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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030207024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903020702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903020702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-07
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Ofsertenauuahme 28 H (excl. Porto) Extra-Beilagen gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne llostbewrderung ^ll 30.—, nit stostbesörderung ^l 70.—. Aunahmeschluß mr Anzeigen: Abend-Ausgabe: Üormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 69. Sonnabend den 7. Februar 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Februar. Aus dem Reichstage. Nach der gestrigen Sitzung des Reichstages konnte Graf Bülow mit dein beruhigenden Bswußtsein, daß ihm sein Gehalt unverkürzt bewilligt worden, nach dem Reichskanzlerpalais zurückkehren. Freilich hat er vier Tag« darum streiten müssen, während er im ver flossenen Jahre schon nach drei Stunden das Ziel erreicht hatte. Aber er darf sich sagen, daß er an der viertägigen Debatte nur insofern eine Schuld trägt, als er seit der vorigen Etatsberatung zu Schritten genötigt war, die nicht ohne parlamentarischen Nachhall bleiben konnten. Den Hauptaltteil an der Schuld trägt daS Haus, dessen fleißige Mitglieder einen früheren Schluß der Debatten nicht herbeiführen konnten, weil sie stets in beschluß unfähiger Zahl anwesend waren und daher befürchten mußten, einen am Reden verhinderten Kollegen zur Be zweiflung der Beschlußfähigkeit anzureizen. Gestern be hielt der Kanzler das letzte Wort, und dieses war aus mehr als einem Grunde bemerkenswert. Erstens zer störte Graf Bülow, vom Abg. Liebermann von Sonnenberg dazu angeregt, die Legende, daß Rück sichten auf England den Empfang der Boerengcncrale verhindert hätten, und dann parierte er einen Vor stoß des Landbündlers vr. Roes icke. Daß er dabei selbst einige Stöße austciltc, konnte bei der Natur des Angriffs nicht ausbleiben. Aber weiter, als zu einem etwas boshaften Vergleiche zwischen dem Deutschen Landwirtschaftsrate und dem Bunde — er nannte jene Körperschaft einen ,„Kreis einsichtiger Land wirte" — ließ er sich nicht hinrcitzen. Bon einem Zer schneiden des Tischtuchs zwischen ihm und den Bundes führern war nicht die Rede, ja sogar jener Vergleich wurde abgemildcrt dadurch, daß der Kanzler sich mit der Bitte, doch endlich die detaillierten Zolltarif- und Handelsoertragserörterungen zu unterlassen, damit nicht die fremden Unterhändler allzu genau in unsere Karten blicken könnten, auch an die Einsicht der Bundcsmitglieder wendete. Ob ihm dieser Appell etwas nützen wird, ist freilich sehr fraglich. Da heute das Martyrium des Grafen Posadowsky beginnt, dem die Bündler und ihre freiwillig-unfreiwilligen Verbündeten ihr Vertrauen fast noch mehr als dem Kanzler entzogen haben, so ist cS nicht allzu wahrscheinlich, daß der Staatssekretär deS Innern leichter und rascher zur Bewilligung seines Etats kommen werde, als der Kanzler zur Genehmigung des seinigen. Dadurch eröffnen sich freilich wenig tröstliche Aussichten. Im bisherigen Tempo fortgesetzt, wer den die Etatsdebatten kaum rechtzeitig zu Ende geführt werden können. Es müßte denn gehen wie immer: zuerst langsamer Schritt, zuletzt schärfster Galopp. Aber auch in diesem Falle ist nicht abzusehen, wie der Reichstag die außer dem Etat