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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.03.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-03-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030327012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903032701
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903032701
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-03
- Tag1903-03-27
- Monat1903-03
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Da« Bürgerliche Gesetzbuch gibt dem Vermieter in tz 559 für seine Forderungen au« dem Mietverhältni« ein Pfand recht an des eingebrachten Sachen de« Mieter«, sagt aber ausdrücklich, daß dreie« Pfandrecht sich nicht aus die der Pfändung nicht unterworfenen Sachen erstreckt. Der Haus wirt kann sich also an die zur Lebensführung und Leben«- erballung de« Mieter« notwendigsten BermögenSstllcke des selben, wie sie in Z 811 der Civilprozeßordnung auf geführt werden, nicht halten. Sie sind seinem Zugriffe entzogen, weil sie al« unentbehrlich für die Existenz eine- Menschen, eiuer Familie erscheinen. Dem sogenannten Kahlpfändung-rrcht soll damit entgegengetreten werden. Da« Reichsgericht hat nun in jenem Erkenntnis ausgesprochen, daß e« rechtlich zulässig sei, wenn der Hauswirt mit seinem Mieter die Vereinbarung trifft, daß ihm auch au den der Pfändung nicht unterworfenen Sachen wenigsten« ein Zu rückbehaltungsrecht zustehen soll. Wir haben damals auS- geführt, wie durch diese Entscheidung deS obersten Gerichts- Hofe«, die dem sonaleu Geist unserer Gesetzgebung völlig zuwiderläust, der Mieter wieder in die Notlage gebracht werde, in der er sich unter der Herrschaft des KahipsändungS- rechtes befand. In der Tat haben auch die Hausbesitzer, wenn auch nicht überall, alsbald die Konsequenz aus der Entscheidung ge zogen, und in ihre Verträge die Vereinbarung eine« solchen Zurückbehaltungsrechtes an den ihrem Pfandrecht entzogenen Sachen ausgenommen. Verschieden« Firmen annoncierten Gummistempel, mit welchen leicht und bequem die verhäng nisvolle Vertragsbestimmung den Urkunden beigefügt werden konnte. Die Juristen freilich schüttelten die Köpfe, und wer die Fachzeitschriften mit Aufmerksamkeit verfolgte, sah, wie sich gerade in ihren Kreisen eine lebbafte Oppo sition gegen das NeichSgerichlSurteil bemerklich machte. Es sei hier nur an die Proteste von Allvater, Milteistein, Breitner, GeierSböfer, Oertmann usw. erinnert. In der Reichstags- sitzung vom 5. März hat nun auch auf eine Bemerkung de« Abgeordneten Raab hin der Staatssekretär de« Reichs- justizamte« vr. Nieberding sein Bedauern über die Ent scheidung ausgesprochen und zwar au- sozialpolitischem Interesse, und dabei bemerkt, daß bei der Reichsver waltung und der preußischen Justizverwal tung bezüglich der Richtigkeit der RechtSauf- fassung d«S Reichsgerichts ernste Bedenken be stehe». Diese Aeußerung aus dem Reichsjustizamt hat von neuem dazu veranlaßt, da« ReichsgerichtSurteil nachzu- prüfen, und in Nr. 6 der «Deutschen Iuristenzeitung" unter zieht Prof. vr. Oertmann-Erlangen dasselbe abermal« einer eingehenden Kritik. Warrn früher Stimmen laut ge worden, welche erklärten, daß solche Vereinbarungen gegen Gesetz und gute Sitten verstoßen, und darum nichtig seien, so kommt Oertmann au« anderen rechtlichen Erwägungen zu dem Resultat, daß ein Zurückbehaltungsrecht de«Haus wirt« sich überhaupt nicht begründen laste. Bekanntlich räumte daS Bürgerliche Gesetzbuch für Sachsen dem Hauswirt auch ein Zurückbehaltungsrecht ein, unter das jedoch auch die unent behrlichen Gegenstände nicht