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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.03.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-03-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030304020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903030402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903030402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-03
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Vezuq-.Pret- «k d«r Haoptexpedttilw od« drrrn VoSgab^ stell«« «-««holt: vterleljährltch 8—, bet ^oetmalig«, täglicher fjosteU»"« Ul« Hau« 8.7k. Durch Vie Post für Deutsch, lau- ». Oesterreich vierteljährlich 4.80, für di« üürigeu Länder laut ZettaugSpretSllste. Ne-aktion und Erveditiour JvhanntSgaffe 8. Fernsprecher lüS und L2L. Ftltalevp-dttt»»«, r LlsredHah».Buchhaodlg, llotversitStSstr.8» L. Lischt Kathartueustr. 14, a. LöotgSpl. 7. Haupt-Filiale Vresdeu: Strehleaer Straße S. Fernsprecher Amt I Nr. 1718. Haupt-Filiale Serlin: Earl Dumker, Herzgl Bayr. Hosbuchhandlg, Lützowstraße lv. Fernsprecher AM VI Nr 4808. Abend-Ausgabe. t Uti WZ cr TagMalt Anzeiger. ÄmtsAaLl des Königlichen Land- und des Königlichen Ämlsgerichtes Leipzig, des Aales und des Aolizeiarnles der Lladt Leipzig. Anzetgen «Preis die SgefpaUene Petttzelie Ld H. Reklamen nnter dem NedakNonSstrich (4gespalten) 78 vor den FamUiennach richten <8 gespalten) 80 Tabellarischer and Kifsernfatz entsprechend höher. — Gebühren für Ätachweisungea und Offertenannohme L5 L, (excl. Porto). Ertra-Verlagen gesalzt), rar mit der Morgen-Ausgabe, -hne Zostbriorderung 30.—. nit stoitb-sördernog /L 70.—. Avnahmeschluß lür Huzeigen: Abend-Ausgabe: Normittags 10 Uhr. M 'rgea-Ausgabe: NachmtttogS 4 Uhr. Anzeigen stad stet» an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 btS abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 1l5. Mittwoch den 4. März 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. März. „Beteranensürsorge." Es waren wieder einmal bittere, sehr bittere Worte, die gestern im Reichstage di« Herren am Tische des Bundesrates bei der Beratung -es Neichsinva - lidenfonds zu hören bekamen. Und leider waren diese Worte nur allzu berechtigt, denn die Unzuläng lichkeit der Veteranenfürsorge infolge des bevorstehenden Bankerotts des Reichsinvalidenfonds schreit zum Himmel. Es ist, wie der Abg. Prinz Schön- aich-Carolath (natl.) mit vollem Rechte ausführtc, nicht mehr zu ertragen, daß Veteranen mit berechtigten Ansprüchen fortgesetzt wegen Mangel an Mitteln abge wiesen werden müssen; cs ist des Deutschen Reiches un würdig, daß bei Leuten, die 60 Jahre und darüber alt sind und nach den Strapazen des Krieges über 30 Jahre in Fabriken oder anderweit gearbeitet haben, noch der Nachweis völliger Hülflosigkeit neben der Erwerbslosig keit verlangt wird. Und wenn der Reichsschatz sekretär solchen Klagen gegenüber wieder und wieder darauf Hinweisen muß, daß der mehr und mehr schwin dende Fonds nicht mehr hergebe und die Finanzlage des Reiches nicht gestatte, aus laufenden Mitteln noch mehr zu tun, als getan werde, — wer trägt daran die Schuld? Daß der Reichsinvalidenfonds in absehbarer Zeit werde aufgezehrt werden und dann das Reich aus anderen Quellen die nötigen Summen werde schaffen müssen, weiß man doch nicht erst seit gestern. Und daß den fetten magere Jahre folgen würden, sah