02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030216023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903021602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903021602
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-16
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Gez«g-.Prei- i» der Hanpterpedttto» oder deren Allsgabe- stell», ab geholt: vierteltützttich ».—, bet »weimattaer täglicher Zustell,,a t»s Hau- S.7L. Dvrch dt« Post bezvaea für Deutsch, land ». Oesterreich vierteljährlich -.80, für bi» ttbrtge» Länder laut Zetümg-prei-ttst«. Nriakttlm «nd (krveditiour Boha»«i-gnfft 8. Fernsprecher iss und sss. Filta1o»P«-tti»i»o« r Alfred Hahn, Puchtzaudl,, llntverfitSISstr.S, R. Eöschch K-thari»e»ftr. Ü, ». KöaigSpl. 7. Hllupt-^tiale Vresstr«: Strehlen er Straß« S. Fencherrcher Am» 1 Nr. 1718. HaÄ-t-Male Serlia: Carl Duncker, Herzgl. Bayr. -osbuchhaadlg., Lsttzmostratze 10. Fernsprecher Lott Tl Nr --0L AVend-Ausgabr. KiWM.TagMM Anzeiger. ÄmtsAatt des Königlichen Land- nnd des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Nates nnd des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeige« »Pret- die 6 gespaltene Petitzeile LS LH. N«n««e» «tt« de» RrdaMon-ftttch (t gespalten) 78 vor den Familtenaach richten (tzgespaltt») 80 LH. Tabellarischer «ch Zifferasatz «kstnechnch höher. — Gebühre« für Nachweisungen mch Ossertenaanahm« L8 LH (exct. Porto). Ertra-Beilagen gefalzt), nur mV der Morgen-Au-aabe, ohne ftostbttördenmg 30.—, nit stchtbesörderimg -V.—. Annahme sch ln ß iRr A^ei-on « Lend-«ll-gabe r -ormittag« kV Ust» Morgen-La-gabe, «nchattttoq- 4 Ust» Anzeigen sind stet» an dt» Expedition zu richte«. Die Expedition ist Wochentag- annoterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend- 7 Uhr. Druck und Verlag von E, Pol» in Leipzig. Nr. 85. Montag den 16. Februar 1903. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, l«. Februar. NeichstagS-Mtsdre. ,E- geht da« Gerücht" — so telegraphierte am Sonn abend abend ein Berliner Mitarbeiter der Münchener „Allgem. Zig." diesem Blatte—, «daß im Reichstage zur Zeit der Etat de» ReichSamtS des Innern berate« werbe. Da- Gerücht schreibt sich Wahlschein» sich davon her, daß die gedruckte Tagesordnung diese Meiimng z« bestätigen scheint. Indessen mutz auf da« bündigste versichert werden, daß diese Behaup- tang trotzdem auf Täuschung beruht. Wenn noch die mittelalterliche Sitte der Eide-Helfer bestände, so würde man da- mit etwa 50 Eide-Helfern beschworen können. So viel« Personen sind nämlich höchsten- >m Saale an wesend, wobei freilich die Saaldiener mitgerechnet werden müssen. Aber da- könnt« mit einem gewissen Rechte ge- scheheu, denn die Diener sind anscheinend die einzigen, die den seweiligen Rednern eine gewisse Aufmerksamkeit schenken. Glücklicherweise sind auf den Tribünen, obwohl sie schwach besetzt sind, ungefähr doppelt so viel Personen al« unten im Saal, so daß auch von dieser Seite die Tat sache bestätigt werden konnte, daß vom Etat nicht gesprochen wird. Dafür wird da- weit ausgedehnte Gebiet der Sozialpolitik mit einer Gemächlichkeit kreuz und quer abgegrast, daß man den Eindruck gewinnt, die 30 Männer, die da unten sitzen, betrieben den müßigen Sport, sich gegen seitig etwa- von Sozialpolitik vorzuerzählen, wie andere Leute Skat oder Tarock spielen. Daß diese Debatten irgend einen Zweck haben, kann man sich selbst mit der größte, Anstrengung nicht vorstellen. Selbst als Wahlreden sind die meisten dieser oratorischen Leistungen zu langweilig." — Leider ist diese drastische