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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030221028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903022102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903022102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-21
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Die sonstigen offiziösen Stimmen von verschiedener Klangfarbe, die, sei es aus München in der Kölnischen Volksztg.", sei es aus Berlin in der „Köl nischen Ztg." oder im „Berliner Lokalanzeiger", laut werben, verraten einen Höch st verdächtigen Eifer, di« wahren Gründe de sWechsels im baye rischen Ministerpräsidium zu vertuschen. Mit allem Nachdruck wird der Ministerwechsel mit Meinungsverschiedenheiten in Verbindung ge bracht, die Wer die Kompetenz des Ministerpräsidenten ausgebrochen sein sollen. Wenn im bayerischen Mini sterium derartige Differenzen überhaupt eintrateu, dann wird doch kein Mensch glauben, daß sie zum Rücktritt des Grafen Crailsheim geführt haben. Je lauter offiziös verkündigt wird, daß durch den bayerischen Ministerwechsel die nationalpolitische Stellung Bayerns nicht berührt werde, und je dickere Farben aufgetragen werden, um den neuen Ministerpräsidenten Freiherr« von Podewils als nichtklerikal, als wärmsten Freund der Bundesverfassung und des Grafen Bülow zu malen, um so sorgsamer wird man beobachten, ob die Taten -es neuen Ministeriums all diese« schönen Beteuerungen ent sprechen. Wenn die „Kreuzztg." sich gleichfalls ange legen sein läßt, die Bedeutung res bayerischen Minister wechsels abzuschwächen und zu bestreiten, daß von ihm ein ungünstiger Einfluß auf die Stellung Bayerns zum Reiche und zum Kaiser erwartet werden könne, so l^>t es mit diesem Schachzug des konservativen Organs seine besondere Bewandtnis. Denn die „Kreu ztg." hat an ihrem Teile wacker am Sturze des Grafen Crailsheim mitgearbeitet. Schon am 12. Fe bruar d. I. konnte die „Kreuzztg." ironisch, wie man jetzt sieht, davon sprechen, daß die damaligen Mitglieder des bayerischen Kabinetts „wohl noch" das Vertrauen der Krone besäßen) und in demselben, an leitender Stelle ver öffentlichten Artikel „Aus Bayern" verlieh die „Kreuzztg." dem klerikalen Anstürme gegen das Ministerium nach Kräften ein erhöhtes Relief, indem sie schrieb: „Zweifel los hat der Parteitag (des bayerischen Zentrums) gezeigt, daß die Erregung nicht künstlich gemacht worden ist, und wenn ihr nicht in immer glücklicher Form Ausdruck ge geben wurde, so ist hier auf psychische Vorgänge Rücksicht zu nehmen, worauf auch ein von Berufs wegen kühler Kopf, ein Politiker, billigen Anspruch hat." — Es nimmt sich nach solcher Beschönigung der von dem Parteitage des bayerischen Zentrums betriebenen partikularistischen Hetze ungemein komisch aus, daß die „Kreuzztg." heute von den „extrem-partikularistischen" Bestrebungen in Bayern zu versichtlich hofft, daß sie „an der Weisheit und an der Bundestreue der beiden beteiligten Herrscher scheitern i werden." Einen Fingerzeig in der gedachten Richtung I wird die endgültige Gestaltung des Ministeriums Pode-1 wils geben, über die man z. Zt. noch nichts Bestimmtes weiß. — Schließlich mögen noch zwei charakteristische Preßstimmen znr Ministerkrise mitgeteilt werden: Das klerikale „Neue Münchener Tagblatt" schreibt: Diese Ernennung wird Wohl allseitig mit Befriedi gung ausgenommen werven, um so mehr, al» Freiherr von Podewils sich in seiner bisherigen Amtsführung eifrig und er folgreich bemüht zeigte, gerecht nach allen Seiten zu sein und parteiliche Sonderbestrcbungen zu unterdrücken. Er ist sicher nicht