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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.04.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030408012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903040801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903040801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-08
- Monat1903-04
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Tabellarischer und Ziffernsap entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteaannahme SS H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesördrrun, SO.—, mit Postbesördrrung ^l 7V.—. Iiunahmeschluß für Auzeigeu: Abeud-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morg»a»An«gabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abends 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Bolz in Leipzig. Mittwoch den 8. April 1903. 97. Jahrgang. Kartell uu) Trust als Kulturfaktoren. Es ist wissenschaftliche Mode geworden, möglichst HLufig zu versichern, daß keinerlei Rücksicht unsachlicher Natur, also z. D. solche auf humanitäre oder gar rein kulturelle Ziele, den jeweilige» werten Autor in seinen Erwägungen beeinflusse. Man nennt das rein sachlich sein; und doch ist e» häufig genug so unsachlich wie möglich, indem e« hochwichtige Folge erscheinungen allgemeiner Natur unbeachtet lasten kann, die sich in ihrer Rückwirkung auf das jeweilige Cuizelfach so.iar iu manchmal sehr beträchtlichen Ziffern »»»drucken lassen. Die allzustrrng gewahrte Sachlichkeit bedeutet in gewissen Fällen nur eine bequeme Beschränkung aus die leichter über sichtlichen Gebiet» unter Vermeidung aller Höhen, von denen aus erst »in Ueberblick über da» ganze Gebiet möglich wäre. Die geächtete Spekulation ist freilich zum Erklimmen der höheren Warte nicht immer zu vermeiden, und sogar Phantasie kann die Dinge an sich richtiger aussafsen, als ängstlich beschränkte Nüchternheit. DaS soll kein Vorwurf sein, denn da- heutige wissenschaft liche Streben nach Sachlichkeit ist die natürliche Reaktion gegen dir Sünden früherer Zeiten, gegen Hypolbefenwirtschast, es ist das Streben, vor allen Dingen erst einmal realen Boden unter die Füße zu bekommen: daher die Scheu, sich durch Uebergriffe ven Vorwurf der Unwissenschaftsichkeit zu- zuzieben. ES wird aber Zeit, diese engen Sckranken all mählich fallen zu lasten und mit nüchternen, wissenschaftlich geschult«« Augen auch Vorgänge und Zusiänve zu betrachten, di« beim ersten Blick de« pekuniären Intereste« zu entbehren scheinen. Eine solch« Beschäftigung ist doch nicht immer so unfruchtbar, wie sie auSsiedt. Z. B. würde es sich lohne», die unvergleichlichen Fortschritte der letzten hundert Jabre auf allen Gebieten einmal etwas tiefer auf ibre Ursachea hin zu untersuchen. Da dürften dock wohl die freiere politische Organisation der Staaten, dir Gewerbefrribeit und andere rein politische oder geistige Errungenschaften sich als di« Ur sache» sehr realer technischer Vervollkommnungen und Um wälzungen Herausstellen, zum mindesten aber als ihre Ermöglicher. In einer kürzlich au« der Prrffr gekommenen Arbeit von vr. S.Tschierschky über Kartelle und Trust«*) finden sich nun rinige sehr hübsche Ansätze zur Berücksichtigung der nicht unmittelbar dem Erwerb dienenden Interesten, wenn sie auch sehr verstreut und nickt methodisch verfolgt sind. Immerhin sind sie