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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030212028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903021202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903021202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-12
- Monat1903-02
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Bei einer solchen Nähe des Wahl- ternckns ist natürlich eine Ausdehnung der Session über Ostern hinaus ganz unmöglich. Und wenn der Reichs tag bis dahin den Etat erledigt, so leistet er bei seiner Natur schon Erkleckliches. Alle größeren, noch in Aussicht stehenden oder der Erledigung harrenden Gesetzentwürfe müssen, wie wir gleichfalls vorausgcsagt haben, „unter den Tisch" fallen, leider auch das Krankenversicherungs gesetz und die kaufmännischen Schiedsge richte. Ja, wenn die Herren Reichsboten sich dazu aufraffen könnten, jeden Tag in beschlußfähiger Zahl zu erscheinen, so ließe sich allenfalls an die Erledi gung dieser dringlichen Gesetze denken. Aber das hohe Haus verurteilt sich selbst durch seine Beschlußunfähigkcit zur Ohnmacht. Es muß den ungeheuren Redeschwall der sozialdemokratischen Sprecher über sich ergehen lassen, ohne den Schluß der Debatte herbciführen zu können. Die im Seniorenkonvent an die Vertreter der einzelnen Parteien gerichtete Mahnung dos Grafen Ballestrcm, da hin zu wirken, daß die Abgeordneten sich möglichst kurz fassen möchten, beantwortete denn auch im Plenum der Sozialdemokrat Hoch mit einer 2l4stündigcn schreien den Rede, die jedoch nur die Wirkung ausübte, daß das Haus sich völlig leerte. Sie wird in den nächsten Tagen als Broschüre durch das Land gehen. Um so mehr wäre cs zu wünschen, daß das Gleiche mit der gestrigen Rede des Abg. vr. Paa sche geschähe, die in Bezug auf die Sozialreform das Maß des Erreichbaren und Möglichen feststellte. Die Abrechnung des nationaldibcralcn Red ners mit den Sozialdemokraten war eine so gründliche, daß diese selbst sich dem Eindrücke der schlagenden Be weise für ihre Heuchelei und verleumderische Herab ziehung und Verhöhnung der sozialpolitischen Gesetz gebung nicht zu entziehen vermochten. Wie gewissenlos die sozialdemokratische Presse, insonderheit der „Vor wärts", durch Verächtlichmachung von Arbeiterwohl- fahrtseinrichtungcn umgeht, um die Arbeiterwelt ab sichtlich zu täuschen, konnte Abg. Paasche an der Hand des wirklich wahrheitsgemäßen statistischen Materials über die Wohlfahrtseinrichtungen der Firma Krupp belegen. Seinen überzeugenden Ausführungen zollte das Haus, abgesehen von den Sozialdemokraten, einmütigen Bei fall. Zu vorgerückter Stunde sprachen dann noch vor kaum 20 anwesenden Mitgliedern des Hanfes die Abgg. Müller-Meiningen, v. W a l d o w-Rcitzcnstein und Schrader. — Die Sitzungen sollen nun stets bis 7 Uhr ausgedehnt werden. Diese Ausdehnung scheint uns aber nur günstig für die Dauerredner zu sein. Vor 18 Ab geordneten setzte endlich der Präsident die Tagesordnung für heute fest: Fortsetzung der gestrigen Beratung. Zu der am Sonnabend begonnenen allgemeinen sozialpoli tischen Debatte sind noch ungefähr zwei Dutzend Redner gemeldet! Es wäre Zeit, daß ein beschlußfähiges Haus wieder einmal gründlich aufräumte. Zur deutschen Kartcllenquete. Am 26. d. M. beginnen die kontradiktorischen Ver handlungen über die Verhältnisse und die Wirksamkeit einer Reihe von wichtigen Kartellen. Im Hinblick hierauf untersucht Professor Ur. Francke in der „Sozialen Praxis" die Vorbedingungen, die für das Gelingen solcher umfassender Erhebungen unerläßlich sind. Dahin gehört zunächst die Leitung der Verhandlungen und die Befragung in den Vernehmungen durch hervorragende Sachverständige. Dieses Er fordernis sieht Francke