jeder, der sehen wollt«, schon längst voraus. Wie oft ist seitdem darauf gedrängt worden, eine auf neue Einnahme quellen gegründete Reichsfinanzreform in die Wege zu leiten; wie oft hat man Anläufe genommen, der in sicherer Aussicht stehenden Reichsfinanznot vorzu beugen! Aber alle diese Anläufe sind stecken geblieben, weil es an dem rechten Nachdrucke besonders von preußi scher Seite fehlte. Nun ist ja nicht zu verkennen, daß an diesem Mangel an Nachdruck der Reichstag, oder vielmehr die ihn beherrschende Partei, duS Zentrum, einen wesentlichen Schuldantetl trägt. Das Zentrum war es, das dem Miquelschen Reichsfinanzreformprojekte das Grab grub und die verbündeten Regierungen von neuen Versuchen abschreckte. Wer aber hat in erster Linie die Position des Zentrums gestärkt und sich in völlige Ab hängigkeit von ihm gebracht? Der Herr Reichsschatz sekretär. der jetzt weder aus noch ein weiß und nicht ein mal von der ihm auf dem Präsentierteller entgegenge tragenen Wehrsteuer hinreichende Mittel zur Vete ranenfürsorge erwartet, mag einmal zurückblickcn auf eine Reihe von Jahren, und er wird die recht« Antwort auf die Frage finden, wer die Abhängigkeit des Bundes rates vom Zentrum und damit auch die Jammerlage der Reichsfinanzen in erster Linie verschuldet hat! Und steht vielleicht etwas in Aussicht, was diese Abhängigkeit brechen und günstige Aussicht auf einen neuen Reichstag eröffnen könnte, der bereit sein würde, dem Reiche die nötigen Mittel zur Bezahlung einer alten Ehrenschuld und überdies zur Befreiung von der unwürdigen Rolle eines Kostgängers der unter eigenen Lasten seufzenden Einzel staaten zu gewähren? Was man bis jetzt hört und sieht, läuft auf das Ziel hinaus, den Einfluß des Zentrums noch mehr zu verstärken. Und so wird denn voraussichtlich die Klag« über die Unzulänglichkeit der Veteranenfllrsorge in den nächsten und den übernächsten Jahren ganz ebenso er schallen, wie in diesem, und das Zentrum wird dabei sitzen, stumm wie gestern. Frei von „protestantischer Engherzigkeit"! Im Wahlbezirke M ü n s i n g e n im Königreiche Würt temberg findet am Freitag eine Landtags-Ersatzwahl statt, bei der der Bund der Landwirte die Entscheidung zwischen einem Zentrumsmanne und einem Volksparteiler zu geben hat. Das führende bayerische Zentrumsorgan sprach die Hoffnung aus, daß der Bund der Landwirte sich „frei von protestantischer Engherzigkeit" zeigen werde. Die Vertrauensmünner-Versammlung des Bundes im Oberamtc Münsingen hat sich beeilt, dieses „ehrende" Ver trauen zu rechtfertigen, indem sie einstimmig beschlossen hat, den Bündlern zu empfehlen, bei der Stichwahl f ü r das Zentrum einzutreten. Sicherlich ist ein solcher Beschluß frei von „protestantischer Engherzigkeit", aber er ist noch viel mehr frei von politischer Weitsicht. Man betrachte nur einmal die politische Konstellation um Württemberg herum und in Württemberg selbst: in Bayern herrscht das Zentrum nicht mehr bloß im Par lament, sondern auch im Ministerium, und es dringt sogar in die Geheimkanzlei, d. h. also in die nächste Umgebung des Prinz-Regenten, ein; in Baden ist die Haltung der Regierung gegenüber klerikalen Ansprüchen schon seit Jahr und Tag auch nicht annähernd mehr so zuverlässig, wie früher; in Preußen hat ein klerikaler Heißsporn unter Billigung des Zentrums einen so gewaltsamen Vor stoß gegen die Rechte des Staates