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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030226024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903022602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903022602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-26
- Monat1903-02
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Anzeige«-Pret- dte Sgefpatteue Petüzeüe Ld Neklaseu uuber de» N»daMlm«strtch ssgrspaüe») 78 vor de» Famtlteuuach- richtn, (S gefpalleu) 80 Tabellarischer uud Hiffernsatz entsprechend höher. — Vebühren für Nachweisungen und Offertenannahm« 88 H (excl. Porto). Grtra »Beilagen gefalzt^ rar mit der Morgeu-AuSga^, ahne 'Sostbeiörderuug ch 60.—, mit ßostbcsördernng ch 70.—. Annahmrschlnß Ar L^yri-en: «baud-Ausgabe: sorrnittay« 10 Uhr. Morgau-Aasgaber Nachmittags 4 Uhr. Anzeige» find stet« an di» Expedition zu richte». Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» adeuds 7 Uhr. Druck uud Verlag vou E. Polz i» Leipzig. 97. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. Februar. Die Milzbra«d»A«steckungsgesahr vor dem Reichstage. Wenn die Reichstags-Verhandlungen über den Etat de- RetchSgesundheitsauttes auch ein parteipolitisches Interesse nicht haben, so trifft doch auf sie zu, was der nationalliberale Abg. Wehl- Celle, als er gestern -um ersten Male zum hohen Hause sprach, mit Recht her vorhob: eS handelt sich bei ihnen um das Beste deS Volkes. Die- gilt ganz besonders auch von der Besprechung, die sich auf die Ansteckungsgefahr durch Milzbrand bezog. Das genannte Mitglied unserer Partei wies darauf hin, wie die Gerbereitnterefsentcn dafür halten, datz die Regierung mit ihren Maßregeln gegen die Milzbrandtnfektion nur vorsichtig vorgehen solle. Der Verein deutscher Gerber unterschätze diese Gefahr durchaus nicht, er habe ein Preisausschreiben für die beste Methode der Bekämpfung ergehen lasten. Manche der ergangenen Vorschriften ließen das Bedauern entstehen, daß man sich seitens der Bchürden nicht zuvor mit Sach- und Fachkennern in Verbindung gesetzt. Nach Ansicht des Abg. Wehl, dessen Sachverständnis sich nicht am wenigsten auf eine dreißig jährige Erfahrung beim praktischen Betriebe einer Gerberei stützt, hat man sich nicht eingehend genug mit der Frage beschäftigt. Er ist über zeugt, daß nicht allein die Gerberei, sondern auch andere Industrien zur Verbreitung der Seuche bei tragen. Nach seiner Ansicht besteht ein Unterschied bei den aus dem Auslände kommenden Häuten: die aus den La Plata-Staaten stammenden schließen die Gefahr einer Verschleppung der Krankheit nicht ein. Anders steht es mit denen, ans China und Süd-Australien. Damit man nicht den ausländischen Wildhäuten die Hauptschuld gebe, führte er an, wie auch in den Orten, wo nuir deutsches Material verarbeitet werde, in den letzten Jahren häufiger sporadisch vereinzelte Erkrankungen aufgetreten sind. Nachdrücklich richtete er an den Staatssekretär deS Innern das Ersuchen, vor dem Erlaß einer Verordnung über die Gerbereianlagen Leute aus dem Berufe zu befragen. Graf Posadowsky stellte fest, wie es unzweifelhaft sei, daß noch jetzt, namentlich von kleineren Gerbereien, die Felle im fließenden Master geweicht und gereinigt werden, und daß damit auch die Gefahr der Verbreitung des Milz- br<m-eS verbunden sei. Es werde die Frage sein, ob durch eine Verordnung des Bundesrates oder eventuell durch ein Gesetz die Gefahr der Verseuchung von Flußläufen durch das Wässern von Tierfellcn zu beseitigen sei. Zur Verhütung von Milzbranderkrankungen infolge Bear beitung von Borsten ist neuerdings eine Bundesratsver ordnung ergangen, die vor allem den Desinfektionszwang auch auf ausländisches Ziegenhaar