noch zu bewältigenden Vorlagen erledigen soll. Bezüglich des Gesetzentwurfs zur Sicherung der Wahlfrei Helt verspricht man sich freilich eine sehr glatte Erledigung. Die stark übertriebenen Bedenken, die im konservativen Lager gegen diese Neuerung geltend gemacht werden, wer den in der Generaldebatte sicher zu scharfem Ausdruck ge langen) aber eine Aenderung der Vorlage im Einzelnen wird von dieser Seite kaum versucht werden. Dagegen ist noch keineswegs gewiß, daß nicht von der radikalen Linken her ein solcher Versuch unternommen werden wird. Aehnliches ist für die in Äussicht stehende Vorlage betr. die Kaufmannsgerichte zu bcsUrcchtcn. Nach dem, was bisher über dieselbe an die Oefsentlichkeit gelangt ist, ist oorherzuschen, daß die Sozialdemokraten im Reichstage an die Stelle der besonderen Kaufmannsgerichte die Aus dehnung der Gewcrbegerichte auf die Angestellten im Han delsgewerbe versuchen werden, nm die von ihnen stets be hauptete Proletarisierung des Standes der Handlungs- gehülfen gewissermaßen zlnn gesetzlichen Ausdruck zu bringen. Jedenfalls wird es bei diesem Gesetz ohne ein gut Stück Klassenkampf nicht abgehen. Weiterhin hat der Bundesrat die Beratung der so lange htnausgeschobencn Novelle zum Krankenversicherungsgesetz er ledigt. Ihr Inhalt dürfte im Reichstage kaum ernstlich bestritten werden. Umsomehr aber werden die Meinungen über das auseinandergchen, was in dem Gesetzentwürfe nicht enthalten ist und was man hineinzubringen suchen wird. Die Sozialdemokraten einerseits haben mancherlei Wünsche, um ihre Beherrschung der Krankenkassen noch mehr auszudehnen und zu befestigen. Anderseits erhebt sich das Verlangen, diese Beherrschung durch eine ver änderte Organisation der Krankenkassen einzuischränken. Eine ausgedehnte Kmmnifsionsberatung mit nachfolgen den schweren Kämpfen im Plenum wird da nicht zu ver meiden sein. Wo soll zur Bewältigung dieses ganzen Materials nach Ostern — denn vorher ist nicht daran zu denken — noch die Zeit hergnommen werden ? Die Oster ferien werden frühestens am 20. April ihr Ende erreichen. Am 16. Juni schließt die Legislaturperiode. Bis dahin den Reichstag zusammenzuhalten, ist aber unmöglich; denn alle Parteien wollen wochenlang vorher ihre Wahlagi tation betreiben. Menn gar, wie es neuerdings heißt, die Neuwahlen schon Ende Mai stattfinden sollen, ist nach Ostern so gut wie nichts mehr zu beschaffen. Also weise Beschränkung! Der Fall v. Willich im Lichte altpreußifcher Tradition. Tic parlamentarische Erörterung des Falles v. Willich hat jeden Zweifel daran beseitigt, daß der Rückzug des Landrates v. Willich von.seinen Gegnern auf dem Wege einer Berufung in den auswärtigen Dienst im Einver ständnis mit der preußischen Staatsregierung erfolgen sollte. Hieran den Maßstab altprcußtscher Tradition zu legen, dazu fordert eine Erinnerung an den preußi schen Kirchenstreit 1837/39 auf, die Professor vr. G. v. B e l o w im Februarhcfte der „Deutschen Revue" auf Grund der Korrespondenz des Ge n e r a l S v. Wr a n g e l veröffentlicht. In dem Streite um die gemischten Ehen wurde bekanntlich der Erzbischof von Köln, Klemens August v. Droste-Vischcring, durch die preußische Regie rung ans seiner Diözese entfernt und im November 1837 nach der Festung Minden abgeführt. Wie dieses Ereignis an verschiedenen Orten Erregung hervorricf, so besonders in Münster i. W. Am II. Dezember 1837 kam cS hier zu