unternommen, daß selbst der friedfertige Graf Bülow sich zu einem scharfen Tadel aufschwingen mußte; in Württemberg selbst wird früher oder später der katholische Zweig des Herrscher hauses an die Regierung kommen, was wohl dem Zentrum in diesem Lande nicht gerade nachteilig sein wird. An gesichts dieser Fortschritte des Klerikalismus im ganzen Reiche hält es nun der Bund der Landwirte für ange messen, das Zentrum zu stärken, denn jeder Sitz mehr, den das Zentrum, sei es im Reiche, sei es in Einzellandtagen, gewinnt, bedeutet eine Stärkung dieser Partei. Der Be zirk Münsingen steht aber nicht allein; in Hil desheim will bekanntlich der Bund der Land wirte bei den nächsten Neichstagswahlen dem Zentrum in den Sattel helfen und die Zen trumspartei des Wahlkreises hat bereits die vom Bunde proponierte Zentrumskandidatur gutgeheißen, obwohl das führende Zentrumsorgan, die „Kölnische Bolksztg.", davon abgeraten hatte, die Welsen zu brüskieren. Doch es kommt hier nicht sowohl die richtige oder nicht richtige Taktik des Zentrums in Frage, sondern diejenige des Bundes der Landwirte. Und da muß man doch sagen, daß es ein starkes Stück ist, wenn unter den gegenwärtigen Umständen der Bund einen Wahlkreis, der nur zu 28 Pro zent katholisch ist, dem Zentrum ausliefern will. Der Bund kann sich nicht einmal damit entschuldigen, daß nur auf diese Weise der Sieg eines Welfen oder eines Sozial demokraten verhindert werden könne und daß er, der Bun-, also nach dem Prinzip vom „kleineren Uebel" ver fahre. Der Wahlkreis Hildesheim war von 1871—81, von 1884—90 und von 1892—93 nationalliberal vertreten und noch bei -en Wahlen von 1893 erhielt der nationalliberale Kandidat weitaus die meisten Stimmen in der Hauptwahl und unterlag erst in der Stichwahl dem von den Sozial demokraten auf das nachdrücklichste unterstützten welfi- schcn Bewerber. Erst bei den letzten allgemeinen Wahlen brachten es die Quertreibereien des Bundes dahin, daß Welfen und Sozialdemokraten mit einander in die Stich wahl kamen. Immerhin war die bündlerische Sonder kandidatur von 1898 vom allgemein politischen Stand punkte noch lange nicht so zu verwerfen, wie es das jetzige Gebaren des Bundes ist, durch das der Wählkreis ent weder einer der reichsfeindlichen Parteien (Welfen oder Sozialdemokraten) oder dem ohnehin schon übermächtigen Zentrum ausgeliefert wird. Wenn das Zentrum in einem Wahlkreise, der kaum zu mehr als einem Viertel katholisch ist, obsiegen sollte, so würde seine Arroganz ins Unge messene gesteigert werden. Die Mächte und die Balkanunruhen. In der gestrigen Sitzung des ungarischen Ab geordnetenhauses erklärte in Beantwortung der Interpellation Casavolezkys (Kostuthpartei) über die Reise des Grafen Lambsdorff nach Wien der Ministerpräsident v. Szell, er habe mit der Be antwortung gezögert, damit die Tatsachen, die inzwischen zu Tage getreten seien, seine Aufklärungen bestätigen. Der Ministerpräsident bezeichnete als Grundlage der Qrientpolitik Oesterreich-Ungarns, die durch internatio nale Vereinbarung geschaffenen Zustände im Orient auf recht zu erhalten, die Unabhängigkeit der Balkanstaaten zu stärken und die freie Entwickelung und das Aufblühen dieser Staaten zu fördern, auch solle das freundschaftliche Verhältnis mit den Balkanstaaten gepflegt und der territoriale und politische ststusguo der Türkei unversehrt erhalten bleiben, so