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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.02.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030204012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903020401
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903020401
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
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Pörtt>X Extra.Vella-« <S-s-V^ "rE der Morg«.A»Sgab«, »hu» Postbeförderung ^S IG—» mit Posttaftrd«»- ^S Nt^—» Amuhmeschluß f»r Adend-InS-ader N««sttaG» w Uhr. Mor-en-LnSgaber Nachmittag» ü Uhr. Arqetg« find ßM « dl« GrPMttm» zu richt«. Die Expedition ist Wochentag« mnmterbroche, geöffnet von früh S bis abend» 7 Uhr. Druck und Verla- von S. Pol« in Leipzig. Nr. «2. Mittwoch den 4. Februar 1903. 97. Jahrgang. Layerischrs und preußisches Zentrum. SS Vir hatten in der Verflossenen Woche Gelegenheit, die Jefuttentakttk de» bayerischen Zentrums festzunageln. Die ReichstagSabgeorbneten vom bayerischen Zentrum hatten »war Mann für Mann ebenso wie die National liberalen für -a- Kardorsfsche Zoükompromiß gestimmt, aber baS leitende Blatt des bayerischen Zentrums hetzte die Bauern auf, den Nativnalliberalen für ihr regie rungsfreundliches Verhalten in der Zollfrage „mit einem Absagebriefe zu quittieren". Auf Grund einer nachweis lich falschen Zusammenstellung suchte das Blatt glauben zu machen, daß ohne die National-liberalen Überhaupt nichts hätte zu stand« kommen können, so daß die arme ZentrumSpartei sich, damit überhaupt nur etwas zu stände käme, nnter das kaubinische Joch deS nationalliberalen TerrortSmu» hätte beugen müssen. Wtr hatten die Umvahrhaftigkett dieser Beweis führung -argetan, aber noch wirksamer ist es wohl, baß dies von Seiten deS Zentrums selbst geschieht. Im preu ßischen Mgeorbnetenhause hat der Zentrumsabgeorbnete Herold erklärt: „Der Zustand, der durch die Annahme deS Tarif- herbeigeführt worden ist, stellt einen Fort schritt gegen früher dar, und jeder, der positive Arbeit tun, der nicht bloß der Agitation dienen will, muß sich mit uns auf denselben Boden stellen." Und noch deutlicher hat sich der Zentrumsabgeorbnete Schmitz auS-edrückt, indem er sagte: „Wirkönnen dieVer- antwortung für den Zolltarif den Wählern gegenüber wohl übernehmen." Diese Erklärung deckt sich nahezu wörtlich mit dem, waS Mr vor acht Tagen gegenüber dem bayerischen Zentrum gesagt haben: „Im übrigen übernehmen die National liberalen ihrerseits die Verantwortung für das, was sie getan haben, vollkommen." Wtr sehen also, da- die Auffassung der National- liberalen Über da» Zustandekommen des Zolltarifs sich mit -er deS preußischen Zentrums vollständig deckt und daß da- preußische Zentrum auch seinerseits durchau- die Verantwortung dafür tragen will und cs sicherlich für eine Anmaßung erklären würde, wenn die National liberalen das Zustandekommen des Zolltarifs als ihr Verdienst in Anspruch nehmen würden: umgekehrt sucht das bayerische Zentrum die Verantwortung auf die Nationalltberalen abzuschieben. Und doch hat das „Ja" der bayerischen Zentrumsleute bei der entscheidenden Ab stimmung nicht anders geklungen, als das ihrer preu ßischen Krakttonsgenvssen. Man braucht nicht den Grafen Orindur anzurufen, um diesen „Zwiespalt der Statur" zu erklären. In Preußen sind fünf große Bezirke überwiegend katholisch, nämlich die Provinz Posen, der Regierungsbezirk Marienwerder, Oberschlesien, Westfalen und die Rhein provinz. In Posen und Westpreußen Mrd die parla mentarische Vertretung der Katholiken vorwiegend durch di« Polen gestellt. Als Hauptdtstrikte des Zentrums bleiben also Oberschlesien, Westfalen und die Rhein- Provinz. Diese Gebiete sind aber vorwiegend industriell