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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030219022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903021902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903021902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-19
- Monat1903-02
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Dee neunte und letzte Tag dieser Debatte bedeutete zugleich deren Tiefpunkt; eS gab Zänkereien persönlicher, gänz lich untergeordneter Natur, mit denen sich zu befassen selbst eine Volksversammlung weigern würde. Die läßlichste schmutzige Wäsche wurde zwischen dem Abg. Stoecker einer seits und den sozialvemokramchen Rednern Reißbaus, Herz feld, Ledebour, Singer und dem freisinnigen Abg. Lenz mann anderseits gewaschen; Verbaliniurien, Beschul digungen von Meineid flogen hinüber und herüber; die ältesten Geschichten und Prozesse wurden ausgekramt. Es ist dem Vizepräsidenten Büsing, der erst gegen >/z5 Uhr daS Präsidium übernahm, zu danken, wenn dieses wider wärtige Gezänk, das absolut nichts mit der Frage der sozial politischen Anträge zu tbun hat, sich nicht noch weiter auespann. Nur wenige Minuten waren der eigenilichen Be- ratungS-Materie gewidmet, in denen der Staatssekretär aus Anfrage Auskunft über einige Bestimmungen der SeemannS- ordnung gab. Jetzt erst, nach neun Tagen, kann das HauS in die eigentliche Beratung des EiatS zum Rcichsaml des Innern eintreien, die Abg. Bcckh-Koburg unter einiger Heiterkeit mit seinen alljährlich wiederkebrenden Wünschen für einen internationalen Vogelschutz eiöffnele. Nach ihm sprachen noch die Abgg. Pachmcke, Stockmann und der Staats sekretär; dann vertagte sich das Haus aus Donnerstag. Ostmarkenpolitik nnd ,Mrc«zzeitungs"-Politik. Der Rücktritt des Oberpräsidcntell v. Bitter findet tu der „Kreiszeitung" einen Kommentar, an dem man nicht mit Stillschweigen vorübergehen darf. Das konservative Hauptorgan verhehlt zwar nicht, daß der bis herige Posener Obervräsident das Opfer der liberalen Kritik — von der „Krenzztg." „Hetze" genannt — habe ge worden sein können. Aber sehr viel einfacher dünkt der „Kreuzztg." die Erklärung, daß der Rücktritt des Herrn v. Bitter „lediglich die natürliche Folge der trostlosen Ver hältnisse in der Provinz Posen und der Uebcrzeugung von der Erfolglosigkeit unserer bisherigen O st markenpolitik" sei. An diese „sehr einfache Er klärung" knüpft das tonangebende konservative Blatt eine höchst auffallende, ungemein scharfe Kritik -er gegenwär tigen preußischen Polenpolitik, indem es schreibt: „Wir haben uns leider mehr und mehr die Auffassung angeeig net, daß man den Ostmarken gegenüber von einer Politik kaum noch reden kann, daß vor allen Diugen dem Vorgehen der Ltaatsregierung das wesent liche Merkmal für diesen Begriff fehlt, nämlich das feste Ziel in allen Einzelpunktcn dieses Vorgehens und die Sicherheit seiner Er reichbarkeit bei Anwendung der unseren heutigen Anschauungen entsprechende Mittel". — Was hier die „Krenzztg." ausspricht, könnte ebensogut von der klerikalen „Kölnischen Volkszt g." gesagt werden. Wenn in dem konservativen Hauptorgau in diesem Augenblick eine derartige Verurteilung der Lstmarkenpolitik auftaucht, dann darf man mit Sicherheit daraus schließen, daß durch denRücktrittdesHerrnv. BitterdteKreise der „Kreuzztg." empfindlich gestört worden sind, und daß ihr Verdikt über die Ostmarkenpolitik der Staatsregierung ungleich weniger sachlichen Er wägungen als der V e r st i m m u n g wegen der gedachten Störung entspringt. Wäre es anders, so dürfte man billigerweise darüber erstaunt sein, in der „Kreuzztg."