ausdehnt, ferner hin schärfere Vorschriften über den Verkehr mit Borsten enthält und die Bestimmungen auf Anlagen ausdehnt, welche weniger als 10 Arbeiter beschäftigen. Des weiteren sind die Bundesregierungen unterm 4. Juli v. I. um eine Aeußerung darüber ersucht worden, auf welche Weise die nicht unter die Bestimmungen der Gewerbeordnung fallen- denHeimarbeiter und ihre Hausgenossen am besten gegen Milzbrandinfektionen geschützt werden können. Die Be richte hierüber stehen noch aus. Es erhellt, daß das Auge deS Reichsgesundheitsamtes wacht. Seine Bemühungen «erben durch Anregungen, wie sie der Abg. Wehl zu geben für nötig erachtete, unterstützt, man wird aber auch dem Staatssekretär deS Innern Recht geben müssen, wenn er der Versicherung, auch die Milzbrandfrage werde fort gesetzt verfolgt, nicht hinzuzufügen unterließ, er glaube, durch forffchrittweifes Vorgehen weiter zu kommen, als durch sofortige Anwendung drakonischer Maßregeln. Der Staatssekretär trat in dieser Beziehung durchaus dar Auf fassung des Abg. Wehl bei. Die Wismar-Frage. Aus Kopenhagen wird uns geschrieben: In Hiesigen politischen Kreisen bringt man den Besuch des Großherzogs von Mecklenburg, den derselbe soeben dem dänischen Hofe abgestattet hat, mit der Frage des Ablaufs des Malmöer Vertrages vom 23. Juni 1803 in Ver bindung. Man sagt, der Großherzog lege wegen der sehr regen wirtschaftlichen Beziehungen Mecklenburgs zu dem skandinavischen Norden und der engen Verwandt schaft seines Hauses zu dem dänischen Königshause großes Gewicht aus die öffentliche Meinung Skandinaviens. Da nun nach dem Urteil schwedischer und dänischer Staats rechtslehrer der Malmöer Vertrag, durch den Wismar nur pachtweise an Mecklenburg abgetreten wurde, ein international anerkannter Staatsvertrag sei, so könne derselbe nicht durch einen einfachen Notenaustausch als abgelaufen erklärt werden, zumal da der Wortlaut eine Verlängerung des Vertrages auf weitere 100 Jahre vor sieht. Der Großherzog wünsche demnach die formelle Er ledigung des Malmöer Vertrages durch ein neues Ab kommen, das nötigenfalls durch einen Schiedsspruch des Königs Christian herbeigeführt werden solle. In diesem Sinne möge über die rechtlichen Folgerungen des Vertrages durch einen mecklenburgischen, einen schwe dischen und einen dänischen Staatsrechtslehrer je ein Gut achten ausgcfertigt werden, und falls sich deren Anschau ungen nicht decken, solle König Christian die Entscheidung fällen. Jur allgemeinen kann es sich dabei nur um die Frage handeln, ob Schweden für die völlige Verzicht leistung auf jedes Rückkaufsrecht irgend eine Entschädi gung zu beanspruchen habe- Dieser Punkt kommt auch nur deshalb zur Geltung, weil bei der Fortdauer deS alten Vertrages auf weitere 100 Jahre die Verpflichtung, WiSmar in keiner Weise zu befestigen, be stehen bleiben würde. Von schwedischer Seite ist deshalb vorgeschlagen worden, das Deutsche Reich möge Schweden das Vorzugsrecht einräumen, daß während 100 Jahre der schwedische Handel in den deutschen Kolonien die gleichen Rechte genießen solle, welch« der deutsche Handel genießt. DaS wäre zwar für den gegenwärtigen Stand nur ein ganz platonisches Recht, aber man hält den Vorsitzenden der Deutschen Kolonialgesellschaft, Herzog Johann von Mecklenburg, für einen Befürworter der Zollein heit des Deutschen Reiches mit dessen K o l o n i e n, so daß bei der Durchführung dieses Planes Schweden doch einen BorteU erlangen würde. Diese von schwedischer Seite aufgestellten Erwägungen finden in Kopenhagen allgemeine Zustimmung, und es ist den Be mühungen des hiesigen schwedischen Gesandten gelungen, sowohl der dänischen Regierung, als auch dem König Christian die Uebernahme einer etwaigen