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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.03.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-03-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030328028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903032802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903032802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-03
- Tag1903-03-28
- Monat1903-03
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Reklamen unter dem Redaktionsstrich (4gespalten) 76 H, vo« den FamilirnuLch- richten <6 gespalten) ÜO Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 2ö L, (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschlub für Änzriyen: Abeud-AuSgnbe: Vormittag» 10 Uhr. Mvrgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bi- abeud» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig. 28 März. Offiziöse Mahnung an die Konservativen. Mit dem Verlaufe ve» konservativen Delegierten tage» ist man in den köderen Berliner Regionen augen scheinlich ganz zufrieden. D>e „Bert. Polii. Nackr.", die deute den offiziellen Bericht über den Tag beiprechen, kümmern sib um die beschlossenen Resolutionen gar nicht und sind chon beglückt durch dre .pioarammaiische Aeußerung des Reseienien über allgemeine Politck", de» Grafen Li m b u rg» T t i c u m. Dieser habe Unversöhnlichkeit gegen die Sozialdemo kratie und entschiedene Bekämpfung derselben al» den spiingenden Punkt für das Verhallen der Partei bei den bevorstehenden ReichstagSwahlen bezeichnet und aus dieser Forderung sodann die Schlußfolgerung gezogen. daß die Stellung zu freisinnigen Kandidaturen im weicnilichen auch davon abhängen werde, wie die betreffenden sich zur Sozial demokratie st-llen. Da-auS schließen die „Bcrl. Polit. Nackr.": „Nicht milUnrecht erblickt demzufolge das sozialkemolratiichePa>- terblatt in diesen Aeußerungen eine bcme, kenswerle Annäbei ung an den Gedanken eines Wahlkartells der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie, wie er ja in Sachsen bereit« verwirklicht ist. Folgt die konje-.vative Partei der ihr in diesänt R-ferate gegebenen Direktive und verwendet sie idre Kraft nicht sowohl zur Bekämpfung anderer mit ih> gleichfalls auf schutzzöllnerischem und llaatöerbaltendeni Boden siebenden Parteien, sondern konzentriert sie auf die Be kämpfung der Sozialdemokraten und ihrer Helfershelfer, so Wird ihre Wühltätigkeit dem Balerlande zum Nutzen ge reichen und erheblich zu einer den Interessen desselben ent sprechenden Zusammensetzung des neuen Reichstags beuragcn." Aber eine Mahnung kann das offiziöse Organ den Konser vativen doch nicht ersparen. ES fährt nämlich fort: ,Ln der Konsequenz des Gedankens, den Gegner bei den bevor stehenden Wahlen vor allem in der Sozialdemokratie und ihren Bundesgenossen zu erkennen, liegt es denn allerdings auch, daß man sich nicht nur von allen denjenigen Sonderbeslrebungeu sernhält, wrlLik zu »Mer Zeriplil.trxullg der bürgerlichen Parteien zu Nutz und Frommen de» sozialdemokratischen Gegners zu jübren geeignet find, soooera daß mau auch da, wo solche Bestrebungen bereit» hervorgetrrten sind oder hervorzutreten drohen, wie die» unter dem Einflüsse der Leitung des Bundes der Landwirte mehrfach der Fall ist, iduen mit vollem Nachdruck eutgegeutritt. Ueder