02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030209021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903020902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903020902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-09
- Monat1903-02
- Jahr1903
-
-
-
1008
-
1009
-
1010
-
1011
-
1012
-
1013
-
1014
-
1015
-
1016
-
1017
-
1018
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug--Preis 1» d«r Hauptexpedtttou oder deren Ausgabe- stell« abgeholt: vierteljährlich ^tl S.—, bet Pv«tmalia«r täglich«, Zust«ll»a tu» -au» 8.75. Durch dir Post vezoaea für Deutsch land u. Oesterreich vierteljährlich 4^0, fttt di« übrigeu Länder laut Z«tt»ngSpreiZltst«. Redaktion «nd Erprdittour Johannilgasse 8. Fernsprecher ISS aud st2L FUia1«»«dittv»m» r Alfred-sahn, Buchhaudlg, UutverfttätSstr.S, 8. Lösche, Katharinenstr. bä, ». Kdutg-pl. 7. Haupt-Filiale Dresden: Strehlrner Straß« 5. F«rusprrch«r Amt I Nr. 1718. Haupt-Filiale Serliu: Earl Duncker, Herzgl. Bayr. Hosbuchhaudlg, Lützowstraße 10. Fernsprecher Amt VI Nr, 4808, Abend-Ausgabe. MMgrrIaMaü Anzeiger. Amtsblatt des Aänigttchen Land- «nd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, des Rates nnd des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Auzeizou. Preis die Sgespalleue PetttzeUe LS N«tt,»«» «m« d«m AodaMou-estrtch (4 gespalten) 7S V« den Familiemmch- richt« (0g«spaÜ«) SO Tabellarischer und Ziffernsatz eutspnchend höher. — Gebühr« sttt Nachweisung« «nd Osserteuaunahu» » stxck. Porto). Srtra-Verlag« g«satzt^ »„ mit der Morg«.An»gab«, oh»e Postbesärdernug 00.—, mit Postbchürdoarug ^tl 7v<-> Auuahmrschluß tSr Rlyrige«: Sbond-Lu-gabe: lorurtttags 10 Uhr. Mor»«».A»»gab«: Nachmittag» 4 Uhr. ««zeig« sind st«t» «n di» Expedition g> Achten. Dir Erpedition ist Wochentag» mnmterbrvch« geöffnet von früh S bi« abend- 7 Uhr. Druck «ud Verlag vou L Polg i» Leidig. Nr. 72. Montag den 9. Februar 1903. S7. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, S. Februar. Sozialpolitische Wahlreden. Mit dem Eintritt in die Beratung des Etats des Reichsamts -eS Innern sind im Reichstage die Schleusen der sozialpolitischen Wahlreden geöffnet. Als greifbare Unterlagen für diese Debatte sind verschiedene Anträge gestellt. Herr Trimborn und einige andere Abgeordnete vom Zentrum haben sich mit Herrn v. Heyl und einigen anderen Nattonalltbcralen zu der Forderung eines Gesetzes vereinigt, durch das die Grenze des Schutz alters für junge Leute in Fabriken von 16 auf 18 Jahre erhöht, der Maximalarbeitstag für erwachsene Fabrik« arbeiterinnen von 11 auf 10 Stunden, an Sonn« abenden auf 9 Stunden herabgesetzt und die Mitgabe von Heimarbeit an jugendliche Arbeiter und Ar beiterinnen untersagt werden soll. Die Sozialdemo kraten verlangen ein Gesetz, durch das Betrtebsauf- sichtsbehörden zur Bewachung aller Betriebe im Ge werbe, einschließlich von Heimarbeit. Handel, Verkehr, Bergbau, Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Schiff« fahrt unter einer Rcichs-Zentral-Aufsichtsbehürde ver einigt werden. Die Aufsichtsbehörden sollen Beigeordnete erhalten, die von den Hülfspersonen aller Betriebe auf Grund eines allgemeinen gleichen und direkten Wahl rechtes zu wählen sind. Außerdem beantragen die Sozial demokraten für die Arbeiter des Gewerbe-, Industrie«, Handels- und Verkehrswesens den Mündigen Maximal arbeitstag, der innerhalb einer gesetzlich zu bestimmenden Frist auf 8 Stunden verkürzt werden soll. Der Zentrums abgeordnete Gröber bringt die Forderung der Rechts fähigkeit von BerufSveretnen