fielen, nach Oertmann ist aber eine solche Bezeichnung, wo sie auch angeweadet worden »st, al« irrtümlich anzusehen. Der Hauswirt hat dem Mieter gegenüber überhaupt kein Zurückbehal tungsrecht! Wir verschiede» auch immer die Fälle de« Zurückbehal tungsrechtes beschaffen sein mögen, sagt Oertmann, indem eS bald an Sachen, bald an sonstigen Leistungen, bald gegenüber persönlichen, bald gegenüber dinglichen Ansprüchen zusteht, — da« eine haben sie gemeinsam, daß überall ein Verpflichteter unterstellt wird, der kraft de- Zurückbehaltungsrechtes eine ihm übrigen« (kraft dinglichen oder persönlichen Ansprüche«) obliegende Leistung zu verweigern berechtigt ist. Davon aber kann beim Vermieter keine Rede sein: dadurch, daß die Sachen auf da« ihm gehörige Grundstück geschafft find, haben sie nicht aufgehört, in Besitz und Nutzung deS Mieters zu stehen, und eS ist gar keine Situation entstanden, die den Ver mieter gegenüber einem persönlichen oder dinglichen Heraus gabeanspruch deS Mieter- als passiv legitimiert erscheinen ließe. Schon nach bisherigem Recht war eS daher un genau, von einem »ZlnückbehaliungSrechte* deS Ver mieter« an den Illaten de« Mieter- zu reden, und e« entsprach einem richtigen Gefühl, wenn man die jenem gewährte Befugnis, die Fortschafsung der Sachen zu bindern, dafür mit dem passenderen Ausdruck PerklusionS- oder Sperrrecht belegte. Im Bürgerlichen Gesetzbuch vollends hat man weder Anlaß noch auch Berechtigung, Sperrrecht und Zurückbehaltungsrecht zu vermengen. Der von jenem handelnde Z 561 gebraucht den Ausdruck Zurückbehaltungsrecht nicht und zwar nach dem Zeugnis der Motiv« absichtlich nicht, „da unterdiesemAuSvrucke der juristische Sprachgebrauch ein dem Schuldner zustehendes obligatorisches Recht versteht." Umgekehrt bat da« Wort Zurückbehaltungsrecht, wo immer e« im Gesetzbuch vorkommt, unterschiedslos die oben ge schilderte Bedeutung. ES ist stets eine Einrede gegen An sprüche; woher aber in aller Welt soll ein „Anspruch" deS Mieter- gegen den Vermieter in Ansehung der eingebrach, ten Sachen seine Begründung finden? Es ist durchaus un statthaft, eine» offenbar technisch geprägten AuSdruck dadurch zu verflachen, daß man ibn auf andere, wesentlich abweichend geartete Fälle anwendet. Nicht was die Parteien so nennen, sondern wa« die gesetzlichen Merkmale aufweist, ist im Sinne unseres bürgerlichen Rechtes als Zurückbehaltungsrecht zu erachten. Soweit Oertmann. In der Tat läßt § 273 deS Bürgerlichen Gesetzbuches, welcher die Definition de« Zurückbehaltüngsrechte« enthält, gar keine andere Deutung zu, als daß eS ein Sicherungs mittel zum Schutze desjenigen sein soll, der von seinem Geg ner au« einem Rechtsverhältnis auf Erfüllung belangt wird, obgleich ihm aus demselben Rechtsverhältnis ein fälliger Gegenanspruch zusteht. Ein solches Verhältnis besteht aber zwischen Mieter und Vermieter überhaupt nicht, ergo kann auch von einem „Zurückbehaltungsrecht" deS Hauswirtes keine Rede sein. Auch die Rechtfertigung der Klausel aus dem Selbsthülferecht stellt Oertmann in Zweifel. Wir schließea uu« ihm an, wenn er sagt: „Es ist sehr zu wünschen, daß der höchste Gerichtshof baldigst Gelegenheit nehme, die Entscheidung zu ändern, die dahin führen würde, eine wohlüberlegte, allerseits mit Beifall begrüßte Schutzbestimmung unsere- neuen Rechtes praktisch großenteils lahmzulegen" und, wie Oertmann an anderer Stelle sich auSdrückt, „daS Helotentum deS groß- stävlischeu Mieters" wieder zum Lebeu zu erwecken. Deutsches Reich. 7. 