—so viel wir uns erinnern — keinerlei Widerspruch gegen d t e Beurteilung der Ostmarkenpolitik gesehen zu haben, die bei der ersten Lesung des preußischen Etats die konser vativen Fraktivnsredner Graf Limburg - Sttrum und v. S t a u d y am 19. und am 20. Januar d. I. verlaut barten. Beide konservative Parlamentarier betonten zwar nachdrücklich die Notwendigkeit, der Landwirtschaft zu helfen, wenn dem Deutschtum im Osten geholfen werden solle; im übrigen aber fehlt es in den Reden der beiden Herren an jeder Andeutung, die auch nur als kleinste Uebereinstimmung mit dem Verdikt der „Kreuzztg." an gesehen werden könnte. Im Gegensatz zu letzterer hat viel mehr Graf Limburg-Stirum u. a. ausgeführt: „Die gegen die Agitation des Polcntums gerichteten Maßnahmen, die der Herr Ministerpräsident angekündigt hat, sind g a n z n a ch u n s c r e m S i n n e . . . Nur bedarf cs auch hier ruhiger, leidenschaftsloser Ueberlegung. Wir er klären, daß wir gegen jede Vermischung dieser nationalen Aktion mit irgend welchem religiösen Hader auf das ent schiedenste Verwahrung einlegen." — Dieser Vorbehalt und der schon erwähnte betreffs der Landwirtschaft waren die einzigen, welche der konservative Fraktionsführer machte. Läßt sich heute die „Kreuzztg." so wesentlich anders vernehmen, als die leitenden konservativen Parlamen tarier noch vor wenig Wochen, so geschieht das vermutlich zu dem Zwecke, die Haltung der konserva tiven Partei zur Ostmarkenpolitik der Regierung gegenüber als ein Pressions mitt e l z u v e r w e n - e n. Es wäre ja nicht das erste Mal, daß die „Kreuzztg." die Ostmarkcnpolitik zu einem Drohmittel gegenüber der Negierung gestaltete. Erst am 25. Januar d. I. hat das konservative Hauptorgan O st - markenpolitik und Kanalfrage in der kenn zeichnendsten Art zusammengestellt, wenn es u. a. erklärte: „Ohne deren tder Konservativen) tatkräftige Mitwirkung wäre die vom Grafen Bülow als wichtigste aller Fragen bezeichnete Ostmarkenpolitik aussichtslos. Schon aus diesem Grnude kann uind wird man ihnen (den National liberalen) nicht den Gefallen tun, den Kanalbau . . . vor das Forum des Landtags zu ziehen." — Wie hier die Ost markenpolitik als Drohmittel in Bezug auf den Kanal, so wird jetzt, weniger deutlich, aber doch erkennbar, die Ostmarkenpolitik als Drohmittel in Bezug auf die Besetzung des Posener Oberpräsidiums verwertet. Ob die St-mtsregierung einerseits, die konser vative Fraktion des Mgeordneienhauscs anderseits hier aus praktische Konsequenzen ziehen werden, bleibt abzu warten. Die Bcitragslcistungen der britischen Kolonie« zur Rcichsvcrtcidigung. Aus Ottawa wird uns gemeldet: Die gereizte Stimmung, welche infolge des zwischen England und den Bereinigten Staaten getroffenen Alaska-Ab kommens in ganz Eanada herrscht, kommt soeben an läßlich der Erörterung über die „Kommission für die Reichsverteidigung" in heftigem Maße zum Ausdruck. So schreibt z. B. der sonst sehr vorsichtige „Glob o", ein ausgesprochenes Regierungsblatt, folgendes: Die britische Regierung hat dem Parlament einen Bericht vorgelegt, in welchem die geringen Summen anfgezählt werden, welche die Kolonien zur Unterhaltung der britischen Flotte beitragen. Die Gesamtsumme beträgt noch nicht eine Million Dollars jährlich, und Eanada gibt über haupt nichts dazu. Gleichzeitig wird vorgcschlagcn, die „Kommission" solle derart erweitert werden, daß der Premierminister den Vorsitz übernimmt und alle Kolonien mit Selbstverwaltung amtliche Vertreter in die Kommission entsenden. Das würde also eine Art „Reichs rat zur finanziellen Unterstützung der britischen Kriegs flotte" werden. Wir