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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.03.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-03-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030302028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903030202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903030202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-03
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Und wenn aus dem Tone der Erklärungen des Ministers ein Rückschluß auf daS Schicksal des Mittelland-Kanals unter Benutzung der Emscher Linie gestattet ist, so darf man immerhin der «baldigen" Wtedereinbringung der Kanalvorlage entgegensehen. Auf die Anfrage der Konservativen, be züglich Beseitigung dringender Notstände in den Strom gebieten der unteren Oder, Spree, Havel und Elbe, stellte Minister Budde eine Vorlage für das nächste Jahr in be stimmte Aussicht. Die nationalliberale Inter Politische Tagesschau. * Leipzig, 2. März. Der Reichstag erledigte am Sonnabend wie an den vorhergehenden Tagen zunächst eine Reihe von Petitionen, darunter eine solche, welche sich auf die Frage bezieht, ob nicht die Strafverfchtckung nach unseren Kolonien einzuführcn sei, und nahm dann die Wetterführung der zweiten Etat beratung beim Postetat auf. Staatssekretär Kraetke leitete die Verhandlungen mit einer klaren Darlegung der Gründe ein, welche bestimmend für die Anmeldungen -er diesjährigen Etatsforderungen, insbesondere für die verschiedenen Kategorien der Beamten gewesen sind. Die wirtschaftliche Depression übt ihren Einfluß auch aus die Einnahmen der Postverwaltung aus. Gleichwohl ist es möglich gewesen, eine Vermehrung der Beamten- und Unterveamtenstellen um V070 in dem neuen Etat durchzu führen. Allerdings ist es nur möglich gewesen, 2000 Asststentenstellen dabei zu berücksichtigen. Im vorigen Etat waren 4000 Stellen eingesetzt, von denen aber nur 8000 bewilligt wurden. Infolge des Rückganges des Verkehrs war aber eine Vermehrung der Beamten in solchem Umfange nicht möglich. Die sich an die Er klärungen deS Staatssekretärs knüpfende Diskussion be zog sich zunächst fast ausschließlich auf Beamtenfragen. ES sprachen nacheinander die Abgeordneten Hugo (Lentr.), Eickhoff (fr. Bp.), Singer (Soz.), Stoecker sb. k. Fr.) und zwischendurch verschiedene Male der Staatssekretär, der auf alle Fragen ein ging und außer Zweifel stellte, daß sein Regime ebenso entfernt vom BureaukratiSmus, wie abgeneigt sei, das große Beamtenheer aufhetzen zu lassen. In verhältnis mäßig später Stunde trat von nattonalliberaler Seite Abgeordneter Graf Ortola zu Gunsten besserer Sicherung der Verhältnisse der Postasststenten ein und brachte Wünsche für die Postagenten und die Landbrief träger zur Geltung. Mit großer Energie befürwortete er, daß die Postverwaltung unentwegtes Wohlwollen avgeu die Beamten zeige, anderseits aber jeden Versuch, -ie Unterbeamten aufzureizen, rücksichtslos bekämpfe. Racttem von sozialdemokratischer Seite Bestrebungen in Schutz genommen waren, die der Auflehnung das Wort redeten, war eine solche Erklärung sehr wohl am Platze. pellation beantwortete der Minister mit unterstrichener Betonung dahin, daß die Regierung die baldige Ausfüh rung eines Kanals von Dortmund nach dem Rhein durch daS Tmschertal als Teilstrecke eines Rhein-Weser- Elbe-Kanals für notwendig erachtete. Hinsichtlich der Linienführung soll eine neue Nachprüfung der selben erfolgen, da auf der ursprünglichen Emscher Linie neuerdings eine rege Bautätigkeit sich entfalle, und infolge der noch zu prüfenden Trace-Aenderung konnte auch die Regierung noch