diesen Punkt schweigt sich der paUe oifizwte Bericht über den konservativen Delegierteutag bedauerlicherweise au». Aber wenn die konservative Partei in Wirklichkeit e» Feuilleton. uu Miß Rachel äaltonn. Roman von Florence Marryat. diacvbruo verdolen. Rachel legte sich geduldig in die Kissen zurück. „Ich muß immer wieder an das „Erwachen der Seele" denken", sagte sie. „Es verfolgt mich förmlich, und ich komme mir gerade so vor, wie das Mädchen. Meine Augen scheinen sich auch zu öffnen vor den wunderbaren Geheimnissen des Lebens und dem Zweck unseres Da seins. Es ist wie eine neue Geburt. Es gibt so mel Elend in der Welt und zugleich so viel Schönheit, und doch so viel Gedankenlosigkeit auf feiten derer, die weder sehen noch hören wollen. Man denkt so viel an Stellung und Titel und Würden und so wenig an die Wunder Gottes, die sich uns auf allen Seiten darbieten und von ihm reden. Wohl weil sie etwas so Bekanntes, Einfaches sind, gehen wir achtlos daran vorbei und denken nie an den großen Trost, den sie uns bieten könnten, wenn wir alle» andere verloren haben." Miß Montrte lauschte diesem Erguß mit schweigendem Staunen. Sie glaubte kaum, daß die Stimmung von Dauer sein würde. Sie schob sie nur auf ihr Angegriffen sein und ihre Enttäuschung. Es war unmöglich, daß eine solche Umwandlung vorhalten konnte. Wenn die Erbin erst wieder als regierende Königin in Catherstone waltete, dann würde sie gewiß in ihrer alten Gestalt er scheine«. * * * Aber Rachel schien sich nicht wieder aufzurasfen. Sie war sehr still und matt auf der Heimreise und zeigte nichts von ihrer gewohnten Fröhlichkeit, als sie ihr Be sitztum betrat. Im Gegenteil merkte Miß Montrie, daß sie Tränen vergoß, als sie die alte Stute Jenny bei ihrem ersten Besuche in den Ställen begrüßte. Und vor dem Bilde: „DaS Erwachen der Seele", stand sie am Morgen nach ihrer Ankunft wohl eine Stunde lang. „Ist eS nicht wunderschön?" sagte sie zu Miß Montrte, welche hinter ihr hergeschlichcn war. „Betrachten Sie nur die Zartheit der Töne und die Andacht der Stellung. Man fühlt sich in der eigenen Seele berührt und vergißt alle» andere. ES ist wie eine Predigt. Was für ein Her- und eine Seele muß er haben, um solch ein Bild malen zu können!" „Er ist wirklich ein wunderbar begabter junger Mann", stimmte Miß Montrte zu. „Aber, liebe Nay, seien Sie nicht böse: James hat eben gemeldet, daß Lord Btoian in der Bibliothek ist. Wollen Sie ihn sehen oder soll ich ihm sagen, daß Die nicht wohl genug sind, ihn zu empfangen?" Rachel» Antlitz nahm sofort seinen hochmütigsten Aus druck an. „Nein! Ich will ihn sehen. Ich wünsche es mir so gar; denn ich möchte ihm ins Gesicht sagen, was ich von seinem Betragen denke " „Wird eS auch nicht zu viel für Sie sein?" wandte Miß Montrte besorgt ein. „Ganz und gar nicht; und sollte es sein, so rufe ich Die zu meiner Unterstützung herbei. Aber warum sollte es zrr viel sei»? Ich fürcht« Mich weder vor ihm, noch, ernst mit dem Kamps- gegen die Sozialdemokratie meint, wird sie nicht umhin können, auch die sich da raus ergebenden Koniequenzen gegenüber dem Bunde der Landwirte zu zicken.' „N cht umbin können!" Daß die reinen Konservativen nur mit dem größten Widerwillen das Joch der BunV.S (eiter tragen, ist bekannt. Und daß sie einen Scbulvan«e>l an der Schwere dieieS Joches baden, werden