesetz etwas bekannt?! 2) Ist Seine Exccllenz geneigt, zu erklären, daß solche bildungsfeindliche Bestrebungen, falls dieselben an die gesetzlichen Vertretungskörpcr herantreten sollten, von der Regierung energisch be kämpft würden?" Zur venezolanischen Angelegenheit. Die New Nvrker Nachricht, daß es zwischen den Ver tretern der verbündeten Mächte, die mit dem Gesandten Bowen verhandeln, zu einem Bruche gekom men sei, ist bereits von der britischen Botschaft in Washington, unter Zustimmung und Bestätigung der deutschen und der italienischen Botschaft, für falsch erklärt morden. In Bezug hierauf ist es von Interesse zu er fahren, daß die Anregung zu dem gedachten Schritte, wie wir Mitteilen können, von der britischen Bot schaft i n W a s h i n g t o n selbst ausgegangen ist. Wenn in der amerikanischen Presse fortgesetzt lebhafte Klagen über dieFortdanerderBlockade laut wer den, so muß daran erinnert werden, daß die öffentliche Meinung der Bereinigten Staaten im Punkte der Blockade durch jene amerikanische Meldung irre geführt wurde, die behauptete, die Blockade würde bei dem Ein treffen des Gesandten Bowen in Washington aufhören. Die verbündeten Mächte waren von Anfang an gewillt, die Aufhebung der Blockade von den Garantien abhängig zu machen, die Venezuela zur Befriedigung der von den Mächten gestellten Vorfordcrungen anbieten würde. Nach dem jetzt zum ersten Male derartige Garantien von Vene zuela ernstlich angeboten sind, dürfte die Aufhebung der Blockade in dem Falle gesichert sein, daß die verbündeten Mächte die angebotenen Garantien für ausreichend er klären. Deutsches Reich. Berlin, 28. Januar. (Reich samt des Innern.) In dem für 1903 neu herausgcgebcnen Handbuch für das Deutsche Reich hat namentlich der das Neichsamt des Innern behandelnde Abschnitt mannigfache Veränderungen erfahren. Der Personenwechsel in den Stellen des Unterstaatssekretärs und der Direktoren ist bekannt. Als Vortragende Räte werden neu aufgcführt: Feuilleton. 28, Frau Huna. Roman von Karl Taner a. Nachdruck verboten. AIS er ihr seine Hand auf die Augen legte und diese leicht zudrückte, folgte sie seiner Aufforderung, sprach nichts und bemühte sich, zu schlafen. Seit Wochen, seit Monaten hatte sie sich nicht mehr so glücklich gefühlt. Eine unendlich wohltuende Ruhe kam über sie, seine Hand auf ihrer Stirn wirkte wie hypnotisierend, es dauerte nur noch wenige Minuten, und sie war cingcschlummert. Jzuna ließ seine Hand noch einige Zeit auf ihrem Haupte, streichelte sanft ihre Haare, und als er bemerkte, daß sie fest schlief, setzte er sich neben ihr Bett, betrachtete sie und sann nach. Da kam eine Empfindung von Reue über ihn. „Habe ich sie richtig behandelt? Habe ich ihr Wesen, ihre Erziehung, ihre Vergangenheit, ihre Denkungsart und ihren Charakter genug studiert und mich danach ge richtet? — Nein, das habe ich nicht getan. Ich nahm olles zu oberflächlich. Ich glaubte, in wenigen Tagen und Wochen ändern und völlig umwandeln zu können, was sie ihr ganzes Leben hindurch als richtig angesehen hat und demgemäß nicht anders gewohnt war. Tas ist ein großer Fehler meinerseits gewesen. Ich habe diese liebe, gute Seele mit Rauheit und Strenge behandelt, statt mit ihr vorsichtig, sanft und behutsam umzugehen. Darum ist sie verzweifelt. Ihr Sinn hatte sich verwirrt, sie wußte keinen Ausweg mehr, deshalb wollte sie sich das Leben nehmen. — Wenn sie den Versuch fern von mir unternommen und ihr Ziel erreicht hätte! Ich glaube, ich wäre wahnsinnig geworden. Jetzt fühle ich ja erst, wie tief ich sie liebe." Er neigte sich vorsichtig über sie und küßte sie. Sie erwachte nicht. Aber ihr Gesicht nahm einen verklärten Ausdruck an. Er küßte sie nochmals. Sie schlief ruhig weiter. Im Traum jedoch lächelte sie so glücklich, daß sie wie veredelt erschien. So schön hatte er sie noch nie