nicht mit dem Grunderwerb für den Dort. mund-Rhein-Kanal vorgehen. Die Debatte über beide Interpellationen gestaltete sich -war sehr lebhaft, nahm aber verhältnismäßig wenig Zeit in Anspruch. Die konser vative Interpellation wurde vorn Abg. Freiherrn von Dobeneck, die nationallibcrale vom Abg. Schmieding be gründet. In der Besprechung der Interpellationen trat auf allen Seiten das Bestreben hervor, einen hitzigen Kampf zu vermeiden. Die Nationalliberalen er kennen die Notstände an der unteren Oder, Spree, Havel und Elbe an und sind bereit, zur schnellen Abhülfe mitzu wirken, müssen aber dabei vorauSsetzen, daß die Konser vativen und das Zentrum die Berkehrskalamitäten im Westen mangels genügender Wasserstraßen ebenfalls ge bührend würdigen und nicht einseitig den Osten vor dem Westen begünstigen. Die von den Konservativen ver langten Klußregulierungen waren in der gescheiterten Kanalvorlage von ihnen als „Kompensationen" mit der Kanalvorlage verquickt. Wenn jetzt die Konservativen dies bestreiten, so wurden sie von Seiten der nationalliberalen Redner vr. Sattler und v. Eynern schlagend des richtigen Gegenteils überführt, und Abg. vr. Friedberg beurteilte die Situation durchaus richtig, als er darlcgte, baß die Interpellation der K onservativen ihren Grund in der Ein sicht von der damaligen verfehlten Taktik der Konserva tiven findet. Eine andere Frage und deren Kernpunkt suchte das Zentrum vollständig zu verschieben. Ab geordneter Herold lZentr.) meinte, die Regierung würde längst in die Lage gebracht worden sein, das Gelände für die Emscher-Ltnie zu erwerben, wenn die Nationallibe ralen seinerzeit für den Dortmund-Rhein-Kanal gestimmt hätten. Aber weshalb mußten die Nationalliberalen dagegen stimmen? Weil Zentrum und Konservative diese Strecke als Abfindung für den ganzen Mittellandkanal betrachteten, und nicht die geringste Gewähr für die weitere Fortführung dieser Strecke vorlag! Interessante Aufklärungen gab Abg. Wallbrecht knatl.) durch die Mitteilung der Tatsache, daß der Bau des Mittelland. Kanals hinsichtlich seiner Finanzierung durch Privat kapital, welches er (Wallbrecht) aufgebracht habe, schon gesichert gewesen sei, leider wurde ihm die Konzession zur Ausführung des Banes versagt! — Nachdem noch die frei sinnigen Redner Ehlers, Oeser und Barth ebenfalls leb haft für den Mittelland-Kanal eingetreten waren und Abg. v. Eynern (natl.) nochmals die Gründe dargelegt hatte, weshalb die Nationalliberalen vor zwei Jahren gegen den Dortmund-Rhein-Kanal gestimmt hatten, war die Rednerliste erschöpft und das Haus wandte sich der zweiten Lesung des Bauetats zu, der insofern einige An klänge an die Interpellation erweckte, als sich die Debatte hauptsächlich mit den Verhältnissen der Binnenschiffahrt beschäftigte. Das holländische Ansstandsgcsetz. Das Ausstandsgesetz, welches das Ministerium Knyper in der Zweiten Kammer der Generalstaaten trotz aller sozialdemokratischen Drohungen einbrachte, enthält sehr scharfe Strafbestimmungen gegen alle Angestellten und Be- diensteten der Eisenbahnen und öffentlichen Verkehrs anstalten, welche in kontraktwidriger Weise die Arbeit ein stellen. Abgesehen von der civilrechtlichen Schadenersatz pflicht, die durch den neuen Entwurf unberührt bleibt, wird der Arbeiter, der allein ohne vorherige Verabredung mit anderen Genossen die Arbeit plötzlich verläßt, mit Ge fängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Handelt eS sich jedoch um eine gemeinsam verabredete Arbeitseinstellung, so kann das Strafmaß auf vier Jahre Gefängnis lauten. Gleichzeitig mit diesem neuen Strafentwurf legte (wie ge meldet) der