einem Krawall. Tic Aufgabe, diesem zu begegnen, fiel dem General v. Wrangcl zu, der damals in Münster Divisionschef war, außerdem aber, während der Abwesen heit des kommaudierenden Generals v. Müffling in Berlin, den Oberbefehl führte. Wir haben vor einiger Zeit in der Lcbcnsgeschichtc des Generals v. Fransecky, des damaligen Adjutanten Wrangels, eine eingehende Schilderung seiner Tätigkeit bei der Unterdrückung jenes Krawalls erhalten. Die Erinnerung an die Festigkeit und die Ruhe, die er hierbei bewährte und die höheren Ortes lebhafte Anerkennung fanden, mag mit dazu beigctragcn haben, daß Wrangcl im Jahre 1848 das «berühmte Kom mando in Berlin erteilt worden ist. Es begreift sich, daß die Münsterschen Kreis«, die znm Erzbischof KlemenS August hielten, dem Bekämpfer des Krawalls keine freund liche Gesinnung entgegenbrachten. Namentlich mit Rück sicht auf die Anfeindungen, die Wränget von hier aus er fuhr, sah er sich veranlaßt, um seine Versetzung ein zukommen. Der König (Friedrich Wilhelm III.) ließ ihm jedoch antworten: „DieVersetzung könne nicht stattfinden, weil dies als eine Miß billigung feines Verhaltens in Münster angesehen werden könnte." — Daß die Ver setzung des Landrates v. Willich von seinen Gegnern als eine Mißbilligung seines Verhaltens ihnen gegenüber ausgcgcben und auögebeutet worden wäre, ist zweifellos. Trotzdem war die preußische Regierung weit davon ent fernt, im Falle v. Willich jene Festigkeit zu zeigen, die König Friedrich Wilhelm IÜ. bei einem ähnlichen Anlasse für geboten hielt. Zar Timploufrage. Wie unS aus Bern berichtet wird, teilt man in dortigen amtlichen Kreisen nicht die Meinung, daß die Ver tagung der Simplonkonferenz in Rom ein endgültiges Scheitern bedeute, und gibt sich vielmehr der Erwartung hin, daß die Arbeiten bald wicderaufgenvmmen und zu einem befriedigenden Resultat führe» werden. Die schweizerischen Konserenzdelegicrten sind vor einigen Tagen aus Rom zurllckgekehrt, um mit dem Bundesrat die Sachlage zu besprechen, und man hält es für möglich, daß durch diesen Gedankenaustausch der Boden für eine Verständigung gewonnen werden wird. Man beruft sich in Bern auch mit Befriedigung auf die Stimmen jener italienischen Blätter, welche sich für die Notwendigkeit eines Einverständnisses ausgesprochen haben. Bei dieser Gelegenheit weist man darauf hin, daß die Schweiz schon zu jener Zeit, als der Simplondurchstich zum ersten Male zur Sprache kam, ihre Bereitwilligkeit kundgegeben habe, auf den Wunsch der italienischen Regierung einzugehcn, daß das Südende des Tunnels auf italie nischem Gebiete zu liegen komme. Auf diese Er wägungen gestützt, gibt man sich in Bern der Hoffnung hin, daß ein Einvernehmen bald erzielt werden wird. Als ein nicht ungünstiges Symptom bezeichnet man es in Bern auch, -aß nach dem Berichte der Schweizer Dele gierten von den italienischen Delegierten bei den Ver handlungen wiederholt das Bebauern über die Schwierig keiten ausgedrückt wurde, welche durch die Bedenken des italienischen General st abs vom Stand punkte der Landesverteidigung gegen den Betrieb der 17 Kilometer langen Strecke Jsella-Domo d'Ossola auf italienischem Boden durch die Schweiz entstanden sind. Zum Beweise, daß diese Bedenken nicht stichhaltig seien, beruft man sich auf die von dem früheren italienischen Minister des Aeußern, Marquis Visconti-Be tt ost a, am 11. April 1898 dem Schweizer Gesandten, Herrn