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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.03.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-03-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030303029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903030302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903030302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-03
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Bezug-Vre<- t» der Haupteipedttto» oder deren Unsyabo» stell,« »bgeholt^ viert»Ilährliä, ».—, bei zwetnloltgrr tögücher Zokellong tu« Hau- 8 78 Durch die Post vr.vgra Mr Devtsch loud ». Oesterretch vierteljahrltch » 4.80, für di« übrige« Lüuder laut ZeUuugSpretSUste. Nrdakfion und Erpeditionr JvhanntSgaße 8 tzerufprecher lkL und SU. FUial-vveditione« r Alfred Hahn, v»chhandlg„ UotverfitStsstr.S» 8. tzdsche, Kathariueustr 14, ». KöatgSpl. 7. Haupt /iliale Dresden: Htrehlener Straße 8. gerufprecher Amt I Nr. 1718. Haupl-Filiate Serlin: E«l Luncker, Herzgl Vayr. Hofbpchhaudlg* Lützowstraßr lO Fernsprecher Amt VI Nr 4808. Nr. 113. Albend-Ausgabe. WMer TagMM Anzeiger. Amtsblatt des Äönigttchen Land- und des Äönigkichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates und des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Dienötag den 3. März 1903. Anzeigen-Prei- die SgejpaUeur Petttzette 8L H. Neklume, mtter dem NedaNiouSstrich s4gespaUeu) 78 »m de» F»müir»aach> richteu (8gespalteu) 80 H. Tabellarischer uud gissernfotz entsprechend höher. — Vebühreu für Nachweisungen uud Offert«nannahme L8 (excl. Porto). EriraBnlagen gesalzt), .rur mit der Morgen-AuSga^, ohne Zostbe»0rderuug 30.—. ritt öostixiürdernug ot 70^—. Auuahmeschluß üir Luzeigru: Abend-Aufgabe: Lormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen find stet» an di« Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geüffuel von früh 8 bi« abend« 7 Uhr. Druck nnd Verlag von E. Polz in Leipzig. 97. Jahrgang. Die Interpellation wegen der Trierer Vor gänge im preußischen Abgeordnetenhause. --- Berlin, 2. März. Die Interpellation wegen der Trierer Vorgänge im preußischen Abgeordnetenhause hat das ebenso erfreuliche wie seltene Ergebnis gezeitigt, daß die Z e n t r u m s p a r- tei in völliger Isolierung sowohl den gesamten anderen Parteien wie der Regierung gegenüberstand. Auch die konservative Fraktion hat, bei aller vorsichtigen Zurückhaltung in der Form, durch den Grafen Lim burg - S t i r u m die Erklärung abgegeben, der Vorstoß des Bischofs von Trier dürfe nicht hingenommen werden. Mit ungleich schärferer Zurückweisung haben die beiden freisinnigen Parteien und die Freikonser vativen die Trierer Kriegserklärung beantwortet. DaS Zentrum aber führte die Verteidigung des kleri kalen Ansturmes auf die paritätische StaatSschule durch die Abgeordneten vr. Dittrich und Roeren in einer so subalternen Art, daß sie stellenweise unter dem Hohngelächter des ganzen Hauses kläglich zusammen brach. Zur Kennzeichnung der geistigen Waffen, mit denen die Zentrumsredner im Gegensätze zu den groß zügigen und tief eindringenden Reden der national liberalen Abgeordneten Sacken berg und vr. Friedberg die Sache Or. Korums verfochten, genügt es, zwei oder drei Punkte aus ihren Reden herauSzu- greifen. Herr vr. Dittrich wollte glauben machen, daß die in Trier angedrohte Verweigerung der Absolution keine Drohung, sondern — eine Belehrung sei; und Herr vr. Dittrich beteuerte, daß das Zentrum keinen Kampf um die Herrschaft in der Schule, sondern nur um den Geist in der Schule führe! Auf derselben Höhe be wegten sich die Auseinandersetzungen