auf der Grundlage deß Bürgerlichen Gesetzbuches in Erinnerung und Herr Roes icke-Dessau will den Bernfsvereinen daS Recht zuerkannt wissen, ihre Bestrebungen auch auf Verände rungen der Gesetzgebung auSznbehnen. Der letztere Bor schlag bezweckt, den Berufsvereinen eine beliebige poli tische Betätigung zu ermöglichen, ohne daß sie sich den Vorschriften für politische Vereine zu unterwerfen hätten. Zu diesen Anträgen kamen am Sonnabend nur drei Redner aus dem Hanse zum Worte. Zuerst Herr Trim- born, dann HeM Roesicke und zuletzt der Sozial demokrat Wurm. Man müßte die Tatsachen vergewal tigen, wenn man behaupten wollte, daß in der ganzen Debatte auch nur «in einziger neuer Gesichtspunkt zum Vorschein gekommen wäre. Das Interessanteste war vielleicht der Eifer, mit dem der Sozialdemokrat Wurm die von Herrn Trtmborn zur Schau getragene ' Arbeiter- freundlichkeit als bloße Wahlmache beS Zentrums zu dis kreditieren suchte, während er den Abg. Roesicke, den großen Brauindustriekönig, vollkommen ungeschoren ließ. Man sieht, die Dtenstfertigkeit, mit der die freisinnige Ber einigung sich in der Obstruktionskampagne der Sozial demokratie zur Verfügung gestellt hat, macht sich bezahlt. Freilich schlug auch Herr Roesicke in dem soztalreforme« rischen Wettrennen den ZentrumSredner um eine ganze Anzahl Pferdelängen. Es ist klar, baß, wenn sein Antrag Gesetz würde, die Sozialdemokraten sich nur ganz auf die Gewerkschaften zurückzuziehen brauchten, um der Fesseln der politischen Vereinsgesetzgebung ledig zu sein. Wie sollte man im sozialdemokratischen Lager mit einer solchen Perspektive nicht zufrieden sein? Aber überhaupt, einen Großindustriellen, der so, wie Herr Roesicke heute, seine eigenen Standesgenossen, insbesondere Len Zentralver band deutscher Industrieller, herabsetzt und schmäht, wäh rend ihm auf fetten der Arbeiter kein Wunsch zu wett geht, haben die Sozialdemokraten im Reichstage noch nicht be grüßen können. Wird nun die Sozialdemokratie ihre Bedrohung beS Roestckeschen Wahlkreises unterlassen? Herr TriMborn ging nicht so wett wie der freisinnige So- zialrcsormer, die ganze bisherige sozialpolitische Gesetz gebung nur als eine dürftige Abschlagszahlung hinzu- stellen, aber auch er war im Versprechen doch recht frei gebig. Wie viel bas dem Zentrum nützen wird, muß man abwarten. Daß die Sozialdemokraten die äußersten Anstrengungen machen, die industriellen Arbeiter vom Zentrum mit Hülfe der Brotwucherparol« abzusprengen, bewies die Wurmsche Rede. Der Bund der Landwirte, der heute im CircuS Busch in Berlin seine Generalver- sammlung abhält, wird, wenn die Mehrzahl seiner Mit glieder so gesinnt ist, wie die Führer es wünschen und durch ihre Preßorgane herbetzuführen suchen, den Regie rungen und ihren Vertretern bitterböse Dinge sagen. Am schlechtesten wird der preußische Landwirtschafts minister v. PodbtelSki wegkommen, dem die „Deutsche Agrarkorr." ausetnandersetzt, weshalb der Bund kein Ver trauen zu ihm und der ganzen preußischen Regierung haben kann. ES ist ein langes Sündenregister, das ihm von Herrn Klapper vorgehalten nnrd: Ein Mar- garinegesetzistzu stand« gekommen, das das Papier nicht wert ist, worauf es gedruckt ist: Jahrzehnte hin durch hat di« Sacch artntndustrie die Zucker herren geschädigt, und erst jetzt ist diese Gurrogattndustrie geopfert worden, nachdem sie Millionen als Entschädigung geschluckt hatte; die Einführung der Vieh- und Fleischbeschau ist sechs Jahre hindurch von der Re gierung verzögert worden; die Regierung