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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.02.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030206016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903020601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903020601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
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Amtsblatt des Aönigüchen Land- «nd des Aiinigkiche« Amtsgerichtes Leipzig, des Rates «nd -es Notizeiamtes der Ltadt Leipzig. Nr. 66. Freitag den 6. Februar 1903. Anzeige»-Prei- die 6 gespaltene Petitzetle H. <4g«st>all«) 7» vor d« richt« («gsstwö«) l Labellartscher aud Htfferusatz «utfpmcheod höher. — Eebtlbreu str Nachweisungen und vfferteuauuaguw »5 FH tzxel. Porto). Aimehmrschlnß fir Anzeißkn: Druck «nd Verlag v« U, Pol» i» Leidig. 87. Jahrgang. Vie Befestigungen von Paris. V. w. Nicht nur vom rein militärischen, sondern auch vom politischen Standpunkte aus dürfte eS von Interesse sein, zu erfahren, wie die gegenwärtig in Frankreich an der Tagesordnung stehende Frage der NeNbefestigung von Paris gelüst werden soll und wie die verschiedenen Mei» nungen über diesen wichtigen Gegenstand in der Haupt sache zur Zeit lauten. Der Ausgangspunkt der Beratungen über den sortiftkatorischen Schutz der Landeshauptstadt bildete im Jahre 1898 eine gesetzliche Vorlage, nach welcher das Deklassement und die Veräußerung eines Teiles der Uunvallung von Paris durch baS Parlament gutgeheitzen werben sollte. Der Oberste KriegSrat und die Landes» verteidigungS-Kommission, die hierbei naturgemäß um ihre Ansicht gefragt werben mußten, gaben zwar ihre Zu» sttmmung zu dem Gesetzentwürfe, knüpften jedoch an seine Annahme die Bedingung, daß gleichzeitig Mittel zur Neuanlage forttfikatorischer Werke für die Vertei digung von Paris bewilligt werden müßten. Ueber letzt» genannten Punkt sind nun fortwährend Unterhandlungen hin und her gepflogen worden, und wenn diese auch bis zur Stunde noch zu keinem endgültigen Resultat geführt haben, sondern voraussichtlich erst nach Wiederzusammen» tritt der Kammer zu Ende gebracht werden, so dürften doch unter ihnen eine Reihe von Gesichtspunkten interessieren, die von Gegnern und Anhängern eines teilweise neuen Befestigungssystems von Paris zur Sprache gebracht worden find. In den Vordergrund der Entscheidung gegen jede forti» fikatorische Verstärkung des gegenwärtigen Schutzes der Landeshauptstadt wurde zunächst die allgemeine politische Lage geschoben, die so srteblich aussehe, daß für absehbare Zeit ein Krieg nicht zu erwarten sei, und baß daher die vielen Millionen, die für die in Rede patzenden ve» festigungSwerke gefordert würben, zur Zeit eine zweck mäßigere Verwendung finden könnten. Aber auch von militärischer Seite wurde vielfach -er Einwand erhoben, daß bei der Airsdehnung, die der um Paris angelegte Fortgürtel heute habe, eine Belagerung und Cernierung der Stadt, selbst mit den Mafsenheeren der Gegenwart, nicht mehr, wie früher, in das Bereich der Wahrscheinlich keit gezogen werden könne. Wolle man sich aber doch ent schließen, zur Sicherung des Nordosckns der Hauptstadt und des rechten Seine-Ufers etwas zu tun, so dürfe das nicht in Form einer geschloffenen, fortlaufenden Um wallung geschehen, sondern nur durch eine Reihe von iso lierten befestigten Weicken, für deren Zahl und Lage einige besonders exponierte Punkte im Gelände entscheidend bleiben müßten. ES wurde zur Begründung dieser nicht unwesentlichen Ansicht noch angeführt, auf dem weiten Ge- biete deS BeßestigungSwesens seien noch so unendlich viele Kragen ungelöst, daß das, was Bauban seinerzeit mit seinen gewaltigen Festungsbauten für Frankreich so nutz bringend geschaffen, heute längst keinen Wert mehr