22 Sigfrid H. Steinberg sen gelangt. Man wollte das Maß von Porträtähnlichkeit feststellen, das den namentlich bezeichneten oder sonstwie auf bestimmte Menschen deutbaren Bildnissen eignet, und nahm bei der Unter suchung von vornherein an, daß die Künstler bei der Schaffung eines Bildes nach getreuer Wiedergabe ihres Modells gestrebt, und daß es deshalb nur darauf ankomme, den Grad zu bestimmen, in welchem sie diese Absicht verwirklicht hätten. 1 ) Die Entstehung dieser Porträts ist aber an Voraussetzungen geknüpft, die das Streben nach Ähnlichkeit — das keineswegs abgestritten werden soll — vor anderen Absichten zurücktreten lassen, wenn nicht teilweise ausschließen. Daher darf die Frage, die man an ein solches Bildnis stellen kann, nicht lauten: Inwieweit hat der Künst ler die äußeren Merkmale seines Urbildes wiedergegeben, und wie hat daher der abgebildete Mensch in Wirklichkeit ausgesehen? Sondern zunächst gilt es festzustellen: Unter welchen Bedingungen und warum ist dieses Bild überhaupt geschaffen worden? Die Klärung der Entstehungsumstände des einzelnen Bildes oder einer zeitlich und räumlich zusammengehörigen Bildnisgruppe ist die nächste Aufgabe. Deren Bearbeitung führt von der Frage nach der Ähnlichkeit fort zu Erörterungen größerer historischer Probleme, und eine solche Auswertung macht die Geschichte des Porträts zu einer Hilfswissenschaft der allgemeinen (Kultur-)Geschichte. Im Porträt sind überall unmittelbare Beziehungen zu greifbaren historischen Menschen und Mächten vorhanden; sie ermöglichen eine Einordnung in geistesgeschichtliche Zusammenhänge und können schließlich auch zu einer Beantwortung der für das Problem des Individualismus, des Persönlichkeitsbewußtseins so bedeut samen Ähnlichkeitsfrage verhelfen. Diese aber, um das noch einmal zu betonen, steht am Ende, nicht am Anfang der Erfor schung des Porträts. Die Entstehung von Personenbildnissen vom io. bis ins 14. Jahr hundert ist ausschließlich auf eine dingliche Leistung an die Kirche zurückzuführen, sei es, daß der Stifter einer Gabe sich auf dieser hat abbilden lassen, sei es, daß spätere Geschlechter sein Andenken durch die Anfertigung eines Denkmals mit seinem Bildnis haben 1) Darunter leiden besonders die durch ihre Materialsammlung an sich verdienst lichen Arbeiten von M. Kemmerich, sowie die Äußerungen von K. Lamprecht zu diesem Thema.