des Herrn Roeren, der, auch nachdem Kultusminister Studt die klerikalen Beschwerden über die Trierer Schulverhältnisse im ein zelnen widerlegt hatte, mit einer Wiederholung der Das- bachiade antwortete, ohne nur einen Versuch zur direkten Widerlegung der amtlichen Richtigstellung zu machen. Dieses Verhalten hatte die erwünschte Wirkung, daß der Kultusminister noch einmal näher auf jene Beschwerde einging, die seines Erachtens betreffs der Trierer Anstalt mit Recht erhoben wird, nämlich auf den Umstand, daß sowohl im Lehrerinnen-Seminar wie in den drei obersten Schulklassen Geschichte, Literatur und Deutsch nur von evangelischen Lehrerinnen gelehrt wird. Der Grund hierfür liegt, wie der Kultusminister nachwics, in der Unmöglichkeit, eine katholische Lehr kraft zu bekommen; die Andeutung auf klerikale Machen schaften, die hierbei im Spiele sind, spricht Bände. Herr Roeren suchte das Unbehagen über die Interpellation durch die Unterstellung, die Nativuallibepalcn gelüste eS nach einem neuen Kulturkämpfe, und durch den Spott darüber zu verdecken, daß der Trierer Bischof doch nicht abgesetzt oder ausgewiesen werden könne. Der Abgeord nete Hackenberg hat in Bezug hierauf mit Recht her vorgehoben, wie wenig eS den Interpellanten auf Polizei maßregeln ankomme, wie sie vielmehr alles Gewicht darauf legen, daß die Negierung sich völlig klar sei über den großen Gegensatz zwischen Staat und KlerikaliSmus, daß sie die paritätische Schule nicht preisgebe, baß sie bei der Gründung konfessioneller Anstalten vorsichtiger sei und daß sie ihren Standpunkt der Nachgiebigkeit gegen über dem KlerikaliSmus einer Revision unterziehe. Die Bereitwilligkeit gegenüber dem letzteren Ver langen hat der Herr Ministerpräsident nicht er klärt und dafür den Dank des ersten Zentrumsredners geerntet. Die preußische Staatsregierung ist sich jedoch in den 14 Tagen, die seit dem Vorstoße des Trierer Bischofs verfloßen sind, darüber klar geworden, daß sie über den Boykott einer staatlichen Lehranstalt durch katholische Geistliche nicht mit jener „Mißachtung" hinweggehen kann, welche die „Köln. Ztg." empfohlen hat. Freilich ist cs nur „Bedauern", nicht Entrüstung, was der Minister präsident über den Schlag empfindet, den ein Mitglied deS preußischen Episkopats der Autorität deS preußischen Staates versetzt hat; aber Graf Bülow hat doch Schritte getan, um den Vorstoß deS Bischofs rückgängig zu machen. Als Weg hierfür wählte Graf Bülow die direkte Verhand lung mit dem päpstlichen Stuhl, der durch den preußi schen Gesandten beim Vatikan in entsprechender Weise benachrichtigt worden ist. Der Verzicht auf den direkten Verkehr mit dem Trierer Bischof ist von dem Abgeord neten Friedberg beklagt worden und wird von manchem als Symptom der Schwäche aufgefaßt werden, obwohl einst Fürst Bismarck daS jetzt vom Grasen Bülow ctngeschlagene Verfahren grundsätzlich gebilligt hat. Ohne Zweifel besteht die Gefahr, daß der Vatikan diese Ge legenheit benützt, vom preußischen Staate neue Zugeständ nisse herauszuschlagen. Das endgültige Urteil über die Aktion des Grafen Bülow kann indessen erst gefällt wer den, sobald ihr Resultat vorliegt. Wir erinnern uns hier bei, daß eine Diplomatie, der im allgemeinen weder Schwäche noch Ungeschicklichkeit nachzusagen sind, nämlich die russische, iu ähnlicher Sage gleichfalls das Mittel der direkten Unterhandlung mit der Kurie anwandte. Als Anfang der sechziger Fahre in Russisch-Polen die von der katholischen Geistlichkeit geförderte Erhebung im Gange war, forderte Rußland das Einschreiten des Pap stes gegen die polnische Geistlichkeit. Die Kurie lehnte dies ab; die