59 Gerhard M. Dienes Zwei Österreicher in Dresden Ernst von Schuch und Karl Böhm, die Uraufführungsdirigenten von Richard Strauss »Österreich ist ein Land der Arbeitsfreudigkeit, ein Kulturland, ein Land der Kunst und Wis senschaft, ein Land der Musik und des Theaters.« Das wurde dem Verfasser dieses Artikels 1962 von der Volksschullehrerin in das »Heimatkunde-Heft« diktiert. Gerade nach 1945 verkaufte sich Österreich, die Opferrolle spielend, als Land, das über dem materiellen Unterbau steht, eben als Kulturland und war dabei wienlastig. Österreichs Kultur war und ist aber nicht nur die von Wien, ja selbst die Kultur Wiens muß nicht immer eine originär wienerische sein. So kreierte die so typisch wienerische Figur des Hans Wurst der Steirer Joseph Anton Stranitzky, so stammte der berühmteste Architekt der Barockzeit, Bernhard Fischer von Erlach aus Graz, ebenso wie der wienerischeste aller Wiener Volksschauspieler, Alexander Girardi, während Gustav Mahler, Sigmund Freud, Leo Slezak und andere aus Böhmen »zuzogen«, und Ludwig van Beethoven oder die Familie Thonet, die das so typische Mobiliar für das Wiener Kaf feehaus schuf, vom Rhein kamen. Und selbst die wienerischeste aller Opern wurde von einem Münchener komponiert: »Der Rosenkavalier« von Richard Strauss. Und dieser Richard Strauss spielte eine herausragende Rolle im Dresdener Musikleben. Wie Dresden galt aber auch Graz als eine Richard-Strauss-Hochburg, ja der berühmt-berüchtigte Wiener Musikkritiker Eduard Hanslik bezeichnete die steirische Landeshauptstadt sogar als die »allzeit getreue« Richard Straussens. Hier und nicht in Wien fand 1906 die österreichische Erstauf führung seiner »Salome« mit dem Komponisten am Dirigentenpult statt. Zu den Besonderheiten der Kulturgeschichte der beiden Städte gehört, daß zwei Dirigenten von der Mur an die Elbe gingen, um in Dresden Richard-Strauss-Opern zu Uraufführungen zu bringen: Ernst von Schuch und Karl Böhm, wobei Schuch sage und schreibe 42 Jahre in Dres den wirkte. Ernst von Schuch scheint in seiner Heimatstadt Graz ein Vergessener oder nahezu Vergessener zu sein, auch wenn ihm das Stadtmuseum 1999 eine Sonderausstellung widmete. 1 In Dresden hingegen wird Schuch bis heute ehrfurchtsvoll verehrt. Die Mittelloge in der Semper-Oper trägt seine Initialen, und einer seiner Nachfolger als Chefdirigent, Giuseppe Sinopoli, würdigte ihn als die »entscheidende prägende Gestalt« an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. 2 Ernst Edler von Schuch wurde am 23. November 1846 in Graz als Sohn eines k. k. Staatsbeamten geboren. Seiner Mutter zuliebe begann er mit einem Jusstudium, obwohl er sich als Geiger und Pia-