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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.03.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-03-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030326025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903032602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903032602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-03
- Tag1903-03-26
- Monat1903-03
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend Häher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 155. Donnerstag den 26. März 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26 Marz. Die Vorlage znm Schutze des Wahlgeheimnisses, die dem Reichstag kurz vor den Osterferien zugc- gaugen ist, wird nach den Ferien zweifellos die Zustim mung des Haufes finden. Betrachtet man sie nüchtern, ohne Mißtrauen und ohne allzuhoch gespannte Hoff nungen, so kann man Stichhaltiges nicht gegen sic ein wenden. In die bekannten vier Attribute, mit denen das Reichstagswahlrecht ausgcstattet ist, ist nun einmal das Attribut „geheim" mit ausgenommen, und die Ver treter fast aller Parteien pflegen bei jeder Gelegenheit zu versichern, daß sie das Reichstagswahlrecht in vollem Umfang aufrecht zu erhalten gesonnen seien. Wenn sich nun herausstellt, daß die geheime Wahl in vielen Fällen illusorisch gemacht wird durch allerhand Praktiken, die durch die Akten der Wahlprüfungskommission genügend bestätigt werden, so ist durchaus nichts einzuwenden gegen ein Verfahren, welches das Wahlgeheimnis bester sichert, als es bisher möglich war. Und daß das vor geschlagene Verfahren eine bessere Sicherung gewähr leistet, kann ernstlich nicht bestritten werden. Ucberdics haben die verbündeten Negierungen den Einsprüchen, die von konservativer Seite gegen den Antrag Rickert er hoben wurden, tunlichst Rechnung getragen. So ist der Nebenraum nicht unbedingt vorgesehen und die Auf stellung eines Nebentischcs wird selbst im Osten keine Schwierigkeiten machen. Die Sorgen um eine neue Be lastung der Gemeinden werden dadurch beseitigt, daß die Kosten für die Umschläge der Stimmzettel von den Bundesstaaten übernommen werden. Allenfalls könnte noch bemäkelt werden, daß die Vorlage sich den Reichs tagsbeschluß, nach dem kein Wahlbezirk weniger als 125 Einwohner — nach der letzten allgemeinen Volkszählung gerechnet — enthalten sollte, nicht angeeignet hat, sondern eS dem Berordnungswege vorbehält, die Bildung allzu kleiner Bezirke zu verhüten. Da aber ein brauchbarer Gegenvorschlag bis jetzt nicht vorliegt, so wird es wohl auch in dieser Hinsicht bei dem Regicrungsvorschlage bleiben. WaS endlich die voraussichtlichen Wirkungen deS neuen Verfahrens betrifft, so ist es ein undankbares Geschäft, etwas vorauszusagen. Im großen und garnen dürfte der „Schwäb. Merk." das Richtige treffen, wenn er auSführt: „Die Sozialdemokratie wird ge neigt sein, in allen Fällen, wo sie gegenüber den letzten Wahlen ein Mehr von Stimmen erreicht, dies dem neuen Wahlreglement zuzuschrciben und damit die Behauptung zu verbinden, daß bis dahin starke Wahlbeeinflussung ge trieben worden sei. In vielen Fällen wird jedoch dem neuen Wahlreglement zugeschrieben werden, was ein fach ein Ergebnis des natürlichen Wachstums der indu striellen Bevölkerung ist. Ueberhaupt wird sich wohl nur in kleinen Wahlbezirken, in denen die Zahl der Wahl berechtigten konstant geblieben ist und in denen der bis herige Abgeordnete wieder als Kandidat auftritt, mit an nähernder Sicherheit die Wirkung der neuen Ordnung einigermaßen kontrollieren lasten. Das Eine scheint Feuilleton. i7s Miß Rachel äaltonn. Roman von Florence Marryat. Äiarvdrua verboten. Während sie so sprach, blickten ihre glänzenden grauen Augen so voll Liebe und MtleiL auf das Antlitz