Schilderung nicht übertrieben. Obgleich da« „hohe Hau«" am Sonnabend beschlossen hat, dem Sonntag noch einen zweiten Ruhetag hinzuzusügeu und dadurch die Mitglieder anzureizen, am Dien-taa so zahlreich za erscheinen, daß ein Schlußantrag durchgesetzt werden kann, ist die Hoffnung auf das Gelingen dieses Ver suche« sehr gering. Wie diese, Reichstag geledt hat, wird er vorau-fichtlich »och sterben. Fünf Jahre hindurch hat er sich durch die ewige Befchlußmffätzigkett hiudurchgequält; nua liegt er n» den letzte» Zügen, und e« scheint, al« ob ihm der Gipfel der Mis-r« erst noch bevorstehe. Der Seniorenkonvent hat sich den Kopf darüber zerbrochen, wie dem Kranken zu einem anständigen End« zu verhelfen sei; er ist ratlo- auSeinander gegangen. Ww wäre e« auch ander- möglich, wenn «S am Anfang aller Erwägungen wie eiu unerschütter liche« Axiom hiugestellt wird, daß em befchlußsähige« Hau- nicht mehr zu beschaffen sei? Wenn nicht schleunigst noch Diäten riageführt würden, Haden die Vertreter dr« Zeutrum- und de« Freisinn« im Seniorenkonvent erklärt, so sei nicht einmal Aussicht auf die Fertigstellung de» Reich-han-hall-etat«. Dagegen ist denn doch eiuzu- wruden, daß in den letzte» vier Jahren derselbe Reichs tag den Etat stet- rechtzeitig erledigt hat. Wenn da- bis her ohne Diäten möglich war, warum soll e» nun plötzlich ganz ander- geworden sein? Im Gegenteil, die Verhäliniffe liegen für die pstichtmäßige Ausübung ve« ReichStag-mandats augenblicklich günstiger, al« in verschiedenen der voran gegangenen Sessionen. Di« gleichzeitige Tagung de- mit Diäten gesegneten preußischen Abgeordnetenhauses gilt seit langer Zeit wegen der großen Änradl von Doppelmandaten als Haupt stütze einer guten Präsenzziffer des Reichstag-, wie man ander seits in der Konkurrenz der anderen großen Partikularlandtage die schlimmste Gefahr für diese Ziffern erblickt. Nun, daS preußische Abgeordnetenhaus ist versammelt: dagegen tagt weder in München, noch in Dresden, noch in Karlsruhe der Landtag; nur die wichtigen Verhandlungen in der württembergischen Kammer haben dem Reichstag in jüngster Zeit einige Mitglieder entzogen. Auch die Hockiaiion der Jagd ist vorüber. Wie kann da die Behauptung aufgestellt werden, eine beschlußfähige Anzahl von Abgeordneten fei odne Diäten nicht mehr zusammenzubringen? Ueber die erhoffte durch schlagende Wirkung der Diäten auf die Frequenz wollen wir nicht streiten, obwohl man, wenn man die Ver- bältnifse des preußischen Abgeordnetenhauses kennt, einiger maßen skeptisch darüber denken mag. Aber Haden sich denn unsere Reichstagsabgeordneten in ihren Ver- mögenSverhältniffen plötzlich derart verschlechtert, daß ihnen ein Berliner Aufenthalt von ein paar Wochen unerschwing lich sein würde? Wir leben ja jetzt freilich in der Zeit einer weitreichenden wirtschaftlichen Depression, aber wieviel Geld sür überflüssige Ausgaben noch vorhanden ist, das kann man in dem Gesellschaftsleben jeder größeren Stadt — und nicht in den Städten allein — tagtäglich an Hunderten von Beispielen sehen. Auch aus die .große landwirtschaftliche Woche" darf in diesem Zusammenhänge wohl hingewiesen werden. Alle die zahlreichen Versammlungen derselben sind von „diäten losen" Landwirten au- allen Gegenden des Reichs über füllt gewesen. Und nun will man glauben machen, die große Mehrheit der deutschen Reichstag«-Abgeord neten sei außer Stand, dir Pflichten de- höchsten Ehren amts der Nation bis zu Ende zu erfüllen, weil — ihr daS Geld au-gegangen sei? Nein, das ist undenkbar, und leider muß man dem „Schwab. Merk." beipflichten, wenn er die Vermutung ausspricht, die gegenwärtig bi- zu nie gesehener Höhe gesteigert« Leere de« Reichstags sei künstlich gemacht, um von den Regierungen die Diäten zu erpressen, und wenn er an diese nur zu nahe liegende Vermutung die folgende Auslastung knüpft: .Hat man keine Empfindung dafür, daß der Reichstag auch den letzten Rest von Ansehen einbüßen würde, wenn eine derartige Auf fassung sich in weiteren Kreisen festsetzte? Als in den letzten Monaten des vorigen Jahre« der Reichstag da» lang- entbehrte Schauspiel eines dauernd bescylußfädigea Hauses bot, da höhnt« dir Sozialdemokratie, daß lediglich die per sönliche Profitgier die Mehrheit zu dieser ungewohnten Pflichttreue ansporne. Man hat sich über diese .unverschämte Insinuation" stark entrüstet. Wie aber stände di« Mehrheit in der Oeffentlichkeit da, wen» jetzt mit Recht von ihr gesagt werden könnte, sie weigere sich, in der Bewilligung der Vor- bedmgunaen für den Fortbestand der Reichsverwaltung ihre Schuldigkeit zu tun, wenn sie nicht dafür bezahlt würde! Es »st in der Tat ein betrübendes Zeichen sür das Niveau des heutzutage im Reichstag herrlchenden Geiste«, wenn von Partei führern die Unterlassung der parlamentarischen Pslichierfüllung offen, ja mit einer gewiffen Ostentatioo auf die Diätenlofigkeit zurückgesührt wird, während doch jeder Abgeordnete da- Mandat im vollen Bewußtsein, ja unter der verfassungsmäßigen Be- dingnna der Diätenlofigkeit übernommen hat. Glücklicher weise ist die hier behauptete Wirkung der Diätenlofigkeit eine haltlose Fantasie. Aber der wirtliche Grund de- Absenti-muS im Reichstag ist leider nicht erfreulicher. Nicht da- Fehlen der Diäten hält di« Abgeordneten von der Ausübung d«S Mandats zurück, sondern der Mangel an politischer Gewissenhaftigkeit, an patriotischem Interesse." Ueber die Wirkung der Abbröckelung des Jefuitengcseyes durch die vom Reichskanzler in Aussicht gestellte Aushebung des ß 2 gehen seltsamerweise die Ansichten noch vielfach aus einander. So wird behauptet, diese Aufhebung sei be deutungslos, so lange der ß 3 besteben bleibe, der den Bundesrat beauftragt, die zur Ausführung und Sicherung des Vollzuges de« Gesetzes erforderlichen Anordnungen zu treffen, und der zu der Verordnung des Bundesrats vom 5. Juli 1872 geführt hat, nach welchen den Jesuiten die Ausübung einer OrdenStätigkeit, insbesondere in Kirche und Schule, sowie die Abhaltung von Missionen, worunter sogenannte Volksmissionen zu verstehen sind, verboten ist. In diesem Ver bote jeglicher OrdenStätigkeit, jeder Tätigkeit als Seelsorger und aus dem Gebiete des Unterrichts uud der Erziehung lei offenbar der eigentliche Zweck de« Jesuitengesetzes zu erblicken und es ergebe sich, daß dieser Zweck durch die Auf hebung des ß 2 durchaus nicht berührt werde. Das ist aber nur insofern richtig, als formell die Aufhebung des tz 2 an dem 8 3 Nichts ändert; eine ganz andere Frage aber ist es, ob durch diese Aushebung die praktische Durchführung des Zweckes des ganzen Gesetzes nicht erheblich er schwert oder gar unmöglich gemacht wird. Erfreulicherweise geht in der .Magveb. Ztg." rin Fachmann auf diese Frage näher ein und beantwortet sie folgendermaßen: Diese Frage kann man leider, wie die Sachen im Deutschen Reich« jetzt liegen, wo Zentrum bezw. Katholisch Trumps ist, nicht lchlechterdingS verneinen. Die Schwierigkeiten liegen dabei weniger in der Schwäche und Nachgiebigkeit der Regierung gegenüber den ultramontanen Prätensionen, als vielmehr iu der Natur des Jesuiten ordens selbst. Diese sogenannte