Antwort Rußlands auf die Ablehnung seines Verlangens bestand in der Anerkennung des Königreichs Italien. Wie damals Rußland, muß heute die preußische StaatSrcgierung darauf gefaßt sein, daß die Kurie ihre Mitwirkung zur Rektifizierung des Bischofs von Trier versagt. Zieht die preußische Regierung aus einem derartigen Verhalten deS Vatikans mutatis mutanäis dieselben Schlüsse, wie seinerzeit Rußland, dann hätten wir gegen eine Ablehnung der preußischen Forderung nichts einzuwen- d e n. Aber nur dann, d. h., wenn nach solcher Ablehnung die preußische Regierung ihren Standpunkt gegenüber dem KlerikaliSmus der Revision unterzieht, die sie heute anscheinend noch nicht vornehmen will. Graf Bülow hat den Wunsch, mit dem Zentrum sich möglichst friedfertig abzuftnden, im Laufe der heutigen Debatte wiederholt bekundet. DaS Bedauern, daß der Bischof von Trier seine Beschwerden der preußischen Re gierung nicht mitgetetlt hat, obwohl der Ministerpräsident dafür bekannt sei, daß er Klagen der Katholiken wirksam abstellen will, muß wohl als Beweis für das Friedens- bedürfnis des Grafen Bülow gegenüber dem Klerikalts- mus dienen. Auf der andern Seite aber hat der Minister präsident mit allem Nachdruck betont, daß vr. Korum allein die Schuld an dem Konflikt habe und daß die Regierung, wenn es zum Sturme komme, nicht die Ver antwortung treffe. Und Graf Bülow hat htnzugefügt, er gehe nicht Konflikten aus dem Wege, die im StaatStnterefse ausgefochten werden müßen. In Uebereinsttmmung hier mit erklärte auch der Kultusminister, den Kampf in voller Ruhe aufnehmen zu wollen, da daS Recht auf seiner Seite sei. Die entschiedene Haltung des Ministerpräsidenten darf hoffentlich als Zeichen dafür gelten, daß die von Herrn Roeren vorgespiegelte Kampfeslust deS Zentrums auf den leitenden Staatsmann keinen Eindruck gemacht hat. Den entschiedenen Worten des Grafen Bülow aber müßen ent schiedene Taten folgen, wenn die Verhandlung mit der Knrie ergebnislos bleibt. Auf alle Fälle sollte die preußische Staatsregierung schon jetzt keinen Zweifel darüber laßen, daß sie den Antrag auf Beseitigung von 8 2 deS Je suitengesetzes im BundeSrate nicht eher ein bringt, bis der Fall Korum in ihrem Sinne erledigt ist. Politische Tagesschau. * Leipzig, 3. März. Der Vatikan und der Triersche Schnlstreit. Die vorstehende Besprechung -er gestrigen Verhand lung des preußischen Abgeordnetenhauses erhält eine Er gänzung durch einen Bericht, welcher der „Tägl. Rundsch." aus Rom zugeht, und in dem, anscheinend auf Grund besonderer Information, Mitteilung über den Erfolg ge macht wird, den die Beschwerde der preußischen Regierung über den Vorstoß des Bischofs Korum beim Vatikan er hoben hat. Der Bericht, in dem zugleich ein interessantes Streiflicht auf die BermittelungStätigkeit des Kardinals Kopp fällt, lautet: „In Rom hatte jetzt der Vatikan Gelegenheit, die „andere Glocke", wie man hier sagt, über den jüngsten Schulstreit zu hören, denn seit einigen Tagen weilt Kardinal Kopp in der ewigen Stadt. Wer glauben würde, der Breslauer Ober hirte sei lediglich zu den Gräbern der Apostel gepilgert, um am 3. März der großen Prozession in St. Peter beizuwohnen und den Ausgrabungen in einer Titelkirche Sant' Agnese neue Gelder zuzuwenden, wäre arg im Irrtum. Nicht zum ersten Male spielt Kardinal Kopp den Vermittler zwischen Regierung und Vatikan. Auch diesmal hat er eine solche Mission zu erfüllen gehabt und mit solchem Geschick durch geführt, daß der preußische Kultusminister die während der Verhandlungen absichtlich hinauSgeschobene Interpellation bald wird beantworten können, denn die Herren vom