ist mit einer ungeheueren Kanakvorlage gekommen, die not wendigen Massenarbeiten an der Oder, Warthe, Spree und Netze aber küwrmern sie nicht, und Men Klagen der Bauern an diesen Flußlctufen gegenüber hat sie taube Ohren; die Reform der Marktverwaltungen ist gescheitert, nachdem alle BerbefferungSversuche er gebnislos geblieben find; die Regierung hat die Brüs seler Zuckerkonvention unterschrieben und da mit hat sie sich von England schrecklich über das Ohr hauen lasse* — s» klagt und rügt Herr Klapper, und jedes mal stellt er Herrn v. PodbtelSki vor die furchtbare Frage: „Verdient bas Vertrauen?* Gegen den Schluß seines Artikels aber holt er zu dem gewaltigen Stretche aus: Allen berechtigten Klagen der deutschen Landwirtschaft über die durch die Gesetzgebung, insbesondere durch die Handels politik ihr zugefügten schweren Verletzungen hatte die Regie rung seit Jahren den Drost und das Versprechen entgegenge rufen : Wartet bisultimo 1V02, dann müssen, wollen und werden wir helfen! Nun: ultimo 1V02 ist vor über. Gar nichts ist geschehen! Obwohl das „neue Rüstzeug" des neuen Generaltarifs durch «ine wie stets, so auch hier willfährige Mehrheit ganz eigen» nach den Angaben und Wünschen der Regierung zurechtgeschmiedet worden ist, und obwohl dies vollkommen rechtzeitig geschah, blieb'S einfach beim Alten. An der Beurteilung dieser Tatsache kann es gar nichts ändern, daß nach unserer unter Beweis gestellten Auffassung daS neue Rüstzeug nicht» taugt. ES ist durchaus nach den Wünschen der Regierung gefertigt, sie kann daher seine Nichtbenützung keinesfalls mit der Entschuldigung erklären, daß es nichts tauge. Trotzdem ging der Kündigungstermin am 31. Dezember 1S02 unbenützt vorüber! Und nun fällt der Schlag: „Und trotzdem und alledem sollen wir doch noch Vertrauen zur Regierung haben, Herr v. Pobbielski? Ja: woher nehmen und nicht stehlen?" Daß eS dem Reichskanzler trotz seines versöhnlichen Auftretens gegen die Bttndler nicht viel besser ergehen wird, ergibt sich schon au» dem zuletzt ciöierten Satze. Zum Ueberfluffe antwortet ihm die „Deutsche TogeSztg." auf seine letzte Reichstagsrede: „Gewiß, es gibt einige Landwirte, die mit dem Bunde der Landwirte nicht einverstanden sind. Aber Graf Bülow kennt die Verhältnisse zu genau; er muß wissen, daß das nur Generale ohne Soldaten sind. Sollte er aber die Verhältnisse wirklich nicht kennen und sich dem Wahne hingeben, daß es ihm möglich sein könnte, die nach seiner Meinung soge nannten „einsichtigen Landwirte" vom Bunde der Landwirte zu trennen, so würde er bald erkennen, daß eine solche Trennung ihm selbst verzweifelt wenig nützt und dem Bunde nicht scha det. Der Bund der Landwirte wird im zweiten Jahrzehnt seine Bahn ruhig weiter gehen, unbekümmert darum, ob die Gunst der Mächtigen ihm beschieden ist oder der Sturm ihres Unwillens ihn umbraust. Er ist abgehärtet und wetterfest wie die Landwirtschaft, die er vertritt. Er hat die Zeiten über dauert, da man seine Agitation als gemeingefährlich brand markte. Er wird auch die Zeiten überdauern, da man das Tischtuch zwischen ihm und sich zu zerschneiden für angezeigt erachtet. Sicher aber wird die Zett kommen, wo man ihm offen oder doch in der Stille danken wird für die große und kraftvolle, praktische und positive Arbeit, die er geleistet hat und leisten wird mitderRegierungodergegen si e." ES ist also gar nicht unwahrscheinlich, daß heute im CircuS Busch der bekannte Satz wiederholt wird: „Die Minister können uns sonst noch waSl" Ob dann der Herr Reichskanzler