und das Zentrum hat Mühe genug, seinen Wählern, so weit sie den Arbeitern und Kleinbürgern angehören, die Zustimmung auch nur zu diesem „milden" Zolltarif plausibel zu machen. Die in dem Zolltarife enthaltenen Erhöhungen auf Lebensmittelzölle aber für ungenügend zu erklären, wäre angesichts dieser Situation des preu ßischen Zentrums geradezu Selbstmord, denn das würde Tausende seiner Wähler in die wettgeöffneten Arme der Sozialdemokratie treiben. Uingekehrt hat baS bayerische Zentrum vorwiegend agrarische Bezirke mit gering ent wickelter Industrie in seinem Besitze: in diesen Bezirken hat es naturgemäß nicht sowohl die Gegnerschaft der Sozialdemokratie zu fürchten, als vielmehr diejenige des bayerischen Bauernbundes, der bet den letzten allgemeinen Wahlen in einer ganzen Anzahl solcher Zentrumssitze viele Tausende von Stimmen erhalten hat. Darum stellt sich das bayerische Zentrum auch nach Erledigung des Zolltarifs agrarisch an, um dem Bauernbunde den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das biedere Zentrum spielt also L ä«ux maius. Bei der Abstimmung konnte es mit seiner Geschlossenheit renommieren, nachher aber verfolgt jeder Flügel der Partei die Taktik, die ihm für seine Wahlzwecke nützlich erscheint. Das ist nicht gerade neu, aber es kann von besonderer Bedeutung werden. Gelingt eS nämlich dem bayerischen Zentrum, eine namhafte Zahl von Abgeordneten in den neuen Reichstag zu bringen, die mit den Führern des Bundes der Landwirte nicht nur in der Verurteilung de- beschlossenen Zolltarifs, sondern auch in der Verwerfung der auf Grund dieses Tarifs abzuschltetzenden Handels verträge übereinstimmen, so Mrd bei der Entscheidung über diese Verträge die Zahl der ihnen zustimmenden Zentrumsmitglieder nicht sehr erheblich größer sein, al lste Zahl der die Verträge ablehnenden Zentrumsmänner. Daß darin eine um so größere Gefahr liegt, je rücksichts loser der Bun- der Landwirte die Konservativen zur Opposition gegen die Verträge zu zwingen versucht, liegt auf der Hand. Um so mehr sollten die Regierungen der Einzelstaaten und besonders Preußens darauf denken, die Konservativen dem Drucke der BundeSftthrer zu ent ziehen, damit sie nicht im Bunde mit dem bayerischen Zentrum da- Reich in den Zollkrieg hineintreiben. Zur Würdigung Delbrücks. H Dem am Sonntag im 87. Lebensjahre verstorbenen ehernaligen Präsidenten des Reichskanzleramtes, Rudolf Delbrück, hat der erste Kanzler des Deutschen Reiches, dessen hervorragendster Mitarbeiter der Verstorbene bis zum Jahre 1876 war, in verschiedenen Reden ein Denkmal gesetzt, aus dem die Bedeutung des Wirkens und der Per sönlichkeit des verdienstreichen Staatsmannes erhellt. Im Jahre 1878 sagte Bismarck: ,Menn ich kür eine Aufgabe, wie die Konsolidierung des Deutschen Reiches in seinen ersten Anfängen, um die Bedeutung Delbrücks mich bewarb, so liegt doch klar, daß ich damit nicht die Präteüston verbinden konnte, daß Delbrück die wirtschaftlichen Geschäfte, in denen er die erste Autorität in ganz Deutschland war, nach meiner Leitung und meiner Anweisung führen sollte. Es war vielmehr — natürlich 6UM grsno sslis — gegeben, daß ich vertrauensvoll mich seiner Führung überließ." Und im Jahre 1881 erklärte er: „Heber seine Geschäftsführung bestand zwischen uns kein Meinungsstreit, und meine Anerkennung seiner Autorität war so groß, daß die wesentlichen Zweifel, die bet Mr zu keimen begannen, ob wtr auf dem richtigen Wege wären, von mir unterdrückt wurden, gegenüber der Bedeutung und technischen Ueberlegenhcit des Mannes, auf den ich nicht verzichten wollte." Wie seit dem Beginne des vorigen Jahrhunderts ein immer weiterer Kreis des preußischen Beamtentums, hatte Delbrück die Schule von Adam