habe, und daß man bet dem stetig noch hin und her wogenden, unentschiedenen Kampfe zwischen Geschoß und hinreichen der Deckung leicht dazu komuckn könne, heute das einzu reißen, was man gestern mit so großen Opfern an Zeit und Geld aufgebaut habe. Würde man sich dagegen vor der Hand damit begnügen, «ine begrenzte Zahl vereinzelter Schutzwerke zur vermehrten Sicherung der Landeshaupt stadt vorzuschieben, und außerdem für eine Reihe weiterer Zwischemverke, ständig auf der Höhe moderner Technik zu haltende, aber erst im Mobilmachungsfalle auszuführende Pläne bereit legen, so würden damit nicht nur ungeheure Summen gespart, sondern auch Verschanzungen geschaffen werben, die Nutzen brächten und dem Werde der veraus gabten Gelder entsprächen. Auch könne hierbei der Ein wand nicht als hinreichend angesehen werden, daß in Paris nach Einreihung der Reservisten in die Feldarmee oder nach Aufstellung aller Reserveformattonen nicht ge nügende Arbeitskräfte zur Ausführung solcher Schanz arbeiten vorhanden sein würden. Nachweisbar verfüge die Hauptstadt und ihre nächste Umgebung auch nach Auf gebot aller waffenfähigen Mannschaft noch immer über eine große Menge brauchbaren Menschenmatertals, mit dem, unter entsprechender Leitung, derartige Erd- und Mauerbefestigungen leicht hergestellt werden könnten. Und was mit solchen improvisierten Werken zu leisten sei, das habe Sebastopol und habe Plewna genügend und in glänzendster Weise bewiesen. Schließlich hat sich auch darum der Streit gedreht, ob es empfehlenswert ober notwendig sei, den Vorort St. DeniS, für den Fall des Beschlusses neuer Befestigungsanlagen, mit in die neu zu befestigende Linie etnzubegreifen oder nicht. Bon -en Gegnern eines solchen Projektes wurde auf die glänzende Rolle hingewiesen, die jener Platz während der Belage rung von Paris im Jahre 1871 gespielt habe, und eS wurde dabei ausgeführt, daß die Stadt durch einzelne vorge schobene Werke völlig ausreichend geschützt gewesen sei, ob gleich die fortifikatorischen Anlagen in keiner Weise mit einander verbunden gewesen seien, und sich entweder gar nicht ober nur ganz unvollkommen durch flankierendes Feuer hätten unterstützen können. Zur Klärung der Sachlage und der vielfach diver gierenden Ansichten hatte im Laufe des Sommers, auf An trag des Deputierten M. Gervais, die Kammer ver langt, die Armeekommission solle zu den Fragen der Neu befestigungen von Paris bestimmte Stellung nehmen und sich gutachtlich darüber äußern, wie die vom Parlamente für die in Rede stehenden Zwecke zunächst bewilligten 16 Millionen Francs am sachgemäßesten zu verwenden seien. Zu einem solchen Guto-den der vorgenannte» Kom- Mission ist eS aber nicht gekommen, da diese nach den offi ziellen Erklärungen deS Kriegsministers, Generals AndrS, um ihre Ansicht nicht mehr befragt werden durste, nachdem ein Bericht über diesen Gegenstand, von der Hand deS Deputierten Ruau, bereits auf den Tisch des Hauses niedergelegt worden war. Da also auf diese Weise kein Ausweg zu schaffen war, so hat sich General Andrß an die demnächst zulässige Instanz des Obersten Kriegsrates ge wandt, und dieser hat, gleichsam als eine Art Landes verteidigungs-Kommission, ein Urteil zur Sache abge geben, das der Kriegsminister noch vor Schluß -er dies jährigen Kommission zur Kenntnis des Landes gebracht hat. In diesem Gutachten wird vorgeschlagen, von den bewilligten 16 Millionen 660 000 Frcs. zu verwenden für Flankierungswerke aus Erde an der Seine, von Point- du - Jour ab bis Eourneuve, wettere 800 000 Frcs. für Einrichtung el^trischer Stationen auf der vorgenannten Linie, und den Rest von 18 Millionen teils zur Ver stärkung der Forts La Briche, Double, Couronne du Nord sbet St. DeniS) und Aubcrvillers, teils zur Her stellung einer