Gesellschaft Jesu erkennt grundsätzlich kein StaatSgeZetz au, daS ihrer Ausbreitung und dem Tua und Treiben ihrer Mitglieder Schranken auferlegt, selbst dann nicht unbedingt, wenn rin solches Gesetz sogar vom Papste bestätigt worden wäre. Auch im letztere» Falle behält sich der Orden, der den Papst un- sehlbar und allmächtig in der katholischen Kirche gemacht hat, das Recht vor, eventuell von dem schlecht unter- richteten Papst au den besser zu unterrichteuden zu apellieren. So hat sich der Jesuitenorden du» AuflösungSbreve de- Papste« Klemen- LIV. bekanntlich nur soweit gefügt, al- päpst liche oder staatlich« Macht di« »u-sührang erzwang; wo da- nicht geschah, wie m Preußen und Rußland, empfand der Orden nicht die Verpflichtung, dem Papste zu gehorche», wobei er in Rußland sogar de» Schein der Unter werfung verschmähte. Staatliche Gesetze gegen den Jesuitenorden zu umgehe» und ihr« Bestimmungen aus jede nur erdenkbare Weise und mit allen Mitteln der List und Verschlagenheit illusorisch zu machen, betrachtet der Jünger Loyola- al- eine Gott wohlgefällige Tat, als «in Verdienst um seinen Orden und die katholische Kirch«. Go haben die Jesuiten auch kein Bedenken ge» trage», daß deutsche Gesetz gegen ihren Orden zu umgehen and zu verletzen In den ultramontanen Blättern erdreisteten sie sich sogar, die Verordnung de« BundeSrateS vom 5. Juli 1872 einfach für eine Kompetenzüberschreitung zu erklären und folgerichtig ihre Verbindlichkeit zu leugnen. Bon der Voraussetzung ausgehend, daß die OrdenStätigkeit ihnen nicht verwehrt werden könne, haben Jesuiten vielfach bei Volk-Missionen mitgewtrkt, haben geistliche Hebungen (Sxvzitien) für Priester uud Lehrer, für Kaufleute und Studenten gehalten mrd au religiösen Konferenzen der verschiedensten Art tilgenommen. Erst al- vor etwas länger al- Jahresfrist zu Lüdinghansen in Westfale» eine achttägige BolkSmissiou von lauter Jesuiten in Gceue gesetzt werden sollte, wurden die Behörden aufmerksam und e- erfolgte eiu vor beugendes Verbot. Es steht aber sehr dahin, ob da- Verbot von leiten der Jesuiten Beachtung gesunde-, hätte, wen» der Behörde nicht bie Waffe des 8 2 de- Iesnitengesetze- znr Verfügung ge standen hätte, denn auch so haben die Loyalsten demselben nicht Folgen gegeben, ohne durch Geschohcn'assen lärmender Demon strationen die Leidenschaften der Massen katholischen Volke- in gefährlicher Weise zu erhitzen nnd AnSschretttlugen gegeu eine ganz schuldlose evangelisch« Minderheit ztr provo zieren. Hätte die Behörde nur mit polizeilichen Strafe» gegen die frommen Väter vorgehen, sie aber nicht nach 8 2 ganz sänftiglich abschiebeu könne», der Orden hätte schwerlich die Gelegenheit versäumt, sich «i» nicht allzu teure» Martyrium zu kaufen. Durch Inf- Hebung des 8 2 werden die Jesuiten sürmlich auf ei» solche« Martyrium hingedrängt, und wa« das für de» konfessionellen Frieden zu bedeuten hat, davon hat uns der Lüding hausener Fall nur einen Vorgeschmack gegeben. Mer auch die Durchführung de- 8 1 des JesuitengrsetzeS, der da- Verbot von Niederlassungen der Jesuiten enthält, kann durch die Aufhebung de- 8 2 ernstlich in Frage gestellt werden. Wenigsten- habe» die Jesuit«» daS in den katholischen Staaten Frankreich, Spant«» u«d Italien seit langem bestehende ganz gleiche Verbot — i» dttt beiden erstgenannten Staaten besteht es eigentlich seit Wieder- Herstellung des Jesuitenorden» durch Papst Piu« VII. im Jahre 1814 — regelmäßig dadurch umgaugen, daß sie Stroh männer als Eigentümer ihrer Besitzstück« vorschob««. Wer will sogen, daß