Carlin, abgegebene Erklärung folgenden Inhalts: „Was die eventnellc Ucbertragung der italienischen Kon zession an den Bund betrifft, kann die Zustimmung der königlichen Negierung von jetzt an von Ihrer Regierung als eine erteilte angesehen werden, selbstverständlich mit dem Vorbehalt, daß der Bund einfach in die Rechte und Verpflichtungen der Jura-Simplongcsellschaft, wie sie durch die Vereinbarungen derselben mit der italienischen Negierung festgesetzt wurden, eintritt." Man rechnet da her in Bern darauf, daß die Verhandlungen demnächst wieder ausgenommen und die drei Schweizer Delegierten Wcißenbach, Stockmar und Colomb, mit neuen, bestimmten Instruktionen versehen, sich bald wieder nach Rom be geben werden. Sollte aber nur Herr Wcißenbach allein nach Nom gehen, so würden die Verhandlungen auf schriftlichem Wege unter Vermittelung des Schweizer Ge sandten in Rom geführt werden. Von dem Abschluß dieser Verhandlungen hängt bekanntlich auch die Frage des Rückkaufs der I u r a - S i m p l o n b a h n im Wege der Vereinbarung ab, indem diese Angelegenheit den beiden Volksvertretungen in der Märzfcflion nicht vvrgelcgt werden könnte, wenn die Verständigung zwischen dem Bundesrat und der italienischen Regierung nicht erzielt wird. In diesem Falle würde der Rückkauf nur nach den Bestimmungen der Konzession und nur für die Linien bis Brieg erfolgen, die Linie Bricg-Zsella aber im Besitze der Jura-Simplongcsellschaft verbleiben, die dann auch fortbcstchen und alle aus der ihr erteilten Konzession für die Linie Brieg-Jsella fließenden Vorteile beziehen würde. Die Rückwanderung deutscher Kolonisten ans dem Lüdwcstgebiete Rußlands nach Deutschland nimmt einen immer größeren Umsang an. Tie preußische Ausicdelungskommission hat einen glücklichen Gedanken gehabt, als sie unter den in Rußland lebenden deutschen Kolonisten, deren Nationalgefühl in jahrhundertelangem Kampfe mit dem Panslawismus ge stählt ist, zu agitieren begann und sie zur Niederlassung in den östlichen Teilen Preußens zu bewegen suchte. Diese Bestrebungen haben offenbar Erfolg gehabt. Nach den Angaben der „Nowoje Wremja" sollen 5000 Personen aus Wolhynien im Laufe des Frühjahrs die Reise nach Deutsch land antreten. Das ist natürlich nur ein kleiner Teil, aber es werden jedenfalls noch andere Nachfolgen und die Zahl der in Rußland zurückbleibenden Kolonisten wird sich von Jahr zu Jahr vermindern. Rian kann jetzt die merkwürdige Beobachtung machen, daß die panslawistischen Blätter diesen „Auszug der Deutschen", wie sic cs nennen, unangenehm empfinden. Die „Nowoje Wremja" versichert zum Beispiel, sie würde es gerne sehen, wenn die Deutschen samt und sonders Rußland verließen, aber sie glaube nicht daran, denn die Deutschen in Rußland Hütten es so gut, wie nirgends in der Welt. Und dann sucht das Blatt den statistischen Nachweis aus der Bevölkerungssumme zu er bringen, daß immer nur verhältnismäßig wenige in Posen ein Unterkommen finden würden. Jedenfalls geht aus der Betrachtung der Wunsch hervor, die Kolonisten möch ten sich die Auswanderung doch überlegen. Aber die Sache scheint jetzt bei diesen fest beschlossen zu sein. Deutsches Reich. Berlin, 6. Februar. (Abschaffung derGerichtS- ferien.) Die Fraie der Abschaffung der Gerichts serien ist von kaufmännischer Seite erneut angeregt woiden. Auch ein Teil der Landwirte scheint geneigt zu sein, sich für sie zu interessieren. Schon