für die deutsche Kartellenguete als gesichert an. Die wissenschaftliche Erforschung der ein schlägigen Kragen, ihre Erörterung in den Parlamenten und der Publizistik, ihre Beachtung an amtlichen Stellen, denen reiche Materialsammlungen zu Gebote stehen, haben den zur Führung der Enquete berufenen Beamten die nötige Sachkenntnis verschafft. Im Laufe der Unter suchung wird sich vielleicht für gewisse Gebiete die Heran ziehung von Spezialkenncrn empfehlen. Auch der Fragebogen erscheint Francke als geschickt entworfen und ziemlich vollständig: außerdem sind Unterfragen zu lässig. Ein zweites Hauptcrsordernis für eine erfolgreiche Enquete erblickt Francke in ihrer Oeffentlichkeit. Nur wenn die Möglichkeit gegeben sei, durch die Teilnahme weitester Kreise eine Korrektur der Verhandlungen zu erzielen, sei es möglich, die objektive Wahrheit in ihrem ganzen Umfange festzustellen. Der Enqueteplan der Re gierung erfüllt diese Forderung nur zum Teil. Die Vcr- handlurtgen selbst sind nicht öffentlich, den Teilnehmern wird Stillschweigen gegenüber der Presse auferlegt, da gegen soll der „Rcichsauzciger" das stenographische Proto koll unter Weglassung der von den Auskunftspersonen als vertraulich bezeichneten Stellen veröffentlichen. Francke warnt vor einer allzu weit gehenden Auslegung des Be griffes „vertraulich", damit nicht wesentliche Stücke der Ermittlungen in den Brunnen fallen. In England und Amerika hat die Oeffentlichkeit des Verfahrens keine Nachteile gebracht. Ein Fortschritt gegen früher ist immerhin die Veröffentlichung der stenographischen Pro tokolle im „Neichsanzeiger". Die Form der kontra diktorischen Verhandlung wird von Francke als eine für derartige Erhebungen gut bewährte begrüßt. Doch wendet er ein, man müsse auch hier damit rechnen, daß es menschlich sei, über manche Dinge, die dem einen zum Vorteil, dem andern zum Nachteil gereichen, den Schleier des Schweigens zu breiten. Das eröffnet die Möglichkeit einer Unvollständigkeit der Untersuchungen und somit die Gefahr fehlerhafter Ergebnisse. Darum bedauert Francke, daß die von kundiger Seite gegebene Anregung, die ganze Kartellenguete auf den Boden eines Gesetzes zn stellen, das auch die Befugnis zier zwangs weisen Vorladung und zur Auflegung eidlicher Aussagen enthält, bei den Regierungen keine Beachtung gefunden hat. Dies Versäumnis bedauert Francke insbesondere wegen der leidenschaftlichen und gehässigen Angriffe, die unbedingte Kartellsrcunde gegen objektivere Beurteiler der Kartelle, zu denen Herr v. Nottenburg gehört, ge richtet haben. In dieser Beziehung wirft Francke die Frage auf, ob nicht schon mit dem Vorgehen gegen Herrn v. Rottenburg von den unbedingten Kartellfreunden ein Warnungszcichen aufgerichtet sei. Gerade der fragliche Vorgang und die aus ihm abzuleitenden Schluß folgerungen hätten die Regierung veranlassen sollen, zum Schlitze der Auskunftspersonen, zur Erlangung rückhalt loser Angaben, zur Sicherung des Endzweckes der ganzen Enquete einen festen gesetzlichen Boden zu errichten, auf dem der Zeuge vor Gericht, gegen Beeinflussung und schlimme Folgen seiner Aussage von der starken Hand des Staates geschützt wird. Der deutsche Gesandte in Athen. Graf v. PlessewCronstern ist, wie wir gemeldet haben, zum Nachfolger des preußischen Gesandten in Stuttgart, v. Derenthall, bestimmt. Der „Voss. Ztg.". wird aus Athen über die Abberufung des Grafen v. Plessen ge schrieben: In den nächsten Tagen wird der bisherige deutsche Gesandte Graf v. Plessen-Cronstern Athen ver lassen. Sein Scheiden wird von der zahlreichen deutschen Kolonie in der griechischen Hauptstadt mit lebhaftem Be dauern begleitet. Graf Plessen hat es während seines nahezu neunjährigen Aufenthaltes in