aus seiner vornehmen Ruhe sich herauStreiben und sich das Messer in die Hand zwingen lassen wirb, mit dem Herr v. Pobbielski das Tischtuch zwischen sich und den Bündlorn zerschnitten hat? Zmn Handel Deutschlands mit Marokko. Man schreibt uns von oxientterter Sette: In der Nr. 56 Ihres geschätzten Blattes vom 81. Januar d. I. findet sich in einem Brief aus Tanger die Behauptung zu rückgewiesen, daß der deutsche Handel bereits den eng lischen überflügelt habe. Der Einsender gibt dann weiterhin die Größe des deutschen Handels mit Marokko in 1901 auf rund 5 Millionen Mark an. Woher diese Ziffer genommen ist, wird von dem Verfasser nicht weiter erwähnt. Der Verfasser unterläßt es aber auch weiterhin, über den Wert oder Unwert dieser Angabe Betrachtungen anzustellen. Das ist insofern bedauerlich, als man auf Grund dieser Angaben die deutschen Handelsbeziehungen unterschätzen wird. An anderer Stelle ist der Schreiber dieser Zeilen sowohl zu pessimistischen wie optimistischen Behauptungen über den deutsch-marokkanischen Handel entgegengetretcn fs. Nr. 4 -er.-Deutschen Kolonialztg."). Obenerwähnte Zahl ist, wie hier hervorgehoben sein mag, der ReichSstatistik entlehnt. Gerade die ReichSstatistik kann für eine sachgemäße Beurteilung dieser Handelsverhältnisse am wenigsten in Krage kommen. Gin großer Teil des deutschen Handels geht über Antwerpen ober Rotterdam, ein anderer Teil geht durch den Freihafen, ist Lacher für die Anschreibung verloren. Umgekehrt sind die Bezüge nicht erkennbar, wenn sie über holländische Häfen gelangen oder zuerst im Freihafen gelagert werden. An anderen Mängeln leidet die deutsche Konsulatsstatistik in Marokko. Fast gar nicht konnnt -er Postkolltverkehr zur Geltung, durch den vielfach kostbare Gold-, Silber- und Leontscke Spitzen in großen Quantitäten nach Marokko gelangen, ferner wird da- von Ma rokko gebrauchte Kriegsmaterial nicht ange- schrteben. Am brauchbarsten erscheint die Hamburger Statistik. Hiernach betrug -er deutsche Handel mit Marokko: 1901: 6,9 Millionen Mark sGesamtverkehr 85 698 Doppelzentner), 1900: 8,8 Millionen Mark s98 508 Doppel zentner), 1899: 6,8 Millionen Mark (88 441 Doppelzentner). Nach Privatnachrichten dürfte das Fahr 1902 trotz des Aufruhrs eine Hebung des deutschen Handel- auf die Höhe von 1900 gebracht haben. Was aber immer betont werden muß, ist, daß der deutsche Handel in Marokko noch großer Ausdehnung fähig ist, wenn deutsche Kaufleute und In dustrielle Unternehmungsgeist und Weite deS Blickes zeigen. Deutschland und Lie makedonische Frage. Von bestunterrichteter Seite wird uns geschrieben: Der Pariser Korrespondent der „Nowoje Wremja" verbreitet sich über das französische Gelvbuch wegen Makedoniens in einer Weise, die zu falschen Schluß folgerungen betreffs der Haltung Deutschlands zur makedonischen Krage führt und deshalb richtig gestellt werden muß. Dem genannten russischen Blatte wird nämlich u. a. geschrieben: „Wenn sich die Mächte nicht in energischer Sprache an Abdul Hamid wen den, so liegt augenscheinlich ein ernster Grund dazu vor. Einen Hinweis auf diesen Grund finden wir im Gelbbuche in der etwas dunklen Wendung beS Herrn DelcassS In seiner Depesche an Boutran vom 28. Dezember: „Aller dings müssen wir daran denken, wie schwer eS ist, die völlige Einmütigkeit der Großmächte zu erzielen." Es gibt also eine Macht, welche nicht gemeinsam mit den andern vorgeht. Welche Macht ist daS? Herr DelcassS sagt eS leider nicht. Seltsam ist eS jedoch, daß in dem Gelbbuche, in dem von