ihrer alten Gesellschafterin, daß Mb Montrie, einer plötzlichen Eingebung folgend, sagte: „Liebste Rachel, was ist Ihnen nur begegnet, seit wir uns trennten - Woher stammt dieser plötzlich« Umschwung? Verzeihen Sie mir, wenn ich es erwähne; denn, wenn ich Sie auch immer lieb hatte, so pflegten Sie doch anderer Leute Sorgen früher nicht so lebhaft mit zu empfinden." „Was mir begegnet ist?" wiederholte Las Mädchen, sich das Haar aus der Stirn streichend, wie sie beim Nach denken zu tun pflegte, und obgleich ein rosiger Hauch über ihre Wangen flog, blickten ihre Augen doch sehr traurig. „Nun, ich habe selber Kummer gehabt, und dadurch ist mancher Nebel von meiner Seele gewichen. Ich glaubte früher kaum an irgend etwas, Miß Montrie; aber jetzt sehe ich klarer und fühle, daß es kein weiteres Glück auf der Welt gibt, als daß man versucht, andere Leute glücklich zu machen. Für uns selbst gibt es keins . . . keins!" wieder holte sie ausdrucksvoll, als ihre traurigen Augen denen Miß Montries begegneten. „So mag ich Sie nicht reden hören, Teuerste. Man könnte glauben. Sie wären eine alte Frau wie ich und Ihre Jugendzeit dahin. Und doch liegt das ganze Leben vor Ihnen, Rachel, und ich hoffe, daß Ihnen noch viel Glück zu teil wird. Was würde Lord Bivian sagen, wenn er Sie so verzweifelt reden hörte?" „Ach, erwähnen Sie den Namen dieses Mannes nicht!" rief Rachel, während sie Hut und Handschuhe ergriff und sich anschickte, das Zimmer zu verlosten. „Ich werde nie mals heiraten, Miß Montrie. Je länger ich von ihm weg bin, um so unerfreulicher erscheint mir die Aussicht, ihn zum Manne zu bekommen. Ich könnte es ihm nur gleich schreiben; denn es wird doch nie geschehen." „Nun, ich will nichts wieder davon sagen", sagte Miß Montrie lächelnd; „Sie misten ja, er hat mich schon ein mal in Ungelegenheiten gebracht. Aber wer Sie auch einst bekommt, Rachel, er wird jedenfalls «in sehr glücklicher Mann sein." „Glauben Sie? Ich nicht", antwortete das Mädchen und verschwand. Nach dem Lunchcon kam die Rede auf den Herzog von Lraig-MorriS, und Miß Montrie fragte Rachel, ob sie von jedenfalls sicher zu sein: die Hoffnungen, die die Sozial demokratie auf das neue Verfahren setzt, werden sich nicht in dem von ihr ersehnten Umfange erfüllen. Sie spricht fortwährend von einem Terrorismus der Arbeitgeber, der dem Arbeiter die Abgabe eines unabhängigen Votums bei der Wahl erschwere. Es gibt aber auch, was die Sozialdemokratie natürlich wohlweislich mit Still schweigen übergeht, einen Terrorismus von unten her, eine Beeinflussung des Arbeiters durch seine Kollegen, denen er nicht für voll gilt, wenn er nicht einen roten Wahlzettel abgibt. Auch diesem Terrorismus kann durch das neue Verfahren Abbruch geschehen, und es ist nicht ausgeschlossen, daß, was auf der einen Seite gewonnen wird, auf der andern verloren geht. Auch von den Mit läufern der Sozialdemokratie, so von den kleinen Ge werbetreibenden, die bisher vielfach in ihrem Gewerbe betriebe von der Gnade der sozialdemokratischen Ar beiter abhängig waren und deren Abstimmung genau beaufsichtigt wurde, wird künftig mancher abfallen. Mes in allem genommen, liegt für die Sozialdemokratie zu besonderen Extravaganzen der Hoffnungsseligkeit kein Anlaß vor." Kürst Bismarck und der Reichsinvalidenfonds. In der Beteranen-Versammlung, die kürzlich in Berlin stattfand und über di« wir bereits berichtet haben, hat der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Prinz Schön- aich-Carolath mit Recht daran erinnert, daß cs viel bester um den Jnvalidcnfonds stehen würde, wenn er nicht für andere Zwecke in Anspruch genommen worden wäre. Fürst Bismarck war immer ein Gegner der Anschau ung, der Fonds sei ein Topf, aus dem im Bedarfsfälle jeder schöpfen könne. Im Jahre 1877 sagte der erste Kanzler, mit