Smith durchgemacht, und die Anfänge seiner höherenBeamtenlaufbahn waren in die Zeit des neuenAufschwunges der Freihandelsbestrebungen gefallen. Ein erster großer Erfolg derselben war der französische Handelsvertrag von 1862, und als Direktor im Handelsministerium hatte Delbrück die Aufgabe er halten, die Erneuerung deS Zollvereins auf dem Boden dieses Vertrags durchzuführen. Gleich an der Schwelle war ihm dabet, wie Klöppel in seinem Werke „Dreißig Jahre deutscher VerfassungSgeschichde" hervorhebt, Ge legenheit geboten, seine klare Entschlossenheit und seltene Festigkeit zu zeigen, als Oesterreich das damalige Bündnis mit Preußen zu benutzen suchte, um die Erneuerung einer Vertragsbestimmung von 1843 zu erlangen, durch die Preußen sich zu späteren Verhandlungen über den Eintritt Oesterreichs in den Zollverein verpflichtet hatte. Graf Bismarck war gern bereit, mit diesen: Zugeständnisse, daS er für unverfänglich hielt, den Grafen Rechberg alS den einzig zuverlässigen Bürgen für die aufrichtige Fort dauer des Bündnisses zu stützen. Delbrück riet nachdrück lich das Gegenteil, da Oesterreich zwei Jahre zuvor auS derselben Bestimmung ein Widerspruchsrecht gegen den französischen Handelsvertrag hergelettet hatte, und drang mit seinem Rate beim Könige durch, was dann zur Folge hatte, daß durch den Rücktritt des Grafen Rechberg die Auflösung deS Bündnisses beschleunigt wurde. Es zeugt von der hohen Unbefangenheit -eS leitenden Staats mannes, daß ihn diese Erfahrung nicht abhielt, Delbrück als seinen ersten Berater in Bundesangelegenheitcn anzu- nehmen. Allerdings hatte BiSmarck die Durchführung des Handelsvertrages gegen den Widerstand der Süddeutschen um so unbedenklicher übernommen, als ihm die Konserva tiven von vornherein zustimmten, weil sie damals noch den Freihandel besonders wegen des wohlfeilen Bezuges von englischem Eisen für ein unabweisbares Bedürfnis des Grundbesitzes in den östlichen Provinzen Preußens hielten. Es ist ebenso üblich, wie aber auch unbeweisbar, als letzten Grund der Trennung Delbrücks von Bismarck die Abwendung des letzteren vom Freihandel und seinen Uebergang zum Schutzzollsystem anzufüchren. Hiergegen zeugt das Wort Delbrücks: „Man ist Freihändler in Zoll fragen, so lange eS konveniert, und man hört auf, es zu sein, so bald es nicht konveniert." Ueblerdies spricht gegen jene Annahme die Tatsache, daß BiSmarck zu der Zeit, in welcher Delbrück auS dem Kreise seiner Mitarbeiter schieb, den Uebergang zu der Politik des Schutzes der nationalen Arbeit, der durch den Dezember-Brief deS Jahre- 1878 bezeichnet wird, noch gar nicht in Aussicht genommen, geschweige denn ernstlich diskutiert hatte. Im Vordergründe der Sorge stand in der Mitte der siebziger Jahre die Frage der Erhöhung der eigenen Ein. nahmen deS Reiches, der finanziellen Konsolidierung deS Reiches oder, wenn man will, der Wegschasfung des Defizits. Der Ernst dieser Frage wurde verschärft durch die Andauer der wirtschaftlichen Depression. Als ein geeignetes Mittel, um zu dem erwünschten Ziele zu gelangen, erschien dem damaligen leitenden Staats- manne die Verfolgung der Idee, welche dem Reichs- eisenbahnprojekt zu Grunde lag. Am Tage vor der ersten Beratung des Gesetzes, durch welches Preußen seine Staatsbalhnen an das Reich bringen sollt«, im Abgeordnetenhause (25. April 1876) reichte der Präsident des Reichskanzleramtes, Delbrück, sein Ent lassungsgesuch ein. Entgegen der allgemeinen Annahme versicherte Kürst Bismarck: „Es liegt nicht der geringste Schatten einer Wirklichkeit dafür vor, daß Delbrücks Rück tritt mit dieser oder irgend einer anderen schwebenden Frage zusammenhängt.... Nach der aufreibenden Tätig- keit des letzten Jahrzehnts war es für Delbrück