sie teldst mch in Abrede stellen können. Aber die Hauptschuld Nä>t doch die preußische Regierung. Wer anders als sie hat die politnchen Beamten eingestellt und lange Zeit gewällren lass n, welche besonders in der Provin, Hannover keine vöbere Aufgabe zu kennen schienen, als ihre Unterstützung den BundeSagika'oren zu leiben? Uno nun, da die BundeSfübrer eine Macht in der Hand uaben, vor der dem preußischen Ministerpräsidenten und Reichskanzler giaut, tollen die Konseivativen „nicht umbur tonnen", sich dem D>ucke vieler Macht zu entzieben, d. b. sie zu biechen. Die Antwort auf die Mahnung der „Bert. Pol. Nachr." wird dann auch schwerlich anders lauten als etwa so: „Wer märt umbin gekonnt bat, uns der Gnade de, Bunbesfüdrer zu überantworten, der wird auch nicht umhin können, die Folgen davon zu tiazen." Zentrum und Bund der Landwirte. Auch das Zentrum spürt die Macht der Bundesleiter und ihrer Helfershelfer mehr und mehr. Grvtze Sorge bereiteten ihm schon seit tätigerer Zeit die Verhältnisse im Rheinischen B au e r n v e r e i n, wo die Entscheidung darüber schwebte, wie man sich gegenüber dem für An näherung an den Bund der Landwirte wirkenden Re dakteur Lchreinervon der „Rhein. Volkestimme", -em Organ des Bauernvereins, verhalten sollte. Der erste Vereinspräsident, Graf Spee, hat nun, wie schon kurz mitgeteilt, am Donnerstag nach einer Sitzung der um sieben Mitglieder verstärkten Organisationskommission des Bauernvereins, in der diese brennende Frage be sprochen wurde, sein Amt niedergelgt, ohne noch das Votum der in der Charwvche stattfindenden General versammlung abzpwarten. Tas Organ des Bundes der Landwirte, die „Deutsche Tagesztg.", hat diese Nachricht an der Spitze in Sperrdruck gebracht. Die „Germania" be merkt hierzu, das Bundesblatt möge Uber diesen „Pyrrhus sieg" nicht allzu früh und allzu sehr jubeln, denn die Gencralvcrsammluna des Bauernvereins könnte doch eine Wendung herbeiführen, die dem Bunde der Landwirte nicht angenehm sein würde. Es sei Pflicht jedes dem Zentrum angehörenden Mitgliedes des Bauernvereins, der Generalversammlung bcizmvohnen und auszuharren, wenn auch nach dem Muster früherer Vorgänge Gott sei Dank, vor mir selbst. Ich sehe ein, daß es eine Schwäche war, ihm nicht gleich eine endgültige Antwort zu erteilen, und wenn er es wünscht, so werde ich ihn dafür um Verzeihung bitten. Aber weiter erhält Lord Vivian nichts von mir. Lassen Sie mich gleich gehen, liebste Montrie; wenn ich ihn warten ließe, dann denkt er, ich müsse mir erst Mut machen. Ich bleibe höchstens zehn Minuten." Sie flog in die Bibliothek hinunter und trat mit so erhöhter Farbe ein, daß cs auch in einer weniger sanguinischen Brust als der des Lords hätte Hoffnung erregen können. Dennoch trat sie ihm so ruhig mit aus gestreckter Hand entgegen, als ob er der einfachste Be kannte gewesen wäre. „Guten Morgen, Lord Vivian. Darf ich fragen, was mir die Ehre dieses ungewöhnlich frühen Besuches ver schafft?" „O, Miß Saltonn, sprechen Sie nicht so zu mir. Ich hörte zufällig gestern von Ihrem Großvater, daß Sie von Paris zurückgckehrt wären, und ergriff die erste Ge legenheit, Sie zu besuchen." „Das sehe ich; aber Die dürfen mich nicht für unartig halten, wenn ich Ihnen sage, daß ich sehr beschäftigt bin, da ich erst gestern abend zurückkchrte und wirklich nicht