dem Vorschläge Richters, den Reichs invalidenfonds anzugreifen, d. h. vom Kapital zu zehren und die Wege zu betreten, welche große und befreundete Nachbarrcichc nicht zum dauernden Heil ihrer Finanz wirtschaft betreten hätten, sei er nicht einverstanden. Der Reichsinvalidenfonds sei durch ein Gesetz zu einem be stimmten Zweck geschaffen und er, Bismarck, bitte dringend, die Verwendung des Fonds auf diesen Zweck zu be schränken und ihn dafür bestehen zu lass«», sowohl für die gegenwärtigen, als auch — was Gott verhüte — für die zukünftigen Invaliden, die uns etwa erwachsen könnten. „Gönnen Sic dem Reich«", dies waren seine Worte, „dieses Kapitalvermögen! Es sind auch Kriege möglich, in denen man keine Kontributionen hat und bei denen man auf das, was man hat, oben angewiesen bleibt. Ich kann nur er klären, daß ich mich, soviel in meinen schwachen Kräften liegt, dagegen wehren werde, daß auf diese Weise der erste, bereiteste Kapitalbestand des Reiches angegriffen werde, um laufende Ausgaben zu bestreiten." Damit, sagte Bis marck, handle er durchaus im Sinne des 8 70 der Reichs verfassung, welcher vorschrcibt: „Zur Bestreitung aller g«. mcinschastlichen Ausgaben dienen zunächst die etwaigen Ueberschüstc der Vorjahre, sowie di« aus Zöllen, den ge meinschaftlichen Verbrauchssteuern und aus dem Post- und Telegraphenwesen fließenden gemeinschaftlichen Ein nahmen. Insoweit dieselben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie, so lange Reichssteuern nicht ein ihrem Besuch in Pall Mall viel Vergnügen gehabt habe. Miß Saltonns Antlitz verdüsterte sich. „Durchaus nicht. Großpapa war verstimmt und brum mig, und wir gerieten, wie gewöhnlich, aneinander. Wir kommen nie zusammen, ohne uns zu zanken." „Er ist ein sehr alter Mann, Liebste. Vielleicht fühlt er sich nicht wohl." „O! er war ganz munter. Aber wir können einander nicht leiden und können uns nicht vertragen. Er möchte jeden meiner Schritte überwachen, und ich will nicht über wacht werden." „Was sagte Seine Gnaden über Lord Vivian? Freute er sich nicht, daß Sie bereit sind, die Sache in Erwägung zu ziehen?" „Ich gab ihm keine Gelegenheit dazu, da ich den Gegen stand gar nicht zur Sprache brachte. Wenn ich es richtig überlegen soll, so muß es ohne seine Beeinflussung ge schehen. Ich beabsichtige nur mit Ihnen darüber zu sprechen, Nftß Montrie", fuhr Rachel fort, setzte sich auf einen Fußschemel am Kamin und legte ihre gefalteten Hände auf den Schoß der alten Dame. „Was ist ein Gentleman?" Miß Montrie fuhr zusammen wie vom Schlage ge troffen. „Was ein Gentleman ist? Eine solche Frage richten Sie, Abkömmling eines vornehmen Ge schlechts, an mich? Wer könnte sie wohl bester als Sie selbst beantworten?" „Aber Sie verstehen nicht, was ich meine. Was macht eigentlich den Begriff Gentleman aus? Titel und Stel lung können es nicht sein: denn mein Großvater ist einer der ältesten Herzöge des Vereinigten Königreichs, und ich halte ihn für einen Hottentotten." „Rachel! Rachel!" rief Miß Montrie entsetzt. „Ich weiß sehr wohl, was ich sage, und sage es noch einmal: weder sein Charakter, noch sein Benehmen sind die eines Gentleman." „Laste wir doch Seine Gnaden aus dem Spiel, ich möchte es mir nicht herausnehmen, über eine so hoch stehende Persönlichkeit eine Meinung zu äußern; aber im allgemeinen versteht man unter einem Gentleman wohl jemand, der sich nie dazu hergibt, eine gemeine oder un ehrenhafte Handlung zu begehen." Dieser Ausspruch schien einen wunderbaren Eindruck auf Rachel hervorznbringen. Ihre Augen und Wangen begannen zu glühen." „Das ist ganz meine Ansicht!" rief sie aus, mit strahlen dem Antlitz auf Miß Montrie sehend — unbewußt, daß sie noch vor kurzem ihrem Onkel Henry gegenüber das Gegenteil vertreten. „Was bedeutet die Lebensstellung, wenn das