sehen jedoch nicht ein, welchen Zweck die Teilnahme kanadischer Mitglieder an der Kommission haben sollte. Unser Ministerpräsident Laurier und die Minister der kanadischen Einzclstaaten haben drei Monate lang in London mit der Regierung und den Vertretern der übrigen Kolonien verhandelt. Das Endergebnis war, daß Eanada ablehnte, einen nennenswerten Beitrag zur Unterhaltung der britischen Flotte zu leisten. Eanada stellte sich dabei auf den Standpunkt, daß es alle erforderlichen Opfer zur Ver- teidigungCanadasselb st bringenwill. Wir sind dabei, unsere Miliz auf einen sehr achtunggebietenden Stand zu setzen, so daß sie heute bereits die Unverletzlich keit des kanadischen Territoriums gewährleisten kann. Für neue Gewehre und neue Geschütze sind die Kredite ohne jeden Widerspruch im kanadischen Parlament be willigt worden, und jetzt hat die Regierung einen Gesetz entwurf in Vorbereitung, -er eine Flottenreserve schaffen soll, an der es England so sehr mangelt. Die Opferwilligkeit CanadaS geht sogar soweit, daß es die Kosten zur Begründung eines canadischen KriegsgeschwaderF tragen würde, welches unter dem Befehle der canadischen Regie rung stehen würde. Wollte die britische Regierung auf dieser Grundlage nur Vorschläge machen, so dürste sie eines Entgegenkommens von canadischer Seite sicher sein. Zugleich aber würde es nötig sein, die Londoner Regie rung sich daran gewöhnen möchte, bei Fragen, welche ausschließlich kanadische Interessen betreffen, z. B. in der Alaskafrage, auch Eanada ein Wort mitsprechen zu lasten. Jeder Canadier ist sich besten bewußt, daß diese Frage für Eanada viel leichter zu lösen wäre, wenn es sein gutes Recht durch einige Schiffe verstärken könnte. Tie Boercngenerale und der i'egtSlattvral; Präsident Krüger. Die Weigerung der Boerengenerale Bo'ba, Delarey und SmutS, die ihnen angebotenen Sitze im LegiSkativrat arrzu- nebmen, hat naiürlick in England einigermaßen enttäuscht. Hier und da blick« der Gedanke durch, daß Vieser verfehlte Vrisuck, die Boeren an der provisorischen Regierung ,u inter essieren, ein Fiasko bedeutet. DaS „Daily Chronicle" sagt zu der Weigerung: „Wir können nicht behaupten, daß wir erstaunt sind. Wir hatten immer erwartet, daß das Verlangen nach Selbstherrschaft eher von dem englischen Elemente als von den Doeren ausgehen würde. Dir Boeren wünschen aus durchaus verständigen Gründen, daß die Re gierung lieber eine rein imperiale sein soll, al» eine imperiale Re- gierung beeinflußt von den englischen lokalen Elemente». Sie haben keine Lust, die Mitverantwortung für Regierung-Handlungen zu tragen, bei deren Beschließung sie keine ausschlaggebende Stimme haben würden. Sie ziehen es vor, außerhalb zu sichen und sich so einer größeren Freiheit bei geringerer Verantwortung zu erkreuen. Daß sie das vorziehen, ist verständlich, aber bedauerlich. So kom men wir denn zu der unausbleiblichen Tatjache zurück, daß die englische Regierung die neuen Kolonien selbst regieren muß. Je N'choem ob diele Regierung weise oder unweise regieren wird, wird sie auch den Beifall der Boerenbevölkerung finden oder nicht. Mr. Chamberlein holte keine Zauberrute mit sich und er hat auch in Südafrika keine gefunden. Trotzdem ist seine Mission ein Be weis für die guten Absichten der englischen Negierung. Er hat Gelegenheit gehabt, an Ort und Stelle einige wichtige Fragen zu erledigen, die sich sonst ewig hingeschleppt haben würden und er wird eine genaue Kenntnis der Schwierigkeiten mit nach Hause bringen, mit denen er und Lord Milner zu tun haben." Der „Tagt. Rundschau" wird vom Pfarrer Schowalter geschrieben: Gegenüber den aus der „Rbein.