Schiedsrichter rolle plausibel zu machen. Man würde von einer solchen Lösung der Krage auch eine günstige Rückwirkung auf die Stimmung zwischen Dänemark und Deutschland er warten. In diesen Plänen soll auch der Grund liegen, weshalb der Großherzog von Kopenhagen aus sofort nach Berlin zur Rücksprache mit KaiserWilhelm fuhr und der deutsche Gesandte am dänischen Hofe zur Bericht erstattung nach Berlin berufen wurde. Russische Rüstungen? Eine den ,-Times" aus Moskau zugehende Alarm meldung spricht von ganz besonderer Tätigkeit des Generalstabes in den Hauptquartieren Kiew und Odessa. Der Berichterstatter sagt: „In Odessa sollen die Mitglieder des General stabes vor einiger Zeit durch einen besonderen Eid zu strengstem Stillschweigen verpflichtet worden sein. Offiziere des Stabes, die beurlaubt waren, wurden zurückberufen. Die Zugänge zu den Gebäuden des Stabes sind Tag und Nacht von Gendarm en besetzt. Alle De peschen und Akten von Bedeutung werden täglich in Gegenwart eines Stabsoffiziers in die betreffenden Fächer gelegt und unter Siegel gehalten. Ein Gendarm hat sie während der Nacht zu bewachen. Ich bin in der Lage, mitzuteilen, daß alle russischen Truppen, die unter dem Kommando deS Kriegs ministers General Kuropatkin als Südarmee um KurSk im August manövrierten, seit dem Schluß des Manövers permanent auf mobilem Fuß gehalten wurden. Die 15. Division, die in und um Odessa einquartiert ist, macht augenblicklich Manöver übungen, verbunden mit einem fünftägigen Gefechtsschießen. TraintranSport und Lazaretteinrichtungen werden fortwährend im Süden in ungewöhnlicher Stärke aufgestellt. Offiziere, die für den Felddienst nicht tauglich sind, sind entweder in andere Distrikte versetzt worden, oder sie wurden mit Rangerhöhung verabschiedet. Ich erfahre ferner, daß Vorkehrungen mit den Ortsbchörden getroffen wurden, um gewisse Reservistenklassen ohne Verzug einziehen zu können. In anbetracht dieser außer ordentlichen militärischen Tätigkeit und der ungewöhnlichen Geheimtuerei in südrussischen Militärkreisen nimmt man in gewissen Kreisen an, daß Rußland sich auf nicht zu fern liegende Ereignisse vorbereitet." Diese „Times"-Meldung wird natürlich den Gerüchten, daß rs Rußland mit der makedonischen Reformation nicht ehrlich meine, und tatsächlich auf ein kriegerisches Ein schreiten auf der Balkanhalbtnsel hinarbeite, neue Nahrung geben. Das hätte aber Rußland sehr viel ein facher und für sich selbst vorteilhafter vorbereiten können, wenn es Bulgarien und die makedonischen Comitss ein fach hätte gewähren lassen. Die Reise -eS Grafen Lambs dorff an die Höfe der Balkanstaaten und nach Wien war aber gerade durch die Absicht veranlaßt, gegenüber den ja in Rußland in Kreisen der Armee und in der Presse sich sehr stark geltend machenden kriegerischen Strömungen die friedlichen Absichten deS Zaren in unzweideutigster Weise zum Ausdruck zu bringen und der Kricaspartei den Wind aus den Segeln zu nehmen. Daß Rußland an gesichts der Lage auf der Balkanhalbinsel gewisse Vor sichtsmaßregeln trifft, ebenso wie Oesterreich-Ungarn, ist nur natürlich und kann zu besonderen Besorgnissen keinen Anlaß geben. Der französisch-siamesische Vertrag. In dem Schreiben, das Deleass 6 wegen der neuen Verhandlungen zur Abänderung deS französisch-siamesi schen Vertrages an den Präsidenten der Kommission für auswärtige Angelegenheiten und Ko lonien gerichtet hat, bestätigt er den Eingang deS Planes deS Gouverneurs von Jndochina, eines Planes, dessen Ausführung erst vorherige Verhandlungen mit der siamesischen Regierung erfordern würde. Deshalb und weil die von Doumergue, dem früheren Gouverneur von Jndochina, verlangten Mitteilungen noch nicht zur Stelle