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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030204020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903020402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903020402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
- Tag1903-02-04
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Spahn provozierten Auslassung ent nehmen kann, gegen diese Gewährung nicht viel oder gar nichts einzuwendcn haben, und aus dem bekannten Wunsche des Kaisers, daß nichtsozialdemokratische Arbeitervertreter in den Reichstag gewählt werden möchten, muß man schließen, daß er als König von Preußen auch in die unerläßliche Vorbedingung solcher Wahlen, die Gewährung von Anwcsenheitsgcldern, willigen möchte. Aber der Kaiser ist, im Gegensätze zu einer weit verbreiteten Ansicht, nicht allmächtig im Reiche, wenigstens nicht in Fragen, deren Lösung nur durch eine Abänderung der Reichsverfassung möglich ist. Es gibt im Bundesrate einflußreiche Stimmen, welche die Diätengewährung von einer organischen Acnderung des Wahlrechtes abhängig machen, für die im Reichstage keine Mehrheit zu haben sein würde, und da nach Artikel 78 der Reichsverfassung schon 14 Stimmen im Bundesräte genügen, um Anträge auf Abänderung der Verfassung zu Falle zu bringen, so bleibt es höchst wahrscheinlich, wenigstens vorläufig, in Bezug auf die Diätenlosigkeit beim alten und werden nichtsozialdcinokratische Arbeiter vertreter trotz des kaiserliche» Wunsches in den neuen Reichstag nicht einziehcn. Das Jesuitcngcsetz aber ist einfaches Neichsgesetz, das, wenn der Reichstag dies beschließt, im Bundesräte mit einfacher Mehrheit aufgehoben oder abgcändcrt werden kann. Und da nun Graf Bülow gestern, gleichfalls auf Provokation des Abgeordneten vr. Spahn, erklärt hat, er werde die 17 preußischen Stimmen im Bundesrate im Sinne des Reichstagsbcschlusies, der die Aushebung des 8 2 des Jesuitengesetzes ausspricht, instruieren, so unterliegt cs keinem Zweifel, daß zu den 17 preußischen Stimmen noch mindestens 13 weitere kommen und somit die Mehrheit der 58 bundesrätlichen Stimmen demnächst zu Gunsten der Aufhebung des Paragraphen sich entscheiden wird. Wir beklagen dies mit dem Abgeordneten vx. Hasse auf das tiefste. Der Reichskanzler meint zwar, die konfessionellen Verhältnisse ließen, es nicht mehr notwendig erscheinen, die von dem Jesuitcngcsetze getroffenen Niederlassungen unter die Ausnahmebestimmungen des 8 2 zu stellen, aber wenn er anerkennt, daß die Gründe, die zum Erlasse des Gesetzes geführt haben, noch fortdauern, so begreift man nicht, wie er zu jener Meinung kommt. Man vergegen wärtige sich nur den Wortlaut des JesuitengcsetzeS: 8 1. Der Orden der Gesellschaft Jesu und die ihm ver wandten Orden und ordcnsähnlichen Kongregationen sind vom Gebiet des Deutschen Reiches ausgeschlossen. Die Er richtung von Niederlassungen derselben ist unter sagt. Die zur Zeit bestehenden Niederlassungen sind binnen einer vom Bundesrat zu bestimmenden Frist, welche sechs Mo nate nicht übersteigen darf, aufzulöscn. 8 2. Die Angehörigen des Ordens der Gesellschaft Jesu oder der ihm verwandten Orden oder ordensähnlichen Kon gregationen können, wenn sie Ausländer sind, aus dem Bundesgebiete ausgewiesen werden; wenn sie Inlän der sind, kann ihnen der Aufenthalt in bestimmten Be zirken oder Orten versagt oder angewiesen werden. Ohne diesen 8 2 ist das Gesetz ein Messer ohne Klinge. Denn wenn ausländische Jesuiten nicht ausgewiesen, in ländische nicht interniert werden können, auf welche Weise will mau die Errichtung von Niederlassungen unmöglich mache» ? Es bestehen ja