Zentrum sind schon benachrichtigt worden, daß augenblicklich das Trierer Kriegsgeschrei für unangemessen gehalten wird. Kardinal Kopp steht zwar auf keinem anderen Standpunkt wie Bischof Korum; aber er ist weit gewandter und klüger wie dieser, auch ist er ein ebenso großer Jesuitenfreund wie der Bischof von Trier, nur daß er sich der Jesuiten bedient, während die Je suiten sich Korums bedienen. Darum hat der Vatikan diesmal, wie vor einer Reihe von Jahren, den Ausspruch getan: In dieser Art von Dingen solle man nicht so sehr auf die Frömmig keit deS Bischofs schauen (gemeint war damals damit Krementzjwie auf die Klugheit und Gewandtheit, die damals schon in Kopp inkarniert erschien. Aus verschiedenen Gründen ist der Kardinal gegen das Vorgehen seines Amtsbruders ein genommen gewesen. Obwohl er weder Erzbischof noch Metro polit ist, beansprucht eben der Fürstbischof von BreSlau, der Leiter der Kirchenpolitik in Preußen zu sein, und sah es darum sehr ungern, daß im Westen der Monarchie ein Kollege, der niemals zu seinen rücksichtslosen Bewunderern gehört hatte, im Verein mit der ausgesprochensten demokratischen und darum ihm unsympathischen Richtung im Zentrum der Kirchenpolitik in Preußen eine Wendung zu geben suchte, die er nicht vorher gutgeheißen hatte. Er empfand es auch für sich und für andere als einen mittelbaren Tadel, denn im großen und ganzen bestehen die von Korum so scharf verurteilten Zustände auch anderswo, ohne daß die Bischöfe in ihrem Gewissen sich genötigt glaubten, in dieser Weise aufzutreten. Dieses brüske Verfahren, dieses bäurische Auf-den-Tisch-Schlagen und offene Bekennen des unersättlichen ultramontanen Appetits war es, waS der kluge Kardinal gegenüber einer so romfreund- lichen Regierung, ganz kurz vor den Reichstagswahlen, für sehr unzweckmäßig hielt. Er, der stets als „granä seigneur" einem Zusammengehen des Zentrums mit den Konservativen das Wort geredet hatte und Wohl weiß, welche Dienste gerade die Konservativen dem KlerikaliSmus in der Schulfragc geleistet haben, fürchtete mit Recht, daß diese Partei sich ob des Bündnisses schämen müßte, wenn die ultramontane Begehrlichkeit in mutwilliger Weise die letzten, notdürftig zu sammengehaltenen Feigenblätter von sich werfen und sich in ihrer nackten Natürlichkeit zeigen würde. Im Vatikan machten die Vorstellungen des Kardinals einen gewaltigen Eindruck. Dieser wurde noch erhöht durch die Berichte aus München, die von einer Mo- Feuilleton. Feierstunden. llj Ein Jahr ans einem Lebe«. Von Emil Roland. Siachdruck verboten. Vom Mosaikboden des Domes wurden die häßlichen Wachstücher entfernt, und wie ein neuerschaffenes Welt wunder leuchteten die berühmten Graffitos in das .Kirchen zwielicht hinein. Die Brunnen schienen lebhafter zu plätschern, die Menschen eilten rascher durch die sonst so stillen Straßen. Und das „Palio" begann, das große, alljährliche Pferde rennen, jene alte Spezialität von Siena, die eine Reminis- eenz an die prachtglänzenden Zeiten der großen Herren ist. Bon jenen prunkvollen Bildern, die im Italien deS Mittelalters so oft dem staunenden Volke gezeigt wurden, zog wieder einmal eins zur Wirklichkeit eurpor — es war, als würde in den alten, stolzen Kulissen noch einmal Theater gespielt. Bunte Scharen, lachend, malerisch, oft grotesk und oft fabelhaft schön in der unbewußten Grazie ihrer Be- wegungen, zogen durch die Straßen. Ueberallhin ergoß sich die Lustigkeit; bis -um schlichten Wohnhaus der Katharina von Siena, in das Brunnenplätschern des Fortebranda, zu den stillen Soddomas der Kapellen er klang die Lust. Und am prächtigsten war's auf der Piazza del