Rußland, FranLretck, England und Oesterreich gesprochen wirb, kett- Wort von D e u'ks chland enthalten ist, als ob e- gar nicht auf der Wett existierte!" — Soweit der Pariser Korrespondent der „Nowoje Wremja". TS ist selbstverständlich, daß in eipem französischen Gekbbuche von französischer Sette nur auf solche Staaten Bezug genommen wirb, die mtt Frankreich über die im Gelbbuche erörterte Frage einen diplomatischen Meinungsaustausch gepflogen haben. Gin derartiger Meinungsaustausch ist in Angelegenheiten der hoh^n Politik zwischen Deutschland und Frankreich seit geraumer Zeit nicht gepflogen worden. Auch betreffs der makedoni schen Frage bestand für Deutschland kein Anlaß, diplo matische Verhandlungen mit Frankreich anzuknüpfen. Daraus darf aber nicht geschlossen werden, baß Deutsch, land sich in einer Angelegenheit vollkommen untätig ver hielt, bet welcher mit der Störung beS -ttatus quo auf der Balkanhalbinsel nnd deshalb mit einer Störung des Weltfriedens gerechnet werben muß; daraus darf ferner nicht geschlossen werben, daß Deutschlanb den Widerstand der Türket gegen die Einführung von Reformen in Make donien in irgend einer Art unterstützt. Deutschland hat vielmehr gleich nach der Rückkunft des russischen Bot schafters in Konstantinopel von Livadia die russischen Vorschläge zur Regelung der makedonischen Verhältnisse ^eniHetsn. 7, Dunkle Wege. Roman von I. p. Conring. Nachdruck vnchoten. AchtesKapitel. Einige Tage vor der Hochzeit fuhr Konstanze mit ihrer Mutter und van Harpen nach Rheinfeld. Sie hatten in der alten, lieben Garnison manches zu besorgen. Dan Harpen ivar mehrere Tage nicht in seinem Hause gewesen, in dem ein Heer von Malern und Tapezierern unter der Oberleitung eines großen Berliner Dekorateur» be- schäftigt war. Es ging van Harpen alle» nicht schnell genug, er drängte und hetzte die Leute und konnte nichts kostbar genug bekommen. Das Haus, das er Konstanze nach der Hochzeitsreise in seinem neuen Gewände -eigen wollte, sollte ihr einen fürstlichen Eindruck machen, ohne sie durch geschmacklose Ueberlabung abzustoßen. Der Berliner Künstler war oft in Verzweiflung, wenn va» Harpen alle seine Anordnungen umstieß, immer wieder linderte nnd neue Einkäufe machte, ohne die Frist bis zur Fertigstellung des Ganzen zu verlängern. Er beschloß im stillen, daß seine Forderungen den Ansprüchen des unge duldigen Bräutigams angepaßt sein sollten. In einer Konditorei auf dem Marktplatze wollte van Harpen setne Braut und ihre Mutter treffen. Frau von Lindow und Konstanze waren zuerst da. Die Damen be stellten ein Frühstück, als Konstanzr bemerkte, daß sie La» Portemonnaie bei der Schneiderin vergessen hatte: „Bleibe hier, Mama", rief sie, „ich gehe schnell hin und bin in fünf Minuten zurück." Sie verließ das HauS und stand auf dem Trottoir Rüg« in Auge mtt Slichcr. Beide erschraken. St« hatten ein ander seit dem Tage nickt mehr gesehen, als Slicher mit dem Briefe Roonccks bet Konstanze gewesen war. Kon stanze suckte vergebens nach einem unbefangenen Worte. Slicher faßte sich zuerst: „Meinen gehorsamen Glückwunsch zur Verlobung, gnädiges Fräulein." Er griff an die Mütze und wollte weiter gehen. Sie iah ihn an, mtt einem Blick, an den er später noch oft Lenke« mutzte. Ihre Lippen zitterten so, Latz sie kein Wort hervorbrachte; aber ihre Hand streckte sie aus, al» wollte sie den Freund RooneckS zurückhalten. Er blieb stehen, zum erstenmal überkam ihn eine Re gung des Mitleid» mtt ihr. „Sie wollen mir etwas sagen, gnädige» Fräulein? Ich