seien, bitte er die Kommission, seine Erklärungen noch auf schieben zu können. Der Präsident der Kommission er widerte, daß die Kommission, der Bitte Delcassss ent sprechend, ihre Arbeiten bis dahin vertage, wo Delcasse selbst darum bitten würde, seine Mitteilungen machen zu können. Das Mitglied der Kommission Deloncle er klärte in einer Unterredung, die Bitte Delcassss bedeute eine verschleierte Zurückziehung der Akte vom 7. Oktober 1902. Die Verhandlungen über den neuen Plan des Gou verneurs von Jndochina würden sehr lange dauern. Siam werde von seinem Erfolge be rauscht, erlaube si ch a l l e s g e g e n F ra n k - reich. Delcasse werde jetzt nur schwer einer Revision des Vertrages, dem er so wohlwollend seine Zustimmung gegeben hat, von Siam erlangen. Delcasss habe auch keine Aussichten, wirkliche Verbesserungen zu erreichen. Wer wisse denn, ob er überhaupt zweckmäßige Besprechungen eröffnen könne. Indessen werde man darauf rechnen müssen, datz der Gouverneur von Jndochina alles Er forderliche tun werde, damit die Verträge von 189A/18S6 nicht ein toter Buchstabe blieben. Deutsches Reich. -> Berlin, LS. Februar. (Recht-parteilicher Jammer.) Die freie und Hansestadt Hamburg wird bei der bevorstehenden Reichstagswahl zum ersten Male, soweit wir aus der amtlichen Statistik uns unterrichten konnten, den Vorzug haben, einen rechtSpartei lt ch e n Bewerber um ein Hamburger Reichstagsmandat in der Person des welfischen Lehrers Alpers auftreten zu sehen. Als Bahnbrecher für diese Kandidatur ist soeben Graf von der Schulenburg-Oeft in einer Hamburger Versammlung erschienen, und er sowohl ald Herr Alpers selbst haben dabei das Füllhorn rechtspartei- licher Weisheit vor einer angeblich zahlreichen Zuhörer schaft geleert. Graf von der Schulenburg-Oeft hat vor allem die auswärtige Politik zum Gegenstände seiner Be trachtung gemacht. Er tadelte, daß das Deutsche Reich im Boerenkriege nicht dreingeschlagen habe; er tadelte, daß das Deutsche Reich still zugesehen habe, wie die christlichen Armenier hingeschlachtet worden seien; er tadelte, daß in China „die den Chinesen verhaßte, weil fremde Dynastie" nicht gestürzt worden: er tadelte die österreichischen All deutschen, die nach Friedrichsruh wallfahrteten, ob gleich Bismarck sie dem Slawentume preisgegeben hätte; und er tadelte noch einiges andere mehr. In Hamburg wird man von der Jnterventionsfreudtgkeit des Grafen Dchulenburg ganz besonders erbaut sein. Denn die von ihm empfohlene Jnterventionspolitik kann natürlich auf den Handel nur schädigend wirken. Was aber sollte einer Handelsstadt erwünschter sein, als die Schädigung ihres Handels? Auf dem Gebiet der inneren Politik hat Graf Schulenburg selbstverständlich Fortschritte des Imperia lismus und deSZentraliSmuS wahrgenommen. Beweise da für liefert nicht nur das Ausland, das fast ausschließlich vom „Kaisertum Deutschland" und von der „deutschen Monarchie" spreche, sondern auch beklagenswerte Begeben heiten im Reiche selbst. So ist der kleidsame Raupenhelm in Bauern der Pickelhaube gewichen, Württemberg hat seine Briefmarken verloren nnd Reuß ältere Linie gar Feuilleton. Feierstunden. 7s Ei» Jahr ans einem Lebe«. Bon Emil Roland. Nachdruck verdolen. Helene stürmte in den kalten Nachmittag hinaus. „Gottlob!" dachte sie immer wieder — „gottlob, daß ich hier nicht leben muß!" Und so heftig trat sie das schlechte Pflaster, als ob sie ihm weh tun möchte zur Strafe für das öd« Leben, daS es über sich duldete. An einem kleinen, einstöckigen Hause kam sie vorbei mit fünf Fenstern nach der Straße, im Garten eine Kegelbahn, auS der rauhe Bierstimmen und das Rollen der Kugeln klang. Neber der Tür prangte ein Schild mit. dem Worte: Harmonie. DaS