Campo, gerade unter Helenens Fenstern. Aus den Nachbarstädten Toskanas waren Schaulustige herbeigeströmt, und so gut klangen die Bewunderungs rufe der Menge zu dem Getrappel und Gewieher der Roße, die in der alten Arena im neuen Sport daher jagten. Und welch' eine Menge war cs! Da leuchteten Priesteraugen gerade so begierig, wie die des Bettcljungen vom Domportal — neben der alten Krau mit dem Enkel auf dem Arm stand der Sieneser Offizier in seinem kleid samen, blauschwarzen Waffenrock. Und diese „Fülle der Gesichte" auf dem Hintergründe so stolzer Bauten, so adliger Paläste in einer Stadt, die für gewöhnlich dem Traumgott verfallen schien, hatte etwas lebensvoll Be zauberndes, etwas von einem Karbentriumph nach dem AlltagS-ra«. E» war, alS habe vor den Toren der Stabt, a» den grünen Häusen de» Apennin, der ghtbelltnische Herr von Siena wieder einmal die Welfen besiegt, alS feiere man SiegeSfeste, stolz und lustberauscht. Helene mischte sich unter daS Treiben. Sie genoß es mit ihren schönhcitSdurstigen Augen und teilte die allge meine Daseinsfreude, die so überzeugend in der Luft lag. Nur etwas störte sie. Das war der Anblick, der heut zutage nie und nirgends fehlt, kaum in der Wüste, kaum im fernsten Asien. Vor der Tür von San Giovanni, dem gotischen Torso, -eßen Unfertigkeit fast melancholisch anmutet in aller Pracht ringsumher, stand ein photographischer Apparat aufgerichtei, plumpbeinig und unschön, ein Diener rechts, ein Diener links, dazwischen eine Dame mit männlichen Zügen und einem alten Tirolerhut, der gar nicht nach Siena paßte. Helene mußte mühsam au der Gruppe oorbeilavieren, an dem großen Kasten vorüber, der auf den Stufen von San Giovanni stand, und gedankenlos las sie den Namen, der auf dem Deckel prangte: „Lucia Helmstetter." Hausmanns wunderliche Freundin! Da hielt sie doch inne und besah sie näher. Bei genauerer Betrachtung schien sie sogar fesselnd, originell und klug. Nur, daß ihr Siena, daS gerade so en be»u war, nicht stand. Anmutig war sie keineswegs mit den groben, großen Zügen — und dann dieser Fanatismus beim Photogra phieren, der sich in jeder ihrer Bewegungen kundgab — diese Wichtigkeit, als hinge das Heil der Welt von jeder Platte ab! Helene trat in die Kirche zu dem Taufbrunnen des Jacopo della Quercia. Kühl und mystisch dunkel war es über dem Marmor und den Bronzen. In allen Ecken hing noch Weihrauchduft. Wie in einem Grabe war'S — jedoch durch die offene Pforte sah man das Stück Helles Leben, hörte man die Rosse jagen und die Menschen rufen. Und der Apparat mit seinen plumpen Beinen ragte vor Helenens Blick unerfreulich, wie der Eiffelturm über Paris, über das Schauspiel deS schönen Campo. Nein, sie wollte ihren Empfehlungsbrief dock, lieber vorderhand für sich behalten. Die Dame schien denn doch zu unharmonisch, um sie in Italien zu goutieren. * * * Die Sienefen hatten Glück mit ihrem „Palio". Nachdem sie feinen Zauber voll genoßen hatten, zog ein schwer«» Gewitter Verauf, und Blitz und Donner führten nun ihrerseits ein Schauspiel in den Lüften auf, das an Großartigkeit das Pferderennen bei weitem übertraf. Helene war in ihre Wohnung geflüchtet, die große Piazza erschien wie gefegt. Kein Mensch sichtbar. Nur vor San Giovanni stand unentwegt Krau Lucia Helm stetter. Sie schien jetzt die Blitze zu photographieren — so lange, bis der niederpraßelnde Regen auch sie ver trieb. Und um den Reiz dieses italienischen Tages voll zu machen, kam nachher ein Abend, so rein und düfteschwer, so lind und kühl, daß es wie ein Ausatmen über die ganze Stadt ging, daß das Aveläuten wie ein Jubelklingen über die Berge tönte