der Mann, der in die Fußstapfen eines Grafen Crailsheim treten wird. Auf liberaler Seite hat er sich denn auch bis jetzt keine rechten Sympathien zu erwerben gewußt. Die „Allgemeine Zeitung" schreibt: Für die Frage, die auf aller Lippen liegt, ob ein neuer und unerfreulicher Kurs sich wider Erwarten ankündigt, wird entscheidend sein, wie das Kultusministerium besetzt wird und ob und welcher Ministerposten weiter nach den Wün schen des Zentrums „vakant" wird. Hoffentlich dämmert nun der vertrauensseligen Führung des Liberalismus, warum wir mit anderen liberalen Blättern in den letzten Wochen ein über das andere Mal gemahnt haben, sich endlich zu rühren und nicht der randalierenden Zentrumsführung allein die Dar stellung der Wünsche des bayerischen Volkes zu überlassen. Die englische Flotte. Seitdem von einer fortschreitenden Einschränkung der Monopolstellung Englands auf wirtschaftlichem Gebiete mit Recht gesprochen werden» kann, hat sich auch in politischen Fragen eine Besorgnis, eine nervöse Unruhe der Gemüter in England bemächtigt, die in den Zeiten eines durchaus gesicherten Staats- und Wirtschaftslebens völlig unbekannt war, die aber, da sie sich bald in dieser, bald in jener Form äußert, durchaus nicht mit dem Ver halten eines überlegenen, sich seine» Kraft bewußten Volkes im Einklang steht. Als die ersten Mißerfolge aus Südafrika gemeldet wurden und als sich erwies, daß nicht die militärischen Leistungen der südafrikanischen Kon tingente, sondern die Isolierung und die Abnahme der Widerstandsfähigkeit des Gegners den Sieg über die Boerenrepubliken ermöglicht hatten, forderte die öffent liche Meinung in England stürmisch die Reorganisation und Verstärkung des Landheeres. Noch ist kein Jahr seit dem vergangen, und die Stimmung hat sich völlig ge ändert. Es heißt jetzt, es sei in höchstem Maße unnatür lich und unzweckmäßig, daß England, dessen weitaus wich tigster Faktor die Flotte sei, im letzten Jahre für mari time Zwecke nur 81 Millionen Pfund Sterling verausgabt habe, während für die Landarmee des Vereinigten König reiches einschließlich der Truppenkontingente in Indien und in den Kolonien 61 Millionen Pfund Sterling ver ausgabt worden seien. Sicherlich wird dieses Verhältnis des Militär- und Marinebudgets noch in der laufenden Session das Parlament beschäftigen, und nach den For derungen und Vorschlägen, die in der gesamten englischen Presse zum Ausdruck kommen, ist es keineswegs zweifel haft, daß eine Erhöhung des Budgets für die Flotte, als des wichtigsten Bestandteils der nationalen Verteidigung, mit derselben Energie und Absicht gefordert werden wird, mit der die kürzlich im Westminster Palace Hotel ver sammelten „denkenden Männer der Nation" die Schaffung eines Nordseegeschwaders und eines Kriegshafens an I der Ostküste als Operationsbasis gegen die deutsche und die russische Flotte verlangt haben. Ob die finanzielle Durchführung dieser in Aussicht gestellten Forderungen für neue maritime Aufgaben durch eine Reduzierung des Militärbudgets ermöglicht oder ob neben den wachsenden Aufwendungen für die Bedürfnisse des Land heeres eine weitere Erhöhung des Flottenbudgets beab sichtigt werden wird, ist ungewiß, aber auch unerheblich; denn in einem Staate, wo nach dem eigenen Zeugnisse der englischen Presse die Krage der nationalen Verteidigung „turmhoch über -en Parteien" steht und wo seinerzeit der Erste Lord der Admiralität zurücktreten mutzte, weil er zu wenig für die Flotte forderte, wird die Regierung den Forderungen nach einem weiteren Ausbau der Flotte nachgeben können, ohne besorgen zu müssen, daß von den