in einigen Einzelstaaten verfas sungsmäßige oder gesetzliche Bestimmungen, welche die Errichtung voll jesuitischen Niederlassungen ebenso unter sagen, wie die Ausübung seelsorgerischer Tätigkeit von Mit gliedern des Jesuitenordens. Aber auch den meisten dieser Bestimmungen fehlen Strafbestimmungen gegen Zuwider handlungen. Glaubt man nun etiva, das Fehlen solcher Strafbestimmungen werde von ausländischen und inlän dischen Jesuiten nicht ausgenuyt werden ? Da sollte man doch die „frommen Väter" besser kennen! Und wie sie schon jetzt im Änne des konscssionellen Friedens wirken, das hat doch soeben noch der Jesuit von Berlichingen mit dem „eisernen" Munde gezeigt! Uebcrdics wird die Auf hebung des 8 2 des Jesuitengeseves einen neuen ultra montanen Sturmlauf nicht nur gegen den Rest des Ge setzes, sondern auch gegen die einzelstaatlicheu Verfasiungs- und Gesetzesbestimmungen entfesseln, die den Jesuiten und ihren Protektoren noch im Wege sind. Davon, daß die Wandlung der preußischen Regierung, die doch früher an dem 8 2 des Jesuitengeseves fcsthielt, vielfach mit dem von dem Reichstagszentrum bei der Entscheidung über den Zolltarif geleisteten guten Dienste in Verbindung ge bracht werden wird, wollen wir gar nicht reden. Das ist Sache des preußischen Ministerpräsidenten, und wenn es ihm gleichgültig ist, ob er in den Geruch kommt, Kuhhandel zu treiben, so kann cs auch uns gleichgültig sein. Im Inter esse des ohnehin schon schwer genug bedrohten konfessio nellen Friedens aber beklagen mir, wie gesagt, die gestrige Erklärung des Reichskanzlers bezüglich des Jesuiten gesetzes auf das tiefste. Der Fall Löhning ist gestern im preußischen Abgeordnetenhaus« von dem Finanzminister Freiherrn v. Rhein baben zur Sprache gebracht worden. Die Art, wie dies geschah, kann im allgemeinen und in der Hauptsache befriedigen. Denn Herr v. Nhcinbabcn hat mit voller Entschiedenheit erklärt, daß der Grund für die Pensionierung des Pro- vinzialstcucrdircktors Löhning nicht in s e i n e r B c r- lobung mit einer FeldwebclStochter, sondern in seiner HaltungzurPolenpolitik gelegen habe. Wenn der Finanzminister anführte, aus privaten Grün den persönlicher Natur sei die Beamtenstellung Löhnings nach seiner Verlobung in Posen unhaltbar geworden, so hat er damit namentlich auf den großen Altersunterschied angespiclt, der zwischen Herrn Löhning und seiner Ver lobten besteht. Daß der Finanzminister in Posen keinen Provinzialstcucrdirektor dulden will, der die Polcnpolitik der preußischen Staatsrcgierung in ausfälligster Form be kämpft, ist nicht nur im Hinblick auf den Beamtencrlaß von 1808 völlig korrekt, sondern an und für sich selbstverständ lich. Als ein großer Mangel, als ein geradezu unbegreif- lichesVo-.kommnismnß esaberbczcichnetwcrdeu, wenn der in Posen wohnhafte Oberpräsident v. Bitter des Herrn Löhning polenfreundliche Denk- und Handlungsweise so wenig kannte, daß er ihm sagen konnte: „Ihr politisches Verhalten kann Ihnen nicht den Hals brechen." Ein Provinzialsteuerdirektor nimnrt doch in einer Stadt wie Posen eine Stellung ein, die dem Oberpräsidenten nach dem Beamtenerlaß von 1898 die genaue Bekanntschaft mit der Haltung dieses hohen Beamten gegenüber der Polenpolitik zur einfachen Pflicht macht. — Ob das taktische Ver halten des preußischen Finanzministers im Falle Löhning richtig war, erscheint sehr zweifelhaft. Bei allem Verständ nis für den Beamtcnftandpunkt, das formell höchst tadelns werte Vorgehen Löhnings sim Punkte seines Exposes) in der Presse unbeantwortet zu lassen, muß man doch be kennen, daß eine baldige amtliche Veröffentlichung im Sinne der von Herrn v. Nheinbaben