Leben selbst rein und ehrenhaft ist? Und unsere aristokratischen Familien, wie viele vertragen wohl die Helle des Tageslichtes? Und doch setzen sie ihren Stolz geführt sind, durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche bis zur Höhe des budgetmäßigen Betrages durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden." Da liege also ganz klar der Hinweis, was das Reich tun solle, wenn seine Geldmittel zur Deckung der Ausgaben nicht aus reichen, und daran müsse er sich halten. Leider ist diese Mahnung, wie io manche andere des großen Staats mannes, in den Wind geschlagen worden. Es ging nach dem Vorschläge Richters, bei dem sich nunmehr die Vete ranen dafür bedanken mögen, daß der Fonds längst nicht mehr ausrcicht, die Ehrenschuld des Reiches an die, die es mit gründen halfen, abzutragen. Das irische Problem. In der gestrigen Sitzung de- englischen Unterhauses begründete der Chefselretär für Irland Wyndham vor bicktbesetztem Hause die irische Landbill. Redner führte au-, die Verschiedenheit der Lage der Landwirt schaft in England und Irland rechtfertige eine ausnahmsweise Be- Handlung Irland-. Durch den Rückgang der Landwirtschaft sei jede Bevölkerungsklaste in Irland in Mitleidenschaft gezogen. ES sei die Pflicht der Regierung, den hierdurch geschaffenen sozialen Druck zu mildern, besonders zu einer Zeit, wo sich im ganzen Lande der Wunsch nach Herstellung einer dauernden Grundlage sür den agrarischen Frieden gezeigt habe. (Beifall.) Wyndham ging sodann auf den Inhalt der Vorlage ein, diese werde eS den Pächtern ermöglichen, ihren Landbesitz von den Gutsherren käuflich zu erwerben. Hierzu sollten den Pächtern Vorschüsse gegeben werden. Die erforderlichen Mittel sollten durch eine 2'/.prozentige garantierte Anleihe flüssig gemacht werden, welche voraussichtlich in Höhe von fünf Millionen Pfund Sterling jährlich sür die ersten drei Jahre ausgegeben würde. Der zur Ausgabe gelangende Betrag könne später erhöht werden. Die Anleihe werde garantiert werden durch dir jährlichen Zahlungen der Schatzkammer sür irische Lokalzwecke. Der Chef- sekrelär sür Irland war der Ansicht, daß nicht mehr al- 100 Mil lionen Pfund erforderlich sein werden, und führte ferner aus, daß in dem Geietzeutwurf für die Rückzahlung der Vorschüsse durch die Parier durch Teilzahlungen Vorsorge getroffen sei. Der Gesetzentwurf schlage ferner vor, staatlicherseits einen Zuschuß von 12 Mill. Pfund zu gewähren in jährlichen Beträgen von höchstens 390 000 Pfund Sterl. Wyndham fuhr fort, die gemäß der Vorlage vorzunehmenden Operationen werden unter Kontrolle von drei staatlichen Kom missaren stehen. Der Zeitraum für die Rückzahlung der den Pächtern gewährten Vorschüsse solle 68V, Jahre betragen. Die Vorlage enthalte ferner Vorkehrungen zur Vermeidung des An kaufes von Grundbesitz durch Getdverleiher. Redner schließt, die Re- gierung habe ihr Bestes getan, um den Niedergang der irischen Landwirt schaft auszuhalten und den Strom der Auswanderung zu hemmen. Er bitte, die Vorschläge nicht vorschnell zu beurteilen und glaube, daß die irischen Gutsbesitzer und Pächter fortfahreu würden, Vernunft und Nachgiebigkeit zu zeigen. Es gebe zwei Möglichkeiten, entweder könnte das Trauerspiel auf weitere 150 Jahr« fortgesetzt werden, darein, Gentlemcn zu sein. Haben Sie von Lady Frances Merivale gehört?" „Nein! Was ist mit ibr?" „Sie hat einen der iunaen Leute aus ihrem Schutz verein geheiratet." „Unmöglich!" rief Miß Montrie. „Einen gewöhnlichen Arbeiter? Und ihr haben Sie noch die Hand geschüttelt?" „Nun, und warum nicht?" erwiderte Rachel scharf. „Ich würde es auch jetzt tun, wenn sich Gelegenheit böte. Hat sie etwas Unrechtes begangen? Warum sollte sie ihn nicht zum Manne nehmen? Sie hat kein Geld, also kann er nicht aus Berechnung um sie geworben