unser deutsche» Gesetz nicht i» gleicher Weise umgangen werden kann, oder daß e« eiu« Jvsutte»- niederlassung ist, wenn eine kleinere oder größere Anzahl Jestüte» sich in einem Dominikaner- oder FranziSkauerkloster dauernd al- Gäste einquartieren? Selbst da» neue französisch« Vereiusgesetz muß noch die Prob« darauf besteh»», ob es ta diese« Punkt« von den Jesuiteu nicht umgangen wird." Uebcrall, wo mau sich gegen di« geplant« Aufhebung he tz 2 de- JesuitengrsetzeS regt — und da- geschieht erfr«»- licheiweise in recht weiten Kreisen —, sollt« man auf die hie» dargelegten Konsequenzen der Abbröckelung Hinwersen and unter Berufung auf sie bei de» Regierungen vorstellig werben. Vielleicht ist eS dazu noch nicht zu spat. Das Se»tsch-»ene»«I«»tsche Pro-»-»«. Der „Vorwärts" will glauben machen, daß da- Pro tokoll vom 13. Februar dem deutschen Ultimatum vom 7. Dezember 1902 nicht eatspreche, weil in letzterem die .sofortige" Zahlung von 1 700 000 Bolivar«- verlangt wäre und weil es zu einer Besetzung der venezolanischen Zollstellen nicht gekommen sei. Was von diese« Einwänden zu halten ist, lehrt die Denkschrift des Reichskanzler-, die am 8. Dezember dem Reichstage zuging. Es heißt darin: „Der Kaiser!. Ge- Geschäftsträger in Caracas bat . . . ein Ultimatum über reicht, worin er im Auftrage der kaiserlichen Regierung die alsbaldige Zahlung der KriegSreNamationen au- de» Jahren 1898—1900, sowie eine befriedigende Erklärung Dunkle Wege. Roman von 3- v. Loo ring. facher«» verboten. Vierzehntes Kapitel. Am nächsten Tage rief man sie ins Wohrrzinnncr. Der Geldbriefträger, der die kleine Summe bringen sollte, die der Nachlaß der Mutter cingebracht hatte, verlangte Kou- stnnzen- eigenhändige Unterschrift. Sie unterzeichnete und empfing die Scheine, nach denen Geert sofort die Hand ausstreckte. Schweigend schob sie ihm das Geld hin und wandte sich zum Gehen. Sr hatte angenfchcinlich furchtbare Kopfschmerzen nnd mar in übelster Laune: „Bleib' hier", herrschte er sie an. „Setze dich; du kannst mir vorlesen. Laura, holen Sie mal das Buch, das Sie mir gede» wollten." Konstanz« nahm einen Stuhl und wartete gehorsam. Der Alte stand, mit dem Rücken gegen das Licht, am Fenster und horte seinem Matz zu. Mit glücklichem Lächeln und erhobenem Kinger folgte er dem schmetternden Ge sänge de» kleinen gelben Musikanten, der neben Geert auf der Safaiehne saß. Aon stanze begann vorzulesen. Geert rückte unruhig hi» nnd her und griff bt-wetlen nach seiner Stirn, die ihn heftig zu schmerzen schien. Auf einmal überkam ihn die Wut: ^verfluchter Spektakel", schrie er uud hatte mit einem Griff da- Bögelchen tu der Faust. Laut aufschreiend stürzte der Alte herbei — zu spät, um seinen Liebling zu retten. Geert warf das Tierchen, da mit eingedrückter Brust tot liegen blieb, von sich. Kon stanz« hob es auf. Traurig lag es mit gesenkten Flügeln und schlaffem Köpfchen in ihrer Sand; auS dem Schnäbel, chen tropfte Blut. Es war ganz still im Zimmer, nur ein- mal schluchzte der Alte tief auf. Konstanzc legte das Tier- chen sanft in seine Hand. .Stellt euch nur nicht noch an", knurrte Geert. „Na» liegt an dem Bogel Du hast ta mehr von der Sorte, Baker. Sorge dafür, daß sie mich nicht stören, dann lasse ich sie auch in Frieden." Die Nacht war gekommen, viit hohlem Saufen ging -er Tauwind übers Land. Ueber das Erdreich rann es in tausend Bäche»; von Len Dächern fiel der Schnee in großen Klumpen dröhnend herab. Ein Rauschen und Brausen kam durchs offene Fenster, nach der langen, toten Winterstille, als wäre alles in Aufruhr