parlamentarischen Körperschaften der Annahme einer solchen Vorlage irgend welche Schwierigkeit ent gegengesetzt werde. „Provisorium" in Transvaal. Aus Pretoria schreibt man uns Ende Januar: Es zeigt sich bei Lord Milner eine Neigung zum Experimen tieren in der Gesetzgebung, es ist daher auch manches nur provisorisch, ja man könnte sogar sagen, wir leben unter dem Zeichen provisorischer Zustände. Provisorisch ist der neue Zolltarif, provisorisch die Ordnungen der Eisenbahn angelegenheiten, provisorisch die Anordnungen über den Sitz der Administration und zum Schluß gesellte sich auch noch ein provisorisches Gesetz über den Verkauf geistiger Getränke dazu. Unter dem alten Zolltarif waren verschiedene Industrien entstanden, welche nicht gegründet worden wären, wenn das Vertrauen auf den Fortbestand der alten Zölle nicht mitbestimmend gewesen wäre. Die Zementfabrik, ein nicht unbedeutendes Unternehmen, muß mit -cm Wegfall eines Schutzzolles von 9 Prozent ack valorem und 12 Schilling per Faß rechnen: die kurz vor dem Krieg gegründete Glasfabrik genoß einen Schutzzoll vou 1 Schilling per Dutzend Flaschen, welcher jetzt weg fällt: die. bestehende Fabrik zur Konservierung von Früch ten muß sich, so gut oder so schlecht sie kann, damit ab finden, daß der Schutzzoll auf ihre Produkte um 27 Schil ling 6 Pence per hundert Pfund herabgesetzt worden ist: die ganz bedeutenden Cigarettenfabriken haben sich damit zu befreunden, daß ihr Schutzzoll um 2 Schilling per Pfund reduziert ist, während der Zoll auf ihr Rohmaterial der alte geblieben ist. Wie alle diese Industrien, in welchen teilweise recht beträchtliche Kapitalien angelegt sind, unter den neuen Verhältnissen weiterbestehen werden, ist eine Frage, die zur Zeit nicht beantwortet werden kann. Das selbe Prinzip der Nichtachtung be st ehender in dividueller Interessen ist auch in dem neuen Gesetz betreffs des Verkaufs geistiger Getränke bemerkbar. Es darf ja nicht geleugnet werden, daß die öffentlichen Schänken sich vor dem Kriege in einer Weise vermehrt batten, welche zu der Zunahme der Bevölkerung in gar keinem Verhältnis mehr stand, aber ebensowenig kann be stritten werden, daß enorme Summen in diesen Schänken angelegt waren: war es doch nichts Ungewöhnliches, daß allein der Pachtkontrakt einer gutgelegcnen Schänke für Tausende von Pfund den Besitz wechselte. Das neue Gesetz bestinnnt, daß nur eine ganz bestimmte Anzahl von Schänk- lizenzen, in genauem Verhältnis zur Einwohnerzahl der betreffenden Orte, ausgegeben werden darf: ferner hat jede Stadt, jedes Dorf usw. das Recht, durch öffentliche Abstimmung zu beschließen, die Anzahl solcher Lizenzen noch weiter zu reduzieren oder solche überhaupt zu ver bieten. Es fragt sich nun, was aus den vielen Tausenden von Personen werden soll, die durch das neue Gesetz ihre alte Beschäftigung verlieren und ferner, was die Leute machen sollen, die durch Verlust ihrer Schänklizenz ein recht beträchtliches Kapital verlieren. Rechnen wir z» diesen konfusen Zuständen nun noch die Unsicherheit be treffs des auch nur provisorischen Steuergesetzes, die Furcht vor neuen unerwarteten hohen Steuern, so ist leicht verständlich, daß der mit so großer Sicherheit vor ausgesagte außerordentliche Aufschwung des Landes noch immer nicht eingetreten ist, ja daß Börse und Handel heute unbefriedigter sind, als dies während der letzten Monate des Krieges der Fall war. Das amerikanische „Anarchiftengesetz". Aus Washington, 21. Februar, wird uns depeschiert: Das Repräsentantenhaus stimmte dem Bericht deS Ausschusses über den Gesetzentwurf zum Schutze des Präsidenten zu. Der Gesetzentwurf