haben." „Aber hat denn wirklich tatsächlich Lady Frances einen Arbeitsmann geheiratet?" „Wirklich und tatsächlich. Ich kenne ihn nicht; aber er muß jedenfalls etwas Anziehendes an sich haben und wird gebildet sein. Er ist ein Deutscher, beiß: Heinrich Haspach, und — aber springen Sie nicht an die Decke, Miß Montrie — ist ein Bäcker. Er wird wohl, wie alle seine Landsleute, musikalisch sein. Sie erinnern sich ja wohl, wie schön Lady Frances singt. Auch ist er jünger als sie; aber ich höre, daß sie sehr glücklich sind, und sie haben in einem Vororte einen Bäckerladen." „O Rachel! Sie entsetzen mich durch die bloße Er wähnung. Welch eine Erniedrigung! Ihre Familie wird nie wieder mit ihr verkehren." „Nun, ihre Familie besteht aus einem übel beleumundeten alten Vater, der vor Jahren von ihr«r Mutter geschieden wurde, und einem Bruder, der wegen betrügerischen Kartenspiels aus dem Heere gestoßen worden ist. Ich glaube, daß Lady Franc«s schon lange nicht mehr mit ihnen verkehrt hat. Sie ist sehr religiös und tugendhaft, wie Sie misten, und widmete ihre ganze Zeit den Armen. Wenn sie in dem Bäckerladen glücklicher ist, als vorher allein, dann sehe ich nicht ein, warum man sie tadeln soll. Schließlich ist Heiraten eine Sache, die nur di« beiden Hauptbeteiligtcn angeht. Meinen Sie nicht auch?" „Ach, Lieb«! Wohin ist Ihr Stolz geraten? Sie sind ja eine richtige kleine Radikale geworden." Rachel lachte und seufzte darauf. „Wirklich? Vielleicht stecke ich nur nicht mehr so ganz blind im Vorurteil, wie früher. Es wüsten einem nur einmal die Augen geöffnet werden. Und es erscheint mir so ungerecht, daß es einem Manne bloß deshalb nicht mög lich sein soll, für einen Gentleman angesehen zu werden, weil seine Vorfahren nicht vermögend waren und auf Generationen hinaus eine hervorragende Stellung in der Welt einnchmcn konnten. Heißt das, radikal gesinnt sein?" „Gewiß, Liebe; denn eS ist ein Versuch, die Klassen gleichzusteüen, die alten Grenzen zu verrücken, welche oder man könne ein Transaktionsgeschäft einleiten und in Zukunft forifetzen, das ungefähr 15 Jahre in Anspruch nehmen werde und auf Rechtschaffenheit und gegenseitigen guten Willen aller Be teiligten begründet sei. Nur durch Lösung der irischen Landfrage könne die soziale Versöhnung in Irland vollendet werden. (Leb hafter Beifall.) John Redmond (Ire) wollte seine endgültige Ansicht über die Bill noch nicht äußern, gab aber zu, daß die Vor lage einen großen Fortschritt gegenüber früheren Maß regeln bilde und daß die Regierung wirklich bestrebt sei, eine Regelung der Frage berbeizusühren. Wenn die Bevölkerung Irlands zu der Ansicht gelangen sollte, daß die Bill ver nünftige Hoffnung auf Regelung der Landfrage gewähre, werbe sie die Bill willkommen heißen. Campbell Banner nr an wollte auch für jetzt von feder Beurteilung der Vor lage absehen und erklärte, alle Parteien seien von dem Wunsche beseelt, daß Irland der Friede wiedergegeben werde, doch bedürften die finanziellen Vorschläge einer sorgfältigen Prüfung. Nachdem noch mehrere Redner gesprochen, wurde die erste Lesung der Bill angenommen. Ei« neues Schiffahrtsgesetz in Australien. Aus Melbourne, 18. Februar, schreibt man uns: Dem im Mar wieder zusammentretenden Bundespar- lament soll ein Schiffahrtsgesetz vorgelegt wer den, welches u. a. die Bestimmung enthält, daß nichtaustra lische Schiffe nur dann zur Beteiligung an der Küsten schiffahrt zugelasien werden, wenn sie während des Aufent- Halles in australischen Gewässern ihren Mannschaften die hier üblichen hohen Löhne zahlen. Die Annahme dieser Bestimmung würde die verschiedenen britischen Dampfer linien, ferner den Norddeutschen Lloyd und die Messageries Maritimes, welche sämtlich erst Freemantle in West-Australien anlaufen und dann via Adelaide und Mel