Athen verstanden, die guten Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und Griechenland aufrecht zu erhalten: er hat häufig genug Gelegenheit gehabt, durch persönliche Einwirkung dazu beizutragen, daß Perioden stürmischer Erregung gegen deutsche Politik und deutsche Untertanen ohne bemerkens werte Folgen vorübergingen. Noch sind frisch in aller Erinnerung die Tage des griechisch-türkischen Krieges, wo es gar manchem Deutschen schwer geworden ist, sein Deutschtum zu vertreten, und die Vorgänge anläßlich der „Loreley"-Angelcgenheit: stets war der Gesandte be flissen, die bei dem leicht erregbaren griechischen Volke hochgehendcn Wogen der Entrüstung zu besänftigen. Die griechische Zeitung ,Hestia" hat Gelegenheit genommen, den scheidenden Gesandten über seine Eindrücke von Griechenland zu befragen. Wie natürlich, mußte Graf Plessen dem schönen Klima Griechenlands und dem guten Willen der Bewohner, vorwärts zu kommen im Knltur- und Wirtschaftsleben, volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Hinsichtlich der Politik konnte er jedoch dem zu einem Zerrbild heruntergearbeitetcn Parlamentarismus keine Billigung aussprechen. Er äußerte sich wörtlich: „Ihr Griechen politisiert viel, vielleicht mehr als nötig ist. Ihr habt ferner den Fehler der persönlichen Par teien: eine Folge derselben ist die von den Parteiführern empfundene Verpflichtung, ihren Wählern — so lange sie außerhalb der Regierung sind — übermäßige und un ausführbare Versprechungen zu machen. Haben sie jedoch das Staatsruder wieder in der Hand, so schaffen sie eine Menge von Unzufriedenheit: denn natürlicherweise können sie nicht alle ihre Versprechungen halten und gehen daher bald ihres Amtes verlustig." Der Gesandte faßte seine guten Wünsche für Griechenland in die Worte zusammen: Mehr Prinzipienpolitik, viel weniger Per sonenpolitik, oder besser gesagt eine Politik fester und un veränderter Prinzipien und keine Parteien, für die als Aushängeschild nur die Namen ihrer Führer dienen. Leider wird es noch lange Zeit dauern, ehe sich das griechische Volk zu dieser Erkenntnis durchringt und dem entsprechend handelt. Zum russisch-englischen Gegensätze in Persien. In England hat es lebhafte Mißstimmung hervor gerufen, daß an demselben Tage, an dem eine außer ordentliche englische Gesandtschaft dem Schah von Persien den höchsten Orden der britischen Krone über reichte. in Petersburg die Grundzüge eines neuen russisch-persischen Handelsvertrages ver öffentlicht wurden. Am deutlichsten kommt die englische Mißstimmung in einem langen Artikel der „Times" zum Ausdruck. Das genannte Londoner Blatt benützt das Zusammentreffen der eben angeführten beiden Vor gänge, um mit allem Nachdruck auf die Wichtigkeit der englischen Interessen in Persien hinzuweisen und das Londoner Kabinett zur lebhaftesten Tätigkeit behufs Wah rung dieser Interessen anzuspornen. Liegt hierin bet einem englischen Blatte nichts Auffälliges, so muß ander seits die Leidenschaftlichkeit des Tones Aufmerksamkeit er regen, mit dem die „Times" das Vorrecht Großbritan niens auf eine überragende politische Stellung in Persien gegenüber Rußland verfechten. In dieser Beziehung schreiben die „Times" u. a.: „Etwas mehr als die Abordnung von Komplimentier-Ge sandtschaften nach Teheran wird nötig sein, wenn wir, so lange es noch Zeit ist, unseren Besitz in den Teilen des persischen Reiches festhalten wollen, in denen wir den überwiegenden Ein fluß irgend einer europäischen Macht sicher nicht ertragen können. Unser Spezial-Korrespondent hat mit beträchtlicher Ausführlichkeit die Anstrengungen geschildert, die Rußland im Begriffe steht zu machen, um einen derartigen Einfluß gegen den persischen Golf hin und in der Provinz