Ministerpräsident vr. Kuyper dem Parlamente einen Entwurf, betreffend die Schaffung einer mili tärischen Eisenbahnbrigade vor, deren Hauptzweck darin bestehen soll, im Falle eines Eisenbahnausstandes den Verkehr auf den wichtigsten Linien zu sichern. Daß diese beiden Gesetzentwürfe von einer starken parlamentarischen Mehrheit gebilligt werden, darüber besteht, so schreibt man der „Schlesischen Zeitung" aus dem Haag, auch nicht der geringste Zweifel, da sie, abgesehen von den Dozialdemo- kraten und einigen Radikalen, von allen politischen Par teien des Landes als eine Staatsnotwendigkeit angesehen werden. Es ist klar, daß nach der Veröffentlichung des Ausstandsgesetzes im Amtsblatts eine allgemeine Arbetts- einstellung der Eisenbahnbediensteten geradezu unmöglich sein wird. Deshalb fordert auch die Negierung die dring liche Behandlung ihrer Entwürfe. Die Frage ist nur, ob der Zentralausschuß der niederländischen Arbeitersyndikate seinen früheren Beschluß, für den Fall der Einbringung des Ausstandsgesetzes die sofortige Arbeitseinstellung an zuordnen, ausführen wird. Darüber läßt sich zur Stunde noch nichts Bestimmtes sagen. Die Regierung ist aber auf alle Fälle vorbereitet, und mehr als 30 000 Mann stehen bereit, um für die Aufrechthaltung von Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Tatsache, daß das Militär in den letzten Tagen nrtt scharfen Patronen versehen wurde, be weist, daß die staatlichen Behörden entschlossen sind, dies mal den Ruhestörern mit der gebührenden Entschiedenheit entgegenzutreten. Belgische Sozialpolitik. Seit sechs Jahren würgt die belgische Regierung an dem großen Brocken der Arbeiter-Unfallver sicherung. Die öffentliche Me1)tltüL,.»tnd zum aller meisten die in der Wahlpolink nicht mehr außer Acht zu lassenden Arbeiterklassen heischen die Abhülfe der seit herigen Zustände und Mißbräuche; die Regierung und die Abgeordneten haben sich seit einem Jahrzehnt darauf verpflichtet; seit sechs Jahren kündeten sie an, das Gesetz sei im Entwürfe fertiggestellt und könne bei nächster Ge legenheit den Kammern unterbreitet werden. Jahr um Jahr verstrich, ein Minister machte dem andern Platz, aber die Vorlage ließ sich nicht blicken. Jetzt endlich hat sich der im Amte noch sehr junge Arbeitsminister ein Herz genommen und die seit vier Ministergenerationen in seinem Pulte schlummernde Vorlage hervorgezogen und dem Abgeordnetenhause zur Genehmigung mitgeteilt, allerdings erst nach Vornahme einiger höchst wesentliche» Abänderungen. Seit Monatsfrist prüft die Kammer mit anerkennenswerter Gründlichkeit den Entwurf, und die besten Kräfte aller Parteien haben ihre Meinungen und ihre Kritiken abgegeben. Das Fazit dieses Meinungs austausches ist, daß der Entwurf eine Mehrheit nur nach Vornahme wesentlicher Verbesserungen finden würde. Zunächst wird, wie man den „Berl. N. N." aus Brüssel schreibt, getadelt, daß die Haftpflicht des Arbeitgebers zwar grundsätzlich allgemein festgelogt wird, daß aber für alle Unfälle, welche sich in Betrieben ohne maschinelle Einrichtungen und mit animalischer Betriebskraft er eignen, nach wie vor diese Haftpflicht auf dem Wege deS hier zu Lande maßlos verwickelten und kostspieligen, da her langwierigen CtvilprozesseS in Anspruch zu nehmen, also beispielsweise alle Handwerke und der ganze land wirtschaftliche Betrieb von den Bestimmungen des neuen Gesetzes auszunehmen seien. Eine -wette Kritik hat die Höhe der im Gesetze vorgesehenen Maximalentschädigung für vorgekommene und anerkannte Betriebsunfälle -um Gegenstände und erklärt diese Maximalhöhe, V0 Prozent des Lohnes, für unzulänglich. DaS schwerste Bedenken aber