daß keine Großmacht einen Überwiegenden Einfluß auf die dortigen Machtverhältnisse zum Nach teile einer Macht ausübe. Dies sei der Zweck des weisen Uebereinkommcns, welches im Jahre 1897 zwischen Oesterreich-Ungarn und Rußland geschlossen worden ist. Der Zweck der Reise des Grafen Lambsdorff habe darin bestanden, die Grundzüge der Reformen und admini strativen Maßnahmen festzustellen, welche hierauf der Türkei vorgeschlagen wurden. Besondere Abmachungen seien bei dieser Gelegenheit nicht getroffen worden, eine Abweichung von der übereinstimmenden Auffassung, die 1897 festgesetzt worden, sei nicht geschehen. Der Minister präsident fährt dann folgendermaßen fort: „Beide Groß mächte mißbilligen alle Bestrebungen und Tendenzen, von welcher Seite sie auch immer kommen, welche auf eine gewaltsame Umwälzung gerichtet sind oder dazu führen können. Falls trotz dieser Mahnung die Be völkerung zu revolutionären Schritten sich verleiten lassen würde, würde niemand, auch Rußland nicht, die Türkei verhindern, daß sie eine energische Repression übe. (Allgemeine lebhafte Zustimmung!.) Die Auf nahme, welche das von allen Großmächten unterstützte Reformprojekt bei der Pforte gefunden, gestattet zu hoffen, daß diese im Einvernehmen mit den Mächten unternommene Aktion nicht ergebnislos sein werde. Wir glauben, daß wir durch diese Aktion dem großen Interesse des europäischen Friedens einen Dienst er weisen." Schließlich bezeichnete der Minister die Besorg nisse des Interpellanten bezüglich der Gefährdung der Integrität der Türket sür unbegründet. (Allgemeiner lebhafter Beifall.) Die Antwort des Ministerpräsidenten wurde zur Kenntnis genommen. Schutzzoll und Arbeitszeit in Frankreich. Zu einer fortgesetzten und wirksameren Bekämpfung der freihändlerischcn Ideen haben sich schon vor Jahren in Frankreich die industriellen und die land- wirtschaftlichenErwerbsstände zu einer Ber einigung zusammengeschlossen. Die Gründung des Ver bandes erfolgte auf Grund der von der Mehrzahl der Angehörigen beider großen Wirtschaftsgebiete geteilten Erkenntnis, daß ohne die Aufrechterhaltung und sach gemäße Anwendung des Schutzzollsystems die Industrie und die Landwirtschaft Frankreichs durch die Konkurrenz des Auslandes schwer geschädigt und schließlich vernichtet werden würden. In der Tat, schreiben die „Berl. Pol. Nachr.", können die französischen Industrien in den elf Jahren, seitdem die erhöhten Schutzzölle in kraft sind, auf eine durchaus befriedigend« Entwickelung zurückblicken, die Ausfuhr ist erst im letzten Jahre wieder recht erheb lich gegeü das Vorjahr gestiegen, und die durch das Prinzip sides Schutzes der nationalen Arbeit bedingten Vorteile wären zweifellos noch wesentlich größere ge wesen, rqrnn nicht in zahlreichen Unternehmungen infolge der wiederholten und ausgedehnten Ausstandsbewegungen der Betrieb hätte eingeschränkt, zeitweilig sogar gänzlich eingestellt werden müssen. Diese auf den unheilvollen Ein fluß der Leiter der Arbeitersyndikate zurückzuführenden Mißstände sind es, deren Abstellung oder Milderung der Verband der französischen Industrie und Landwirtschaft nunmehr anstreben will. Da man sich von einem Ver suche, die Arbeiter von der Zwcischneidigkeit der Streik waffe zu überzeugen, nur geringe Vorteile verspricht, wird zunächst beabsichtigt, gegen die im Parlamente, in sozial- Feuilleton. Feierstunden. l2s