in der Lage bin, Besuche zu empfangen." „Gönnen Sie mir nur ein paar Minuten, um Sie zu fragen, ob ich Sie nicht dazu bewegen kann, die grausame Entscheidung zurückzunehmen, die Ihr Brief aus Nizza enthielt. Sie traf mich so unerwartet, so entgegen der Hoffnung, die Sie mir so liebenswürdig in Scarborough in Aussicht stellten." „Ich glaube, die Hoffnung muß in Ihrer Einbildung bestanden haben, Lord Vivian. Ich versprach, über Ihren Antrag nachzudenken, und habe mein Wort ge halten. Haben Sie auch das Ihrige gehalten?" „In welcher Beziehung, bitte? Ich verstehe Ihre Frage nicht." „Als Sie mich baten, einen ober zwei Monate darüber nachzudcnken, was Sie mir gesagt hatten, fügten Sie das Versprechen hinzu, daß alles zwischen uns beim alten bleiben sollte, bis ich meine Entscheidung getroffen." „Nun, und ist eS nicht so geschehen?'^fragte der Lord. „Kaum, da Sie die Dreistigkeit hatten, an Kapitän Trentham zu schreiben, daß Sie mit mir verlobt wären", lautete die entrüstete Erwiderung. „Trentham? Wo haben Sie Trentham getroffen?" „Das hat nichts damit zu tun. Ich habe ihn nie ge troffen; aber er ehrte Ihr Vertrauen so wenig, daß er es einer dritten Person gegenüber erwähnte, die mir die Tatsache vorhielt." - „Trentham ist ein Narr!" rief Lord Vivian ärgerlich. „Sehen Sie, Miß Saltonn, zürnen Sic mir nicht, aber ich sagte ihm . . ." „Natürlich sagten Die eS ihm! Kein anderer hat e» getan." „Aber eS war im halben Scherz." „Ich bin Ihnen sehr verbunden, daß Sie es als Scherz betrachteten. Jedenfalls ist der Scherz meinerseits zu Ende." „Wollen Sic wirklich so grausam gegen mich fein, Rachel? Tie schienen mich in Scarborough gern zu haben. WaS hat Sie so vollständig verändert?" „Ich kann Die nicht heiraten, Lord Vivian, und habe und vielleicht durch verstärktes Schreien und Toben bündlerischer Bereinsmitglieder versucht werden sollte, die anständigen Mitglieder des Bauernvereins nicderzuschreicn oder zum Verlassen des Saales zu be wegen. Es sei gewiß ein großes persönliches Opfer, welches die Mitglieder des Bauernvereins bringen; aber dieses Opfer müsse nun einmal gebracht werden, wenn nicht der von langer Hand vorbereitete und mit eiserner Stirn ver folgte Verrat am Rheinischen Bauernverein zur voll endeten Tatsache werden solle, damit der Bund der Land wirte als „lachender Erbe" auch des sehr erheblichen Bereinsvermögens sich bemächtigen könne. Die Hoffnung der „Germania" auf die Generalversammlung dürste i> zu Wasser werden. Bekanntlich hat schon anfangs dieses Monats eine sehr stürmische Sitzung der klerikalen nicderrheinischcn Agrarier stattgefunden, in der Graf Spee eine nur mühsam verdeckte Niederlage erlitt. Der Graf wollte Schreiner hinausdrängen, ohne raß dieser zur Verteidigung das Wort erhalten sollte. Schrei ners Anhänger setzten es aber durch, daß dieser nicht nur sprechcndurftc, sondern daß auch die dem Grafen ergebene Organsationskommission durch Kooption verstärkt und die Angelegenheit aufs neue geprüft werden sollte. Jeden falls hat sich inzwischen der Graf überzeugt, daß die zcn- trumSgcgncrifche Strömung im Vereine im Wachsen sei, und ist gegangen, um nicht von der Generalversammlung gegangen zu werden. Es ist also gar nicht unmöglich, daß der Bund der Landwirte „lachender Erbe" des Vereins vermögens des Rheinischen Bauernvereins wird. Ange