Seistan auszuüben. Das sind gerade die Gegenden, von denen Lord Cranborne vor einem Jahre unter warmer Zustimmung beider Seiten des Unterhauses erklärte, daß wir unsere Rechte und unsere über legene Position nicht aufgeben könnten. Diese Erklärung ist ihrem ganzen Inhalte nach sehr befriedigend; aber dem Publi kum, bilden wir uns ein, wird mehr durch die Mitteilung der praktischen Schritte gedient sein, die ergriffen worden sind, ihr Wirkung zu verleihen. Die Briefe unseres Spezial-Kor respondenten aber sind im Gegenteil eine lange Aufzählung des russischen Fortschrittes und der britischen Tatlosigkeit, ausge nommen den Bau der Quetta-Seistan-Linie durch die indische Regierung . . . Das Beispiel der Mandschurei sollte uns als eine überzeugende Tatsachcn-Lehre dafür dienen, daß wir uns nicht auf den berühmten Notenaustausch mit Rußland vom Jahre 1888 verlassen können, um unser indisches Reich und unsere ganze Stellung im fernen Osten vor den Gefahren zu schützen, die mit dem russischen Vorrücken in den südlichen Pro vinzen Persiens unzertrennlich sind, wenn Rußland glaubt, daß die Stunde dafür gekommen ist. Rußlands Diplomatie wird es nicht schwer sein, die wirkliche Natur des Unternehmens unter einigen angenehmen Phrasen zu verbergen, und wenn der Schritt getan und Indien für einen Flankenangriff offen gelegt ist, wird es eine dürftige Genugtuung für uns sein, unsere eigene Unentschiedenheit zu beklagen und die Treulosigkeit unserer Nebenbuhler anzuklagen." ' Das ist wahrlich eine sehr scharfe Sprache, die hier von dem Cityblatt geführt wird. Der Geist, der daraus spricht, und die Tatsachen, auf die damit hingewiesen wirb, mögen den phantasievollen englischen He rolden eines Bündnisses zwischen Groß britannien und Rußland unangenehm genug erscheinen. Feuilleton. 101 Dunkle Wege. Roman von I. v. Conring. Viawcruck verbot«!. „Ich bin da, Herr Doktor", sagte Konstanze, die plötzlich atemlos vor ihm stand. Abseits im Zimmer herrschte ein trübes Halbdunkel. Auf dem breiten Bette lag van Har pen nnt dunkel gerötetem Antlitz und verbundener Stirn, augenscheinlich völlig bewußtlos. .Constanze machte ein paar Schritte ins Zimmer hinein. Mit ungewissen Blicken sah sie auf das zweite Hausmädchen, das, die Schürze vor den Augen, weinend dastand, dann auf den Arzt, der, wie unter dem Druck einer gewissen Verlegenheit, langsam näher trat. „(Sehen Sie hinaus", befahl er dem Mädchen, und, sich zu Konstanze herabbeugend, fuhr er fort: „Schlimme Heimkehr, liebe gnädige Frau! Der Herr Gemahl hat sich verletzt! Beim Reinigen eines Revolvers — wie ich höre! Und außerdem . . ." „Ist Gefahr vorhanden? Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit." Der Doktor zuckte die Achseln: „Die Verwundung ist nicht lebensgefährlich — aber Sie wissen, Herr van Harpen hat seit langer Zeit ein bißchen unregelmäßig gelebt — heute nachmittag noch eine ganze Flasche schweren Wein getrunken — das gibt dann leicht Komplikationen. Ich habe heute morgen schon einen Kollegen mitgebracht — er war auch soeben mit mir hier — der war ganz meiner Meinung. Es läßt sich augenblicklich nicht viel tun. Der Kranke hat ja eine Riesennatur — wir wollen hoffen, daß er sich durchreißt! Vor allem müssen wir für tüchtige Pflege sorgen. Ich hoffe, Ihnen morgen früh einen tüchtigen Krankenwärter verschaffen zu können. Und in dieser Nacht. . ." „Ich werde selbst wachen, Herr Doktor." Der Arzt sah ihr besorgt in das todblasse Gesicht. „Aber nicht allein, gnädige Fran. Der Kranke wird phantasieren, vielleicht sehr unruhig werden. Das ist nichts für Sie. Nehmen Sie wenigstens den Bedienten zu Hülfe." „Den nicht! Dann lieber den Kutscher." „Wie Sie wollen! Nur, daß Sie mit dem Kranken nicht