gesehen. Er mußte sie nochmals küssen. Da erwachte sie halb, hielt die Augen noch fest geschlossen, lispelte aber leise: „Mein Akira! Mein Geliebter, bist du bei mir?" »Ja, meine süße, angebetete Siradoma. Ich bin bei dir, und ich verlasse dich nicht mehr." wie wunderbar klingen deine Worte. Mir ist es, als ob wir beide im Paradies wären, du uud ich ganz allein, nur unS gehörend, fern von der bösen Welt, die uns trennen will. Ich wage gar nicht, die Augen zu öffnen, aus Angst, es hält mich nur ein Traum um fangen." „Oeffne sie nur, mein Liebling. Sieh in die meinen. Ihre Blicke werden dir sagen, daß du nicht träumst, daß wir wirklich im Paradies sind, im Paradies der neu er wachten, verdoppelten, unvergänglichen, heißen Liebe." „Ist dies wahr?" „Ja, meine holde, meine einzige Siradoma." Da drehte sie das Haupt herum und sah ihm direkt in die Augen. Dann nahm sie seinen Kopf in ihre beiden Hände, zog ihn an sich, küßte ihn so, wie sie ihn noch nie geküßt hatte, und er erwiderte ihre heißen, glühenden Liebkosungen. Endlich wurden beide ruhiger. Er setzte sich wieder neben ihr Bett, behielt aber ihre Hände in den seinen. Nach einiger Zeit sprach er mehr sanft als vorwurfsvoll: „Jetzt, wo wir uns wieder gefunden haben, jetzt sage mir, mein holdes Weib, wie du mir so etwas autun konntest? Liebtest du mich denn gar nicht mehr?" „Ich, dich nicht mehr lieben? Oh, mein Akira! Zu heiß habe ich dich geliebt. Ich konnte nicht auf dich ver zichten. Ich wollte lieber sterben." „Aber, mein Närrchen, wer verlangte denn von dir, daß du auf mich verzichten solltest?" „Du selbst durch die Art und Weise, mit der du mich behandelt hast. Warst nicht du es, der das harte, ent setzliche Wort von Trennung aussprach?" „Ja, dies ist richtig. Aber es war nicht ernst gemeint. Glaubst du denn, daß ich dich je verlassen könnte?" „Ich fürchtete es. Ich weiß ja genau, wie leicht man es in Japan mit der Ehe nimmt, wie schnell man mit Scheidungen bei der Hand ist." „Das muß ich wohl zugcben. Aber es paßt nicht bei mir. In dieser Beziehung denke ich anders als meine Landsleute. Ich liebe ja auch keine Japanerin, sondern eine Deutsche." „Und doch willst du aus mir eine Japanerin machen! Du willst meinen Gesichtskreis beschränken-, mich in die Stellung einer Dienerin herabdrücken, mich —" „Nein, wahrhaftig, gelicbtestc Siradoma, das will ich nicht. Wenn du so teilnahmlos, so oberflächlich würdest, wie die meisten meiner Landsmänninnen, die nichts sind als ein hübsches, liebenswürdiges Spielzeug, so könnte ich dich gar nicht so lieben, wie eS der Kall ist. Gerade -ein reger Geist, dein« schärfere Auffassungsgabe, deine Fähigkeit, sich über den beschränkten Standpunkt unserer Frauen und Mädchen zu erheben, und deine Kenntnisse und Fähigkeiten sind es, die mich ebenso wie dein goldenes Herz und deine Schönheit an dich fesseln. Bei uns zu Hause möchte ich kein Atom anders haben, als es ist. Aber außerhalb! Da, wo uns die Menschen sehen, wo wir Rücksicht auf meine Stellung, auf die Sitten uud Oie bräuche des Landes, auf unseren Ruf nehmen müssen, da wünschte ich dich nachgiebiger und entgegenkommender. Du könntest ja im Hause Europäerin und Deutsche, außerhalb aber Japanerin sein." „Das ist nicht durchführbar, mein teurer Akira. Wir haben ja nicht einmal die innere Einrichtung unseres Hauses nach unserem Geschmack erhalten können, weil du besorgen mußtest, bei deinen Kollegen Anstoß zu er regen. Und mich kannst du erst recht nicht in ein Doppel wesen verwandeln. Heucheln habe ich nicht gelernt. Also ich kann nicht stundenweise deutsch und dann wieder stundenweise japanisch denken. Es würde mir ergehen wie einer Pflanze, die man in ein ihr völlig fremdes Klima versetzt. Stelle unsere prächtigen Tannen aus den Hochalpen in die Glui der afrikanischen Sonne, so ver dorren sie. Pflanze eine