-Westsäl. Zig." in die Press» übergegangenen niederdi ück nken Nachrichten über Krügers Gejundbeiszustanb bin ich ermächtigt, zu er» tlären, daß an all den von dem Amsterdamer Korre^pond- nten, der zur Zeit m verschiedenen Blättern spukt, ve>b>eiieten Nach richten nickt eine Spur von Wahrheit ist. Krüger ist auch heute noch ein Mann deS Glaubei s und der Hoffnung. Auch seine kö'peiliche Kraft ist in anbetracht seines boben Lebensalters staunenswert. Gegenüber der immer wieder aufiauchenden, kürzlich auch von l)r. PeterS als absolut fest» steh nve geschichtliche Tatsache wiederholten Bebauptung, daß Präsident Krüger einst Deutschland das Protektorat über sein Land angeboten, und daß Br Sm arck damals den Fehler gemacht habe, dieses Anerbieten nicht aiizunebmen, läßt mir Klüger unter dem 8. Februar mit der Ermächtigung, davon öffentlich Gebrauch zu machen, wörtlich folgendes mit teilen: „Es ist nicht ein wahres Wort an dieser ganzen Behauptung. Weder ich noch irgend welche ankere ver antwortliche Persönlichkeit Hal jemals solch einen Vorschlag gemacht." Deutsches Reich. F. Berlin, 18. Februar. Der Gesetzentwurf über Kaufmannsgerichte wird vvn diem be^ kannten Gcwerberichter vr. Sch al Horn in der „Sozialen Praxis" einer ausführlichen Besprechung unterzogen. Dabei rückt Schalhorn- diejenigen Ein wände, die das Gcwerbcgerichtsgeses mit betreffen, in die zweite Linie, um eingehend solche Bedenken zur Sprache zu bringen, die sich lediglich gegen den neuen Gesetz entwurf richten. ES sind deren fünf. Zunächst bezeichnet er den Namen „Kaufmannsgerichte" als nicht zu treffend, weil der HandlungSgehülfe, für den die Kauf mannsgerichte geschaffen werden sollen, im Sinne der Ge setze kein „Kaufmann", wie sein Prinzipal, ist; der Name „Handelsgewerbegerichte" dürfte daher sachgemäßer sein, besonders wenn man die personelle Zuständig keit dieser Gerichte zwcckmäßtgerweise auf die sogenannten HandelShülfspersonen auS. dehnen würde. Ferner wünscht Schalhorn eine Hinaufsetzung der Berufungssumme von den vorgesehenen 100 auf 200 bis 300 ^!, da es sich für HandlungSgehülfen durchschnittlich um höhere Summen als für Gewerbegehülfen drehe. DeS weiteren findet Schalhorn nicht den Nachweis dafür erbracht, daß An sprüche auf Grund einer Konkurrenzklausel vor daS ordentliche Gericht gewiesen werden sollen. Dann Feuilleton. Feierstunden. tj Ei« Jahr aus einem Lebe«. Bon Emil Roland. Nachdruck verboten. Die Seitentür der alten Basilika Apollinare Nuovo wurde langsam geöffnet. Mit der Glut des heißen Tages drang ein Geruch von Laub und Blumen aus dem schattigen Kreuzgang in die weihrauchherbe Kühle des Kirchenschiffes. Sonnen strahlen, die draußen wie tausend Pfeile auf Ravenna niederschossen, zitterten durch die Türöffnung sekunden lang über die Schwelle . . . dann schloß eine seine, bedäch tige Hand die Pforte, und es war still, so recht kirchenstill an -er geweihten Stätte. Der Eingetrctene blieb stehen. Ihm wurde feierlich zu Mut, wie jedesmal, wenn die Mosaiken Ravennas ihren Reigen vor seinen Augen schlangen, jene Mosaiken, deren Leuchtkraft die Jahrhunderte nicht zu brechen vermochten, die so triumphierend, so unantastbar über ihren Säulen thronten — in allem Verfall ringsum, aller Vergänglich keit immer weiter blühend wie unsterbliche Blumen — und unter ihnen die verwitterte Marmorpracht der stolzen Säulenreihen aus Byzanz. Er trat in das Schiff — da sah er, daß er nicht allein war. Eine Malerin hatte ihre Staffelei vor den Hochaltar gestellt und grübelte versonnen auf eine angefangene Arbeit herab. Er war die „Malwctber" an allen Ecken Italiens ge