sieht in der von dem Ausschüsse angenommenen Form die Todesstrafe für jeder mann vor, der vorsätzlich oder böswillig den Präsi denten oder Vizepräsidenten, oder irgend einen Beamten tölet, auf den die Pflichten des Präsidenten übergehen könnten, desgleichen, wenn Mord an irgend einem Botschafter oder Gesandten verübt wird, der bei den Vereinigten Staaten accreditiert ist. Jeder Mordanschlag auf die erwähnten Per sonen wird mit dem Tode, oder mit Zuchtbaus nicht unter 10 Jahren bestraft. Jeder, der bei einem Mordanschlag auf die er wähnten Personen Hülfe leistet, Ratschläge erteilt oder denselben fördert, wirb als Täter angesehen und als solcher bestraft. Jede Person in Amerika, welche die Lehre verbreitet, eS sei Pflicht oder Notwendigkeit, einen oder mehrere Würden träger Amerikas, oder irgend einer anderen zivili sierten Nation, zu tölen, wird mit Geldstrafe bis zu 5000 Dollars oder mit Gefängnisstrafe bis zu 20 Jahren belegt oder es können auch beide Strafarten eintreten. Die Einwanderung aller Personen, welche gegen die Regierung feindselige Gesinnung hegen oder irgend einer Organisation angeböreo, welche solche Gesinnung des kündet, ist in Amerika verboten. Wenn solche Personen nach Amerika einzuwandern versuchen, machen sie sich strafbar. Schließlich bestimmt der Gesetzentwurf, daß keine Person, welche der geordneten Regierung verneinend gegenübersteht, oder irgend einer Organisation angehört, welche solche Ver neinung lehrt, in Amerika naturalisiert werben kann. Deutsches Reich. /?. Berlin, 20. Februar. (Zum Schulkampf in Trier.) Die „ Kölnische Zt g." spricht die hoffent- lich nicht offiziöse Ansicht aus, daß die preußische Staatsregierung den Vorstoß der Trierer Geistlichkeit mit „ M i ß a ch t n n g " strafen könne, wenn er vereinzelt bliebe und durch den übrigen preußi schen Episkopat nicht nachgeahmt würde. Diesen Ratschlag des rheinischen Blattes halten wir für unrichtig. Der preußische Episkopat ist als Gesamtheit viel zu klerikal, um in diesem Falle an eine „Mißachtung" auf Seiten der preußischen Ltaatsregierung zu glauben: er würde infolge Feuilleton Feierstunden. -ss Ein Jahr aus einem Leben. Von Emil Roland. Nachdruck verboten. Dort brannte auch das ihre im Hause der Waschfrau. Der schöne Knabe stand vor der Tür und streckte ihr einen Goldlackstrauß entgegen. Sie gab ihm Soldi, mehr als sie eigentlich bei ihren Verhältnissen verantworten konnte, und ging dann noch an die Arbeit, die sie tags über versäumt hatte. Bis spät in die Nacht hinein zeichnete sie und hörte erst auf, als eine ferne fahle Helle den nächsten Morgen anzukündigen begann. 4- * -» Eine ganze Woche lang las sie ihm nun täglich mehrere Stunden vor. Ganz selbstverständlich trat sic im dämmerigen Ecksaal des Hotel Byron dazu an. Er hatte eine sehr vollständige Reisebibliothek mit sich, in der nur seine eigenen Werke fehlten. Sie las ihm deutsch, italienisch, französisch vor — ja, sie würde über Nacht Suaheli gelernt haben, wenn er etwas in der Sprache vorgeschlagen hätte. Sie las sehr gut. Ihre Stimme war so weich und — was er eines Tages dankend hervorhob — so durchaus dtalektlos. Dabei fiel ihm aber gar nicht ein, daß die Frage so nahe lag, auf welchen Dialekt sie denn eigentlich Anspruch zu erheben hätte. Persönliches sprachen sie überhaupt nicht miteinander. Sie fühlte, daß er tief ver stimmt war durch die Wiederkehr seines Augenleidens und die Verbannung aus dem Sonnenlicht, kaum daß sie zu fragen wagte, wie es ihm gehe. JedeSmal, wenn sie ihn verließ, reichte er ihr dankend die Hand, und ein Zug der Ritterlichkeit lag dann plötz lich