Palme der Sahara aus den deutsche« Harz oder in die Alpen, und sic stirbt. Selbst wenn du sie am Tage einige Zeit im Warmtreibhaus hältst, dann aber wiederum der ihr ungewohnten nor dischen Temperatur preisgibst, so muß sie zu Grunde gehen. So wird es auch bei mir hier der Fall sein. Ich bin die höhere, freiere Luft einer anderen Kultur ge wöhnt. Hier läßt mich nur deine Liebe und Zärtlichkeit erblühen und gedeihen. Wenn ich aber hinuntcrgcworfen werde in die dumpfe Schwüle von engherzigen Sitten nnd Gebräuchen, die mich niederdrücken, oder wenn mich die eisige Luft der Gleichgültigkeit deinerseits umgibt, weil wir beobachtet sein könnten, wenn ich von dir ver nachlässigt werde, dann ist es mir, als ob ein Gifthauch mich durchwehte, der mir das Herz erstarrt, der mich tötet. Dazu, mein Geliebter, kommen die Enttäuschungen, welche ich in Beziehung auf unsere Pläne erlitten habe. Ich wollte hebend und aufklärcnd auf deine Lands männinnen wirken und sehe nun die völlige Aussichts losigkeit, ja sogar die absolute Unmöglichkeit jeder der artigen Bemühung ein. Ich habe mich und meine Leistungsfähigkeit überschätzt, jetzt weiß ich, daß meine Kraft nicht ausreicht. Kannst du cs mir da verargen, baß ich mutlos geworden bin und auch jetzt noch mit größter Sorge, ja ganz verzagt, in die Zukunft sehe, obwohl ich deine unendliche Liebe plötzlich so klar erkannte, al- du nrir mein Leben mit Gefahr deines eigenen ge rettet hast?" Er wußte ihr keine Antwort zu geben. Ihre Worte hatten ihm die Augen geöffnet, er sah ein, daß das, was sie sagte, berechtigt war, aber er wußte nicht, wie er diese schwierige Lage ändern oder doch wenigslens erleichtern könnte. Auch das Fehlschlägen ihrer Hoffnungen in Be ziehung auf die Fraucnsrage bedauerte er sehr für sic, obwohl er ja selbst darin seine Ansicht geändert hatte. Während er still dasaß und über all diese verwirrten Verhältnisse nachdachte, beobachtete sie ihn aufmerksam. Da entstand in ihr ein Gedanke, der ihr neuen Lebens mut und neue Tatkraft verlieh. „Wie, wenn ich ihn dazu bringen könnte, mit mir wenigstens auf einige Jahre nach Berlin zurückzukehreu! Wenn ich, statt daß er mich zur Japanerin macht, ihn um gekehrt wieder in einen Europäer, in einen Deutschen umwaudeln könnte!" Kaum, daß diese Idee in ihr Wurzel gefaßt batte, so hing sie ihr auch mit größter Lebhaftigkeit nach. Zbu langsam für den Plan geneigt zu machen, ihm die Mag lichteit darzustellen, mit Hülse der Tanten eine gute arbeits- und auch crtragsrcichc Stellung zu erlangen und dann ihn vollständig zu gewinnen, mit ihm in die alte Heimat zurückzukehreu, das war nun ihre Ausgabe. Aber es bedrückten sie noch starke Zweifel. „Ob es dies mal gelingt! Ob ich nicht wieder eine Niederlage erlebe! Dann wäre alles aus! Aber cs wird und muß geben. Ich weiß ja jetzt, daß er mich noch so liebt wie vorher. Darauf baue ich. Die Liebe wird mir helfen." Da er noch immer stumm und nachdcnkend neben ibr saß, begann sie schmeichelnd: „Mein geliebter Akira, laß jetzt das Grübeln. Wir wollen uns die schönen Stunden nicht durch trübe Gedanken verderben. Begib dich zur Ruhe. Du wirst auch sehr ermüdet sein." Er folgte ihr aber noch nicht. Er beugte sich über sic, legte seinen Kops auf ihre Brust, als ob er nicht recht wage, sic anzusebcn und flüsterte: „Ich möchte dir etwas sagen." „Was denn, mein Freund?" „Deine Worte haben mir in vieler Beziehung die Augen geöffnet. Ich sehe mein Unrecht ein und bitte dich wegen meines rauhen Benehmens um Verzeihung." Sie legte ihm die Hand aus den Mund, damit er nicht weiter sprechen konnte und rief heiter: „Nichts mehr davon. Der Sturm ist vorüber, die Sonne scheint uns wieder. Warum an die gefährliche Ursache deS Wetters erinnern! Es hat ja auch seinen großen Vorteil gehabt;
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