8. Leipzig, 26. Mär». Große« Aufsehen machte im Juli 1900 die Entlassung sämtlicher Werft- arbeiter in H a m b u r g. Veranlassung war ein auf dem Reiherstieg-Werft in Hamburg ausgebrochenev Streik von etwa 100 Nietern. Ueber zwei Monate hat dieser Stillstand im Betriebe aller Schiffswerften in Hamburg angehalten. Gegen die Hamburg-Amerika nische Paketsahrt - Aktien - Gesellschaft und die Firma Blohm L Voß in Hamburg hatten nun elf Arbeiter, von denen sieben bei der letztgenannten Firma und vier bet der Hamburg-Amerika-Linie al» Werftarbeiter tätig gewesen waren, eine Schaden ersatzklage angestrengt, mit der Begründung, daß jene Entlastung zu Unrecht geschehen und ihnen lden Klägern) dadurch für längere Zeit jede Arbeitsgelegen heit in ihrem Fache genommen worden sei; in dieser Handlungsweise sei ein Verstoß gegen Z 826 de« Bürger lichen Gesetzbuches zu erblicken. Die Kläger hätten keinen Einfluß auf jenen Streik auSgetibt, e« habe vielmehr die Orts stelle Hamburg des „Verbände» deutscher Metallarbeiter", welchem auch die Kläger al» Mitglieder angehörten, vom Streik abgeraten. Das Landgericht Hamburg hatte die Klage abgewiesen, und auch die beim Oberlandesgericht eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg. Nunmehr legten die Kläger Revision beim Reichsgerichte ein, besten 6. Civilsenat aber heute die Revision kostenpflichtig zurtickwieS, da das angefochtene Urteil keinen RcchtSirrtum erkennen laste. Die Arbeitgeber hätten damals annehmen können, daß ein allgemeiner Streik drohte, und seien deshalb befugt gewesen, zur Aus sperrung zu schreiten. Die Arbeiter übten oft die Be fugnis aus, streikende Arbeiter mit Geld oder durch weitere Arbeitseinstellungen zu unterstützen und be- trachteten dies jedenfalls nicht als gegen die guten Sitten verstoßend; aus denselben Gründen müsse es auch den Arbeitgebern fretstehen, sich zu vereinigen und gegen die Arbeiter Maßregeln zu ergreifen. --- Berlin, 26. März. (Uneinigkeit der deut schen Parteien in der Ostmark.) Man schreibt uns: Der Wunsch des Kaisers, baß die deutschen Parteien der Ostmark sich bei den nächsten Reichstagswahlen zu- sammenschließen sollen, scheint gerade in einem der wich tigsten ostmärkischen Wahlkreise nicht in Erfüllung zu gehen. Es handelt sich um den Wahlkreis Bromberg, den wir wohl mit Fug als einen der wichtigsten bezeichnen können ,wetl Bromberg die zweitgrößte Stadt der Provinz Posen und der Sitz einer Regierung ist. Das Kompromiß in Bromberg scheitert daran, daß die Konservativen bei den Landtagswahlen nicht genibgende Rücksicht auf die liberalen Parteien, insonderheit di« Nationalliberalen, nehmen wollen. Bromberg verfügt über ein Mandat zum Reichstage und drei zrrm preußischen Abgeordnetenhäuser außerdem ist es tm Herrenhaus« vertreten. In letztere« ist der Vertreter Bromberg« der Oberbürgermeister Knobloch, ein Mann von durchaus konservativer Richtung. Wenn nun die konservativen Tendenzen außerdem noch durch den Inhaber des Reichstagsmandats uw- durch einen der drei Landtagsabgeordneten vertreten werden, so sind sie wohl gerade genügend gewahrt. E« würde deshalb nur billig sein, wenn die liberalen Parteien die beiden übrigen LandtagSmandate erhielten, so daß eine» davon den Nationalliberalen, das andere den Freisinnigen zufiele. Diesen wvhlbegründeten Anspruch haben di« Na- ttonallibcralen erhoben, die konservativen Parteien wolle» aber nichts davon misten. Dadurch ist auch da« Kompro miß für die Reichstagswahlen gescheitert, und man kann eS leichtlich erleben, daß drei Kandidaten deutscher Par teien einander bekämpfen, nämlich ein Konservativer, ein NationaUtberaler und ein Freisinniger. Unter diesem Umständen kann es