gestern abgegebenen Darlegungen politisch überaus nützlich gewirkt haben würde. Denn die Hauptsache war schließlich doch der durch Herrn Löhning hervorgerufene Glaube, daß seine Verlobung als solche die Pensionierung herbeigcführt habe. Dieser Glaube kann vor der Erklärung des Finanz ministers nicht mehr bestehen. Ob die Zurückhaltung, die Freiherr v. Rheinbaben betreffs der Gründe sich aus erlegte, die das Verbleiben Löhnings in Posen rrach seiner Verlobung unmöglich machten, ratsam gewesen ist, darf vielleicht gleichfalls bezweifelt werden. Denn diese Zu rückhaltung wird wahrscheinlich gewissen Leuten auch in Zukunft zum Anhalt für die Behauptung dienen, daß die Verlobung mit der Feldwebelstochter, d. h., daß eng herziger Kastengeist zur Pensionierung des Herrn Löhning geführt habe. Znm Befinden des Präsidenten Krüger schreibt man den „Berl. N. N." aus Amsterdam: Mit allgemeinem lebhaften Bedauern wird man die Nachricht erfahren, daß Paul Krüger, der greise Einsiedler von Mentouc, in trüber Stumpfheit seiner Auflösung cntgegendämmert. Die Kräfte des 77jährigen nehmen von Tag zu Tag ab. Er hat seine Villa nur erst einmal verlassen und verbringt den Tag, in seinem Garten licgeüd, auf einem Ruhcstuhle. Der alte Mann befindet sich in einem Zustande allgemeiner Depression. Sogar seine Bibcllesnng hat er aufgeben müssen, ein sicherer Be weis, daß es schlimm um ihn steht, denn sein heiliges Buch bat den imveu. samen Bekenner bisher noch nie verlaßen. Außer seiner Enkelin, Frau Eloff, seinem Arzte Hymans und zwei Schreibern darf niemand sich ihm nähern. Die Umgebung hat fast keine Hoffnung mehr auf eine Ge nesung des Präsidenten. So ist also auch dies machtvolle Leben seinem Ende nahe. In trostlosem Trübsinn sinkt cs dahin. Der Mann, der nie verzagte, der das größte Leid mit stolzem Nacken trug, liegt gebrochen zu Boden — ein trauriges Schauspiel. WaS den Starken, der körper lich und seelisch noch ein Hüne schien, als er vor zwei Jahren in Marseille landete, gebrochen? Es sind nicht nur die schweren Ereignisse der letzten Jahre, es ist auch die unbezwingliche Sehnsucht nach der Heimat gewesen, die Sehnsucht des Naturmenschen nach seinen Kovjes und Feldern. Krüger hat, ein alter umgepflanzter Baum, in unserem Boden nicht wurzeln können. Er ist in unserer Luft verdorrt. Fern von den Seinen, fern von den Kopjcs und Spruitjcs und Valleicn, siecht der Freiheits held dahin. . . . Und er hatte so gehofft, daheim sterben zu dürfen. . . . Die südamcrikanischen Republiken und die Venezuela- Frage. Aus Buenos Aires schreibt man uns Anfang Januar: Wie zu erwarten, legt sich, nach und nach wenigstens, die öffentliche Auf regung, welche in dem romanischen Südamerika hcr- vorgerufen wurde durch das vereinte Vorgehen Deutschlands und Englands gegen Venezuela, die nicht verwundern konnte in Anbetracht des Umstandes, daß alle diese Staaten kein ganz reines Gewissen haben hinsichtlich ihrer finanziellen Verpflichtungen gegen das europäische Kapital. „Wenn heute Venezuela zur Rechen schaft gezogen wird, so kann die Reihe morgen an uns kommen", sagte man zwar nicht, dachte es aber und denkt cs wohl noch, und das ist, wie ohne weiteres zugegeben werden muß, eben keine erfreuliche Aussicht. Wie das in Südamerika ganz selbstverständlich ist, haben die Herren Jungens, Gymnasiasten und Studenten sich das Recht zu gesprochen, ihre Stimme vorweg zu erheben, um Protest einzulcgen gegen die dem Bundesstaate Venezuela zu gefügte „Vergewaltigung", sie finden jedoch nicht den er hofften Anklang und sahen sich, wenigstens in Argentinien, daher bewogen, die ungesagten Protest-Meetings auf „ge eignetere