Ei« Jahr aus einem Leben. Von Emil Roland. NackdruU verboten. „Aber ob sie sich nicht doch interviewen ließe?" beharrte Reinhart. „Sie muß doch allerhand kleine Züge von ihm wissen — geistreiche Apercus des letzten Winters. Mein Gott, wem solch eine Riesenbekanntschast in den Schoß fällt, wie diesem Mädchen, der macht sich doch klar, daß solche Erlebnisse nicht Privatbesitz sind, daß auch die Mit welt ein Recht auf sie hat." , „Von diesem Rechte der Mitwelt wirst du dieses Mädchen nie überzeugen." „Als ich Hausmann im letzten Herbst in Vicenza traf, hatte er sie gerade kennen gelernt. Er sprach von ihr — etwas unpersönlich natürlich, wie immer — aber doch mit einiger Wärme. Wenn ich nicht irre, diktierte er ihr auch den Anfang seines letzten Werkes, das du das Glück hattest, weiterzusllhren, dank meiner Empfehlung. Sie muß ja doch allerlmnd wissen!" „Sie ist höllisch zugeknöpft. Aus der bekommst du nichts heraus." „Das heißt — am Ende verarbeitet sie ihre Be ziehungen zu ihm auf eigene Hand?" „Gut, daß sic dich nicht hört!" rief der Neffe. „Sie würde dir sonst sofort eine Ohrfeige applizieren." Reinhart zuckte die Achseln über den geschmacklosen Scherz, der ihm höchlichst mißfiel. „Du tätest mir trotzdem einen Gefallen, mir ihre Adresse zu verschaffen", fuhr er mit gezwungener Freund lichkeit fort. „Hausmann und die Frauen — das ist auch ein Kapitel, bei dem ich noch ziemlich im Finstern tappe. Das heißt eine Charakteristik der Schwester lmbe ich bereits seit sechs Jahren liegen. Im ganzen glaube ich zwar: er hatte den Sinn für Frauen gar nicht. Sie störten ihn im Arbeiten. Und doch besinne ich mich, wie er mir ein mal erzählte, daß er sich bet seinem ersten Aufenthalt in Italien täglich genau so viele Male verliebt habe, als schöne Mädchen an ihm vorbeigegangen wären. Hütte ich nur die Jugendbriefe! In denen schlummert gewiß ein mir ganz unbekanntes Stadium." „Möglich", sagte Hans Sachs leichthin, „möglich, daß ihm Frauen ziemlich egal waren, aber ganz umsonst wird er sich wohl den da" — und er klopfte dem Eros etwas unsanft auf den gesenkten Hals — „nicht als Haus penaten angeschafft haben! Aber du entschuldigst wohl, wenn ich mich drücke! Ich hab' eine Verabredung. Und zu helfen ist doch wohl nichts mehr!" »Bitte, denke an die Adresse von Fräulein Helene! Ach «utz st« haLeni" rief der vnkil ihm nach. Hans Sachs schloß die Tür. „Nein, ich muß sie haben", sagte er. Im Vestibül sah es unwirtlich aus. Frau Winter war gleich nach dem Tode des Herrn zu ihren An gehörigen im Gebirge zurückgekehrt. Nieman- wischte den Staub. Auf den Rahmen der Piranesi lagerte er wie eine graue Schicht. Frostig war eS im Hause, trotz der Augusthitze, die über der Welt lag. Er dachte an Helene, wie er ihr einst in diesem Vestibül den Mantel umgetan. Sic hatte die Korrespondenz mit ihm so schroff ab gebrochen, ihm so deutlich zu verstehen gegeben, daß seine Briefe nur darum Wert für sie hatten, weil sie Nachrich! von Hausmann brachten. Schließlich war er ärgerlich geworden über ihren Eigensinn. Nach Hausmanns Tode erwartete er Nachricht von ihr, Bitten um ein Bild, eine Erinnerung oder der gleichen. Nichts davon! Sie hüllte sich beharrlich in Schweigen da unten bei ihren italienischen Bergen. Auch in der Pension Badcrschneider wußte niemand etwas von ihr, nicht einmal Lenore, das heißt: die fingierte