früher bat ein Meinungs austausch darüber zwischen den verbündeten Regierungen statt gefunden. Es ist als sicher anuinehmen, daß dies auch jetzt wieder der Fall ist. Das Ergebnis desselben ist nvä' nicht vorauözuiehen. Inzwischen scheint eS aber nicht übelflii'siz, sich eine Reihe von Folgen klar zu machen, welche es haben würbe, wenn nach dem Wunsche der Petenten verfahren und der jetzt bestehende Zustand der GericblSferien abgcschafft werden sollte. Der letziere beruht auf einem Beschlüsse des Reichstages. Die verbündeten Regierungen batten vor geschlagen, die GerichtSjelien sechs Wochen bauern zu lassen, Feirilletsn. sj Dunkle Wege. Roman von I. v. Conring. Aawvruck v-rvvlt». Bisweilen schloß sich der alte Herr in seinem bescheide nen, fchiefwinkrigen Schlafzimmer ein und öffnete mit zitternden Händen den Schrank, in dem die sorgfältig ver packte Uniform lag. Liebkosend strich er mit der Hand über Achselstücke und Schärpe, hob die Ordensschnalle ans Licht, und wenn eine Träne auf die blitzenden Kreuze und Sterne, ans das feine Tuch des Rockes siel, murmelte er, sich seiner Schwäche schämend: „Fast vierzig Jahr hab' ich sie in Ehren getragen." Es war traurig anzusehcn, wie er sich in dem fieber haften Verlangen nach Beschäftigung in dem dürren Gärtchen abquälte. Unermüdlich lief der alte Herr mit Spaten und Gießkanne umher, bückte sich beim Pflanzen, bis ihm der Rücken schmerzte und er endlich cinsah, daß dem schlechten Boden nichts abzugewinnen war. Da gab er es auf und saß an den langen heißen Lvmmertagen, von Staubwolken, die von der Ehaiissee kamen, eingehüllt, im dürftig möblierten Zimmer, das Moltkeschc Gcncral- stabswerk auf den Knien — selbst ohne die gewohnte Ci garre, da er das Rauchen aus Sparsamkeit ganz aufge geben hatte. Konstanze sah ihn täglich so dasitzen. Alt, müde und arm an jeder -Hoffnung, so unähnlich dem, was er ge- wesen war, und ein rasendes Mitleid riß ihr am Herzen. Alles hätte sie tun und opfern können, um ein Lächeln auf sein vergrämtes Gesicht zu zaubern. Tic maß an der Tiefe Ihres eigenen Jammers sein hartes Los. So niedergeschmettert und gebrochen fühlte sic sich, wie eine müde Greisin, die an kein Aufrasfen, kein cBeflcrnng mehr denken kann. Am Tage ging sie still und wortlos einher. Tie bemühte sich, so gut eö gehen wollte, etwas Beschäfti gung im Haushalt zu finden; stundenlang spielte sie Kla vier oder las ihre alten Bücher wieder und wieder, um die endlosen, langsam dahinschlcichendcn Stunden auszu füllen. Aber eS geschah alles mechanisch, ohne Freudigkeit und ohne den Trost eines zielbcwnßten Streben». DeS Nacht» aber, wenn die Eltern zur Ruhe gegangen waren und Konstanz« au» dem Zimmer neben dem Ihren die schweren Atomzüge des schlafenden Dienstmädchens hörte, wenn sic allein war und fast unter der Bürde ihres zer störten, hoffnungslosen Lobens zufammcnbrach — dann schlich sie unerbittlich heran, die wilde, wahnsinnige Reue. Jetzt erst wußte sie, was sie Rooneck und zugleich sich selbst angetan hatte. Konstanze lag dann auf den Knien vor ihrem Bette und drückte den Kopf ins Kissen, um den lauten Aufschrei zu ersticken, der gewaltsam von ihren Lippen brach — eine Sehnsucht nach der gelicbtesten Stimme der Welt, nach seinem Blick, seinem warmen Händedruck übersiel sic, daß sie ost der Verzweiflung nahe war. Nun war alles umsonst, alles zu spät — ihre Scham und Reue brachte ihn