und die Welt wie in erster Schönheit dazuliegen schien. Helene ging in den Dom, wo ihre Staffelei bei der Kanzel des Pisano stand. So träge war sie heute gewesen, keinen Strich hatte sie getan, sich Ferien gegönnt. Da hörte sie Stimmen an der andern Seite der Kanzel — deutsche Laute. Zwei Freunde waren es, die mit Hülfe ihres Hand buches den Marmorzauber zu begreifen suchten, ein älterer Herr und ein jüngerer, beide sehr andächtig und etwas müde, jenes Gemisch, das jeder Jtaltenfahrer kennt, wenn er einmal zu viel hintereinander „besehen" hat. Der Jüngere las einen Passus über die Kanzel vor — ein Bädeker-Citat, dem Werke eines berühmten Kunst gelehrten entnommen. „Wer sagt das ?" fragte der «eitere. Hausmann." „HauSmann, Hausmann!" rief der Erste erregt. „Daß ich's vergeßen konnte, dir zu erzählen! In der „Tribuna" las ich'S — vorhin, während du Briefe schriebst —, Haus mann ist gestorben — vorgestern, in München." „O, wie traurig!" rief der Jüngere, „o, ist das traurig!" Und sie gingen. Langsam verklangen ihre Schritte in der großen Kirche, bis die beiden irgendwo stehen blieben und weiter lasen. Helene blieb ganz ruhig. Sie glaubte eS einfach nicht. Das konnte ja gar nicht sein! Die war wie im Traume stehen geblieben — Minuten- lang, biS sie eine seltsame Kälte in sich aufsteigen fühlte. Ihre Hand hatte einen marmornen Löwenkopf um- klammert, den Kopf eine» jener herrlichen weißen Tiere, die so sicher und stolz die berühmt« Kanzel von Gtena tragen. Und die Marmorkühle war's, die sie so seltsam er schauern machte. Oder konnte es etwas Anderes sein ? Sie eilte aus dem Dome. Vor der Faßade standen die beiden Fremden un schauten durch ihre Operngläser am Wunüerbau hinauf. Sollte sie fragen? Aber nein, sie konnte es nicht von fremden Lippen be stätigt hören. Sie eilte durch die Straßen, der „Aquila nera" zu. Dort, wußte sie, lag im Lesezimmer die „Tribuna". Sie kannte den kleinen Gasthof. Wenn ihre Wirtin einmal zu träge zum Kochen war, hatte sie dort zuweilen gegeßen in der kühlen, kleinen Stube, wo für gewöhnlich wenig Verkehr herrschte. Heute aber drängten sich Menschen in allen Zimmern. Laut und unbehaglich war's. In der einen Ecke saß Krau Lucia Helmstetter, aß Weintrauben und sah sehr belustigt auf das ganze Treiben. Ueberall Menschen. Sie suchte und suchte. Da endlich sah sie die „Tribuna", die ein junger Offizier in der Hand hielt. Die streckte ihre Rechte nach der Zeitung aus, sie hatte alles sonst ver geßen. Der junge Leutnant reichte ihr das Blatt, halb erstaunt, mit einem raschen, frauenkundigen Blick die blasse Erscheinung musternd. Zitternd suchte Helene in den Blättern — da — die Telegramme aus Deutschland — und da — ja! — da stand's. Schwarz auf weiß — viel überzeugender als ge sprochene Worte. Es war also wirklich so. Mitten auS einer neuen Arbeit sei er abgerufen, von der Influenza jäh dahingerafft ... ja, aus der Arbeit, deren Anfangskonzcpte sie geschrieben. Sie legte die „Tribuna" langsam auf den Tisch zurück. Der junge „Tenente" sah sie mitleidig an; er las es von ihren schmerwerzogenen Lippen, daß sie etwas sehr Trauriges erfahren haben mußte. Wie ein Schatten entschwand Helene aus dem menschen vollen Hause. Es trieb sie ins Freie, irgend wohin an den Stadt rand, wo die Straßen und Häuser sic nicht mehr er drückten. Und sie fand eine Stelle, wo eS still und schön war, wo eine Bank unter Oliven stand und eine weite Aussicht auf ruhevolle Bergltnien sich auftat, deren Anblick ihre Seele wie mit weichen Händen streichelte. ES klang ihr in den Ohren wieder, wag der jung«
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