vielleicht, nichts zu wissen! Er beschloß, Lenore anfzusuchen und sie einmal gründ lich zu blockieren. Lenore saß seelenvergnügt in ihrem Atelier und gab dem Zittauer Zeichenstunde. Während der „Menschensalat" in -er Pension Bader schneider im übrigen ziemlich gewechselt hatte, war Leutnant Häslein noch immer hängen geblieben, teils von den Kunstgenüssen gefesselt, teils vom Münchner Bier, teils von Lenorens Lustigkeit. Er ging mit der Idee um, den Wasfenrock endgültig auszuztehen und unter die Literaten, Maler oder Mimen zu gehen. Ueber jedes bängliche Gefühl etwaiger Unsicherheit in Hinsicht auf die neue Berufswahl hob ihn die Ueberzeugung himveg, daß er zu jeder dieser Karrieren ausnehmend befähigt sei. Und die gutmütige Lenore ließ ihn bei dieser Illusion, obgleich allein der Anblick seiner Zeichnungen ihr Kunstgesühl schmerzlich verletzte. Sie aßen Eis und schwatzten. Das Zeichnen war nur ganz nebenher. Hans Sachs fühlte sich sogleich aufgemuntert, als er lachende Gesichter sah. „Gottlob", rief er, „daß ich das grieSgrännge Onkel profil für einige Zeit los bin! Es macht mir nun mal absolut keine Freude, da hineinzusehen! Wie eine triste Regenlandschaft wirkt's auf mich. Da lob' ich mir den Hellen Himmel, der so ungehindert bei Ihnen herein schaut, wenn er auch Ihr Atelier zur venetianischen Blei kammer macht!" „O, Hitze ist so gut!" sagte Lenore. „Sich mal so or« bentlich auisonnen! Vorrat kür den Winter!" „Ich muß Ihnen übrigens etwas erzählen, was Sie interessieren wird", fuhr Hans Sachs fort, während er, die Hände in den Taschen, auf und ab lief und hier und da mit dem Fuß gegen ein Möbel stieß. „Von einem ver rückten Engländer nämlich, der ein Geschäft machen möchte. Sie wissen, diese Albionsöhne sind oft wie toll auf Auto gramme. Nun habe ich einen in petto, der durchaus Handschriftliches von Hausmann haben will. Aber s ist nichts vakant. Vom Nachlaß wird vorderhand kein Stück vergeben, und der Mensch hat'S eilig. Da hat man mir nun mitgeteilt, daß Ihre verschwundene Freundin Helene alte Hausmannbriefe in Besitz haben soll. Bitte, tun Sie sich doch mal danach um, ob das richtig ist. Der betreffende Engländerwill übrigens «inkleincSVermögen dafttrgebcn, also wäre die Anfrage unter allen Umständen zu erwägen! Fräulein Helene hat zwar früher immer den Eindruck einer wohlsituicrten Ladn auf mich gemacht, nach ihrer ganzen nüso en so-ns zu schließen. DaS Wohnen hier oben beim Himmel hielt ich mehr für einen kleinen excen trischen Sport. Nach dein, was ich aber neulich aus ihrem Verleger herausfragte, kann sie nur eine „Scheinreiche" gewesen sein, ohne festes Kapital dahinter. Gewöhnlich hat so jemand ja auch noch eine alte Mutter zu versorgen." Der Zittauer sah den Hans Sachs bewundernd an. Er hatte längst gewerkt, daß jene Helene etwas wie eine Achillesferse für den kecken Freund war, und staunte mm über die prosaische Sachlichkeit, mit der er dies Thema so souverän behandelte. Es war ihm hochinteressant, Stoff für die Münchener Memoiren, die er im geheimen schrieb, zu erhalten. Lenore schwieg beharrlich. „Sie, die sonst so Rcdebegabte, verstummen?" fuhr Hans Sachs ironisch fort. „Verzeihen Sie, wenn ich kon statiere, daß Sie par oi-cire schweigen. Sie wissen sehr wohl, wo Fräulein Helene ist, und können mir auch genau sagen, ob sie ein kleines Kapital brauchen kann oder nicht. Aber Sie sind