allein bleiben. Die EiSumschläge sind unausgesetzt zu erneuern. Die Arznei wirb gegeben, sobald Herr van Harpen anfängt unruhig zu werben. Ich glaube nicht, baß der Zustand momentaner Ruhe, in dem er sich jetzt befin-Lt, lange anhalten wird. Um diese Tageszeit pflegt das Fieber zu steigen. Ich bitte, daß alle zwei Stunden die Temperatur gemessen wird. Gegen Morgen komme ich wieder. Wenn Sie meine Gegenwart vorher wünschen, bitte ich zu telephonieren. Behalten Sie Mut, liebe gnä dige Frau, und vor allem, bewahren Sie Ihre Rnhc und Fassung." Der Doktor trat noch einmal zu dem Kranken und fühlte den Puls. Dann nahm er Konstanzens Hand und sah sie besorgt an: „Es wird Ihnen zu viel? Der Schreck hat Sie über wältigt. Gehen Sie lieber in Ihr Zimmer. Ich werde die Leute unterweisen, dann ist Ihre Gegenwart hier schließlich auch nicht absolut notwendig." „Davon kann nicht die Rede sein. Es ist meine Pflicht, bei meinem Manne zu bleiben." Aber in ihre Augen trat ein angstvolles Flehen. „Sie verbergen mir etwas, Herr Doktor, wie konnte so ein Unfall geschehen?" „Ich weiß nichts Näheres darüber! Als ich geholt wurde, war Ihr Ostrttc bei voller Besinnung, nur sehr schwach, und er sagte mir, der Unfall sei ihm zugestoßen, als er den Revolver reinigen wollte." „Und weiter wissen Sie nichts?" „Nein, gnädige Fran." Der Doktor machte ein paar Schritte nach der Tür und kam dann schnell zurück: „Erfahren müssen Sie es doch, und besser von mir, als von den Dienstboten: Herr van Harpen hat gestern den Konkurs angemeldet!" Konstanze starrte ihn ungläubig an: „Das ist nicht möglich, das kann nicht sein! Und dann, dann hat mein Mann deshalb ....?" „Bitte, gnädige Frau, wir wollen nicht weiter auf Vermutungen eingehen' Der Schmerkranke bedarf sorg fältigster Pflege, und dazu gehört vor allem, daß Sic den Kopf oben behalten. Sic werden morgen jedenfalls alles Nähere erfahren. Der Prokurist Ihres Gatten ist ja im Hause und wohl vollkommen orientiert. An Ihnen ist es, Kräfte für die Aufgabe, die vor Ihnen liegt, zu sammeln. Ich fürchte, daß diese Nacht starke Anforderungen an Ihre Ruhe und Besonnenheit stellen wird: wir wollen deshalb alle aufregenden Ge spräche vermeiden. Gott bekohlen, gnädige Frau! Ich bitte, verfügen Tie jederzeit über mich." Er ging zögernd, als warte er darauf, zurückgehalten zu werden. Korckianze aber sprach kein Wort. Ihre Hände hingen schlaff an den Seiten herab — den müden, trostlosen Blick hestete sie aus da» stebergkühende Antlitz ihres Mannes. Es schien, als fühle der Kranke ihre Nähe. Er begann unruhig zu werden. Mit der Rechten griff er nach dem Verbände an der Schläfe. Konstanz«: mar sofort neben ihm und hielt seine Hand fest: „Ruhig, Geert, das darfst du nicht! Liege still!" Er sah aus, augenscheinlich ohne Konstanze zu er kennen, und gehorchte. Konstanze drückte auf den Knopf der Klingel und befahl, daß man nach Hinkelbcin senden solle. Sie wollte Kurt nicht allein lassen, da sie seine Gewitterfurcht kannte. Dann ließ sie den Kutscher herauf kommen: „Wollen Sie die Nacht über mit mir Oei dem Herrn bleiben, Matthias?" Der junge Mensch sah sie mit Hellen Augen an: „Gerne, wenn ich der gnädigen Frau was helfen kann!" Die Stunden verrannen. Unablässig wechselte Kon stanze die Eisumschlüae. Der Kranke wurde immer un ruhiger. Bisweilen konnte ihn Matthias kaum im Bette halten. Er machte immerfort den Versuch, auszustchcn, wollte hinunter auf die Straße, auf den Bahnhof. Der riesige Körper, dem das Fieber neue Kraft verlieh, wehrte sich gegen den Zwang. Nach einigen Stunden war Matthias nicht mehr im stände, -en Kranken zu bändigen. Karl und der Gärtner mußten geholt werden und die drei Männer konnten kaum mit ihm fertig werden. Dazu