fortlaufenden Umwallung, die, am Fort AubervillerS beginnend, über das Gelände von La Cour- neuve und AubervillerS hinweg, beim Tore von Saint- Ouen endigen sollen. Aus diesen Vorschlägen sind die jenigen Punkte als besonders wichtig zu bezeichnen, aus denen hcrvorgeht, daß Paris, wenn die Projekte tatsächlich zur Ausführung gelangen sollten, nach zwtzi Fronten zu wiederum seine geschloffene Enceinte haben und St. Denis in diesen befestigten Rayon mit einbegriffen fein würde. Als endgültig ist dies Votum des Obersten Kriegsrates noch nicht anzusehen, und erst die Kammerverhandlungen über den vorerwähnten Antrag Ruau werden eine ab- I schließende Entscheidung bringen. Die französische Presse l ist jedoch übereinstimmend der Ansicht, daß bei dem An sehen, besten in diesem Augenblick der Oberste Kriegsrat sich allgemein erfreue, seine Aufastung von der Verwen dung der für die genannten Befestigungsarbeiten zur Verfügung gestellten Gelber von der Kammermehrheit ge teilt werden wttrde. Ist erst über die Neubefesttgung von Paris entschieden, dann werden in den weiteren Ver handlungen auch die anderen Festungen an die Reihe kommen, und dabei alle diejenigen Fragen deS modernen FestungSwesenS zur Sprache und zum Beschlüsse gelangen, die nunmehr schon seit Jahren fast alle militärischen Kreise Frankreichs aufs lebhafteste beschäftigen. Vie angebliche Testamentsklausel Augusts Les Starken. Wie immer in konfessionell erregten Zeiten, taucht auch jetzt in weiten Kreisen des sächsischen Volkes von neuem das Gerücht auf von einer angeblichen Testamentsklaufel Augusts des Starken. König-Kurfürst Friedrich August soll vor seinem am 1. Februar 178S erfolgten Tode in seinem Testamente als Hausgesetz verordnet haben, daß, wenn einem regierenden Fürsten Sachsens ein Sohn ge boren werde, derselbe im evangelisch-lutherischen Bekennt nisse erzogen werden muffe. Ja, man kann sogar hören, daß dies schon für den ersten Sohn eines Thronerben vorgeschrieben sei. rlw nun die Ausführung dieser der römisch-katholischen Kirche nachteiligen ^Bestimmung zu verhindern, seien von „den Jesuiten", wie man kurz eine am sächsischen Hofe stets vermutete katholische Kamarilla bezeichnet, alle möglichen, selbst verbrecherischen Mittel angewendet worden, wobei man sogar die kurfürstlichen und königlichen Leibärzte als Werkzeuge mit heineinzieht. Diese Testamentsklausel kann nur bei der sächsischen Geschichte völlig unkundigen Leuten Glauben finden. Denn wenn das Testament überhaupt zur Geltung kom men sollte, so mußte es doch unter dem frischen Eindrücke deS TodeS des Testators vom nächsten Erben desselben befotzt werden. Kurfürst Friedrich August II. — als König von Polen August HI. — hatte noch im Jahre 1788 hierzu Gelegenheit, da ihm, fünf Monate nach des BaterS Tode, am 13. Juli, sein dritter Sohn Prinz Karl Christian geboren wurde, der bekanntlich von 1758—1763 als Herzog von Kurland dieses Land beherrschte. Ja, noch zwei Söhne wurden ihm geboren: am 11. ^ftili 1738 Prinz Albert Kasimir, der spätere Schwiegersohn Maria Theresiens und Herzog von Sachsen- Tetschen, und am 28. September 1739 Prinz Kle mens WenzeSlauS. Wir wissen, daß bei keinem dieser drei „purpurgeborenen" Prinzen die doch sicher im frischesten Andenken stehende Klausel Augusts des Starken ausgeführt, daß von keiner Seite auf Befolgung deS an geblichen ,Hausgesetzes" gedrungen worden ist; ja der letztgenannte dieser Prinzen wurde Kirchenfürst, Bischof von Freising, Regensburg, Augsburg, endlich der letzte Kurfürst von Trier. Als solcher war er einer der frei sinnigen deutschen Erzbischöfe, welche mit Kaiser Jo seph II. auf eine romfreie deutsche Nationalkirche hin arbeiteten, wobei er von seinem Weihbischofe Nikolaus v. Hontheim (Justtnus Febronius) aufs