wöhnt. Sie störten ihn nicht, noch weniger reizten sie seine Neugier. Diese aber, die sich an das Kircheninncre von Sankt Apollinare wagte, zwang ihm doch ein Lächeln ab, und als er in ihre Nähe kam, warf er einen verstohlenen Seiten blick auf ihr Blatt. Sie rührte sich nicht; kaum daß sie die Nähe eines Menschen zu bemerken schien. Berzweiflungsvoll starrte sie ihre Arbeit an, die da in mattem Aquarellton auf dem englischen Papier emporwuchS. In ihren blaffen Mienen ftanb da« Vernichtungswort geschrieben: TS wird nicht-. Er aber war plötzlich stehen geblieben. Dies Blatt mit seinem weichen Duft, der Weihrauch schleier, der so mystisch über den sicheren Linien der Per spektive schwebte, die verkürzten Linien der Mosaikbänder da droben, das war alles so gut, so sicher empfunden und so persönlich dabei. Die Malerin sah auf. Es begann sie zu stören, daß jemand so gründlich aus ihr Papier schaute, und plötzlich blickte sie in das fremde Angesicht, das sich über sie und ihre Arbeit beugte. Feine, adelig« Züge waren es, graublaue Augen, welche ein seltsames Feuer durchglomm, jenes heilige Feuer, das nur Auscrwählten in den Blicken lodert, und während sie den Reiz dieses seltsamen Angesichts fast überrascht em pfand, benrerkte sie zugleich voll Vernmnderung, daß die hohe Stirn über diesen jugendlichen Augen von Falten durchzogen, daß das Haar an den Schläfen längst ergraut mar — ein alter Herr war es, der da so gespannt ihre Arbeit musterte. „Das wird ja aber ganz vorzüglich", sagte er halb ent schuldigend. „O nein!" rief sie mit Uebcrzeugung. „ES wird nicht, wieder nicht; das ist es ja, was mich zur Verzweiflung bringt!" Er setzte seine Brille auf, sah noch einmal das Bild an, bann das Mädchen, das hastig aufgesprungen und von ihrer Staffelei weggetreten war. „Verzweiflung", sagte er dann ironisch, „wie kann man solch' ein Wort gebrauchen an diesem Platze? DaS Wort paßt nicht in Städte wie Ravenna. Das sollte jeder da hinter lassen, der von Faenza aus in diese Einsamkeit ab biegt. Schreitet man doch hier auf zu allgewaltigen Spuren, als daß der Gedanke an persönliches Geschick überhaupt das Recht hätte, in die Erscheinung zu treten." Die horchte verwundert. „Zu solcher Resignations philosophie bin ich noch etwas zu jung", wollte sic sagen, aber sie merkte, er hatte mehr zu sich gesprochen, als zu ihr. Und es war etwas nm seine Persönlichkeit, das jede Kritik zum Schweigen zwang. „Es ist wirklich ganz vorzüglich", wiederholte er. „Sie haben nicht nur mit den Fingern gezeichnet, Sie haben ihre Seele vollgesogen am Zauber von Apollinare Nuovo. Sie müssen sie tief empfunden haben, diese wundersame Festlichkeit des Basilikenstils, diese freudigen Hallen, in denen sich so grtt fröhlich« Götter verehren ließen." „Sie sind Künstler?" wagte sie einzmoersen. Er schüttelte den Kops. „Kunstfreund — nur Freund! Sie sind mir voraus. Sie sitzen an der Quelle, wo die Schaffenden sitzen." Zum ersten Male sah er in ihr Gesicht. Er war kein Menschenkenner. Er sah in ihrem Antlitz nicht» al» die Bläffe und das schüchterne, ehrerbietige Lächeln, das bei seinen Lobesworten zu ihm ausstrahlte. „Sie haben gar keinen Grund, über Ihre Arbeit ver zweifelt zu sein", wiederholte er nochmals. „Sie wird aber nicht, was sie werben sollte", sagte sie. „Ich sollte kein Bild malen, sondern nur die Säulen stellung." „Ja, aber warum „sollen" Sie denn das ? Sie sind doch kein Architekt! Wer wird im Tal stehen bleiben, wenn er die Kraft hat, Höhen zu erklimmen? Wer, der das Zeug zum Künstler in sich fühlt, mag Handwerker sein?" Sie überlegte einen Augenblick. „Ich arbeite auf Bestellung", sagte