möglicherweise dahin kommen, daß Polen und Sozialdemokratie miteinander in die Stich wahl gelangen. Die Polen haben 1898 3400, bei den letzten allgemeinen Wahlen 6200 Stimmen ausgebracht, sie sind also an Stimmenzahl nicht zurückgegangen, sondern vorwärts gekommen. Die deutschen Parteien haben im Jahre 1893, als sie sich in zwei Kandidaturen zersplitterten, 4E, bezw. 4200 Stimmen erhalten. Die Polen würden also bei einer Zersplitterung der deutschen Stimmen aller Voraussicht nach die höchste Stimmenzifser bekommen. Wa« nun die Sozialdemokraten anbelangt, so haben sie ebenfalls fortgesetzt Fortschritte gemacht. Bi» zum Jahre 1890 erhielten sie fast gar keine Stimmen in diesem Wahlkreise, in diesem Jahre aber kamen sie bereit» auf 2100, bei den Wahlen von 1898 auf 2500, und bet den letzten allgemeinen Wahlen aus nahezu 8000 Stimmen. Hält diese Progression an, so können sie» besonder» da sie mit dem „Brotwucher" gehörig hausieren gehen werden, diesmal auch vielleicht 8600—8800 Stimmen bekommen, und e» ist ganz und gar nicht ausgeschlossen, daß sie alSdann mehr als jeder einzeln« der deutschen Bewerber erhalten. Daß eine Stichwahl zwischen Polen und Sozialdemokraten, und damit die Notwendigkeit, sich für einen der beiden Be- werber entscheiden zu müssen, für die deutschen Parteien eine Blamage, ja, man kann sagen, eine Lächerlichkeit sei» würde, darüber kann kein Zweifel obwalten. Eine Eini gung der deutschen Partei in Bromberg im speziellen, wie in der ganzen Ostmark im allgemeinen, ist nur möglich, wenn die Parteien sich gegenseitig Konzessionen machen; e» geht nicht wohl an, von einer Partei zu verlangen, daß sie sowohl bei den RcichStagSwahlen, als bei den Land tagswahlen die andern deutschen Parteien unterstützt, selbst aber vollständig leer auSgeht. Graf Bülow ist so eben Ehrenbürger von Bromberg geworden; ob eS ihm wohl angenehm sein würde, wenn die Stadt fast unmittel bar daraus einen sozialistischen Abgeordneten in den Reichstag entsendet? /?. Berlin, 26. März. (Der Staat und die Hausindustrie.) vr. R. Wilbranbt setzt in der „Sozialen Praxis" auseinander, daß unter dem Einfluß des australischen Vorgehen» mit dem zwangsweise gehobenen Lohn für die Arbeiter der Hausindustrie und unter dem Einflüsse des von Professor von Philippovich im Verein für Sozialpolitik erstatteten Referates in den letzten Jahren in der Beantwortung der Frage, wie der Staat gegenüber der H a u S i n d u st r 1 e sich verhalten solle, ein Umschwung eingetreten sei. Noch die Kom mission für Arbeitcrstatistik erklärte in den Ergebnissen ihrer letzten Konfektions-Enquete, daß der Staat in die Lohnbildung selbst nicht eingreisen könne; überhaupt galt es bis vor kurzem als selbstverständlich, daß man ent weder die Heimarbeit abschaffe oder den Arbeiterschutz auf sie ausdchnen oder durch allmähliches Verbot der Heimarbeit den Arbeitsmarkt erleichtern und so indirekt den Lohn heben müsse, aber auf keinen Fall in die Lohn festsetzung selbst den Staat eingreifen lassen könne. Jetzt Feuilleton Der Garten. Skizze von R. Tarina. Nachdruck verboten. Da» Hau», in dem Helene geboren wurde, stand in einer Vorstadt, und war eines von vielen in einer Reihe, die sich glichen wie ein Ei dem anderen. Doch einen großen Vorzug hatte eS; gegenüber auf der anderen Straßenseite, lag der Garten. Der Garten war der In begriff alles Glückes, aller Herrlichkeit, die e» für Helene und ihre Angehörigen auf Erden geben konnte. Ihre ersten Jugenderinnerungen waren mit dem Garten ver knüpft. Nicht, daß sie ihn je einmal betreten hätte, nein, so hoch wagten sich ihre