beste be raten wurde. Diese Bestrebungen wurden leider durch Josephs II. schon am 20. Februar 1790 erfolgten Tod hinfällig. Ebensowenig ist die angebliche Klausel bezüglich der Söhne eines Kur- oder Kronprinzen in Wirksamkeit ge treten, da ja die späteren Könige Friedrich August und Anton, sowie Prinz Maximilian als Söhne des damaligen Kurprinzen Friedrich Christian, am 23. Dezember 1750, bezw. 27. Dezember 1755 und 13. April 1759 geboren, stets als Glieder der römisch-katholischen Kirche betrachtet und erzogen worden sind. Steht somit die angebliche Klausel mit den geschichtlichen Tatsachen in entschiedenem Widersprüche und fällt ihr an gebliches Bestehen schon dadurch zusammen, so leidet sie auch an größter Unwahrscheinlichkeit. August der Starke hatte bei seinem Uebertritte und noch am 8. Februar 1702 den Landständen die evangelische Erziehung des Kur- Prinzen feierlich versprochen noch am 9. Oktober 1710 war derselbe als Glied der evangelisch-lutherischen Kirche konfirmiert worben lburch Oberhofprebiger v. Pipping). Inzwischen, aber war August der Starke durch den Kardi nal Hannibal Albani, den Nepoten von Papst Klemens XI., und den Jesuiten Salerno zu dem Versprechen gedrängt worden, seinen Sohn der katholischen Kirche zuzuführen r er bewirkte auch wirklich dessen Uebertritt, der, auf fein unablässiges Drängen, nach standhaftem zweijährigen Widerstande des jungen Prinzen, am 27. November 1712 zu Bologna im geheimen erfolgte, un- erst nach dem Tode der Großmutter, am 1. Juli 1717, öffentlich bekannt gemacht wurde. Hätte Friedrich August die Absicht gehabt, auch nach seinem Uebertritte sein Fürstenhaus beim evan gelisch-lutherischen Bekenntnisse seiner glorreichen vor- fahren zu erhalten, so konnte er dies weit kürzer und sicherer erreichen, wenn er feinen Sohn bei seinem Glauben ließ; er brauchte dazu nicht den Umweg einer doch sehr auf Schrauben gestellten Testamentsklaufel. Diese wäre doch wohl als eine Wohltat anzusehen, die der sterbende Fürst wenigstens im Tode seinem im Leben von ihm tief und schmerzlich gekränkten Volke er weisen wollte. Sollte sie überhaupt einen Zweck haben, so mußte sie doch den damaligen Vertretern des Volkes, den Landstäuden, amtlich mitgeteilt werden, damit diese über ihre Ausführung wachen konnten. Blieb sie ein Geheim nis des Hofes, so ist ihr Zweck absolut nicht einzusehen, da die Jesuiten, dieselben Mächte, die den Fürsten bei Lebzeiten gehindert hatten, sein den Landständen feierlich gegebenes Versprechen zu erfüllen, erst recht die Aus führung ds Testamentes verhindert, dessen Bestimmungen in das tiefste Dunkel gehüllt hätten. Eine derartige Be stimmung eines HausgesetzeS mußte unbedingt tu die Lan desverfassung von 1831 ausgenommen werden. Wir kön nen wohl sagen: ein solches Hausgesetz hat nie bestanden; denn schon 1733 hätten die Landstänbe seine Ausführung fordern müssen. Aber wie ist dieses Gerücht von einer Klgusel ent standen? Die Seele des sächsischen Volke- war tief erregt dadurch, daß es der römischen Propaganda endlich ge lungen war, was schon zur Zeit von Vater August der erste deutsche Jesuit, Peter CantstuS, allerdings ohne Er folg, versucht hatte, daß 1687 der unLLderttende Prinz Al- bert von Dachsen-WeißenfelS, am 14. Juli 1689 der berüch tigte Kardinal von Sachsen, Prinz Christian August von Sachsen-Zeitz, die väterliche Religion abschwur und zum Katholizismus übertrat. Und dieser letztere brachte seinen Vetter, -en Kurfürsten, zum gleichen verhängnisvollen Schritt. Für ein rein evangelisches Volk hat der Katho lizismus ein gewisses geheimnisvolle- Interesse. Seine internattonale Einheit, sein fürstliches Oberhaupt, seine glanzvollen Kirchenfürsten, seine ungemeffenen Reich tümer, sein lateinischer, zeremonienreicher