nicht zurück. Sie hatte für ihre Treue das Opfer seiner Ueberzeugung verlangt — ihn klein und feige verlassen, als es daralif ankam, gegen die ganze Welt zu ihm zu stehen! Nun mochte sie sich damit trösten, daß sie den Geboten der Gesellschaft gehorcht und für ein Linsengericht seine Liebe, das Leben an seiner Seite verkauft hatte. Nach einer solchen Nacht erhob sich Konstanze am Morgen mit dem Entschluß, das Elternhaus zu verlassen. So ging es nicht weiter. Der Vater mußte ja einsehen, daß sie an den Rand dessen, was ein Mensch ertragen kann, gebracht worden war. Oberst von Lindow saß am Fenster auf dem gewohnten Platz. Sein Gesicht trug einen trüben, wehmütigen Ausdruck, der Konstanzc Mut machte. Lang sam trat sic näher, zog einen Stuhl heran und legte schüch tern, in sonst ungewohnter Vertraulichkeit ihre Hand auf die des Vaters- „Ich habe mit dir zu sprechen, Papa." „Nun, Konstanze? Ich höre, mein Kind!" Seine Stimme klang recht ernst, aber nicht unfreundlich, so daß sic zuversichtlicher sortfnbr: „Bitte, höre mich ruhig an. Ich komme mit einem großen Anliegen. Es auält und drückt mich über jedes Maß, daß ich hier nutzlos in den Tag hineinleben und deine Sorgen vermehren muß. Ich bin jnng und gesund nnd möchte arbeiten, meinen Lebensunterhalt selbst ver dienen, wie das unseren veränderten Verhältnissen ange messen ist." „Und wie dachtest du dir das, mein Kind?" „Laß mich nach England in eine Pensionat gehen, wo ich deutschen Unterricht geben und dafür die englische Sprache gründlich lernen kann. Oder, Fran Diering in H. sucht eine Gesellschafterin, die ihr vorlesen und mit ihr reisen soll, vielleicht würde sie mich nehmen." „Ich Litte dich, verschon« mich mit solchen unreifen Ideen. So lange ich lebe, gehörst du in mein Haus. Ich werde unter keinen Umständen dulden, daß du eine Stel lung annimmst, so lauge ich das trockne Brot für -ich habe." „Hast du denn kein Mitleid mit mir, Papa? Dies Leben erdrückt mich, ich ertrage es nicht mehr." „Es lag in deiner Hand, dein Schicksal glänzend zu ge stalten. Du hast es nicht für gut befunden. Um so unbe greiflicher ist es mir, daß du wagst, mir mit solchen Klagen zu kommen, nach all dem Unheil, das du angerichtet hast. Ich spreche heute mit dir, zum ersten und zum letzten Male, über die Sache, Konstanze, und ich möchte dir meine Mei nung nicht verhehlen. Abgesehen davon, daß du dich hinter meinem Rücken verlobtest — hättest du gegen van Harpen nicht so unüberlegt und kopflos gehandelt, würde er nicht in seiner eifersüchtigen Wut Streit mit Rooneck angefangen haben. Für mich speziell und für uns alle wären damit die Folgen, die heute so schwer auf uns liegen, vermieden morden. Ich will dich nicht in vollem Umfang für das verantwortlich machen, und was du uicht vorhersehen konntest — deinen Mangel an Offenheit mir gegenüber hast du aber jedenfalls zn vertreten und bist so mit die letzte, der es zukommt, sich als Opfer der Ver hältnisse hinzustcllen. Trage nun wenigstens mit Würde, was sich nicht ändern läßt, und verschone mich in Zu kunft mit solchen Plänen, wie du sie soeben vorgcbracht hast. Ich kann nicht darauf cingehen, oder sie auch nur ernstlich in Erwägung ziehen. Und nun verlaß mich, mein Kind. Nein, kein Wort weiter! Meine Ansichten kennst du nun und wirst dich danach richten müssen." Konstanze ging und kam nicht wieder auf ihren Wunsch zurück. Das war vorbei. — Still und