zahlreich genug, um sich au« ihnen «in Bild der sehr weit divergierend«» Wirkungen von Kartellen und Trust« auf die Kultur unserrr und späterer Tage zu konstruieren und daraus unsere Stellung zu diesen Industrreorganisationeu be einflussen zu lasten. Al« Au«gang«punkt muß natürlich die Definiti«« der Be griffe Kartell und Trust dienen: U. ist nach Tschierschky**) unter Kartell zu verstehen eine kündbare föderative Ver tragsorganisation selbständiger, gleichartiger Produktions betriebe zur günstigsten kommerziellen Verwertung ihrer Produkte — und der Trust ist »in« unküudbare kapi talistische Organisation unselbständiger Produktionsbetriebe zur Erzielung der günstigsten ProduktionSformen und der günstigsten kommerziellen Verwertung ihrer Produkte. Der für unsere Betrachtungen wichtigste Unterschied zwischen Kartell und Trust besteht in der Betriebs selbständigkeit der vereinigten Werke beim Kartell und iu ihrer Unselbständigkeit beim Trust. Der Trust beschäftigt nur Be amte und Arbeiter, da- Kartell besteht aus Unternehmern oder (Aktien-)Unternehmungen, die ihrerseits Beamte und Arbeiter beschäftigen. Von vornherein schaltet also schon der Trust eine Anzahl selbständiger Existenzen au«; er nimmt damit dem Volke, wie schon vor ihm so viele andere moderne Gebilde, wieder ein Quantum Eigenart, Rückgrat, Kultur. Dazu kommt, daß die Trust« häufig genug ungenügend profitable Werke einfach aufgeben und damit den Konzen- rratioiiSprozeß noch mehr beschleunigen. Wäre freilich unter allen Umständen brr Trust die höhere und vorteilhaftere Organisationsform, so wäre es müßig, darüber zu lamen tieren, wie eS müßig ist, die Aufsaugung eine» Teil- des Handwerk« zu beklagen. Letzterer Prozeß war und ist noch eine Notwendigkeit, der Trust ist keine, wenigsten- bat er sich noch nicht als solche erwiesen. Daß ihn auch Tschierschky rein wirtschaftlich nicht al« die unbedingt überlegen«« Form betrachtet, wag hier noch au-drücklich gesagt sein; e- heißt am Schluffe seiner Untersuchungen: Denn für mich unterliegt «S auf Grund meiner bisherigen Unter suchung«» keinem Zweifel, daß der Trust wohl auch die Vorzüge, aber in noch höherem Grade dir Nachteil« des kapitalistische» Groß betriebe« im Sinne eines rast- und rücksichtslosen BorwärtSdrängenS prtrisiziert, während die Politik der Kartelle weit mehr dahin strebt, zu zügeln, zu verteilen. Der Weltmarkt würde, von große», natio nalen Trusts beherrscht, writauSgrrtfende Preis- und Absatzkämpfe, geführt bis auf« Messer, erleben. Drnken wir uu« aber aus internationales Gebiet di« Organti atioaSsrage erweitert, so muß auch hier die einfache Kartellorganisatto» leistungsfähiger nnd schließlich auch nicht weniger durchführbar erscheinen, denn der Trust usw. Also die im Kartell selbständigen Betriebsleiter (Eigen- lümer oder Direktoren) würden im Trost durch Beamte mit festen BeiriebSdirektiven, fest vorgeschriedenen Produktions normen ersetzt werden. Da» hat ja, wirtschaftlich betrachtet, auf den ersten Blick etwa« sehr bestechendes. Es kann ohne Zweifel in vielen Fälle» rationeller produziert werde». Jedes Werk bekommt die ihm am denen liegende und meisten- wohl durchaus gleichartige Arbeit zugewirsen und kann sich darin immer mehr vervollkommnen. Es kann da- — aber wird *) Kartell und Trust, vergl. Unwrsuchuagen über d««n Wrsr» und B«d«utung von V>. S. Tschterschty. Göttiage», Band«nho«k u. Ruprecht. —) Wenn hi«r Tschierfchkh zitiert ist. so soll da« nicht etwa di« wörtlich« Uedirnahm« von dessen Definitiv»«» brdeuten; er hat »S »Smlich bedanerlttbernxis« nntrrlaffin s«tn« au-lüdrltchr« Er»»«»«, rungen zu «ia«m kurz«» Resümee z»samm«»z»f»ff«n. eS da« auch immer tun? Wer hat ein Interesse daran? der Betriebsleiter? Wenn er tüchtig und ehrlich ist, gewiß, aber zum größten Teil nur ein Pflichtinteresse, und alle Dividenden werden au« einem Beamten keinen Eigen tümer machen. ES ist sogar möglich, besonder« bei der Her stellung von Zwisckrnfadrikaten, daß die Rentabilität des betr. EinzelwerkS fick schwer auch nur rechnerisch fest stellen läßt. Wie siebt e- nun mit dem Interesse de« Trust- selbst an Betrieb-Vervollkommnungen? Diese Frage kann einmal von böchs>«r Kulturbrpeutung werden. Tschierschky und auch andere Autoren sind geneigt, der Initiative der Trustzentrale in dieser Hinsicht sehr viel zuzutrauen, waS aber sicher auch nur für die Grünverjahr« zutreffen wird, ganz abgesehen davon, daß mit der in- Rusrnhasie wachsenden Ausdehnung auch Pie größte Zentralenergie nur auf wenige große Gesichtspunkte gerichtet sein kann und bei den Einzelbeiten verebben muß. Aber selbst angenommen durch gutbezahlte, ehrliche, tüchtige Beamte würde die beste BetrirbSform normiert und ihre Anwendung ge- währlristei, so heißt eben für den Trust beste BetrirbSform noch lang« nicht technisch-vollkommenste, sondern einfach für die Trustbilanz vorteilhafteste. Und dies« beiden Formen können sehr verschieden fein. Um da« gleich an einem vorläufig zwar noch phantastisch klingenden Bei spiel zu erläutern, so braucht man nur einen internationalen Riesentrust auf einem Gebiete, angenommen der Eiienpro- duktion, sich f«rtig au-gebaut zu denken, um die Richtigkeit d«r Behauptung zu erkennen. In diesem Stadium d«r Ent wickelung bat der Trust mit dem Verlust der ebenbürtigen Konkurrenz auch da- Interesse an Betriebsvervollkommnungen zum größten Teil verloren, und er wird sich z. B. hüten, sein in den Maschinen und Einrichtungen steckendes Kapital durch Einführung neuer Methoden, die neue Mafchrnen und Einrichtungen b«ding«n, einfach zu vernichten. Der Trust wird Erfindungen, und erst recht dann, wenn sie be deutend, d. h. revoltiirrad auf industriellem Gebiete sind, überhaupt nicht einsühren, oder sie bis zur völligen Abnutzung d«r Vorhand,»en BetrirbSmittrl zurückstellen. Das kann »in Aushalten der betreffenden GebietSentwickelung um ganze Kulturperioden bedeuten, r« kann den Ausbau der Erfindungen verzögern oder ganz unmöglich machen, ja, daS kann die Welt um Ideen bringen, vre ihr ein anderes Gepräge gi geben haben würden. Irgend ein nordischer Schriftsteller Hal einmal iu einem Roman ä Iu Jule« Verne zu z«igen versucht, WaS heute einem Gelehrten blühen könnte, v«r, von der Hypothese der WesenSgleichhrit der kleinsten körperlichen Teile au«gehrnd, da- Geheimnis de- Goldmacher,- entdeckt haben würde. Au- Furcht vor dem unvermeidlicken Stur, des Goldpreises, vor der Entwertung de« Goldgelbe-, vor der kommerziellen und der politischen Revolution wird der Manu verfolgt und gehindert, seine Erfindung zu publizieren. Etwa- ähnliche« ist beim Trust sehr chohi möglich, urckt aber beim Kartell, bei dem die Konkurrenz der Kartellteilnehmer nur kommerziell, aber nicht bezüglich der Betriebsform auf