Gottesdienst, seine unbeweibten Priester, seine streng verschlossenen Klöster, das geheimnisvolle Walten seiner Orden, nament lich der Jesuiten: das alles erregt die Neugierde des Volkes, das ohnehin geneigt ist, das Abenteuerlichste, Sen sationellste zu glauben, selbst wenn auch kein Schatten der Wahrheit ihm zu Grunde liegt. Und so nahm man im Volke an, August -er Starke habe, von Gewissensbissen getrieben, wenigstens im Tode teilweise das wieder gut machen wollen, wodurch er sein gut protestantisches Volk so bitter gekränkt hatte. Obwohl schon die katholische Erziehung der drei „auf dan Throne geborenen" Söhne Augusts III. das Gerücht widerlegte, immer wieder tauchte es auf. So behauptete man hart näckig, der Sohn Friedrich Augusts III. deS Gerechten sei „von den Jesuiten" um der Klausel willen beseitigt worden, obwohl am Hose eine große Anzahl guter evangelischer Christen in den einflußreichsten Stellen sich befanden, z. B. des Verfassers eigener Urgroßvater als kurfürstlicher Leibarzt, ein guter Lutheraner. Wir haben die Lebens beschreibung dieses angeblichen Prinzen gelesen, eines sein Lebcnlang an Großmannssucht und Verfolgungs wahnsinn leidenden Tuchmachers Lehmann, der über diesen seinen Ideen sein Geschäft vernachlässigte. Er macht darin den Eindruck eines ungebildeten, konfusen Menschen, -er nicht ein Jahr lang sich hätte halten können, wenn die von ihm erzählten Verfolgungen ihn wirklich auf Schritt und Tritt begleitet hätten, wie er sie schildert. Seine Erzählmigcn spiegeln die Meinung des Volkes wieder von einer geheimnisvollen Macht und Herrschaft „der Jesuiten" über Königshaus, Landeskirche und Land, während -er Kundige weiß, welche feste Schutzwälle unsere Landeskirche und überhaupt unser Vaterland in unserer Landesverfassung umgeben. Ja, der an sich tief zu be- Feuilleton. Ver moderne Schnelligkeitswahnfinn. Bon LutseSchulze-Brück (Berlin). Golddruck verboten. Durch die Blätter ging vor einiger Zeit eine Nach richt, die den modernen Menschen anmutete wie eine Großmuttererzähluny. Der Erfinder der Petroleum lampe ist gestorben! — Der Erfinder der Petroleum lampe! Der Mann, der das Oellämpchen und die Talg kerze verdrängte, der die Ltchtputzschere überflüssig und den innigsten Wunsch Goethes zur Wirklichkeit machte, daß es ein Licht geben möge, das nicht alle fünf Minuten geschneuzt zu werden brauche. Staunend, zweifelnd lasen wir die Mär — vielleicht beim tageshellen Schein einer elektrischen Flamme, die uns gerade im Wagen der elektrischen Bahn, im Salon eines Schiffes leuchtete. Freilich, der Mann hat die Grenze menschlichen Alters erreicht, er ist achtzig Jahre alt geworden. Aber, wenn er mit dreißig auch schon die Petroleumlampe erfunden hat, so trennen uns doch kaum fünfzig Jahre von einer Zett der Achtlosigkeit, die wir uns mit all ihren Konsequenzen kaum vorzustellen vermögen. Ein anderes Bild, das freilich auf den ersten Blick keinen auch noch so losen Zusaonnerchang mit diesem ersten zu haben scheint. — Bor kurzer Zeit taten in der Nähe von Paris der amerikanische Milliardärschwager Fair mit feiner Gattin den Todessturz aus einem mit der Geschwindigkeit von 88 Kilometer in der Stunde dahin sausenden Automobil. Aber der Zusammenhang ist da. Die fünfzig Jahre, die unS Petroleum, Gas und Elektrizität gebracht haben, sie haben die Vorarbeit getan, den Boden vorbereitet für das, was die mit Eilzugsgcschwindigkeit einherrasenden Menschen im Automobil in den Tod jagte, für die schlimmste Krankheit unserer Zeit — den Schnelligkeits wahnsinn. Schnell, nur schnell! Da» ist der Heerruf unserer Zeit. Die physische Schnelligkeit deS Automobils symbolisiert den physischen Gchnelligkettswahnstnn, der uns alle er griffen hat, der uns beherrscht, behext, uns mit Eilzugs- geschwtndigkeit