unmög lich, fortzuarbeiten, ohne seine Gesundheit zu unter graben." Ohne Zweifel hatte Delbrück cirven anderen Grund seines Rücktritts in dem Gesuch nicht angegeben. Es ist aber von glaubwürdiger Seite berichtet, daß er schon im Herbst zuvor als Gegner des „Reichseisenbahn projekts" sich vertraulich bekannte, sich aber auch dabei beruhigte, daß „der Reichskanzler, wenn ihm die Gefähr lichkeit, ja Unmöglichkeit der Ausführung eines solchen Projekts auseinandergesetzt wird, nicht der Mann ist, darauf zu bestehen." Wohl nicht mit Unrecht ist behauptet worden, Delbrück habe seinen Abschied wesentlich mit um deswillen genmmnen, ivcil Bismarck neben seinem (Del brücks) Rate auch noch den anderer Autoritäten in wirt schaftlichen Kragen einholte und weil die Stellung be- Präsibenten des Reichskanzleramtes schon dadurch zu einer minder einflußreichen wurde, weil infolge Anwachsen- der Geschäfte ein Zweig derselben nach dem anderen von deut Neichskanzleramte losgelöst wurde. Delbrück zog sich, nachdem er 1879 noch al- freikonser- vativer Abgeordneter für Jena an den ReichStagSverhand- lungen teilgenommen und nicht etwa gegen den Zolltarif als solchen, sondern nur gegen einzelne Positionen deS- selben gesprochen hatte, von der aktiven Politik so gut wie ganz zurück. Er nahm aber bis an sein Lebensende an der Entwicklung der deutschen Dinge lebhaften Anteil, und bekundete durch keinen Schritt und keine Aeußerung, daß er die Sorge der verantwortlichen Staatsmänner für die Erhaltung und Weiterentwicklung der Einrichtungen deS Reiches deshalb anders bewerte oder abfällig beurteile, weil er nicht mehr selbst an der Führung der Geschäfte be teiligt sein sollte. Deutsches Reich. lH Berlin, 3. Februar. sKlärung einer Zeit, frage.) Ein lehrreiches Beispiel dafür, wie eine gründ- los hingeworfene Anschuldigung zu der überraschenden Klärung einer Zeitfrage führen kann, zeigt ein« litera rische Fehde, welche zur Zett währt. Der frühere Unter- staatssekretär und jetzige Kurator der Universität Bonn, vr. v. Rottenburg, hatte auf Grund einer isolierten Beobachtung, daß im Jahre 1845 einmal in Frankreich fast gleichzeitig mit der Schaffung zweier Großbetriebe auS zahlreichen Kleinbetrieben ein Sinken der Löhne in dieser Gegend eingetreten war, die allgemeine Behauptung auf gestellt, dieSyndtkatebrücktenbteLöhne, und die deutschen Arbeiter aufgerufen, sich gegen diesen Lohn druck durch Koalition zu wehren. Um ihnen das in abso luter Weise zu ermöglichen, hatte er bedingungslose Koalitionsfreiheit für sie gefordert. Während Kommer zienrat Julius Vor st er in „Stahl und Eisen" die übrigen Punkte der Rottenburgischen Aeußerungen schlagend widerlegt hat, hat vr. Alexander Tille an anderer Stelle den unwiderleglichen Nachweis erbracht, daß Löhne, welche die Betriebe von etwa zwanzig großen deutschen Kartellen in dem letzten halben Jahrzehnt ge zahlt haben, ganz dem allgemeinen Aufschwünge der In dustrie von 1895—1900 entsprechend, eine fortdauernde stetige Steigerung erfahren haben. Gegenüber solche« Zahlenmaterial kann selbst vr. v. Rottenburg seine frühe- ren Behauptungen nicht mehr aufrecht erkalten und steht sich gezwungen, sich hinter den Satz zurückzuziehen, eS sei doch möglich, daß die Syndikate einmal die Löhne brücken könnten. Nicht mit Unrecht hat schon der Abgeordnete vr. Beumer im preußischen Abgeorbnetenhause den ersten Artikel deS Herrn v. Rottenburg alß „unglaublich kranS" bezeichnet. Es steht wohl zu erwarten, daß Herr v. Rottenburg nunmehr, wo er belehrt ist, baß seinen krausen Behauptungen jede tatsächliche Unterlage fehlt, seinen Aufruf an die Arbeiter zur Koalition gegen die syndizierten Unternehmer zurückziehen wird. H- Berlin, 8. Februar. (Leistungsfähigkeit