war der Areopag für die guten Renommees von Leuchtenberg! Sie hatte eigentlich keine ironische Ader — aber heute mußte sie doch über manches lachen —, und so lachte sie denn auch über das geistige Zentrum der Honoratioren dieser Stadt. Di« Häuser blieben hinter ihr zurück. Sie stieg zur Tannenhöhe hinauf, wo die schöne Aussicht war: hinüber in- Land Reuß und hinunter zur süßen Saale, über der die alte Burg am Berge hing, romantisch, wie im alten Liede. Sie beschloß, abzureisen, baldmöglichst; ihre Pflicht hatte sie getan. Da knirschte neben ihr der Kies. Plötzlich stand der Schwager an ihrer Seite. Eigentlich war die Situation etwas wunderlich, denn ihr fiel in diesem Augenblick ein, daß der Platz, an dem sie standen, ja ihr einstiger Bcr- lobungSplatz gewesen — und ihm sah sie mit plötzlicher Klarheit denselben Gedankengang an. „Kennst du noch, Helene", begann Albert mit tragisch vorwurfsvollem Tone in der Stimme, „die Bank dort?" „Ich finde diese Reminiscenz etwas deplaziert. Die ist doch entschieden zu jenen abgetanen Erinnerungen zu rechnen, von denen man nicht spricht und an die man nicht denkt." „Hast du ste denn wirklich vergessen?" f<«t« st« energisch. „Ich dächte, dazu wäre jener Moment doch zu wichtig gewesen!" Verzeih'! Der Moment unserer Entlobung war für mich weitaus wichtiger!" „Auf den besinnst du dich doch also noch?" „Ja, als auf den Anfang meiner Freiheit." Er trat ärgerlich mit dem Fuße auf den fest gefrorenen Schnee. „Wie schlagfertig du geworden bist und — wie hochmütig!" „Diese Entdeckung machst du als Erster." „Wirklich? Danach müßte ich fast annehmen, daß sich dieser Hochmut auch nur gegen mich wendet. Verachtest du mich vielleicht?" „Nicht die Spur — wie kommst du auf der gleichen?" „Weil du doch immer zu deiner Schwester hälft gegen mich." „Zu meiner Schwester? Zu deiner Frau — willst du sagen!" „Zu der Krau, die du mir zugewiefen hast." „Du vergißt, daß sie dir besser gefiel als ich. Sie war sehr hübsch; ich sah blaß und müde auS damol- — und du Hieltest immer sehr aufS Aeußere!" Er zuckte die Achsel». „In ganz Leuchtenberg war man stets der Meinung, ich hätte dich aufgegeben. In Wahrheit war es jedoch umgekehrt! Du gabst mich auf. Du „schobst mich ab". Damals hast du selbst diesen Aus druck gebraucht! Und deine Schwester schobst du mir zu, obwohl du hättest wissen können, daß sie mir auf die Dauer geistig nicht genügen würde." „Geistig?" rief sie. ,Hast du denn jemals irgend etwas getan, sie geistig zu bilden? Hast du ihr je ein Buch in die Hand gezwungen? Ihr etwas Wissenswerte- er zählt? Niemals! Wie unter einer Glasg'ocke hast du sie gehalten — und so hat sie nichts anderes gelernt als Blumenpflegen." „Sie ist nicht entwickelungsfähig." ,Hast du das nicht auch bet mir geglaubt? Und hab' ich nicht bewiesen, daß ich dennoch enttvickclungS- fähig war?" „Leider!" „Do? Du hältst also die besten Errungenschaften meines Leben- für bedauerlich! Fürwahr, die Abgründe sind tief, dir unsere Auffassungen trennen!" „Ich hatte gehofft, Helene", sagte er leise mit zitternder Stimme, „du würdest eine- Tage- wiederkommen, satt vom Leben da draußen und dankbar für einen Platz an unserem Herde." „Mit geknickten Klügeln, meinst du? Um ein „Glück im Winkel" zu suchen? Um dir den Genuß zu verschaffen, mich hochherzig al- reuige Welfflüchtige verzeihend auf zunehmen? Do meinst du?" „DaS wäre mir allerdings Genuß gewesen." Sie wurde zornig. „Daß auf so stillen Bergen solch krasser Egoismus wachsen kann!" rief sie empört. „Du bist ja eine fast erstaunliche Reinkultur von dieser Sorte. Aber Hoffe nicht-. Dieser Genuß entgeht dir!" „Sage mir nur ein-!" rief er flehend. „Du hast Freunde da draußen? Du hast eine