bitte, verfügen Sie über mich." „Wo ist er?" stieß sie tonlos heraus. „Sie wissen von ihm, ich sehe eS Ihnen an." Sein Gesicht wurde auf einmal kalt und hart: „Rooneck ist in Südamerika, »r hat sich dort eine Sstanzta gekauft und arbeitet angestrengt. Bon Zett zu Zett schreibt er mir einige Zeilen. „Weiß er, daß ich . . .?" „Ich habe ihm bisher nicht davon geschrieben, gnädiges Fräulein. G» widerstand mir, ihm noch mehr Schmerz zu bereiten. Und dann — offen gestanden — die Sache er schien mir so unglaublich, daß ich meinen Augen nicht ge traut habe, als ich die Anzeige bekam. Ich konnte das Gefühl nicht lo» werden, al» sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, al» könne und müsse sich da noch etwas ändern." Sie senkte da» Haupt, tiefer und tiefer, unter dem Bann seiner klaren, ernsten Augen: ,Hch war schwach und feige, Hin eS immer gewesen", flüsterte Ne. „Selbst jetzt fehlt mir der Mut zu einem entscheidenden Schritte. Mit gebundenen Händen lasse ich mich opfern. Ach, verachten Tie mich doch, sagen Tie offen, wie sehr Sie mich verachten." „Tie tun mir furchtbar leid", sagte Slicher einfach. „Aber verstehen kann ich nicht, wte Tie bas auf sich nehmen konnten. Um so mehr, als Tie doch nur einem Druck von außen nachgegeben haben und tief unglücklich sein müssen. Weshalb ertragen Tic eine solche Lage, Fräulein von Sinbow? Werfrn Sie bi« unwürdige Kette, die man Ihnen angelegt hat, ab. Sie sind doch keine Sklavin, die gegen ihren Willen verkauft wird." „Ich habe e» für meinen Vater getan", murmelte sie. „Uud die Rücksicht auf ihn schließt mir noch jetzt den Mund. Ich kann nicht anders, jetzt kann ick nicht mehr zurück. Sie können daS ja alles nicht verstehen! Papa» Zorn hätte mich niemals dazu gebracht, niemals — aber, al» er krank war, so schwach und traurig — da habe tch ringe- willigt. Schreiben Sie Klemen» nie etwas von mir. Herr von Slicher. Ich muß für ihn tot sein — je eher er mich vergißt, desto besser ist e». Umsomehr, al» ich seiner nie wert gewesen bin. Ueberlassen Tie mich meinem Schicksal — Vielleicht ift e» barmherziger, al» wir fetzt glauben." Sie folgte feinem Blick — sah, baß van Harpen die Straße herab kam und wendete sich zum Gehen. „Hast du dein Portemonnaie gefunden?" fragte Frau von Lindow. Konstanze antwortete nicht, sie sah furcht bar blaß aus und ihre Lippen zitterten. Ban Harpen be obachtete sie scharf. Gr hatte Slicher gesehen und konnte sich denken, von wem die Beiden gesprochen hatten. Doch war er zu vorsichtig, um irgend eine Bemerkung zu machen. Gr fürchtete nichts mehr, als daß Konstanze eine Aussprache herbeiführen könne. Der Hochzeitstag brach an. Trübrötlicher Schein im Osten verkündete den Morgen. Der heulende Nordwest sauste um die Ecken, trieb flatternde Rauchwolken in den Kamin zurück, knallte mit losgerissenen Fensterläden und rüttelte an Türen und Toren, wie eine greifende Menschenhand. Der nrit Regen vermischte Schnee klatschte gegen die Scheiben, fiel in großen Flocken aufs Pflaster und zerschmolz zu unergründlichem Schlamm, -er alle Un ebenheiten glatt und grau zudeckte. Die Dächer trieften, aus den Rinnen quoll eS gurgelnd, in dicken, trüben Strömen. Eilig hasteten die wenigen Menschen, deren Be ruf sie auf die Straße trieb, vorüber — Bäckerjungen, Milchfrauen, ZeitungSträaer, alle durchnäßt, mit blau gefrorenen Wangen, mühsam gegen den Sturm an kämpfend, oder von ihm mtt unwiderstechlicher Gewalt vorwärts getrieben. Konstanze stand am Fenster und sah in da» Unwetter hinaus. Vielleicht, dachte