Zeiten" zu verschieben. Auch in gerade tagenden südamerikanischen Kammern wurden Versuche gemacht, Erklärungen zu Gunsten Venezuelas zu erlassen, hier, in Chile und auch in Brasilien fielen jedoch die betreffenden Anträge richt kläglich durch. Wie Telegraphen-Agenturen sich zu der Kühnheit versteigen konnten, die in der von ihnen übermittelten Nachricht liegt, Argentinien habe dem guten Herrn Castro seine Hülfe zugesagt, wird man in Europa nicht so gut begreifen, wie im Ausland, wo man schon oft genug Gelegenheit hatte, sich über die tenden ziösen Lügen zu entrüsten, welche die offiziöse französische „HavasMgentur" in die Welt zu schicken pflegt über mit dem Deutschen Reich in Verbindung stehende Angelegen heiten. Irrig wäre übrigens die Annahme, die Ge müter hätten sich hier und in den südamerikanischen Frei staaten völlig beruhigt betreffs der Venezuelafrage; hat doch schon weiland Ton Bartolo mit Orchcsterbegleitung behaupten dürfen, von einer Verlemndnng, und sei sie noch so widersinnig, werde immer etwas kleben bleiben, und da die nordamerikanische Jingopressc seit Jahr und Tag den südamcrikanischen Staaten Deutschland als gierig auf ihre Länder hinstellt. ihm Eroberungsgelüstc nachsagt, erschreckte das feste Vorgehen gegen Venezuela umsomehr, als in dessen Folge sich heransstellt, daß die Monroe- Doktrin, auf welche so gern gepocht wurde, doch nickt ein unbedingter Sckutz gegen Europa ist. Es kann nickt in Abrede gestellt werden, daß Deutschland für den Augenblick an B c l i e b t h c i t in Südamerika ringe- büßt hat, aber dagegen an Respekt beträchtlich gewonnen. Deutsches Reich. 6. U. Berlin, 3. Februar. (Der Ausbau der Flotten der Kultnrstaaten.) Daß alle Kuliurstaaten den Ausbau ihrer Flotten ganz energisch betreiben, ist bekannt; immerhin liefert eine Zusammevstcllunz der Stapelläufe der KiiegS- marinen im Jahre 1902 ein nach verschiedenen Richtungen bin recht lehrreiches Bild. Es zeigt unS zunächst, daß England sichtlich bestrebt ist, den Flotten Frankreichs unv Rußlands die Stirne bieten zu können; sogar wenn man die Stapelläufe der deutschen Marine mit in Berechnung riebt, hat England immer nock die Trümpfe in der Hand. Dock lassen wir die nach en Zahlen sprechen; die Torpedoboote und die Torpedofabrzeuge sind bei dem Stapel laufe nicht berücksichtigt ES liefen für die deutsche Marine Feuilleton. 3i Dunkle Wege. Roman von I. v. Conring. Äiacdbruck verboten. Als der Bortänzer mit seiner Dame erschien, into nierte die Musik „Rosen ans dem Süden". Konstanze und Rooneck flogen über das glatte Parkett dahin. Ein schönes Paar, dem von allen Seiten bowunderndc oder neidische Blicke und Bemerkungen folgten. Nach einer Tour stand Rooneck still und führte seine Dame in ein verhältnismäßig leeres Nebenzimmer, wohin der lockende Walzer nur gedämpft und iu abgerissenen Tönen klang. Rooneck schob einen Stuhl für Konstanze heran und, sich zärtlich zu ihr hinüberbeugend, raunte er ihr zu: „Was hat cs gegeben, Connie? Du warst so erregt und unmutig? Ich konnte nicht früher kommen, um dich ab- zuholcn. General von Deren hielt mich endlos auf. Also, was ist denn geschehen?" „Van Harpen war unverschämt, Clemens. Er bestand auf seinem Tischtanz. Eigentlich war es ja sein Recht; aber er machte es in so taktloser Weise geltend, daß ich ihn gründlich abfertigen mußte." »Hätte ich das gewußt! Aber es ist ja nicht zu spät. Sei versichert, daß er dich nicht wieder belästigen wird." „Du wirst ihn doch nicht etwa zur Rede stellen wollen, Clemens? Nein, bitte, tue das nicht, versprich mir, daß du es nicht tun willst." „Connie, wie du sonderbar bist! Glaubst du wirklich, ich