bourne nach Sydney fahren, finanzielle empfindlich be rühren, so daß in den betreffenden Kreisen bereits die Frage ventiliert wird, ob es nicht vorteilhafter sei, in Zu- kunft dierekt nach Sydney zu laufen, und den Transport der für di« übrigen Häfen bestimmten Waren von dort aus und auf Kosten der Empfänger durch australische Dampfer vornehmen zu lasten. Wie schwerwiegende ökonomische Nachteile den Zwischenhäfen durch die Einbuße der Post dampfer erwachsen würden, muß jedem einleuchten. Das Gesetz hätte trotzdem einen gewissen Sinn, wenn die trans atlantischen Dampfer zu den hiesigen Küstenfahrern in der Beförderung australischer Waren in Konkurrenz träten. Dies ist aber nicht der Fall, vielmehr beschränkt sich der Mitbewerb im Verkehr von Hafen zu Hafen ledig lich auf wenige Passagiere, die es vorziehen, zu wesentlich höheren Pastagegeldern den Komfort der großen Post dampfer zu genießen. Auch bei diesem Gesetz tritt der allmächtige Einfluß d«r Arbeiterpartei, ohne deren Gunst das Ministerium Barton verloren wäre, klar zu Tage. Die Politik der chinesischen Mauer findet hier zu Lande fruchtbaren Boden. bestimmen, daß der Titel Esquire nur den Männern zu kommt, deren Ahnen Waffen für den König getragen haben, ohne ihren Unterhalt durch Handel zu gewinnen." „Nun, dann fürchte ich wirklich, doch radikal zu sein; oder Lord Vivian ist kein Gentleman. Sie haben doch -en Buchladen nicht vergessen? Und ich sehe den Unter schied zwischen Büchern und Strümpfen nicht ein." „Was sagten Sie, Liebe? Strümpfen?" Rachel fuhr zusammen. „Sprach ich von Strümpfen? Es muß hakb im Schlaf gewesen sein. Lasten Sie uns auf einen anderen Gegenstand kommen und über unsere Reise sprechen. Wir müssen morgen um zehn Uhr auf der Viktoriastation abreisen und daher heute früh zu Bett gehen. Ich werde sehr streng mit Ihnen sein, bis Sie wieder ganz wohl sind, und werde daraus achten, daß Sie sich nicht überanstrengen. Sie dürfen sich auch nicht immer alles allein besorgen, sondern müssen sich von Mears be dienen lassen. Wissen Sie, wohin ich gehen möchte, wenn Sie in Aachen ganz gesund geworden sind?" „Nein, liebes Kind." „Nach Venedig. Ich habe mich immer danach gesehnt, diese Stadt der Paläste zu betreten; schon im Namen liegt so viel Romantik, und sie ist die Wiege der Kunft. Aber wir können erst hingehen, wenn Sie Ihren Rheumatis mus ganz los geworden sind." Die kleine Miß Montrie ging dies«n Abend so glücklich wie eine Königin zu Bett. Sie begriff nicht, was den Wechsel in Rachel Saltonns Wesen hervorgebracht und aus der stolzen, hochmütigen und zurückhaltenden Aristo kratin ein nachdenkliches, gutherziges, beinahe bescheidenes Mädchen gemacht batte. Die Gesellschafterin hatte keine große Erfahrung bezüglich der Liebe, sonst würde sie deren Werke bester erkannt haben. AchtzehnteSKapitel. Während der ganzen Reise war Rachel auf daS rück sichtsvollst« für ihre Gesellschafterin besorgt, und als sie in Aachen angekonnnen waren, bestand sie darauf, baß die selbe den besten Arzt und die sorgfältigste Pflege bekam. Der Erfolg war, daß Miß Montrie nach wenigen Wochen die letzten Spuren ihres rheumatischen Leidens verlor nnd wieder ganz die Alte war, fröhlich und guter Laune, und bereit, aus Liebe und Dankbarkeit ihrer Herrin bis ans Ende der Welt zu folgen. Die Aerzte rieten indes, daß die alte Dame zur Befestigung ihrer Gesundheit den Winter in einem warmen, trockenen Klima verleben sollte, und so gab Rachel jeden Gedanken an Venedig auf, und sie begaben sich nach Nizza. Hier fand Rachel viele Bekannte, und nach wenigen Tagen war sie von einem großen Freundeskreise umgeben, der Miß Montries stete Begleitung überflüssig machte. Besonders freute sich Rachel, eine Dame zu treffen, mit der
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