geraten uud rüste sich, den Befreier zu begrüßen. Ganz leise öffnete sich Konstanzens Tür. Im Winde, der durchs Fenster herrinftieß, flackerte das Lämpchen, das der Alte trug. Die Schuhe hatte er ausgezogen und schlich auf den schadhaften Strümpfen einher. Deine Augen waren trübe, das faltige Grcisengeficht schmerzlich ver zogen. Borsichtig sah er sich um und zog die Tür ins Schloß. Konstanze schob ihm den einzigen Stuhl hin. Er setzte sich und legte die Schöße seines alten granen Schlafrocks über die Knie. Augenscheinlich hatte er etwas auf dem Herzen. Konstanzc wartete geduldig, ohne ihn zu drängen. .Kind", sagte der Alt« endlich mit schwankender Stimme, „ich habe dir neulich sehr wehe getan, und das möchte ich gerne gut machen. Dazu bin ich auch hier. Du hast heute eine Träne im Ange gehabt, als mein May — ich mein«, als d«r da unten mein« einzige Freude zerstört hat. Das vergeße ich dir nicht! Ich bin nickt undankbar! Ich weiß, wo dein Junge ist, und will dir helfen, daß du ihn wiedersiehst." ,^vater, Vater k" „Sei still, Konstanze! Biel kann ich fa nicht tun, aber es ist doch immer etwas. Kurt ist in O-nabrück. Da, auf diesen Zettel hab' ich dir die Adresse ausgeschrieben. Wie du «» machen sollst, ihn zu holen, weiß ich auch nicht. Denke dir da- nicht so leicht. Geert hat dick ganz genau beschrieben und er sagt, sie paff«n sehr auf. Ater ich denke, du wirft e- trotzdem doch mal versuchen?" „Ob ich das werde! Vater, wie soll ich dir danken?" „Da ist nichts zu danken Ich bin ein alter Mann und habe viel Kummer. Du bist immer freundlich und gut zu mir gewesen. Hör' Kind, laß dir noch 'was sagen: Wenn du Kurt 'mal haft, dann sieh zu, daß du schnell mit ihm wegkommst. Geh' in eine große Stadt und nimm einen andern Namen an, damit Geert euch nicht gleich findet. Nur erst Zeit gewinnen! Lange kann es nicht dauern, bis er sich zu Tobe säuft. Du glaubst nicht, was er und Laura hinter die Binde gießen. Den ganze« Keller hat das Latanspack leer getrunken. Und glaubst du, sie geben mir 'was davon Keinen Tropfen, »nL wenn ich Tabak brauche, schimpft S«ert Na. eS kommt auch noch 'mal ander»." strich mit der Hand »her die geröteten Augen. -Hätte er mir bloß meinen Matz gelassen. Der Schuft! Sage 'mal, Konstanze, hast du denn Geld?" „Nein, Vater, so gut wie gar nichts." .Na, dann warte 'mal." Er zog ein schmutziges Beutelch««, das er an einem Bande um den Hals trug, hervor und kramte darin: „Da, da sind hundert Mark! Das wird wohl fürs erste reichen. Viel hab' ich selbst nicht, Kind. Komm, steck' mir den Bentel wieder unters Hemd. Wenn die da unten merken, daß ich Geld habe, nehmen sie's mir so fort weg. Was will ich machen, ich bin ein alter, schwacher Mann! Kind, was willst du, was füllt dir ein?" Konstanzc drückte seine welke Hand wieder und wieder an die Lippen: „Du bist der erste, der sich meiner erbarmt. Ich danke dir, ich danke dir!" „Ruhig, ruhig. Sei blos nicht so aufgeregt! Hast du dir auch überlegt, daß du fast vier Stunden nach Bremen gehen mußt? Wenn ich anspannen lasse, merken sie alles, dann lasten sie dich nicht weg. Und überhaupt — du mußt in Osnabrück sein, ehe hier irgend jemand ahnt, daß d« weg bist. Sonst telegraphiert Geert und sic passen da noch mehr auf. Der Schnellzug kommt um ein Uhr ungefähr durch Bremen, dann mußt du da sein." „Ich gehe, ehe eS Tag wird. Am liebsten gleich, so lange noch alles schläft. Und bis Bremen komme ich schon, ich bin gut zu Fuß. Hier wirb mich niemand ver missen. Ich schließe meine Tür zu, dann glaubt daS Mädchen, daß ich