der drahtlosen Telegraphie.) DaS Interesse an der zukünftigen Entwickelung und LctftungSfähtgkeit der drahtlosen Telegraphie ist in England besonders groß, da dieser Staat über nahezu fünf Sechstel aller be stehenden überseeischen Kabelverbindungen verfügt und daher für einen großen Teil der in diesen Unterneh mungen angelegten Kapitalien schwere Schädigungen be fürchten müßte, wenn sich der funkentelcgraphische Nach- richtenverkehr allen Vorzügen und Eigenschaften des Kabelsystems gewachsen oder gar überlegen erweisen sollte. Aber die bisherigen Leistungen der drahtlosen Telegraphie bleiben noch weit hinter den notwendigsten Anforderungen, die an eine moderne Nachrichtenvsnnitte- lung gestellt werden müssen, zurück, wie das in Deutsch land und England wiederholt von sachverständiger Seite nachgewicsen worden ist. Den Beamten der obersten Post- und Telegraphenbchörde Englands, die sich gegen die Auffassung ausfprachcn, daß von einer wirksamen Konkurrenz der drahtlosen gegenüber der kablographischen Telegraphie die Rede sein könne, hat sich neuerdings der Pernille. Eine Faschingsnovelle von HermanBang. '-iachvruo verboten. „Aber so machen Sie doch schnell, Mamsell Olsen", sagt sie, indem sie ungeduldig in Pernilles kleinen Spangen schuhen hin und her trippelt. „Es ist schon über neun." Wie unbeschreiblich freute sie sich aus den Fastnachts- ball! Sie war ja noch nie auf einem solchen gewesen; auf der Maskerade wühl; daheim, auf dem Lande, hatten der Prediger und seine Frau einmal einen Kosttimball ver anstaltet, und sie war Pierett« gewesen, und der Gutsver walter hatte ihr während der Mazurka einen Antrag ge macht; er war als Landsknecht aus Wallensteins Zett ge kommen und trug einen großen Knebclbart, um seine Hasenscharte zu verdecken; über das half nichts, sie kannten sich ja alle so genau. Aber heute abend, das war etwas Andere-, Große-, über die Maßen Herrliches — sie wußte sekbst kaum, was sie davon denken sollte! Aber sich darauf freuen, da- konnte sie, und das tat sie, wie sie da stand, ihre langen Handschuhe anzog und mit Pernille- weißer Schürze tändelte. ,Wenn da- Fräulein einen Augenblick ruhig stehen könnte", sagte Mamsell Olsen trocken, „wäre ich gleich fertig." „Ja, aber Mamsell Olsen, ich freue mich ja so riesig, ich kann eS gar nicht erwarten." „Aber das Fräulein hat doch früher schon getanzt", sagte Mamsell Olsen, indem sie Pernille- Häubchen im Haar befestigte. „Ja, getanzt", antwortete Pernille geringschätzig; „aber das ist doch «ttvas ganz anderes, Mamsell Olsen; hier handelt es sich doch nicht bloß um das Tanzen, — es ist etwas anderes, etwas ganz andere-!" Und Pernille lachte ihr Spiegelbild fröhlich an. „Ob wohl noch jemand anders im Kostüm der Pernille auftreten wird, Mamsell Olsen?" fragte sie. „Das weiß ich wirklich nicht, Fräulein." „Ja, aber auf alle Fälle wird es gewiß nicht so echt sein, wie das meine — Onkel Bernhard hat ja die Zetch- nung dazu gemacht." Und noch einmal betrachtet sie be. friedigt ihr Spiegelbild. „Vielleicht werden sie auch nicht so schön sein, wie ich", denkt Pernille und errötet bei dem Gedanken, sie kommt sich sekbst allerliebst vor. Sie sieht das bunte Mieder wohlgefällig an und das Häubchen, das ein wenig schräg auf den Kopf gesetzt ist. „Ja. ich sehe gut aus", denkt sie bet sich sekbst, und in ihrer Freude beginnt sie, ein Liebchen zu summen. „Sind Sie nie auf einem FastnachtSball gewesen, Mam sell Olsen?" fragte sie, noch immer in den Spiegel blickend. „Nein, Fräulein. „Arme Mamsell Olsen!" sagte Pernille. Und dann fährt sie mit Onkel Wilhelm und Tante Fanny ab. Wie stürmisch klopft ihr Herz auf der dunklen Fahrt; sie fühlt selbst, wie sie rot und blaß wirb, und hat