vereidigt von ihr!" „Wenn das der Fall ist, werde ich auch wohl den Mund halten", versetzte Lenore. „Aber es verstößt ja wohl nicht gegen -en Schwur, das Angebot dieses wunderlichen Engländers an Fräulein Helene gelangen zu lassen — und dann die Antwort an mich?" In Lenorens Ohren tdnte es immer wieder, was er von kleinem Kapital gesagt. Wäre sie nur im Besitz von Autogrammen gewesen — sie hätte sie sämtlich für gutes Geld an den Meistbietenden loSgeschlagen. Helene sollte nur ja nicht zu prüde sein. Natürlich war es ihre Pflicht, ihr diese Mitteilung zu machen. Wenige Tage später hielt Lenore die Antwort in Händen. «Liebe Lenore! Sagen Sie, bitte, Ihrem verrückten Engländer, baß ich allerdings Jugenbbrieie von Hautzmann bekommen (Schluß folgt.) habe, jedoch mit -em Vorbehalt, sie nach der Lektüre zu verbrennen. Wäre übrigens diese Klausel nicht, so würden mir auch bann diese Briese für alles Geld der Welt nicht feil sein. Ihr Engländer hätte also unter keinen Umständen Chancen gehabt. Im übrigen, liebe Lenore, hat mich Ihr Brief mit seiner warmen Anteilnahme sehr gefreut, und ich zürne mir fast, -aß ich so lange Ihnen gegenüber schwieg. Dafür werde ich Ihnen nun von der neuen Wendung in meinem Leben erzählen zugleich als Antwort a>rf Ihre Fragen in Betreff uinserer nächsten Zukunft. Ich gthe für drei Jahre nach Asien. Begreifen Sie, daß mich das verlockt? Sobald ich in Siena mit meiner Arbeit fertig bin, was in -en nächsten Tagen der Fall sein wird, steche iäi von Brindisi aus in die Lee. Klingt das nicht fast wie nach Kolnmbus? Ich hoffe auch, «ine neue Welt zu entdecken! Die alte hat wenig Ver lockendes mehr für mich, seit mein geliebter Freund nicht mehr lebt. Mein Münchner Verleger ivar so gütig, mir Orvieto und Sankt Peter vorläufig zn erlassen. Vielleicht wird's ein anderer malen — wohl bester als ich, denn mit meiner Stimmung ist's vorbei. Und wissen Sie, wem ich diese asiatische Wendung ver dank«? Ihm, Hausmann! Das ist das Beste dran! Er gab mir, als ich München verließ, eine Empfehlung mit an Frau Lucia Helmstettcr, die Tie — oder deren Reisebeschreibungen vielmehr — ja auch kennen. Sie kam bald nach mir nach Siena. Schwerfällig, wie ich im An knüpfen neuer Beziehungen bin, behielt ich den Em pfehlungsbrief erst längere Zeit im Koffer. Aber eine Woche nach Hausmanns Tode trieb mich der Wunsch, mit jemand über ihn zu sprechen, doch zu ihr. Und diesem Bries von ihm, der nun von einem Verstorbenen kam mit der Bitte, daß sie mich unter ihre Ftttige nehmen möchte, verdanke ich ihre Gunst. Sie reist mit einer ganzen Karawane von Dienern, Photographen und dergleichen. Ich gehe als Aquarcllistin mit für jene Gegenden, deren Reiz der Apparat nicht ge nügend zu interpretieren vermag. Und ich träume schon fetzt von stillen, Hellen, asiatischen Leen, an deren Ufern die Snkomore rauscht und in deren Tiefe sich.Berge mit Pellegrinosormcn spiegeln. Ich bin unendlich begierig auf das östliche Land und dankbar Pnd frei für jeden großen Eindruck. Vielleicht komme ich dann später einmal in unser Atelier über Pension Badcrschneider zurück, wenn Sic noch dort sind und die Gäste unter nnS gewechselt haben. Leben» Sie wohl — aber nicht bis dahin. So weit cS illustrierte Karten gibt und drüber hinaus, sollen Sie hören von Ihrer wanderlustigen Hel«n«.7
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