rollte unablässig der Donner. Das Gewitter konnte nicht über den See: immer von neuem kam eS zurück, mit lohenden Blitzen, die blau und schiveselgelb, von prasselndem Krachen begleitet, herniederzuckten, mit Regenfluten, die an die Fensterscheiben wie eine Flutwelle klatschten. Der wilde Aufruhr der Natur machte den Kranken noch unruhiger. Es schien, als teilte sich die elektrische Spannung der Atmo sphäre ihm mit. Er schrie und raste, schlug wild um sich und versuchte immer wieder, den Verband abzureißen. Nach und nach begann er deutlicher zu sprechen. Allerlei Klagen über Konstanze und Perrien, dann alte, längst ver gessene Geschichten fielen ihm ein und schienen ihn, wie finstere Gespenster, zu ängstigen und zu quälen. Und anderes noch kam Uber die trockenen, von der Glut des Fiebers aufgesprungenen Lippen — vor den Dienstboten mußte Konstanze hören, daß sie seit Jahren eine betrogene Frau gewesen war. Daß der Mann dort hinter ihrem Rücken das schmutzigste Leben geführt, sie ohne Reue, ohne Scham tausendmal hintergangen hatte! Sie hielt ans mit dem Mute einer Märtyrerin. Mit automatischer Gewissenhaftigkeit legte sie die Umschläge auf die Stirn de» Kranken, maß und notierte seine Tempera- tur, reichte ihm Arznei und kühlenden Trank. Gegen Morgen ließ die Gewalt des Fiebers nach. Erschöpft, einer Leiche ähnlich, fiel van Harpen in die Kissen zurück und schloß die Augen. Die Leute entfernten sich auf Kon stanzes Wink, um noch etwas von der verlorenen Nacht ruhe nachzuholen. Sie selbst stand am Fenstxr im grauen Morgenlicht und sah in den flutenden Regen hinaus. Wie tot und erstorben war alles in ihr! Nur eine tödliche Bitterkeit war wie ein schaler Bodensatz in dem geleerten Becher ihres Lebens übrig geblieben. Das hatte sic ein getauscht, als sie Klemens verließ! Draußen flutete und strömte es, als wollte der Regen den letzten Rest des Som mers vernichten und zerstören, nm vereint mit Schnee und Sturm das Regiment anzutrctcn, lange, trostlose Monate hindurch! Kreischend flogen die Krähen von den fast kahlen Aesten auf; sie schüttelten das Wasser von dem grau schwarzen Gefieder und erhoben sich, ein düsterer Schwarm, in die Lüfte! Wie furchtbar traurig und tot das alles aussah! So hoffnungslos, als sei auch die Lonne gestorben. Und gestern um diese Zeit noch legte sic breite, goldene Streifen auf das unruhige Meer, streute Mil lionen von Funken verschwenderisch über die blaue Flut und färbte das leuchtend weiße Gefieder der Möwen, die lustig schreiend über den Schaum der Wogcnkänmrc dahin tanzten, mit rosiger Glut! Elftes Kapitel. Der Doktor öffnete vorsichtig, um dcu leichten Schlummer des Kranken nicht zu stören, die Tür. Er faßte nach dem Puls vau Harpens und überflog mit ge übtem Blick die Tempcraturtabclle. Dann winkte er Konstanze ins Nebenzimmer und ließ sich genau Bericht erstatten. „Hoffentlich sind mir über das Schlimmste hinaus', sagte er, zufrieden nickend. „Ich erwarte, daß es bei der guten Pflege, die der Kranke genießt, jetzt rasch vorwärts gehen wird. Einen Wärter hab' ich mitgebracht, der sein Amt gleich antretcn kann. Zur Nacht muß ihm, wenn cS nötig sein sollte, wilder der Kutscher helfen. Ihnen, gnädige Frau, erlaube ich keine Wache mehr. Sic sind, das sehe ich, ohne daß Sie cs mir sagen, mit Ihren Kräften zu Ende. Sic werden jetzt tüchtig frühstücken, dann sofort zu Bette gehen, nm zu schlafen, und zwar stundenlang. Am Nachmittag übernehmen Sie die Pflege und bei ein tretender Nacht gehen Sie zur Ruhe." „Herr Doktor, lassen Sie mich hier, ich kann doch nicht schlafen." „Bitte, gnädige Frau, kein Wort weiter! Eß muß bei meiner Anordnung bleiben. Aus den Wärter könne«
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