über seinem ganzen Wesen, auch etwas aus ver klungener Zett — so ein Echo von einst. Und wenn sie ihn bann ansah — trotz der Falten aus der Stirn, der tiefen Gebankennarben, trotz be lief pessimistischen Zuge- um bi« Lippen — konstruierte sie sich zuweilen sein Jugendbild zurecht und beneidete dann wohl die Mädchen jener Zeit, die ihm einst hatten begegnen dürfen und nun alte Frauen waren, grauhaarig und müde wie er. Spät abends wanderte sie dann noch durch die düstern Straßen von Ravenna. Einmal begegnete sie ihm, plötzlich, au der Ecke des erzbischöflichen Palazzo, in dem blauschwarzen Schatten, den das riesige Gebäude warf. Er erkannte sic natürlich nicht. Die Blicke, mit denen er das nächtliche Städtcbild betrachtete und genoß, gehörten nicht unter die Rubrik jener Blicke, mit denen der Tourist Passanten mustert — sie hatte nicht den Mut, ihm ihre Gesellschaft aufzndringen und glitt leise vorbei wie ein Schatten. Ein arrdermal sah sie seine Silhouette unter den Loggien, djc das Monogramm Theodorichs wie einen alten Adelsbrief an der Stirn tragen. Sie mar froh, daß er sie nicht entdeckte, denn einer jener schrecklichen jungen Leute verfolgte sic, solch ein profanes Exemplar mit Gigerl anstrich und umgekremvelten Beinkleidern, wie sie selbst im heiligen Ravenna unvermeidlich sind und allen blonden Ausländerinnen professionsmäßig nachlaufcn, wenn cS sein muß, bis zur Pineta hinaus. Seitdem wagte sie nicht mehr, Hausmann auf seinen abendlichen Wegen aufznspürcn, so großen Reiz es auch für sie hatte, den feinen Gclehrtcnkopf minutenlang auf tauchen zu scheu auf dem Hintergründe' der südlichen Sommernacht. Als sie am Ende der Woche zu ihm kam, fand sie ihn wie aufgelebt, bei halb offenen Rouleaux, fast genesen. „Wie haben Sie cs nur ausgehalten mit solch altem Brinnmbär all' die Tage?" fragte er. „Ja, derartige Mißgeschicke machen einsilbig, und es gehört schon eine sehr nachsichtige Freundin dazu, die da nicht erlahmt! Aber nun bin ich wieder auf dem Posten, und daß Sie mich nicht allzusehr als unmanierlichen Griesgram taxieren, werde ich morgen etwas sehr Gesellschaftliches tun und Ihnen einen feierlichen Danksagungsbesuch abstatten für all' Ihre Güte — vielleicht so ums Aveläuten herum —" Sie erschrak fast. „In meiner Hütte —" „Deren topographische Lage Tie mir genau beschreiben müssen, und dann lesen wir einmal nicht, sondern plau dern. Sind Sie einverstanden?" Ob sie einverstanden war! Aber ein Reif fiel in der nächsten Minute auf ihre Freud«. Er reichte ihr ein illustrierte- Journal, da- ihm zu geschickt worden war — eine Serie Bilder der modernen Malerei — schöne Sachen: Liebermann, JsaakS, Uhde: aber alle das Elend darstellend und die Armut. „Solch' ein Journal", sagte er, „das einem daMlöylich in den Weg geschleudert wird und peinliche GefMile in einem erweckt, wirkt auf mich geradezu wie ein Mißton. Was kümmern mich hier im zaubervollen Ravenna diese Schlagschatten modernen Jammers? Diese Arme Leute- Malerei! Ich weiß, es ist nicht gut von mir, und auch nicht christlich; aber ich habe einen Widersinn gegen alle Armut. Arnmt wirkt auf mich so unästhetisch — im Leben wie in der Kunst." „Was wird er zu meiner Behausung sagen?" dachte sie verzweifelt. * * * Es war kurz vor dem Sonncnsinken. Helene hatte die beiden Fenster ihrer niederen Stube weit geöffnet und schaute prüfend hinaus. O, sie konnte sich beruhigen! Die Aussicht wenigstens war ersten Ranges, wert, vor Hausmanns Blicken da zuliegen, so heilig ernst, vom roten Abendhimmel farben zauberisch überspannt, die ganze Ebene bis weit über Classe hinaus umflammt vom