sie dann zaghaft. „Ich bin im Auftrage einer Firma nach Ravenna geschickt, um Illustrationen zu einem Werke über altchristliche Ba siliken zu liefern. Dichterfreihcit ist mir dabei verboten und photographische Treue als Ideal hingestellt. Sie werben also begreifen, daß ich mit diesem Glatt hier vom Wege abgeraten bin." Er hatte gespannt aufgehorcht. „Ah, so, bas neue Werk über altchristliche Basiliken, jawohl, ich weiß davon. Also dazu zwingt man Sie, den „gottgebornen Geist in Kerkermauern"?" Sie lächelte. „Nein", sagte sic, „Sie beurteilen mich zu hoch nach diesem einen Blatt. Ich gehöre zu jenen, denen zuweilen mal ein Entwurf gelingt, eine erste Anlage, die viel versprechend auSsiebt, so lange ich sie nicht selbst durch Details ruiniere. Etwas Ganzes, Fertiges zu schaffen bin ich nicht im staube. Versucht hab' ich » lang genug — aber still davon! Wer spricht gern von geknickten Flügeln! Da läge ich mit Ihnen: solche trüben Erfahrrmgen gehören nicht in eine Stadt wie Ravenna." Seine Gedanken waren noch immer mit dem Blatte beschäftigt. „Wenn es aber doch der Verlagsfirma in die Hände kommt, so muß die mir - ablaffen", sagte er halb im Selbst, gcspräch, „das wäre ein Andenken an Ravenna, dies Stück Basilikenpoesie!" Sie sah ihn an. Sie war unvermögend, so baß sie von ihrer Hände Arbeit leben mußte. Aber großmütig und freigebig war sie ihrer innersten Natur nach, und am liebsten hätte sie die Arbeit von fünf Tagen freudig weg geschenkt an den Fremden mit den grauen Haaren und den jungen Augen, der so plötzlich zu ihr gesprochen hatte, so tröstend in ihre Schöpferverzweiflung hinein. Nur wußte sie nicht, wie sie es anfangen sollte in ihrer steifen, deutschen Ungelenkigkeit, und so schwieg sie, zornig über ihr schwerfälliges Wesen, das ihr Grenzen zog, die sie so gern übersprungen hätte. „Sie wohnen wohl auch im Hotel Byron?" fragte der Fremde. „Nein, ich hab' mir einen stillen Winkel ausgefunden." Die Unterhaltung brach ab. „Wirklich sehr gut", sagte er noch einmal, grüßte und ging. * * * Sie stand noch immer unbeweglich zwischen den Säule« von Sankt Apollinare. Wie wohl ihr daS getan hatte, dies flüchtige Be gegnen mit einem fremden Menschen, ihr, die so Einsamkeit gewohnt war, der es fast wie ein Ereignis schien, daß je mand anders zu ihr gesprochen hatte im Mauerring Ra vennas, als nur ihre alte Hauswirtin und deren schmutzig schöner Enkelsohn, der kleine Sigismondo. Und sie hatte doch die Menschen so leicht entbehren zu können geglaubt. Auch nicht der leiseste Hauch des Neides vermochte sie zu erfüllen, wenn sie eine lachende Touristen gruppe zwischen den leeren Palästen der totenstillen Stadt hinschreiten oder einen Wagen mit einem glücklichen Paare an sich vorüberrollen sah — hinaus zur Pincta —, einem Paar, dem seine Liebe tausendmal interessanter war als alle Pinien des blaffen McereSstrandes. Sie war seit einigen Jahren fertig mit dem Wünschen und dem Neide. Nichts vermochte ihre Pulse schneller schlagen zu machen, als etwa das Gelingen ihrer Arbeit. Und nun war ihr dies kleine Erlebnis mit einem Male wie ein großes Ereignis. Sie räumte ihr Malzeug zusammen und schob eS unter die Bank, die im Schatten »er Kanzel stand. Das Blatt aber löste sie ab, rollte eS vorsichtig ans und nahm es mit sich. Am liebsten hätte sie eS ihm gleich nachgetragen; nrn der Mut fehlte ihr. Sein Interesse hatte ihr so wohlgetan, und erst fein Lob! Da- pulsierte ihr wie Wein durch die Adern. Sie trat in die Sonne. Go heiß war «». So scharf zeichneten sich die Schatten über da« Pflaster. Kein Lüft»
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