ließe dick von irgend jemand brüskieren, ohne für dich einzutreten? Ganz gründlich werde ich mir jede Dreistig keit des Herrn verbitten." „Und ich will nicht, daß du überhaupt mit ihm redest, Clemens; er ist ein böser, brutaler Mensch. Ich habe einmal gesehen, wie er sein schönes Pferd peitschte, als es vor einem Graben auswich und nicht springen wollte. Seitdem graut mir vor ihm, und ich habe das Gefühl, als müßte er mir und dir Unglück bringen. Dcstxalb, wenn du mir nicht gleich jetzt fest versprichst, dich nicht mit ihm etnzulafien, habe ich kein« Ruhe mehr." „Aber, Tonnte, ich kann doch nicht — sei doch ver nünftig, Hergchen l" „Clemens, ich warte auf dein Versprechen!" Sie hielt ihm die Hand hin und sah ihn so lieblich an, daß er es nicht über das Herz brachte, ihr ihren Wunsch abzu schlagen. „Gut, meine holde Königin", flüsterte er, „ich will alles, alles tun, was du willst — nur mußt du mich noch einmal so anschen, wie eben jetzt." „Ich habe dein Wort, Clemens?" „Du hast es, Connie. Sv lange Herr van Harpen mich nicht durch irgend eine Rücksichtslosigkeit zu ernsten Maß nahmen zwingt, werde ich ihn laufen lassen, weil du cs wünschest. Aber ich finde, wir tun ihm zu viel Ehre an, daß wir uns in diesen kostbaren Minuten mit ihm be schäftigen. Hast du über das nachgedacht, Koustanze, was ich dir vorgestern sagte, und ist es dir recht, wenn ich morgen zu deinem Vater gehe? Zu denken, daß mir dann diese liebe, kleine Hand für das ganze Leben gehören wird, daß wir immer bei einander sein werden, Koustanze, untrennbar verbunden, ist das nicht eine Seligkeit ohne gleichen ?" Sie sah mit ihren schonen, schwärmerischen Augen zu ihm empor, ein leichter Schauer überrieselte sie: „Sei nicht so siegcsgewiß, Clemens. Ich werde die be klemmende Angst vor Papa nicht los. Die Hindernisse, die sich unserem Glück entgcgenstellen, sind nicht so unbe deutend. wie du meinst. Du nimmst Papas Eiuwilligung schon als gegeben an. Ich glaube aber nicht, daß er sich so leicht überreden laßen wird. Er hat ganz andere Pläne mit mir. Du kennst ihn nicht so, wie ich." „Und du fängst Grillen, kleine Schwarzseherin! Das, dein Vater es übers Herz bringen könnte, unser volles, reines Glück zu zerstören, kann ich mir nicht vorstcllen. Was sollte er auch gegen mich einzuwcnden haben? Ich bin Edelmann, so gut, wie er, und durch mein kleines Vermögen unabhängig." „Du bist Katholik, Clemens." „Und das, meinst du, sei ein Grund, der ihn gegen mich einnehmen könnte?" Sie nickte trübe: „Ich fürchte es." „Du tust deinem Vater Unrecht. So engherzig ist er nicht, kann er nicht sein. Und will er wirklich nicht nach, geben, nicht morgen, nicht in einem Jahr, dann müßen wir oben warten, mein Liebling, geduldig, einer des anderen gewiß, bis unsere große Liebe seinen Widerstand besiegt hat. Nicht wahr, Tonnte, mein Her-, so soll cS sein? Treu und fest in Ewigkeit." „Treu und fest, Clemens." Seine fröhliche Zuversicht begann auf sie übcrzugchen. „Ich will nicht mehr bange sein, und Gott bitten, daß er uns hilft. Und, Clemens, wenn cs doch anders kommen sollte, als wir hoffen . . . ." „Sehe ich aus, wie einer, der sich sein Liebstes nehmen läßt? Nur deiner muß ich gewiß sein können, meine Connie, dann nehme ich's mit aller Welt auf." „Meiner? O Clemens, wie könnte ich jemals von dir lassen? Seit ich dich zum ersten Male sah, gehöre ich dir, wußte ich, daß meine Stunde geschlagen hatte. Ich las einmal ein altes, schönes Wort: „Merke auf den Sabbat deines Herzens!" Das fiel mir ein, als du mir zuerst gegenüber standest — an jenem seligen Novcmberabend, der über unser Schicksal entschied. Wie im Traum ging ich