sie, würde ein wenig Sonnen schein ihr den Mut gegobcn haben, dessen sie so sehr be durfte. Aber, so sehnsüchtig sie auch nach oben blickte, die Wolken, die, in große, nasse Ketzen zerrissen, am grauen Himmel bahtnjagten, ließen keinen freundlichen Strahl Lurch ihre dichten Schleier dringen. ES war, als gäbe es gar keine Sonne mehr, als würde sie nie wieder neckisch durch tiefgrün-es Laub blitzen, auf wogende Kornfelder glühend htnabscngen, oder im Abendrot die friedliche Landschaft vergolden. Da» einsame Mädchen ah mit tränenlosen Augen em por. Eine wilde Angst, L e ihr würgend an die Kehle griff, hatte ste erfaßt, jetzt n letzter Stunde, vor dem Un widerruflichen, das sie zu tun im Begriff stand. DaS tief Unsittliche einer solchen Ehe, mochte ste tausendmal aus den edelsten Beweggründen darin einaavilliat haben, fiel in Lieser Stunde mit Zentnerlast auf ihr Gewissen. Das hatte si« nicht gedurft, da» nicht! Nicht L«, «eltebten »er- lassen und dann noch, La» Geschehene tausendmal über trumpfend, seinem Todfeinde die Hand reichen, weil es ihn an Mut zu einem ehrlichen und festen Nein gebrach. Und welchem Schicksal ging sie jetzt entgegen? Schauer Merriesickten sie, wenn sie sich als van HarpenS Gattin dachte. Er war ihr in tiefster Seele zuwider. Sie verabscheute sein regel mäßiges, starres Gesicht, setne etwas hervvrtretenden wasscrblauen Augen, die beginnende Glatze im rotblonden Haar, seine sehr gepflegten, aber imnrer feuchten Hände, sein lautloses Lachen, das starke, weiße Zähne entblößte. An diesen Mann, dessen Händedrnck ihr schon Unbehagen verursachte, würden die Gesetze des Staats und der Kirche sic in wenigen Stunden fesseln, untrennbar, unrettbar, wie den Galeerensklaven, der an seinen Mitgefangenen ge kettet ist — lebenslang — erbarmungslos! Gab eö denn keine Rettung mehr, keine, jetzt, ehe der letzte unwiderrufliche Schritt getan war? Wie im Fieber schüttelte sich das Mädchen. Ja, ein Weg bliob ihr offen; sie kannte ihn recht gut, aber, im tiefsten Herzen, uncin- gesianden, wußte sie auch, dass sie ihn nicht gehen würde. Sie mußte vor den Vater hintrctcn, ihm offen sagen: ich kann mein Wort nicht halten, ich will eS nicht. Und die Folgen meines Tuns sollen mir zur Last fallen. Der bloße Gedanke an den rasenden ZorneSauSbrnch des Alten, der diesem Geständnisse folgen, der den kaum Genesenden unfehlbar wieder aufs Krankenlager werfen mußte, genügte, um sie erbleiche» zu lassen. Wenn sie trotzdem an ihrer Weigerung festhielt, die Folgen riskierte — war dann nicht das Leben im Vaterhause, unter solchen Verhältnissen, schlimmer, als aller Schrecken, dem sie jetzt entgegenging? Wie eine Verfehmte würbe sie sich unter die brutale Han- -es Vater», den Bovwürsen und Klagen der Mutter beugen müssen. Nein, das nicht; das war undenkbar, unmöglich! Aber sie konnte das Vater haus verlassen, fortgehen — jetzt auf der Stelle, ehe das schlafende HauS erwachte, ehe die Kirchrnglocken für die todblasse Braut läuteten, ehe der Ring an ihre wider strebende Hand gezwungen wurde! Fortgehen, auf eige- nen Füßen stehen, selbstverdiente» Brot essen und sich aben-S todmüde, aber frei an Leib und Seele, aufs Lager legen dürfen! Ach, eine solche Flucht, die war für die Starken, Mu tigen, die den Kampf mit des Leben» rätselvoller Sphinx still und gefaßt aufnehmen, die von ihr besiegt und zer fleischt, äoer nicht -e-eugt «erden könne». Konstanz« wußte recht gut, Laß sie tn solchem Ringen waffenlos da»
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht