02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.04.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030404021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903040402
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- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
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Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 Reklamen unter dem RedaktionSstrtch (4 gespalten) 75 vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Lffertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Au-gabe: Vormittag-10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 172. Sonnabend den 4. April 1903. S7. Jahrgang. Politische Tagesschau. " Leipzig, 4. April. Sozialdemokratische Kinanzkünste. Wie -er Reichstagsabgevrdnete im Reichstage nicht nur Vertreter seines Wahlkreises, sondern des ganzen deutschen Volkes sein soll, so soll er auch nicht im Hinblick auf eine einzige Krage der Gesetzgebung gewählt werden und sich wählen lassen. Der künftige Reichstag wird nicht nur die Krage der H a n d e l s v e rt r ü g e zur Entscheidung zu bringen haben, sondern neben anderem besonders auch — da das sogenannte Quinquennat vom Oktober 1899 zum April 1904 abläuft — eine Militär- vorlage zu erledigen und endlich mit der schon recht lange so dringend notwendigen R e i ch s f i n a n z r e f o r m sich zu befassen haben. Gesetzt den Kall, es meinte jemand, in der Frage der Handelsverträge mit der Sozialdemokratie „positive" Politik machen zu können — was aber auch als so gut wie ausgeschlosseu gelten kann —, so könnte doch dieser jemand nicht einen Augenblick im Zweifel darüber sein, daß in der Militär- und der Kinanzreform-Krage die Sozialdemokratie vollständig versagen wird. Kn Militär fragen steht die Sozialdemokraic unter allen Umständen in prinzipieller Opposition und in Sachen der Finanz reform vertritt sie programmatisch einen Radikalismus, der für die Praxis niemals zur Anwendung gelangen kann. Die Sozialdemokratie wird selbstverständlich kühn das Gegenteil behaupten; nur schade, dasi das Gegenteil sich wohl behaupten, aber nur das Gegenteil vom Gegen teile sich beweisen läßt. KnMarseillc hat cs eine Zeit lang — vor kurzem noch — eine sozialdemokratische Herr schaft gegeben und der sozialdemokratische Herr- Bürgermeister, Flaissiores, hat es sich be sonders angelegen sein lassen, sozialdemokratische Finanzkünste zu erproben. Die einzige Folge war, daß die sozialdemokratische Herrlichkeit sehr rasch in die Brüche ging. Der Nachfolger des sozial demokratischen Ltadtoberhauptes und Finanzküustlers kennzeichnete das Ergebnis der sozialdemokratischen Miß wirtschaft mit folgenden Worten: „ Unsc r mit S ch u l - den überhäuftes Finanzwesen, die in völlige Zuchtlosigkeit ausgeartete Polizei, das gänzlich vernach lässigte städtische Bauwesen, kurz, alle Zweige der städtischen Verwaltung werden wir in die Bahnen der Ordnung und Regelmäßigkeit zu- rücksühren müssen." Wir haben nirgends ge sunden, daß auch die deutsche sozialdemokratische Presse ihren Lesern diese interessanten Mitteilungen über den „praktischen" Erfolg parteigenössischer Verwaltungs- und Finanzreform gemacht hätte. Gegebenen Falls zeigt sich immer wieder die Tatsache, daß die Sozialdemokratie nie mals eine Partei positiver Mitarbeit im Dienste der All gemeinheit zu sein vermag. Zentrum und Katholiken in Obcrschlcsien. Aus Obcrschlcsien wird der „Schles. Zig." die letzte Donntagsnummer des Gletwitzer Zcntrumsblattes, der „Oberschlesischen Volksstimme", übersandt, in welcher unter der Ueberschrift „A chtung, Katholiken von Gleiwiy", vor der Beteiligung an der vom dortigen Ostmarkenverein veranstalteten B i s m a r ck f e i e r ge warnt wird. Die mit den üblichen Ausfällen gegen Bis marck gespickte Auslassung würde selbst unter gewöhnlichen Verhältnissen als besonders gehässig auffallcn, in der gegenwärtigen Zeit des schweren Kampfes um das Deutschtum in dem vom Anstürme des Polonismus be drohten Oberschlesien aber ist ein solches Verhalten gegenüber einem von edelstem deutschpatriotischen Geiste getragenen Unternehmen besonders scharf zu verurteilen. Das genannte Zentrumsblatt wiederholt zunächst den alten, schon so oft widerlegten Vorwurf, als ob der Ost markenverein nicht germanisieren, sondern protestan- tisieren wolle, und gibt dann seinem blinden Hasse gegen Bismarck in ungezügelter Weise Ausdruck: „Wenn der wahrhafte Gott, der gesagt hat, daß den Felsen Petri die Pforten der Hölle selbst nicht nbcrwäliigen können, eines Bismarcks Absichten nicht in Erfüllung gehen ließ, wenn der von seiner eigenen Größe und dem Glück, das seinen Unter nehmungen fast stets folgte, irregeleitete Bismarck später selbst einlcnktc und die Aufräumungsarbeit mit den Kulturkampf gesetzen begann, so darf er als Urheber derselben doch nie aus den Augen gelassen werden. Verzeihen soll der Katholik wohl, aber cs wäre unklug, zu vergessen; cs wäre unwürdig des Namens „Katholik", sich an einer Bismarck- fcicrbeteiligcnzu wollen und dadurch den zu ehren, der seinerzeit so unsägliches Leid über die katholische Kirche brachte. Wir glauben, daß selbst ein bloßer Namens katholik, der noch ein wenig Ehre im Leibe h a t, das nicht fertig bringt, und sind gewiß, daß kein einziger auch nur einigermaßen aufrichtiger Katholik sich an der Bismarckfcicr des Ostmarkenvcrcins beteiligen wird." Wenn weiterhin die Katholiken als treue Untertanen des Kaisers mit den christlichen Soldaten verglichen werden, die zur Zeit der C h r i st e n v e rf v l g u n g dem römischen Kaiser am treuesten dienten, so ist dieser seltsame Vergleich gewiß nicht dazu geeignet, die ganze Haltung des Blattes zur Bismarckfeier des Ostmarken- vereius zu beschönigen. Daß dadurch auch gerade die katholischen Kreise empört morden sind, zeigt das Begleitschreiben, mit dem der Glciwitzer Gewährs mann der „Schles. Ztg." diesem Blatte die betreffende Nummer der „Obcrschles. Volksst." übersandt hat. Es heißt darin: „In welch bedauerlicher Weise die Herren Ultramontanen hier in Obcrschlcsien Stellung zn den Be strebungen des Ostmarkenvcreins nehmen, erhellt aus dem Artikel zur Genüge. Zu jener Bismarckfeier, die glänzend verlief und von allen Klaffen der Bevölkerung besucht war, war eine große Anzahl Katholiken — ich bin selber einer — erschienen, die trotzdem doch „ein wenig Ehre im Leibe hatten"." — Die Zcntrumspresse wird noch manche Ueberraschungcn erleben, wenn sie in ihrer einseitigen Weise fortfährt, dem erfreulichen Er starten des deutschen Volksbcivußtseins in Oberschlesien in den Weg zu treten. Verstimmung zwischen Petersburg und Paris. Das „Journal des Döbats" erklärt, die von der „Nowoje Wrem ja" gegen Delcassä erhobenen Angriffe seien vollständig unbegründet. Es sei ein Irrtum, wenn das russische Organ behaupte, daß Del- cassv sich eine überwiegende Nolle beimcsse. „Wir wären nur überrascht", so fährt das „Jourual des Döbats" fort, „wenn Graf Lambsdorff und Gras Goluchowski die Auf fassung der „Nowoje Wrcmja" teilen und sagen sollten, daß Deleassv versucht habe, sic in den Schatten zu stellen." Der Vergleich zwischen der Entsendung des französischen Geschwaders nach dem Orient in der Tubini-Loraudo- Angclegcnheit mit einer als möglich gedachten Ent sendung eines Geschwaders zur Unterstützung der Make donier sei unverständlich. Delcassä habe noch jüngst in der Kammer ausdrücklich einen Unterschied gemacht zwischen der lediglich französischen Angelegenheit Tubini- Lorando, die Frankreich gestatte, selbständig vorzu gehen, und der internationalen makedonischen Frage, welche nur durch Einvernehmen der Mächte gelöst werden könne. Die von der „Nowoje Wremja" gegen die französische Presse gerichteten Vorwürfe seien aller dings teilweise berechtigt, nur müsse man auch da unter scheiden und sich vor Augen halten, daß z. B. ein Blatt, welches im Auslande für offiziös gehalten werde, in der auswärtigen Politik nur die Meinung der exaltiertesten Sozialisten wiedcrgebe. Die Lage in Makedonien. Der Korrespondent des Triestiner „Piccolo" in Fiume hatte eine Unterredung mit dem P r i n z e n M i rk o v o n Montenegro, der sich auf der Durchreise nach Paris befindet. Der Prinz erklärte, Montenegro setze voll ständiges Vertrauen in das österreichisch-russische Reform projekt. Mehr noch als in Makedonien sei die Lage der Christen in Altserbicn besserungsbedürftig, da sie daselbst den unerhörtesten Gewalttaten der Arnauten preisgegeben seien. Der Sultan habe an den Fürsten Nikita ein Schreiben gerichtet, in dem er mitteilt, eS sei sein auf richtiger Wille, die von Oesterreich und Rußland ver langten Reformen baldigst zur Durchführung zu bringen. Am schwierigsten, meinte der Prinz, werde die Durch führung von Reformen in Albanien sein, wo der Wider stand fast unüberwindlich scheine. Nach seiner Meinung hätten die Mächte, um dem Generalinspektor Hilmi Pascha seine Aufgabe zu erleichtern, gleichzeitig auch eine inter nationale Kommission einsetzen sollen, die nicht nur die Durchführung der geplanten Reformen kontrollieren, sondern auch bei der Durchführung des Reformwerkcs tatkräftig Mitwirken sollte. Die Wirksamkeit der Konsuln sei nicht hinreichend, weil dieselben einerseits von den Botschaftern abhängig seien, und anderseits aus ver schiedenen Rücksichten den türkischen Behörden nicht impo nieren. Nichtsdestoweniger verdiene Hilmi Pascha vollstes Vertrauen, weil er ein energischer und einsichtsvoller Mann sei. Prinz Mirko sagte ferner, er glaube nicht, daß Heuer auf dem Balkan ernstere Verwickelungen zu be fürchten seien; immerhin müsse man aber für alle Fälle vorbereitet sein. In Montenegro seien genügende Vor kehrungen getroffen, zwar nicht für eine offensive Aktton, sondern nur zur Verteidigung der Rechte des Landes, die dieses nötigenfalls zur Geltung zu bringen entschlossen sei. Keinesfalls aber werde Montenegro ohne Zustimmung Rußlands handeln, da Montenegro ebenso, wie alle Slawen auf dem Balkan, in Rußland ihren natürlichen Beschützer erblicken. — Wie die „Neue Fr. Presse" hervor hebt, hat Oesterreich-Ungarn, das durch die Okkupation des Limgcbietes sich in unmittelbarer Nachbar schaft des Herdes der albanesischcn Bewegung befindet, ein begreifliches Interesse an den dortigen Vorgängen, und daran, daß diese Bewegung nicht auch aus den Sandschak von Novibazar übergreife. Am Lim hat Oesterreich- Ungarn eine aus 5 Infanterie-Bataillonen, 2 Gebirgs batterien und 1 Eskadron Husaren gebildete Brigade stehen, die dort umso schärfere Wacht halten muß, als sich auch im Sandschak von Novibazar und somit auch im Lim- gebiet zahlreiche Albanesen befinden, die von demselben widerspenstigen Geiste erfüllt sein dürften, wie ihre Lands leute südlich des Rogasna-Balkan. Die an den Sandschak von Novibazar angrenzenden Kreise von Vucitrn, Prisch- tina, Djakowa und Prizren zählen etwa 200 000 Bewohner, unter denen sich nicht weniger als 65 000 Albanesen und viele mohammedanische Serben befinden, die mit den Albanesen gemeinsame Sache machen dürsten. — Ob Waffengewalt allein genügen wird, um die mutigen und wilden Söhne der albanesrschen Alpen, wenn sie sich wirk lich gegen den Sultan erheben sollten, zum Gehorsam zu zwingen, muß ernstlich bezweifelt werden. Auf diplo matischem Wege dürfte die Pforte wohl mehr erreichen können, und es war daher auch die Entsendung von alba nesischcn Vertrauensmännern nach Djakowa ganz zweck entsprechend. Die Führer der reformfeindlichen albanesischcn Chonanerie sind nämlich die aristokratischen Großgrundbesitzer des Landes, die albanesischcn Feudalherren, die durch die Ein führung von Reformen sich im Genüsse ihrer Vorrechte be droht fühlen. Die Masse der Nation ist auch in Albanien reformsreundlich, denn wenn die Macht der Bcgs ünd Agas, unter deren Joch Mohammedaner und Christen im gleichen Maße seufzen, beschränkt wird, und wenn eine gerechtere Verteilung der Lasten eintritt, so entspricht dies auch den Interessen des albanesischen Volkes. Die Be mühungen der Pforte müßten daher darauf gerichtet sein, die Macht der Feudalherren zu brechen und der Masse des Volkes klarzumachen, daß seine Interessen wohl mit den Interessen des Reiches, aber nicht mit den Interessen der arnautischcn Aristokratie übereinstimmen. Deutsches Reich. * Berlin, 3. April. Den Kaisertoast in Kopenhagen begleitet die „N. A. Z." mit folgenden Bemerkungen: Die Worte, die Se. Majestät der König Christian Sr. Majestät dem Kaiser als Willkommengruß dargcbotcn hat, wer den in Deutschland lebhaften Widerhall wecken. Se. Majestät der Kaiser hat in Erwiderung des vom hohen Gastgeber aus gebrachten Trinlffpruchcs den Empfindungen Ausdruck ver liehen, welche in allen Schichten des deutschen Volkes für den ehrwürdigen Monarchen des Täncnrciches gehegt werden, der bis in das höchste Alter mit Weisheit und Hingebung seines Herrscheramtes waltet, ein Vorbild treuer Pflichterfüllung für jedermann, wes Standes er auch sei. Wie Se. Majestät der Kaiser für den Beherrscher unseres nördlichen Nachbarlandes von aufrichtigster Verehrung beseelt ist, so weiß er und Deutsch land mit ihm der hohen Kulturstufe, auf die sich das dänische Volk durch eigene Tüchtigkeit gehoben hat, in bereitwilliger Anerkennung gerecht zu werden. Ein großes Kopenhagener Blatt sprach dieser Tage die Meinung aus, daß die Dänen von Deutschland viel zu lernen und zu empfangen hätten, daß sie aber ihre geistige und materielle Selbständig keit nicht beiseite zu setzen brauchten. Wohl bei keiner gro ßen Nation der Welt wird für diesen Gedanken mehr Ver ständnis zu finden sein, wie bei der deutschen, die im eigenen Hause auch auf geistigem Gebiete der freien Entfaltung jeder Stammesart den Vorzug vor unitarischer Gleichförmigkeit cinräumt. Das deutsche Volk nimmt jeden fruchtbaren Keim, der das Kulturleben bereichert, dankbar auf und ist sich dessen bewußt, wie mannigfache Anregungen ihm gerade von den stammverwandten Völkern des Nordens gekommen sind. Nicht nur in ihren politischen Beziehungen, sondern auch in ihrem Feuilleton. 4j Das Gold vom Mdwatersrand. Roman von F. Klinck-LütetSburg. Nachdruck verbalen. Drittes Kapitel. „Nicht zu Hause? Mynheer van Senden nicht zu Hause?" Die Stimme hatte einen drohenden Klang, und sie kam Wilm merkwürdig bekannt vor. Er beugte sich über das Treppengeländer, um zu sehen, wem sie angehörc. „Mynheer sind verreist." „Seit wann?" „Seit heute früh." „Und wann kommt er wieder?" „Es ist unbestimmt. Nicht vor drei Tagen." „Onkel Peter!" kam es in diesem Augenblick laut über Wilms Lippen, und, Stufen überspringend, eilte er die Treppe hinab, den Angekommenen zu begrüßen. „Dein Vater ist nicht da, Wilm? Er wußte, daß ich kommen wollte. Hat er nichts zurückgelassen?" Herr Peter van Senden nahm weder die dargebotene Hand des Neffen, noch hatte er nur ein weiteres Wort für ihn. Wilm blickte erschreckt auf den Onkel, dessen bleiches Aussehen auf seinen Seelcnzustand schließen ließ. Er er schien ihm vollkommen gebrochen. „Schriebst du es ihm, Onkel Peter?" Der Portier war zurückgetreten und außer Gehörweite gegangen. Wilm dünkte es aber doch nicht ein geeigneter Platz, das begonnene Gespräch fortzusctzen. So fügte er seiner Frage die Bitte hinzu, mit hcraufzukommen. „Weißt du von meinem Unglück?" fragte Peter van Senden, ohne sich von der Stelle zu rühren. „Ich denke doch." „Aber nicht alles." Wahrscheinlich alles. Ich habe Nachricht von Tante Grietje. Sie vermutet, daß du dich nach Kapstadt ge wendet." Peter van Senden begann jetzt die Treppe hinan zu steigen. Sein Schritt war müde und schwerfällig, wie überhaupt seine ganze Erscheinung eine völlige Er schöpfung auSdrückte. Oben angelangt, blieb er stehen und holte ein paar Mal tief Atem. „Egnatius ist mir aus dem Wege gegangen", sagte er dann. „Es wäre seine Pflicht gewesen, daheim zu bleiben, da er während der letzten Tage stündlich mein Kommen er warten konnte, erwarten mußte. Großer Gott, was soll jetzt werden? Den Landesverrat hätte ich auf mich ge nommen, und wenn er mich den Kopf gekostet. Ich er trage aber nicht, als ein gemeiner Betrüger dazustchen — nur das nicht. Jede Minute ist kostbar. Meine Feinde sind auf dem Anstand. Wenn cs ihnen in der allgemeinen Auf regung und Verwirrung gelingen sollte, einen tödtlichen Schlag gegen meine bürgerliche Ehre zu führen, so würde man mich nicht nur zum Verbrecher stempeln, sondern auch die Mühe und Arbeit der letzten zehn Jahre meines Lebens vernichtet sein. Wilm, wo ist dein Vater? Ich muß zn deinem Vater!" „Während er sprach, war jede Schwäche von ihm ge wichen und hvchaufgerichtct stand er vor dem zu Tode erschrockenen jungen Manne, der den Onkel nie in einer gleichen Aufregung gesehen. „Vielleicht kommt er zurück, Onkel Peter." Wilms Sprache klang unsicher. Er glaubte nicht an einen Trost, den er einem sichtlich Verzweifelnden zu geben bemüht war, und dieser hatte den Ton hcrausge- funden. „Du suchst mich zu täuschen, Wilm", fuhr er mit er hobener Stimme auf. „O, auch du!" Er schlug sich mit der Hand vor die Stirne, indem er wie gebrochen auf einen Stuhl niedcrsank. Der junge Mann erblaßte bei dem schweren Vorwurfe, der hier unverdient gegen ihn erhoben wurde, aber gleich zeitig gab er ihm die verlorene Fassung vollständig zurück. „Onkel Peter, du tust mir gewiß unrecht. Wenn ich dir helfen kann und mein Herzblut hcrgcbcn müßte, so dürftest du nicht an mir zweifeln. Aber auch nicht an dem Vater. Er liebt das Gold und gibt viel, nur zu viel auf Größe, Macht und Ansehen, doch würde er nicht im stände sein, um irdischer Güter willen als ein Ehr- und Gewissenloser zu handeln. Beruhige dich. Unaufschiebbare Geschäfte, die vielleicht die unruhige Zeit mit sich bringt, haben, denke ich, seine Abwesenheit gefordert." Die fest und mit einem leisen Vorwurf in dem Ton der Stimme gesprochenen Worte hatten ihre beabsichtigte Wir kung nicht verfehlt. Dennoch sagte Peter van Senden noch immer voll Bitterkeit: „Kein Geschäft konnte so unaufschiebbar sein als das, was ich mit ihm abzuwickeln habe." „Onkel Peter, der Vater kann nicht lange bleiben, du mußt seine Rückkehr abwarten." „Die Zeit drängt, Wilm, ich sagte cs dir schon. Ich vermute, daß bereits im gegenwärtigen Augenblick meine gesamten Bücher, Papiere und Korrespondenzen beschlag nahmt sind und nur durch eine schleunige Intervention einer einflußreichen Persönlichkeit, die enge Beziehungen zu einigen Mitgliedern der Kaprcgierung unterhält, und der dein Vater sehr nahe steht, könnte mir noch geholfen werden. Aber auch nur heute und vielleicht morgen, ehe es meinen neidischen Gegnern gelungen ist, mich öffentlich als einen Betrüger hinzustellen. Wilm — das ertrüge ich nicht! Wenn — wenn Tante Grietje in ihrem Redlichkeits hochmut oh, mein Gott! Wilm, aus Barmherzigkeit, sage mir, wo dein Vater ist! Er muß mir helfen, wie er mir so fest versprochen. Nur auf seinen Rat habe ich mich mit an die Spitze einer Bewegung gestellt, von deren Aus gang ich mir so viel versprochen." Und abermals stand der junge Mann ratlos bei diesem erneuten Ausbruch einer namenlosen Angst. Was sollte er tun? Welchen Trost konnte er hier spenden? Nur um der peinigenden Stille, die jetzt cingetreten war und Wilm unerträglich dünkte, ein Ende zu machen, näherte er sich noch einmal dem Onkel. Zärtlich legte er seinen Arm um den Nacken des in Oual aufstöhnenden Mannes. „Versuche doch nur einmal, ruhig zu werden, Onkel Peter", bat er weich. „Du hast gewiß nicht absichtlich einen Menschen um das Seine verkürzt. Wie könnte es daher jemandem gelingen, deine Ehre anzugreifen?" Seine Stimme klang zaghaft. Unwillkürlich hatte der junge Mann sich der Aeußerungcn Bill Vischers und Da niel Wierdas erinnert. „Der Schein, Wilm, der Schein! Jedes Blatt Papier wird in den Händen meiner Gegner zu einer Anklage' werden. In einem einzigen Augenblick erreichen sie jetzt, wo ich landesflüchtig bin und mich nicht verteidigen kann, was sie lange Jahre vergebens erstrebt." Wie ein Schluchzen stieg es aus der Brust des ManneS airf, den Wilm nie anders als guten Mutes voll gesehen, und große Tropfen rannen über seine Wangen in den Bart. Er hatte die Hand des Neffen ergriffen und hielt sie wie mit eisernen Klammern. „Ja, Wilm, ich sehe es kommen, wie leicht es ihnen wird, mich zu Grunde zu richten", fuhr er fort. „Wäre dein Vater zur Stelle gewesen und hätte mir sein ge- gegcbenes Wort gehalten, so würde die Transvaal-Regie rung auch dem zum Tode verurteilten Landesverräter das Wort zu seiner Verteidigung gegönnt und ehrlich geprüft haben. Nun kann ich nicht mehr zu Worte kommen und alles ist aus." „Onkel Peter", versuchte der junge Mann zu trösten, und in dem festeren Klange seiner Stimme lag etwas Be ruhigendes, „Du siehst entschieden zu schwarz. Ich verstehe dich zwar nicht ganz, aber ich sehe, daß du in einer Auf regung bist, die kein vernünftiges Denken mehr zuläßt. Wenn du nicht schuldig bist, so gibt es für deine Gegner keine Möglichkeit, dich schuldig zu machen. Du erwartest Beistand von dem Vater; wenn ich dich recht verstanden habe, soll er sich bei einer der Kaprcgierung nahestehen den Persönlichkeit für dich verwenden. Wer ist sie?" „Generaldirektor Brandt." „Generaldirektor Brandt!" wiederholte Wilm, und in seinen Augen leuchtete es auf. „Möchtest du nicht selbst einmal zu diesem Herrn gehen, Onkel Peter?" Der Bcrginspektor van Senden lachte kurz auf. „Es würde ein ganz vergeblicher Weg sein, Wilm. Früher war der Generaldirektor Brandt mir freundlich gesinnt. Das hat seit einigen Jahren sich geändert. Einen Grund weiß ich nicht dafür anzuaeben. Vermutlich hat er ehe mals nur ein Werkzeug, einen Förderer seiner Pläne in mir erblickt, und verzeiht mir eignes Wirken und Schaffen nicht. Er weicht mir aus. er würde nicht einmal für mich zu Hause sein, wenn ich bei ihm anklopfen wollte." „Und du glaubst, daß der Vater einen besseren Erfolg haben würde?" „Daran ist nicht zu zweifeln, Wilm. Dein Vater und der Generaldirektor Brandt sind durch jahrelange gemeinsame Tätigkeit, ein gemeinsames Ziel, so eng miteinander ver bunden, baß der Wille des einen dem andern Gesetz sein muß." Es lag ein gut Teil Hohn in diesen Worten. Wilm gab nicht acht darauf. Er folgte nur seinen Gedanken, die sich damit beschäftigten, wie eS ihm gelingen könnte, dem Hülsesuchenden den ersehnten Beistand zu verschaffe« Ucberzeuqt. daß der Generaldirektor Brandt, den er als einen liebenswürdigen Gesellschafter, als einen Mann kennen gelernt, der eines hohen AnsebenS sich erfreute.
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