Wünsche nicht herauf. Aber al» Kind hatte sie oft ihr Näschen durch die Stäbe des Gitter» gesteckt und die Knabenftgur bewundert, welche ein« Muschel hielt, auS der ein Wasserstrahl hoch emporstieg. Den Brunnen umgaben herrliche Beete, welche vom Früh ling bis zum Selbst in frischem Blumenflor prangten. Inmitten des Gartens lag da» Wohnhaus, dessen Läden jedoch die größte Zeit de« Jahre» geschlossen waren. Zwei alte Damen wohnten darin, welche sich viel auf Reisch« befanden. Desto lebhafter ging e» in dem kleinen Seiten, gebäude zu, welche» der Gärtner mit seiner Familie be wohnte. Er hielt den Garten in Ordnung und hatte al» Verwalter de» Anwesen» einen Vertrauensposten inne. Seine Kinder durften zuweilen in dem Garten spielen. Wie beneidete Helene sie. Kür Helene war eS ein Para dies mit verschlossenen Pforten, doch fle lernte sich be scheiden. Jetzt, wenn sie abend» ihr« Avbeit beiseite ge- räumt hatte, Helene war Schneiderin» ließ e» sich schön am offenen Fenster» mit dem Blick auf den Garten, träumen. Au» dem anderen Fenster lehnte ihr Vater, der ehrsam« Tischlermeister Ulrich, mit der ft» Mund«. Ganze Wolken von Blütendust kamen an warmen Früh lingsabenden beraufgezogen und der Gesang der Vögel dünkte ihnen da« schönste Konzert. Auch di« geschäftige Mutter fand sich mit ein, und eS entspann sich oft ein eifriges Hin und Her, ob der Fliederstrauch schon Knospen angesetzt habe, und ob der Starkasten in der Linde am Gartentor schon bewohnt sei. Auch tm Winter bildete der Garten das Hauptinteresse. Auf Ulrichs Fensterbrettern war den Vögeln zu jeder Zett der Tisch gedeckt, was sie wohl zu schätzen wußten. Sank daS Thermometer gar zu tief unter den Nullpunkt» dann kraute sich der Vater hinter den Ohren. „WaS hast du denn, Alter?" fragte bann wohl die Krau. „Ach, cs ist mir nur um die schönen Edeltannen tm Garten. Es wäre ja ein Jammer, wenn sie durch den Frost litten." E» gab eine Zeit, in der in Helene» Herzen der Garten erst an zweiter Stelle kam, das war damals, als der lustige Schwabe in deS alten Ulrich Werkstatt als Geselle arbeitete. Sr hatte «ine schöne Stimme. Helene suchte sich oft Be- schästtgung in der Werkstatt, von dem klangvollen Gesang angezogen. Franz verbracht« auch manche Sonntage in seines Meisters Familie, das waren Glanzpunkte in dem bescheidenen Leben Helene». Dann schaute sic manchmal mit ihm vereint zum Garten hinüber, und sie konnten wie die Kinder Luftschlösser bauen, und meinen, der Garten sei ihr Eigentum. Doch Franz zog nach Jahresfrist weiter, Helene» sonnige» Gltick versank, wie die Sonne versinkt, wenn sie an einem schönen Sommertage der Erde Segen gespendet. Nun war der Garten ihr alles. An ihn knüpften sich die Erinnerungen be» einzigen Glllck»sonnen- schein», der auf ihren Weg gefallen. Eines Tage» befand sich die ganze Familie Ulrich in Heller Aufregung. An der Ecke de» Gartenzaune» war ein Pfahl mit einer Tafel «ingerammt worden, und auf der Tafel stand: „Dieses Grundstück ist zu verkaufen!* Die wenigen Wort« erregten einen wahren Sturm in der TtschlerSsamtlte. Der Garten zu verkaufen, ihr Garten, em d«n sie sich »ef«nt und erquickt -ettteu Viel« Jnhr» lang, der ihnen Reisen und Vergnügungen ersetzt hatte, ihr.Garten zu verkaufen! „Werden s noch erleben, daß eine von den neumodischen Mietskasernen drüben gebaut wird!" sagte grimmig der Vater, und „Ach, rede doch nicht so waS, Vater, das Herz dreht sich einem ja tm Leibe um", entgegnete die Mutter. Doch alle» blieb beim Alten. Die Tafel stand zwar da, doch sand sich kein Käufer. Ulrichs hatten sich an den Anblick gewöhnt, und wie man fest glaubt, waS man hofft, so hielten sie sich an den Glauben, daß der Garten niemals verkauft und zum Bauplatz umgewandelt werden könne. Die Tage gingen im ruhigen Gleichmaß dahin und reihten sich zu Monaten. Plötzlich kam da» Glück in» Hau». Ein Lotteriegewinn, der die alten Leute fast schwindeln machte, kurze Zeit daraus noch eine Erbschaft. Als sei eS dem Glück auf einmal eingefallen, daß es die Tischlersfamilie auf seinem Zuge durch die Welt ganz vergessen habe, und nun durch doppeltes Geben daS Versäumte nachholen wolle. Der reiche Segen hatte die drei einsamen Menschen stumm gemacht. Der Gedanke mußt« ihnen erst allmählich vertraut werden, daß sie nun aller Sorge enthoben seien und die Zukunft ihnen freundlich lache. Goldene Pläne wurden geschmiedet. Der Vater konnte die Tischleret auf- geben und die Mutter sich ein Mädchen halten. Helene brauchte sich nun auch nicht mehr die Kinger wund zu nähen, und konnte am Hellen Tage spazieren gehen. Helene blühte förmlich auf. Ihre Wangen wurden rosig, ihre Augen bekamen Glanz; sie war so empfänglich sür da» Glück. So wenig hatte sie noch davon kennen gelernt. Durch da» einförmige, ruhige Leben war sie jung ge- blieben, trotz ihrer achtunbzwanzig Jahre. Manchmal, wenn Ulrichs so im besten Pläneschmieden waren, trat plötzlich eine Stille ein. Ein leise» Seufzen, ein Blick au» dem Fenster, ein verstohlene» Räuspern, — jeder wußte, waS der andere dachte, und doch wagt« keiner, dem Ge- danken Ausdruck zu geben. „Also, zwanzigtausend Mark Anzahlung, bi« Hqpo. tst«I«n find i» festen Hände», dn» GrnndstLck steigt jährlich im Wert, ich denke, wir tun'»!" sagte eine» Tage» der Vater, mit einer Stimme, der man den festen Entschluß anhörte. ,Haben wir e» un» unser Lebtag sauer werden lassen, und uns immer mit dem Anschauen von weitem zufrieden gegeben, können wir s uns doch auf unsere alten Tage leisten, Garten- und Hausbesitzer zu werden. Nun, Marie, was meinst du? Wär » nicht hübsch, alle Lage im Garten spazieren zu gehen?" Es bedurfte keiner näheren Bezeichnung, welcher Garten gemeint war. Ueber das Gesicht der Krau flog ein kindlicher Ausdruck, halb ängstlich, hakb beseligt. „Ja, aber wird'S denn auch nicht zu viel Geld sein?" Helene hatte schon in seltener Zärtlichkeit die Arme um des Vater» Hal» geschlungen. „Ach, Vater, da» wär' ja zu schön!" — An einem sonnigen Frühlingstage siedelten Ulrich» in das neue Eigentum über. Sie hatten da» Haus mitsamt der Einrichtung gekauft, so daß ihre eigenen Möbel zum Verkauf kamen. In den ersten Tagen nahm daS Staunen und Bewundern kein Ende. Im Garten wurde jeder Baum, jede» Pflänzchen alS etwa» ganz Wunderbare», mit staunenden und liebkosenden Blicken betrachtet. Ulrichs waren tm siebenten Himmel. DaS kleine Hau« gegenüber schien ihnen so klein und ärmlich, sie begriffen nicht, wie sie sich die lange Reihe von Jayren darin hatten wohl fühlen können. Doch dem alten Ulrich begann mit^r Zeit die gewohnte Tätigkeit zu fehlen; er legte sich mit grobem Eifer auf die Gärtneret. Hinter dem Hause wurden Gemüsebeete angelegt, Galat gepflanzt und Schoten gesteckt. Doch die Sperlinge kamen und taten sich an den -arten Pflänzchen gütlich, wilde Tauben pickten die Erbsen au» dem Boden. Dreimal säte und pflanzte Ulrich im Schweiße seine» Angesicht» von neuem, dann hatte er die Geschichte satt und überließ dem alten Gärtner die Sorge sür den Gemüsegarten. Aergerlich steckte er sich sein« Pfeife an und machte sich'» ftn Lehnstuhle bequ«m. »Rvbert, nrn Vottt-wUi«, »1« feinen vtäbal, sttß
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