sichts der bevorstehenden Reichstagswachlen ist diese Aus sicht für das Zentrum recht peinlich; auch für den „leiten den" Staatsmann wird sie nicht erfreulich sein. Fremde Offiziere sür Makedonien. Aus Konstantinopel, 23. März, wird der „Frkf. Ztg." geschrieben: In einem Teile der Presse, leider auch in einigen deutschen Zeitungen, wird immer noch darüber gestritten, ob Deutschland sich aus eigenem Antriebe oder erst auf einen angeblichen Protest Rußlands hin dem Wunsche des Sultans gegenüber, deutsche Offiziere zur Reorganisation der Gen darmerie und Polizei nach Makedonien zu ent senden, ablehnend verhalten habe. Ich habe schon vor Wochcafrist fcstgestellt, daß die ablehnende Haltung Deutschlands von keinen fremden Einflüssen diktiert war, und ich kann heute hinzufügen, daß weder Rußland, noch irgend eine andere Großmacht zu dieser Angelegenheit offiziell oder offiziös Stellung genommen hat. Im all gemeinen findet die taktvolle Haltung unserer Diplomatie auch bei den zeitweiligen Gegnern der deutschen Orient politik mehr Verständnis und Würdigung, als nach tausendmal bereut, so schwach gewesen zu sein, noch ein mal darüber nachdenken zu wollen; es hat die Uner- quicklichkett nur verlängert. Aber selbst wenn ich Ihnen geneigt gewesen wäre, so würde die Erfahrung, daß Sie Ihr Wort gebrochen, mich bestimmt haben, Ihren Antrag abzulehncn. Sie nahmen sich damit eine Freiheit mit meinem Namen heraus, die ich nie verzeihen werde." „Ich wollte, ich könnte dem einfältigen Zwischenträger das Genick umdrehen, der es Ihnen wiedergesagt hat!" rief Lord Vivian zornig aus. „Aber wenn es nicht jener Bursche Salier war, der mit Trentham reiste, dann weiß ich nicht, wer es sonst gewesen sein kann. Der arme Teufel ist in Algier zur ewigen Ruhe ein gegangen und wird keinem Menschen mehr Schaden zu fügen . . ." „Was . . . sagen . . . Sie da?" fragte Rachel langsam. „Der Maler Salter starb vorige Woche in Algier am Fieber. Haben Sie nicht davon gehört? Es stand ja in beinahe allen Zeitungen. Ein wahrer Jammer, da er ein ausgezeichneter Künstler zu werden versprach. Ich werde ihm jedoch keine Träne nachweinen, wenn er an dem Bruche zwischen Ihnen und mir schuld ist . . . Aber, was ist denn Ihnen?" fuhr Lord Vivian fort, als er sich nach Rachel umdrehte, die sich an der Lehne eines Stuhles festhielt und von einer Seite zur anderen schwankte. „Miß Saltonn . . . Rachel! Sagen Sie doch ein Wort! Sind Sie krank?" Aber die einzige Antwort, die er erhielt, bestand in einem dumpfen Fall, als Rachel ohnmächtig zu Boden stürzte. Einundzwanzig st es Kapitel. Wieder war das Luncheon Seiner Gnaden des Her zogs von Craig-MorriS dazu bestimmt, unterbrochen zu werden. Er hatte am Morgen nach Rachels Unter redung mit Lord Vivian kaum am Tische Platz ge nommen, als Eaton mit sehr ernster Miene eintrat und meldete, daß Miß Montrie unten warte und ihn sprechen wolle. „Miß Montrie?" wiederholte der Herzog, die buschigen Brauen runzelnd. „Meinen Sie die alte Person, die mit Miß Saltonn zusammenlebt? Ich kann sie nicht em- pfangen. Sagen Sie ihr, ich wäre verhindert und könnte niemand sehen." „Ich bitte Euer Gnaden um Verzeihung, aber sie scheint Nachricht von Miß Saltonn zu bringen. Ich fürchte, Euer Gnaden, eS ist etwas vorgefallen." „Etwas vorgefallen! Etwas vorgefallen! WaS