Liebe irgendwo?" Ihre Geduld war zu Ende. Die wandte sich wortlos, stieg bergab und sah ihn nicht mehr an. Er folgte schnell. „Sage mir nur das Eine", bat er, „nur Antwort auf diese Krage!" Die bogen in die Gasse des Städtchens ein. Knirschend bebte der Schnee unter ihren Tritten. Blaugrüne Dämmerung umwehte die kahlen Kronen der Garten bäume. „Sage mir das Eine!" flehte er. „Gut denn", rief sie — „ich will dir antworte». Alle Baumeister aller italienischen Dome sind meine Freunde, und in sämtliche Maler des Cinquecento bin ich verliebt!" Gr betrachtete sie zornig. Di« war ihm so fern, so unverständlich. Ihre spöttische Antwort reizte ihn. Er ließ sie gehen und wandte sich um, der Harmonie zu, wo der Postsekretär bereit- mit dem Kreisärzte kegelte. Noch am selben Abend reist« Helen« ab. Die Unter redung mit dem Schwager war ihr ein willkommener Borwand, früher zu entfliehen. Trude schüttelte staunend den Kopf. ,^8ie konntest du eS aber auch wagen, ettreu Mann wie ihn zu reizen?" fragte sie, halb bewundernd. „Laß nur", sagte Helene und umarmte die Schwester zum Abschied, „dein« Aktien werden jetzt wieder steigen, paß auf! Ich bin heute eine gute Folie für dich gewesen!" Lautlos fast fauste ihr Schlitten durch die stille, dunkel blaue Nacht davon, an den schlafenden Wäldern vorbei, die winterlich einsam über m«nsch«ntosen Tälern rauschten. Ihr war so wohl zu Mut. Was sie hinter sich ließ, daS wäre beinahe ihr Leben geworden, eine Existenz, der si« «inst noch zu rechter Zeit «ntgangrn «ar, dt« si« jrtzt gvs«h«n hatte, so «t« d«r Retter über den Bodensee die überwundene Gefahr vom sichere« Ufer auS schaudernd erblickt. Sie hatte etwa- Bessere- auS ihrem Dasein gemacht — etwas Höheres, Edlere-. Und dankbar fuhr sie ihrer eigentlichen Welt wieder entgegen. * * * Und endlich stand sie auf- neue an der Schwelle seines Hauses. Di« vertraute Abendstunde mit ihrer Lomvenbeü« um fing sie so wohlig. Wie alte Freunde grüßten die schönen römischen Stiche sie von den Wänden. Frau Winter nickte ihr mit Gönnermiene zu. Sic war kein Mensch von vielen Worten und sättigte ihr Rcdcbe dürfnis gewöhnlich mit unverständlichem Gebrumm. Heute aber brachte sie es doch zu einem längeren Latze. „UebrigenS", sagte sie knurrend, „sitzt natürlich wieder der junge Mensch oben." „Welcher junge Mensch?" fragte Helene verwundert. „Der Doktor — so einer, dünn wie ein Licht — er ist jetzt alle Abende beim Herrn." Und mit mißbilligender Miene öffnete sie die Tür von Hausmanns Arbeitszimmer. Und richtig, als Helene in den Bereich der Lampe trat, fuhr hinter HauSmannS Arbeitstisch wirklich ein junger Mensch empor. Frau Winter hatte recht. Er war wie ein Licht, so dünn und schlank und lang — und eS ging auch ein Leuchte« von seinem (Zeucht aus, ein Helles Leuchten, gemischt aus Jugendlichkeit und Unverfrorenheit. Seine Blicke ge hörten zu der Sorte jener gewissen pietätlosen Blicke, die nie auf ein Ding fallen, das ihnen imponiert. Seine Er scheinung hatte etwas Studentenhaftes und dazu einen entgegengesetzten Zug von Philistertum, den vielleicht nur der Kneifer verschuldete, der ihm auf der geraden Nase ohne Schnur balanzterte. Der Schnurrbart war dünn, aber das Hauptbaar auffallend dicht gewellt und brau», ein kastaniensardner Reichtum, der da- gesunde Gesicht wie ein dunkler Rahmen umgab. „Doktor Dachs", sagte er mit eiliger Verbeugung. „Bitte, mein Fräulein, seien Sie nicht enttäuscht, mich hier zu finden, statt des alten Herrn. Er schlägt gerade in der Bibliothek eine Stelle im Aesop nach und mutz gleich in die Erscheinung treten. Wir arbeiten nämlich fleißig a« seinem neuen OvuS." (Korffetzun, folgt.)
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