eis- kalte Hände. „Na, Marie?" sagte Onkel Wilhelm. „Ach ja, Onkel, ich freue mich ja so unbändig, aber ich weiß nicht — wären wir doch erst da! Ich bin so wirr im Kopf. Das kommt von der Freude." „Nein, Onkel Wilhelm, das ist ja gräulich, gar nicht so, wie ich es mir gedacht hatte", sagt Pernille ein« hakbe Stunde später. „Die Masken glotzen mich so schauderhaft an." Sie hängt sich fest an seinen Arm, ängstlich erschrocken. „Und der widerwärtige Henrik verfolgt mich unausgesetzt." „Ich dachte es mir gleich, daß es dir keinen Spaß machen würde", sagte die Tante. „Doch, Tante, Spaß macht es mir" — sie drückt sich fest an ihren Onkel — „aber ich hatte gedacht, daß . . . Wo wohl Herr Herlöv ist?" fragte sie plötzlich hastig und etwas unvermittelt. „Das mag der Himmel wissen; er hat bei Bechwiths zu Mittag gegessen. Wahrscheinlich kann er sich von ihnen und der schönen Frau Kramer nicht trennen." „Nein", sagte Pernille, „natürlich nicht." Sie wird etwas stiller. Aber Herr Herlöv kommt schließlich doch noch. Sie setzen sich hinter einige hohe Blattpflanzen, Pernille nnd er, — plaudern sich fest, und Onkel Wilhelm ist in Verzweiflung, weil er sie nirgends finden kann. „Aber, ich erkannte Sie sofort, Herr Herlöv. Ich hätte Sie unter Tausenden erkannt. Aber Sie erkannten mich nicht." Sie wirft einen Blick auf die übrigen Menschen. „Wie lächerlich sehen sie alle auS! Finden Sie nicht auch?" „Ja—a, es ist schon schwer genug, seine eigenen Kleider zu tragen, nun gar erst anderer Leute Kleider!" „Ich hatte mir einen FastnacktSball ganz anders ge- dacht", sagte Pernille, und streckte ihren kleinen Schuh etwa- unter dem Kletdersaum hervor. „Wie hatten Sie sich ihn denn gedacht, Fräulein?" fragte er lächelnd. „Ach, eS war wohl eigentlich dumm, wa- ich Mr dachte. Aber ich hatte gedacht, alle würden viel schöner aussehen, und — und eS würde viel mehr Ritter geben " Er lachte ... Der Lärm und das Getöse deS Faschings umbraitstcn sie, während sie tm Schutz der dichten Blattpflanzen ver borgen saßen. Aus dem Tanzsaal hörte man ein MrreS Klanggemisch von den Melodien des Orchesters. Zuweilen, wenn der Lärm wuchs, mußten sie sich ganz dicht zu einander beugen, um sich zu verstehen. Pernille war entzückt von diesem stillen Winkel im Schatten der Lorbeerbäume, und Herlöv vergaß voll ständig die Gesellschaft, in der er gekommen war. Sie war so bezaubernd, die anmutige, kleine Pernille, wie ein frischer Frühlingsmorgen, — mochte Frau Kramer ohne ihn fertig werden, Frau Kramer konnte er morgen, über morgen, jeden Tag sehen, aber Pernille war wie ein Früh- ltngsmorgen, unberührt und frisch, anmutig und be zaubernd. Er ergab sich ganz dem Zauber, der von ihr ausging. Nicht genug konnte er sich darüber wundern, daß er nie zuvor bemerkt hatte, wie schön und frisch sie war. „Sie sind reizend, Fräulein Holm", sagte er plötzlich, „ganz reizend!" Und reizend war sic auch; ihre roten Lippen lächelten, ihre Augen lachten; der Schimmer des Glückes verklärte ihre Züge. Die kleine Pernille war verliebt. Zum ersten Male verliebt. Ein unbewußtes, träumerisches Wohlbe hagen durchzittcrtc ihre ahnungslose Seele. Sie n>ar ja schon lange in ihn verliebt gewesen, den ganzen Winter, — seit sie hier in der Stadt war, um Unterricht zu nehmen. ES war ein Gefühl, da- nur wenig zum Lebensunterhalt brauchte, — ein Blick, eine flüchtige Begegnung, ein Händedruck genügten für lange Zett An den Tagen, wo sie ihn getroffen hatte, waren ihr die Menschen fröhlicher, der Sonnenschein Heller vorge- kommen; sie fühlte seinen Händedruck noch nach vielen Stunden, sic sehnte sich nach ihm, wenn sic ihn nicht sah. Aber mehr hatte sie nie erwartet
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