denn? Krankheit, Unglück? Sehen Sie zu, ob es nichts An- steckendes ist, Eaton, und wenn ja, dann räuchern Sie die Frau aus, ehe Sie sie hier heraufkommen lasten. Miß Saltonn ist viel herumgereist und kann Malaria, Typhus oder Pocken mitgebracht haben, und ich fühle mich nicht wohl heute morgen und könnte mich leicht anstecken. Lasten Sie mich vorher wissen, wa» eS ist." „Sehr wohl, Euer Gnaden", erwiderte der Diener und verließ das Gemach. Der Herzog sah wirklich elend aus. Er hatte wenige Tage vorher ein großes Esten mitgcmacht und viel mehr genossen, als ihm gut war. Die natürliche Folge war ein galliger Gemütszustand, und die Mittel dagegen hatten ihn sehr heruntergebracht. Er war zu alt, um seiner Kon- stttutton, die keine sehr kräftige war, dergleichen zuzn- außcn hin sich zeigen mag. Es konnte selbst sür den ober- fläch ichcn Kenner der Verhältnisse kaum einem Zweifel unterliegen, daß Deutschland niemals deutschen Offizieren gestatten werde, nach Makedonien zu Reorganisations zwecken zu gehen. Die oft absichtlich und nur selten un absichtlich mißverstandene Politik, welche das deutsche Reich hier unten verfolgt, hätte gerade durch diese Kom mandierung leicht den Verdacht der Einmischung erwecken können, während ans der andern Seite im Falle des Miß lingens der Ncformarbcit dann sicher Deutschland als Sündenbock hingestellt worden wäre. Aber abgesehen von solchen politischen Erwägungen würden auch passende Leute schwer zu finden sein, schon wegen der Landes sprache, ohne deren Kenntnis jeder Reformer vollständig von dem muselmanischen Tschausch (Unteroffiziers ab hängig sein würde. Es galt von vornherein für selbst verständlich, daß keine der Großmächte die Reformer liefern werde. Es kamen nur die kleineren Staaten, die Balkanländer ausgeschlossen, in Betracht, so sehr letztere auch Anstrengungen machten, bei dieser Gelegenheit hinein zukommen. Wenn Schweden und Norwegen dem Wunsche des Sultans nachkommen, so werden seine Offiziere gewiß nicht auf Rosen gebettet sein. Denn auch für sie trifft das zu, was für die Offiziere aus den Groß staaten gilt, und noch einiges mehr, da ihnen der Nimbus abgeht, den hier im Orient ausschließlich die Offiziere von Großmächten haben. Dafür werden aber die Schweden sich nicht dem Verdacht auszuseycn brauchen, Sonderinteressen zu verfolgen, und sie werden ruhig etwaige Vorwürfe hinnchmcn können, wenn die Re organisationsarbeit ihrer tüchtigen Ossiizere ergebnislos verlaufen sollte. Parlamentarische Unfruchtbarkeit. Aus Santiago (Chile), 17. Februar, schreibt man uns: In der vorigen Woche wurde die außerordentliche Sitzung des National-Kongrcsses geschlossen, nachdem das Staatshaushaltsgesey durchberaten und angenommen worden war. Da nach der bestehenden Gesetzgebung die Bewilligung der Ausgaben für das Etatsjahr 1903 schon im Dezember hätte erfolgen sollen, war die exekutive Ge walt genötigt, 1^/2 Monate ohne Budget zu regieren, und ist erst jetzt wieder in der Lage, den Be amten und Offizieren ihre Gehälter aus zahlen zu lassen. Von dem reichen Programm der Gesetzesvorlagen sind nur wenige zur Verabschiedung ge langt, das Meiste wird dem künftigen Kvngrrsse, für welchen die Wahlen am 1. März laufenden Jahres statt finden werden, vorbehalten bleiben. Die Ausgaben im Budgetgesetze sind nach erheblichen Abstrichen von