richtet sich gegen die Bestimmung, baß es dem Be triebsherrn „gestattet" sein soll, sich gegen das Risiko seiner Haftpflicht bet etwa eintretenden Arbeiterunfällen bei einer zu diesem Zwecke vom Staate anerkannten Ber» sicherungSkasie zu versichern. Statt diese Versicherung in das freie Belieben ber Arbeitgeber zu stellen, wird von Seiten der großen Mehrzahl aller zu Worte gelangten Abgeordneten klipp und klar der gesetzliche Versicherungs zwang gefordert, weil ohne die Versicherung in zahllosen Fällen die gesetzliche Haftpflicht rein illusorisch werben könne. Es ist allgemein bekannt, namentlich auch in den Kreisen der deutschen Industrie (auf einem sozialen Kongresse in Brüssel hat der jetzige preußische Handels minister Möller daS in kräftigen Worten festgestellt), wie äußerst gering die Opferwilligkeit der allzeit krämerhaft wirtschaftenden belgischen Industrie im Vergleiche zur deutschen ist, und wie hartnäckig ihr Widerstand gegen ge setzgeberische Maßnahmen auf dem Gebiete der Arbeiter fürsorge. Diesem Widerstande geben augenblicklich in der Kammer rechts der Ministerpräsident und der Partei führer Woeste, links die der Großindustrie nahestehenden liberalen Abgeordneten HymanS, HuySmanS, Neujean und Beauduin kräftigen Ausdruck, während die übrige ganze Kammer, rechts und links, sich im Sinne deS Ber- sicherungszwangcs ausspricht. Die Regierung will nach wie vor den Versicherungszwang verwerfen und nötigen falls die Kabinettsfrage stellen. Deutsches Reich. Dresden, 1. März. (Eine Erinnerung.) Wenn jetzt unter den Einzelstaaten, welche gegen die A u f- hebung deS 8 2 des Jesuitengesetzes zu stimmen entschlossen sind, in erster Linie daS Kvnig- reichSachsen steht, so ist es nicht unangebracht, daran zu erinnern, wie die Verhältnisse bei unS lagen, als das Iesuitengesetz erlassen wurde. Unter den Petitionen, welche in den ernsten Monaten deS IahreS 1972 zu Gunsten der Jesuiten beim Reichstag« einliefen, fanden sich auch solche auS Dresden. Demgegenüber richteten die dortigen Stadtverordneten an den Reichstag eine Adresse, in der sie erklärten, daß diese Agitationen für die Jesuiten von einigen katholischen Geistlichen Dresdens in Scene gesetzt wurden, daß aber -ie Dresdener Bevölk«. rung selbst dieselben entschieden mißbillige, und -war teils, weil die Bevölkerung Sachsens mit der von der Reichs- regierung den ultramontanen Bestrebungen gegenüber eingehaltencn Politik einverstanden sei, teils, weil die sächsische Verfassung di« Zulassung der Jesuiten in Sachsen ausdrücklich verbiete. Die Stadtverordneten protestierten daher im Namen der Stadt Dresden gegen diese klerikalen Demonstrationen und drückten den Wunsch aus, daß jener Feuilleton. Feierstunden. 10s «i« Jahr ans einem Lebe«. Bon Emil Roland. Nachdruck verbal««. ES war Nachmittag geworben. Helene hatte von Lenore gehört, daß Hans Sachs und ber Zittauer täglich beim Arkadenputscher einen aus- gtebigen Bier-Uhr-Kaffee zu trinken pflegten. Do konnte sie hoffen, daß Hausmann um diese Stunde allein war. Beim flackernden Kaminfeuer, dessen warme malerische Glut ber frostige alte Mann so besonders liebte, saß er, -ie Dämmerstunde mit jener Ruhe genießend, zu der ein fleißig durcharbciteter Vormittag ihm das Recht gab. Die blaffen Farben des zur Neige gehenden MärztageS füllten die Fenster. So vertraut mutete sie daS Bild an, als sie eintrat — und doch nicht mehr so heimatlich wie einst. „Fräulein Heleüe!" rief er erfreut — „endlich! Sie sind mir ja ganz treulos geworden! Wenn ich nicht gestern meinen jungen Freund als Noahtaubc nach Ihnen auSgc- sandt hätte, so wären Sie vielleicht noch nicht