gehoben ist. Nun ist zuzugeben, daß auf der anderen Seite durch Kartellierung nicht existenzfähige und deshalb nicht berechtigte Einzrlunternehmungen künstlich unverdient lange am Leb«» erhalten werden können, was weder im Interesse der betr. Technik, noch in dem der Kultur überhaupt liegen kann. Aber diese Rückständigkeit und diese Verlangsamung im Durchfieben der wirtschaftlich fähigen Existenzen betrifft immer nur wirtschaftliche Einzelwesen, Ausnahmen, und zwar meist von geringer Bedeutung, und nie kann der Fortschritt überhaupt gehemmt ober auch nur sein letzter Trieb, seine höchste Spitze abgebrochen werden. Und an der Existenz der höchsten Spitze liegt alle«; die Konkurrenz, auch dre im Kartell gezügelte, treibt dann ganz von selbst das allgemeine Niveau zu ihr hinauf. Und schließlich kann ja auch jede- auf die Dauer rückständige und das Kartell be lastende Werk auS der Gemeinschaft ausgeschlossen und seinem verdienten Schicksal überlassen werden. Ebenfalls von Bedeutnng ist eine andere sickere Folge bei fortschreitender Trustentwickelung; eS ist die» die Uniformie rung derProbukte, die eine geradezu scheußlicheästrtbifche Perspektive eröffnet. Auch in diesem Punkte ist die Gefahr bei der Kartellirrung weit geringer, wie sich au« der Natur der Kartelle von selbst ergibt. Die kulturell wichtigste Frage der ganzen Angelegen heit ist zugleich eine soziale und eine politische. Wa« sagt zunächst Tschirrfchky hierüber: 1) „Relativ weaig Gewicht leg« ich persönlich auf die sozial politischen Folgen der Trustpolitlk, soweit sie sich in einer Ver nichtung unternehmongsareiser Selbständigkeit zu Gunste» der Schaffung abhängiger beamteten Existenzen äußert, in dem z v. in großem Maßstabe der Zwischenhandel ausgeschaltet wird. Für dir sogenannt« Mittelstand-Politik im Sina« einer künstlich«» Erhaltung wirtschaftlich rückstäudtger oder eutbehrlicher Existenzen, wi« z. B. «tu Uebermaß von Zwischenhändlern, Agenten usw-, kann ich grgeoüber offenbar«» Vorteil«» nicht« «rübrlgia . . . 2) Daß diesen Großbetrieben einerseits ein gewaltiger Macht- zu wach« gegruüber ihrer Arbeiterschaft zu teil wird, kann einem Zweifel kaum unterliegen. Anderseits aber ermöglicht «S doch wieder di« Organisation de« Trust riaer straff organisierten Ar beiterschaft, vielleicht gerad« noch leichter durch Streik usw. sich Verbesserung«» ihrer Lag« zu erzwingen . . . S) Li« Frage, ob und inwieweit der Trust einerseits «ine «r- Höhung, andererseits eine Stabilisierung deS Loh»«« herbtt. zisühre» di« Tendenz hat, ist kaum zu beantworte» . . . 4) Im «llgrmeinen scheint die Arbeiterschaft weder pro noch ooutru zu stehe»." Gegen diese Ansichten und Feststellungen iu Nr. 1 ist auch do» dem Gesichtspunkte der Kulturentwickeluag au« nicht« «inzuwenden, wenn eia kräftiger Nachdruck auf die Ein- ickränkungeu d«r ersten beiden Sätze gelegt wird. Ein« üb«rq rotze Meuge von zum Teil nur scheinbar unab hängigen Exifteazr» küastlich zu erhalten, ist genau so un- wrrtsch-ftlick wie »»kulturell. Ueberdi«« kann in dieser Hin- sicht da« Kartell kaum viel schonender wirk«»; auch di« «»«rgisch durch-eführt« Kartrllpolttik muß ähnlich« Vernich tungen auf sich nehmen und kann und darf sich mit dem Argument der notwendige» Ausschaltung olle« Ueberflüsstgen rechtfertigen. Die von Tschierschky berührten drei letzien Punkte betreffen die Arbeiterfrage, in