durchs Leben treibt. Und wie wir mit Rad und Aut, mit Bahn und Schiff, mit jedem Vehikel, das unS fortbringt, nur rasen und jagen, wie das ganze Räderwerk deS physischen Sein-, Wirken» und Leben» in betäubender Sile abschnurrt, so stürmen wir mit einer so rasenden Schnelligkeit durch die geistige Entwickelung unsere» Dasein», daß wir jeden Maßstab verlieren, jeden Genuß beeinträchtigen und niemals zum SuSkosten irgend einer für unser Leben gewonnenen Erkenntnis kommen, weil un» schon eine neue bestürmt, bedrängt, g«. fangen nimmt. Ist «S nicht so? WaS haben wir modernen Mensche» nicht schon ent stehen sehen — aufblühen, wie jene seltsame Blume, die nur eine Nacht in ihrer Entfaltung prangt —, und dann wieder zusammenftnken und spurlos verschwinden. Wie sich die Entdeckungen und Erfindungen und Geschehnisse im äußeren Leben drängen, so wird unser Inneres be stürmt von all den Erscheinungen, die in unfern Tagen auf einander folgen, sich ablösen, wertvoll und wertlos werden in unaufhörlicher Folge. Jede Kunstprobuktion hat sich zu ungeahnter Höhe ge steigert. Massenhaft werden Bücher, Bilder, Statuen auf den Markt gebracht, immer neue „Richtungen" und „Stile" tauchen vor unfern erstaunten, erschreckten und schon ganz abgestumpften Augen auf. Die KM« der Ge sichter wird unerträglich. Auch der empfänglichste Geist vermag nicht mehr das immer neue Interesse auf zubringen, das so gebieterisch von ihm gefordert wird. Und der Durchschnittsmensch steht völlig verwirrt vor diesem Reichtum, der so unendlich scheint und im tiefsten Grunde doch eine Armut bedeutet, ein Suchen und nicht Finden, ein Wollen und nicht Können der vielen, vielen Hunderte, die berufen sind, aber nicht auSerwählt, und die schließlich mit gebrochen«» Schwingen elend in der Tiefe verkomme», in die sie der über sie hinwegjagende Zug der Mitftrrbenden unbarmherzig htneinstieß. Welche „Richtungen" und „Stile" haben wir in den letzten zehn Jahren in jeder Kunst schon erlebt! Natu ralismus und Symbolt-muS bei unfern Dichtern, krassesten Realismus und sentimental-romantischen Märchenzauber bei unser» Malern, Jugendstil und „Mo dernismus" im Kunstgewerbe, und schließlich welche Wandlungen bei unfern Romanschreibern, bei Literaten und Belletristen. Bon den minutiösesten Beschreibungen der geringfügigsten Aeußerlichkeiten, deren Erzeugnisse man dann Mifieukunstwerke nennt, biS zur physiologisch- pathologischen Zergliederung un- Zerfaserung der innersten und geheimnisvollsten Seelenzustände. Nichts wurde uns erspart, nicht die letzte Liebesraserei der voll- reifen Krau, noch die hysterisch-sentimentalen Torheiten unreifer, halb naiver, halb verdorbener Backfische, die al» höchste Offenbarungen der WeibeSseele auSgeschrien werden. Wir haben staunend vor den ersten modernen, sezeffiorttstischen Bildern gestanden und mit redlichem Be mühen zu ergrtinden versucht, ob wir auf ihren violetten, schwefelgelben oder giftgrünen Hintergründen eine fabel hafte Meerfrau oder ein Bauernhaus oder ein Stilleben erkennen sollten. Und wir haben unS teils mitreißen, teil» mitschleppen lassen durch alle Phasen der Wieder geburt — pardon, der Renaissance des Kunstgewerbes, das sich auS den Banden gedankenloser Nachäffung und kunstwidrigen Gebrauche» deS Materiales „durch gerungen" hat zu der heutigen Verwirklichung de» höchsten Grundsatzes von der zweckmäßigen Schönheit und schönen Zweckmäßigkeit. Wir sehen staunend und zweifelnd, wie heute dieser Grundsatz verwirklicht wirb, wie eine gewisse Richtung die nackte SezessionSfrau ge radezu zum einzigen Motiv ihrer Produkte macht, wie auf Aschenbechern, Tintenfässern und ähnlichen Geräten de» Gebrauch» diese Krau weder zweckmäßig, noch schön
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