hier." „Ich hatte viel zu arbeiten", sagte sie entschuldigend. „Sie Glücklich«! So in der Fülle zu sein — und jung dazu! Sie wissen gar nicht, wie gut Sie es haben!" Er seufzte. Nein, sie wußte es allerdings nicht, wo daS lag. was sie Gutes hatte. Sie fand alles sehr schlecht in diesem Augenblick. „Und dann möchte ich Abschied nehmen." „Abschied nehmen?" „Ja, ich fahre morgen nach Florenz. Sie haben viel leicht gehört — mein neuer Auftrag." „Richtig! richtig! Und was für ein beneidenswerter Auftrag das ist! Die Madonna Maria del Fiore, diese Schönste der Schönen — und Siena, nicht wahr? mit seinem marmornen Wunder — und Orvieto mit all den hochgelegenen Herrlichkeiten. Das nenne ich einen Reise plan — und so ins Frühjahr binabzugleitcn und all da- Blühen mit zu erleben!" „Ja, eS ist beneidenswert", sagte sie mechanisch. „Mb nv» umfangt tn-eS -er „grauliche Tag droben im Norden!" Aber tatenlos sind wir auch nicht. Denken Sie, ich habe in den letzten Wochen wieder einmal ge arbeitet wie in meinen besten Zeiten." „An dem neuen Werk?" ,Hch, an demselben, das ich in der Neujahrsnacht be gann — oder beginnen konnte dank Ihrer Güte. Denn ohne Ihre hülfsbereiten Finger wäre es damals nichts geworden. Und ich Undankbarer hatte das total vergessen, bis mir heute früh beim Durchblättern des Manuskriptes -ie ersten Seiten wieder in die Hand fielen mit Ihrer Schrift, Ihren leichten, raschen, so sicher schwebenden Buch staben. Sehen Sie, so ist bas Manuskript inzwischen ge. wachsen." Er nahm es vom Tisch und reichte eS ihr. Ja, das war ihre Hand am Anfang — vielleicht auf einem Zehntel der Seiten — und dann gleich dahinter, Satz an Satz, die fremde Schrift des andern, die deutlichen, etwas banalen Buchstaben von Hans Sachs. „Es ist seltsam", fuhr Hausmann fort, „wie sehr doch Arbeit Nebensache ist und an Zufälligkeiten hängt. Im Januar damals verließ mich plötzlich jede Energie — der Stoff schien mir so unheimlich groß wie ein Berg, dessen Gipfel man doch nie erklimmen wird — und ans Feigheit ließ ich die Arbeit ruhen. Da kam vr. Sachs. Der hat die verschütteten Quellen wieder aufgedeckt, hat mich mit sanf ter Gewalt zum Diktieren gezwungen, mich ausgcfragt, mir keine Ruhe gelassen, bis cs wieder ging. Etwas Kom- mando tut wirklich gut, wenn man alt ist. Schade, daß Sie ihn nur so flüchtig kennen — er ist für mich wie ein Stück Jugend. Er macht so frisch — und wie er Klavier spielt!" Frau Winter kam mit einer Lampe und schloß die schweren Vorhänge. Die beiden schwiegen. Helene wußte nicht, ob sie eS über sich ergehen lassen müsse, noch länger HanS Sachsens Lob anznhören, oder ob sie gehen sollte. Sie hatte die eine Hand auf den Kaminsims gelegt und die andere auf den Rücken. So stand sie sinnend da und sah ihn unverwandt an — ihn, der seinerseits träumend in die Klamme sah und an den Süden dachte. „Ich habe auch Pläne", begann er dann. „Sogar weite — biS Sictlia. Professor Reinhart und vr. Sachs wollen mich begleiten. Wer weiß — vielleicht treffen wir uns da unten." „Vielleicht —" „Wie in Ravenna —" Sie freute sich. Also dachte er doch noch daran. „Ich möchte fo gern noch einmal von Girgentt nach Afrika hinüberschanen. Noch gestern -«kam ich einen Brief von dort — von Frau Lucia Helmstetter. Sie ken nen sie doch?" „Ja, wenigstens dem Namen nach." „Eine seltsame Dame, aber sehr klug dabei — und so enthusiastisch! Uebrigens geht sie jeden Sonnner ein paar Wochen nach Siena. Soll ich Ihnen eine Empfehlung an sie geben?" Mehr aus Höflichkeit bat sie darum. Frau Lucia Helm stetter, diese absonderliche Weltreisende, nötigte ihr nur geringes Interesse ab. „Ich werde ihr