Rosenlicht des scheidenden Gestirns. Lolch' ein Sonnenzauber über dem Gefilde von Ra venna, das mußte ihn belohnen für die Steilheit der schrecklichen Stiege, die durch die Armseligkeit des elenden Hauses hinaufführte zu ihr. O, diese Stiege, diese morsche Leiter! Wie sie sie ver wünschte, nun sein Fuß sie beschreiten sollte, des Mannes Fuß, der mit seinem künstlerisch empfindlichen Sinn solch' ein Feind unästhetischer Armut war! Oben bei ihr freilich sah niemand mehr die Häßlichkeit der weißgetünchten Wand. Sie hatte ihre Skizzen über den Kalk genagelt, eine stolze Reihe schöner Kirchenbilder, eine Sinfonie von Säulen und Mosaikbändern, ein ge maltes Ravenna mitten im wirklichen. Und Blumen hatte sie in Hellen Haufen heute mittag in ihre Zimmer getragen. Lichte Scharen von Rosen, Orchideen und dunkelglühender Goldlack drängten sich in den Ecken, und die alten Küchenkrüge, in denen sie standen, wurden so stilvoll durch die blühende Last; die waren im Laufe der Zeiten wieder modern geworden mit ihrem etrurischen Anfluge. Und sie selbst! Ja, über sich selbst mußte sie lächeln. Ein weißes Gewand fiel in schweren, weichen Falten an ihr hernieder, halb wie eine Kutte, halb wie das Kleid einer Präraffaelitin. Den Stoff hatte sie einmal in Florenz in einem kleinen, armseligen Laden gekauft, so aus Mitleid im Borübergehen — derselbe Stoff war's, aus dem die Karthäuser des schönen Bergkiosters droben im Elmo- tal ihre Kutten trugen — Mönchsgewand. Heute früh hatte sie sich's zusammengeheftct mit ein paar Künstler stichen, und ein bunter Gürtel vom Ponte vecchio, ein gleißendes Ding für zwei Lire, schimmerte wie königliches Geschmeide aus dem weichen Weiß. Sic besah sich im Spiegel. Der heiße Septembertag hatte ihre Wangen gerötet. Wirklich, so blaß und müde wie gewöhnlich sah sic heute gar nicht aus! „Was wohl die Leuchtcnbcrger dazu sagen würden?" dachte sie, „ihre Schwester, die so zufrieden schien mit ihrem hübschen Schulmeister? Und dieser selbst, der „abgcschobene" Verlobte ihrer Jugendjahrc?" Wie anders doch ihr Leben geworden war, als sic einstmals geglaubt. Jahre der Arbeit — Arbeit — Ar beit, und nun plötzlich ein paar Feierstunden des Da seins, etwas, das beneidenswert war, selten, ein Glücks fall ... . Da hörte sie ibn kommen durch die weit offene Haus tür. Nun betrat er den Hausflur, und das Zwielicht tat ihr den ltzefallen, alles Unschöne mit jenem versöhnenden Dännnerscheinc zu umhüllen, der das Gemeine adelt. An der Treppe stand ein großer Kübel mit Apfelsinen zweigen, und im Kampfe mit dem ewigen Polentagcruch, der sonst das Haus durchzog, hatte der Orangcndust so sehr den Sieg davongetragen, daß Hausmann ihn mit Entzücken einsog und die Schrecklichkeit der steilen Stiege kaum bemerkte. Helene stand oben vor ihrer offenen Tür und, beinah zu ihrem Aerger, siel ihr ein altes, allzu ost gebrauchtes Citat ein, dessen Richtigkeit sie aber unabwcicbir em pfand, denn eS war „Glanz, der in ihre Hütte kam"! Hausmann lnrttc, seit er seinen Besuch in Aussicht gc stellt, dieses Versprechen bereits tief bereut — Visiten feind, der er war. Nur seufzend hatte er sich zum Aus gehen gerüstet und sich ein wenig geärgert, daß cs einen gewissen Zwang selbst in Ravenna gab. Aber plötzlich fing die Situation an, ihm zu gefallen. Die alte Wäscherin mit ihrem Sibnllrngcsicht und der schöne Knabe, die vor dem Haufe saßen und neugierig den Fremden musterten, riefen die Freude in ihm wach, die er von jeher an dem Typus der welschen Rasse gehabt. Und der Orangendvft, wie er ibn liebt«, dies«» r«tch«n.
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