blaß, mit einem gequälten Blick in den Augen, ging sie einher und ertrug deS Vaters finsteres Wesen und der Mutter Torheiten. Frau von Lindow war fast dieselbe geblieben. Alle ihre düsteren Prophezeiungen waren in Erfüllung gegangen, alle UnglückSzeichcn eingctroffen, und dieser Triumph schien ihr über das Unglück selbst Hinwegzuhelfen. Kon stanze fiel eS nur auf, daß die Mutter ganz ausgehört hatte, ihrem Gatten zu widersprechen und sich sichtlich be mühte, ihn nicht mehr zn ärgern. Sie beobachtete ihn oft mit Blicken scheuen Mitleids. Do ging der lange, heiße Sommer dahin. Kurz vor dem Manöver kam Otto. Er hatte doch, trotz aller Opfer, die für ihn gebracht waren, den Abschied nehmen müssen. Nun lungerte er, mürrisch und verdrossen, im Hause um- her, duckte sich wie ein geprügelter Hund vor dem Alten und quälte Konstanze mit seinen ewigen Klagen über Langeweile und Geldmangel. Im Herbst war es, als van Harpen plötzlich auf der Bildfläche erschien. Seine großen Jagden fanden in der Umgebung Feld bergs statt. Er lud den Obersten, als er ihm zufällig be gegnete, sofort dazu ein. Der wütende Haß gegen Rooneck, der beide beseelte, führte sie rasch zusammen. Ter Oberst lebte förmlich aus, als die Zagdcn und die darauf folgenden opulenten Diners die Einförmigkeit seines Da seins wohltätig unterbrachen. Van Harpen hielt sich, un ter allerlei Vorwänden, hünfig in Feldberg aus und er schien dann regelmäßig bei Lindoms, jedesmal vom Haus herrn freudig begrüßt, von Kouslanze mit eisiger Hössich- keit behaudett. Fast täglich kamen aus seinen Gewächs häusern Sendungen von seinem Obst nnd herrlichen Blumen. Er schickte Wild nnd Forellen, saß stundenlang als freundlicher Helfer, wenn eine hartnäckige Patience nicht aufgehcn wollte, neben Frau vou Lindow nnd fuhr sie in seiner Equipage spazieren. Gegen Konstanzc be nahm er sich äußerst taktvoll, ernst und gemessen, doch klang durch jedes Wort, das sür sie bestimmt war, von seinem früheren dreisten Werben sehr verschieden und den ver änderten Verhältnissen geschickt angcpaßt, ein Ton ehr furchtsvoller Huldiguug. Die abweisende Art, mit der Konstanzc ihm begegnete, schien ibn zu schmerzen, aber nicht zu beleidigen oder abzuschrecken. Er behandelte sic wie eine geliebte Kranke, deren Sonderbarkeiten man zartfühlend übersieht. Sie konnte nicht ganz undankbar sein, wenn sie sah, wie der alte Vater, den sie trotz allem, was zwischen ihnen lag, nicht aufhören konnte zu lieben, wieder ein wenig heiterer wurde; wenn es sich ihr aus drängte, wie van Larven kein Opfer und keine Langeweile scheute, »in den Eltern gefällig zu sein. Daß das alles um ihretwillen geschah, wußte sie recht gut. Diese stumme und doch so eindrucksvolle Huldigung verfehlte ihre Wirkung nicht ganz. Sie begann sich nach und nach auf milderen Gesinnungen gegen ihn zu ertappen — richtete hin und wieder ein Wort an ihn, nahm eine Blume an, so daß van Harpen sicher war, seinem Ziele täglich näher zn kommen. Er hätte vielleicht die reife Frucht, die ihm in den Schoß gefallen wäre, achtlos liegen lassen, das Weib aber, das sich ihm einst so hartnäckig versagt, das mit kaum verhehlter Abneigung vor Ihm zurückgewichen war, — da» reizte sein« Sinne über jedes Maß hinau». Er hätte in dieser Zeit lieber sein Leben al» die Hoffnung ge- lassen, de» stolzen, scheuen Mädchen» Widerstand -u über*
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