iu den nächsten Tagen umher! Der Sabbat war ge kommen und mein Herz feierte ihn in heiliger Stille." „Geliebte!" Der Mann beugte sich in übermächtiger Bewegung herab. „Oh, daß wir jetzt unter fremden, gleichgültigen Menschen sein müssen!" „Führe mich in den Saal zurück, Clemens. Wir dürfen uns nicht länger isolieren. Der Tanz ist zu Ende und deine Pflicht ruft dich." Beim Abendessen war Rooneck und Koustanze kein un gestörter Augenblick gegönnt. Sie saßen, mit drei anderen Paaren, um einen runden Tisch, und zwangen sich, iu die geräuschvolle Heiterkeit einzustimmen, die der kleine, dicke Eidclstein mit seinen unglaublichen Geschichten entfesselte. In einem unbewachten Augenblicke nahm Clemens seinen gefüllten Champagnerkelch, und ihn Konstanze cnt- gegcnncigend, sagte er leise, ihr tief in die Augen sehend: „Aus morgen!" Kvnstanze nahm erglühend ihr Glas, um mit ihm an- zustvßen. Vielleicht zitterte ihre Hand dabei, denn der schlanke Kelch zersplitterte, als er den anderen tras, so daß der perlende Champagner über das Tischtuch floß. „Ein böses Omen", murmelte das Mädchen. „Scherben bedeuten Glück, gnädigstes Fräulein", krähte Eidclstein. Als die Paare den Ballsaal wieder betraten, blieb Konstanze stehen: „Clemens, ich bitte dich, erlaß mir das Tanzen. Meine Nerven spielen mir einen Streich, eS ist heute allzu viel auf mich eingestürmt." „Du möchtest nach Hause fahren?" „Ja, daü möchte ich, jetzt gleich, wenn «A dir recht ist. In der Stille meines Zimmers will ich mich auf den Tag vorbcrciten, der über unser Schicksal entscheiden soll. Ach, Clemens, erscheint cs dir nicht vermessen, von dem trau rigen, rätselvollen Ding, das wir Leben nennen, ein so unermeßliches Glück zu beanspruchen, wie wir beide cs tun?" „Du bist übermäßig erregt, Connie, und siehst Ge spenster. Wen oder was fürchtest du eigentlich? Dein Vater ist doch kein herzloser Tyrann, der dich um einer Laune willen opfern wird. Richte dein Köpfchen aus und sieh mir in die Augen. Wie ? Tränen? Connie, Connie, cs ist höchste Zeit, daß ich dich nach Hause jchictr. Am liebsten verschwände ich ebenfalls sofort. In dieser Stimmung einen Kvtillvn kommandieren, heißt etwas viel verlangt. Dich aber will ich erlösen: Ordonnanz!" „Herr Oberleutnant?" „Suchen Sie Herrn Oberst von Lindow auf, möglich'! schnell, und bestellen Sie, daß das gnädige Fräulein nicht wohl sei und nach Hause zu fahren wünsche. Und nun komm', Connie, ich werde dich hinausbeglcitcu und dann bei Frau von Deren entschuldigen. Schnell, ehe wir wieder aufgchalten werden." Koustanze stand schon im Mantel da, als der Oberst eilig hcrbeikam: „Was ist denn mit dir, Kind? Du siehst blaß aus. Hoffentlich wirst du nicht krank werden. Sehr ver nünftig, daß du mich holen ließest. Ist unser Wagen da, Ordonnanz?" „Zu Befehl, Herr Oberst, ick habe ihn aus Befehl des Herrn Oberleutnants geholt", meldete der Diener. „Tann also vorwärts", sagte der Oberst, seinen Mantel uinhängend. „Lieber Rooneck, ick danke Ihnen bestens. Lassen Sie sich nicht länger anfhaltcn. Geben Sie doch ins Haus, meine Tochter wird auck ohne Sie in den Wagen kommen. Nochmals, danke schön. Gute Nacht, Rooneck. Vorwärts, Kutscher!" Der Wagenscklag flog zu. Rooneck und Kvnstanze tauschten noch einen Blick, dann zogen die Pferde an. „Hat die dumme Kurmachcrci nvck immer kein Ende?" knurrte der Oberst verdrießlich — „ick glaube, es ist Zeit, daß ich Rooneck mal seinen Standpunkt klar mache." Als er keine Antwort bekam, lehnte er sich verdrieß lich in die Wagenecke zurück und versuchte, den langen Weg durch ein Schläfchen au»zunutzen.
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