der Vorlage des Finanzministers auf rund 105 Millionen muten; aber zu willensschwach, um sich aus Vorsicht etwas zu versagen. Und jedes Unwohlsein, das er auf diese Werse selbst verschuldet, machte ihn verstimmter, mürrischer und bissiger; denn er merkte sehr wohl, daß seine Kräfte nachlieben, und fürchtete den Tod wie nur je ein Mensch. Nach wenigen Minuten erschien Eaton von neuem. ,/Es ist nichts Ansteckendes, Euer Gnaden, aber etwas sehr Ernstes. Miß Montrie sagt, es sei unbedingt nötig, daß sie Euer Gnaden sofort selbst spräche." „Nun wohl", erwiderte der Herzog verdrießlich; „dann führen Tie sie hinauf; aber raten Sie ihr, nicht zu lauge zu bleiben. Ich muß frühstücken, und es ist eine äußerst unpassende Zeit für einen Besuch." Der Diener verbeugte sich stumm und führte gleich darauf Miß Montrie hinein. Schon der bloße Anblick der kleinen Dame erschreckte den Herzog. Ihr Gesicht war so vom Weinen geschwollen, daß ihre Augen kaum zu sehen waren, und sie zitterte so heftig vor Aufregung, daß sic auf den ersten Stuhl sank, der vor ihr stand, und vergaß ganz die tiefe Verbeugung zu machen, mit der sie gewöhn lich den erhabenen Herrn begrüßte. „Gott im Himmel!" rief der Herzog aus, „was ist denn mit Ihnen los? Sie sehen ja aus, als ob Sie die ganze Nacht aufgewesen wären." „Tas bin ich auch, Euer Gnaden. Ich war so voll Angst und Aufregung, daß ich nicht zur Ruhe gehen konnte. Miß Saltonn hat Catherstone verlassen." „Durchgegangen? Mit wem denn? Etwa mit dem Kutscher?" „O Euer Gnaden! Ich beschwöre Sie, die Sache nicht scherzhaft zu behandeln; sie ist sehr ernst und wichtig. Miß Saltonn war in letzter Zeit sehr angegriffen, und iä, fürchte, daß sie den Verstand verloren hat. Ich stehe Todesqualen aus bei dem Gedanken, wo sie sein kann." „Wann verlieb sie das Haus?" „Ich kann eS nicht sagen. Euer Gnaden", antwortete Miß Montrie weinend. „Vielleicht ist es am besten, wenn ich die Geschichte von Anfang an erzähle. Miß Saltonn siel gestern morgen in eine tiefe Ohnmacht, gerade als Lord Vivian sie besuchte. Sie hatte einen leichten Krank heitsanfall in Paris gehabt und war noch nicht ganz wohl, als wir die Ueberfahrt machten; aber ich bin sechs Jahre bet ihr gewesen und niemals hatte sie eine solche Ohn macht. Cs dauerte eine halbe Stunde, bis wir sie wieder zu sich bringen konnten . . „Schon gut, schon gut!" unterbrach sie der alte Mann mürrisch. „Was hat das aber mit ihrem Fortgehen von Cathcrstone zu tun?" „O Euer Gnaden! Ich komme schon dazu. Als sie wieder zum Bewußtsein gekommen war, überredete ich sic, sich hinzulegcn und ließ sie in ihrem Schlafzimmer allein. Eine Stunde später schlich ich hinaus, um zu sehen, ob sie schlief, und da war sic fort. Keine Spur von ihr war zu erblicken und ihr Neisekleid und ihre Pelzsachcn fehlten. ES hat aber niemand gesehen, daß sie das Haus verließ." „Und sie ist nicht znrückgckehrt?" „Nein, Euer Gnaden; nein, sonst würde ich nicht hier sein. Wir haben sie in den Gärten und iyt Dorfe umsonst gesucht. Ich war halb wahnsinnig während der Nacht. Was kann dem lieben Fräulein zugestoßcn sein? Sie ist nicht gewöhnt, allein anszugehcn und noch dazu zu Fuß. O, eS ist schrecklich! Ich erwartete jeden Augenblick, mau würde ihre Leiche nach Hause bringen. Und heute mor-
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