schreiben, daß sie Sie recht ordentlich unter ihre Fittiche nehmen soll." Da ging die Haustürklingel. Helene fuhr zusammen. Hans Sachs' Stimme klang auf dem Korridor. „Leben Die wohl", sagte sie und streckte ihm die Hand hin. „Warum so schnell?" „Weil ich — nttr scheint, cs kommt Besuch. Ich möchte nicht stören —" „Nur vr. Sacks —" „Ja — eben —" „Das klingt ja fast, als möchten Sie meinem jungen Freunde nicht begegnen." „Nein", sagte sie, „das will ich auch nicht." „Aber warum?" fragte er gänzlich verständnislos. „Mögen Die ihn denn nicht?" „Nein!" sagte sie rasch, „ich mag ihn nicht." Er hatte sie erst ganz erstaunt angesehen, dann zog eine Wolke des Unmuts über seine Stirn. „O Fräulein Helene!" sagte er fast vorwurfsvoll. „Sie sind mir die ganze Zeit, seit ich Sie kenne, immer wie ein vernünftiger Mensch vorgekommen. Nun scheint eS mir zum ersten Mal, daß Sie doch auch nur ein Frauenzimmer sind!" Sie hätte sich die Lippe zerbeißen mögen, daß ihr das rasche Dort entfahren war. „Sic haben recht", versetzte sie offenherzig, ich bin auch nur ein Frauenzimmer — ein launische« —, der Süden muß mich wieder auftauen und die Sonne." Sie qriff nach seiner Hand. „Nicht den Empfehlungsbrief vergessen", sagte er freundlich, „die Bekanntschaft wird Ihnen schon Freude machen." Seine Hand lag kalt und schlank in der ihren. Sic hätte sic am liebsten geküßt: aber sie fürchtete, er hielte dann das „Frauenzimmer" auch noch für überspannt. Go ließ sie seine Rechte ruhig fahren >md ging. In der Tür wandte sie sich noch einmal nach ihm um. Er saß bereits wieder am Kamin, und die rote Glut warf einen warmen, lebensvollen Schimmer auf die feine, schmächtige Gestalt und die schönen, gedankenvollen Züge. * * . Auf dem Vorplatz stand Hans Sachs. „Ich friere hier fast zu Eis", sagte er, „aber ich wollte Ihr ersehntes rots-L-tsto doch beileibe nicht stören. Sie sollten Ihren gestrigen Wunsch erfüllt haben, damit Sic um/o eher wiederkommen." Sie sah ihn gar nicht an. „Ist es übrigens nicht sehr loyal von mir, daß ich Sie da drinnen gar nicht ein bißchen — na, wie sagt man doch gleich? — „angepetzt" habe? Bin ich nicht ein edler Charakter «ans roproofts?" Seine warmen, lachenden Augen leuchteten stolz auf sie nieder. „Wissen Sie. was man heute in der Pension Bader schneider erzählt hat?" fragte er weiter, als sie noch immer schwieg. „Daß Sie bald nach Italien wollen — in irgend einem sehr ehrenvollen Auftrage. Ist das wahr? Aber doch nicht allzubald? Nicht für allzulange —" „Ich weiß noch nicht", murmelte sie. „Wie blaß Sie sind — und wie hübsch Die Ihnen steht, diese blasse Couleur! Ja, so ändert sich der Zeitgeschmack! Früher wollte man die Frauen rosig, rund, mit dicken, weichen roten Backen —, jetzt ist man fürs Aetherische, Präraffaelitische, interessant Bleiche —" Bis an die HauStür geleitete sie sein Wortschwall. Er ahnte nicht, daß sie so bald schon ihm entgleiten wollte, und rief ihr ein gedankenloses „auf Wiedersehen" in die Dämmerung nach. Sie ging traurig ihres MegeS. Die Lichter aus HauSmannS Fenstern verblaßten hinter ihr im Abenbnebel. Nicht einmal der Abschied war ohne Mißklang ver laufen. WeSbalb konnte sie nicht schweigen über ihre Ge fühle zu Hans Sachs? Oft ist es so töricht, ehrlich zu sein! HanS Sachs —. ia. er war vielleicht ein Glück für den einsamen Mann da droben . . . i Aber für sie war er keinS. * * * Der Hochsommer kam mit seinen langen, trockenen, heißen Tagen. Aus den großen Städten diesseits und jenseits ber Alpen flüchtete, wer nur irgend konnte, ins kühle Gebirge oder an die kühlen Gestade ber See.
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