Kopfweh habe, und wird mich nicht stören. Sei ohne Sorge um mich, Bater." „Ra, dann geh' mit Gatt, Kind. Und vergiß den Alten nicht ganz. Ich habe auch ein trauriges Leben, und nun, wo mein Matz tot ist, ist meine einzige Freude dahin." In der Tür kehrte er noch einmal um: „Grüß mir auch den Jungen, Konstanze. Vergiß das nicht." Konstanz« verbrachte den Rest der Nacht schlaflos. Im ersten matten Dämmerlicht des jungen Tages stand sie ge rüstet und fertig da. In eiu Tuch mit festen Lcderricmen hatte sie daS Notwendigste verpackt, das schwarze Woll kleid und ein bischen Wäsche. Eine kleine Handtasche war mit allerhand Kleinigkeiten gefüllt. Konstanze schob sie über de» linken Arm, nahm den Regenschirm und hob das Bündel mit der Rechten empor. Ihre Taschenuhr zeigte halb vier Uhr, als sie auf -en Zehenspitzen das Zimmer »erließ. Di, verschloß hie Tür und steckte den Schlüffe! in die Tasche. Einen Augenblick stand sie vvr Geerts Zimmer still. Sie nahm in dieser Sekunde Ab schied von dem bisherigen Leben. Neuer Mut,' neu« Energie straffte jede Muskel ihres Körpers. Die Zett des Duldens, des tatlosen Leidens war vorüber — jetzt galt es zu handel» und mit starkem Arm das verweigert« Muttcrrecht an sich zu reißen. Konstanze wußte, da« si« lieber untergehen als zurückweichen würde. Die knar rende Treppe war passiert. Konstanze erinnerte sich, Laß der Riegel der kleinen Hintertür selten vorgeschoben wurde, sie hielt es für bester, dort hinaus zu gehen. Mit festen, raschen Schritten eilte sie über den Hof. Die kleinen Fenster der Leutestuben waren dicht verhüllt — dahinter lag noch alles in tiefem Schlaf. Im Kuhstnll brüllte hin und wieder eines der hungrigen Rinder und klirrte mit seiner Kette; der Hofhund reckte sich gähnend und kam heran, soweit eö seine Kette erlaubte, um sich von Konstanze streicheln zu kaffen. Nun lag die steinerne Brücke hinter ihr; sie ging durch daS Dorf. Hinter den trüben Scheiben der kleinen Häuser glomm hin und wieder ein Licht. Die Leute erhoben sich wohl vom Lager, um den Tag, der ihnen neue, schwere Arbeit brachte, zu beginnen. Doch lag die Dorfstratze noch still und leer da. Um diese Zett ging auch der Nachtwächter nach Hause, um zu schlafen. Bon fern scholl Hundegebell durch die trübe Luft und ein verlaufenes Huhn rannte gackernd über den Weg — das waren die einzigen Laute in der lastenden Stille. Konstanzc schritt auf der Chaussee ein her. Sic kannte den Weg, den sie zweimal gefahren »ar, genau. Auf dem Fußwege zur Seite konnte si« nicht gehen, er war durch das Tauwetter unpassierbar ge worden. Auch in der Mitte der Ebauffe« hing sich ein unergründlicher Schmutz an den Saum ihr«» Kleide- und der weiche, hnlbgetautr Schnee durchnäßte ihr« Stiefel. Das Gepäck, das sie trug, hindert« sie so s«hr am Bor- ivärtsschrciten, daß sie zweimal erwog, ob st« es zarück- lafien sollte. Doch schüttelte sie mit zusammengebiffene« Zähnen den Kopf: „Nein, noch nicht, noch muß e- gehen." Nur als sie den kleinen See erreicht«, der sich mit seine» sumpfigen Ufern bis an die Chaussee h«ranzog, nahm sie den Schlüffe! ihre- Zimmers auS der Tasche und warf ihn in weitem Bogen in das hoch aufspritzende Baffer. Wie ein« symbolische Handlung kam ihr da- vor. Ihr« Augen leuchteten auf un- sic ging mutiger weiter. Die erste Stunde verging. Konstanze mußte sich gesteh«», daß ihre Kräfte immer mehr uachließeu. Eie »ar schlecht genährt, von Kummer und Schlaflosigkeit eutkrLftet — der Marsch, Len st« sich vor,«uomm«n hatte, U-rMtz
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