der sich politische und wirtschaftliche, teckniscke und kulturell« Momente so ver quicken, daß man zur Sonderung des Gemenges festen Boven unter den Füßen haben muß. Dies« Basis ist für uns in Deutschland mit der offensichtlichen sozialdemokratischen Gefahr die notgedrungene Gegnerschaft gegen d,e Sozialdemokratie. Urber die Berechtigung dieser Gegnerschaft zu streiten ist gan, überflüssig, denn mathematische Beweise können in solchen Dingen einmal nicht geliefert werden, und am letzien Ende bleibt daher die Auffassung dock rein individuell. Da möge aber in diesem Zusammenhänge nicht unerwähnt ge lassen sein, daß es ganz gewiß in unserer voraussetzungslosen Zeit nickt allein die Pietät für alte und erprobte Institutionen ist, die da« Ueberareifen der „genossenschaftlichen Ansichten über den vierten Stand hinaus immer noch zu den Selten heiten macht, es ist auch nicht blo« die gewiß berechtigte Freude am persönlichen Besitz, denn viele hätten nicht viel ,u verlieren — in der Hauptsache ist eS die absolute Gewißheit bri allen Leuten mit Menschenkenntnis, baß die Sozialdemkratie eine kulturell durch und durch reaktionäre Macht ist und auch nach ihren Wesenöbedingungen immer bleibea muß, eine Macht, die eventuell den Kuchen au- der Welt schaffen könnte, aber ganz gewiß kein Brot dafür garantieren kann. Daß zu dieser Gewißheit die nur allzumenscklichrn Führer der deutschen Sozialdemokratie nach Kräften brigrtragen haben, kann trotz der Unsreiwilligkeit der Leistung dankbar aner kannt werden. Nun könnte es zwar scheinen, als ob die Wahl zwischen Kartell und Trust die Sozialdemokratie ganz kalt lasten könne, und die auS Tschierschky angeführten Stellen würden das bestätigen, aber auch nur dann, wenn man in den Aussprüchen der sozialistischen Führer wirkliche Offenbarungen erblicken müßte. Das ist aber nicht der Fall. Abgesehen von den Fällen, in denen au- irgend welchen taktischen oder sonstigen Rücksichten der Redner fein wahre« Gesicht unter einer Larve verborgen h'abr» mag, sind auch dir übrigen Au-fprüche eben nur so weit als be deutungsvoll auszusasten, al- sie ganz unpersönlich aus dem Wesen der Sozialdemokratie motiviert sind. Gegen alle Prophezeiungen insbesondere ist größte Vorsicht geboten — siehe Bebels großen Kladderadatsch. Und auch in der Frage der sozialdemokratischen Stellung zu den einzelnen Formen der industriellen Associationen braucht man nicht an die überlegene Gelassenheit zu glauben. Im Gegenteil ist dieser politischen Partei außerordentlich daran gelegen, den industriellen Concentrationsprozeß möglichst zu beschleunigen und die kompaktesten Formen mit möglichst wenigen Zentralen sich bilden zu sehen. Weil sie selbst auf unkapitalisti>cker, genossenschaftlicher Grundlage etwas ganz ähnliches anstrebt, faßt sie, von ihrem Standpunkte auS mit Recht, die neuer dings sich vollziehende Concentrierung nur als Vorarbeit sür ihren Regierungsantritt auf. DaS kann sie aber nur, soweit es sich um Trusts, und nicht, soweit eS sich um Kartelle bandelt, denn hier nimmt der Unterschied »wischen beiden Formen politischen Cbarakter an, daß in den Kartellen die betriebliche Selbständigkeit gewahrt bleibt. Wenn erst vor Kurzem im deutschen Reichstage gesagt wurde, die Sozial- dcmokralie begrüße die ganze moderne industrielle Concen- tralion mit Freuden, so ist daS durchaus richtig, wenn man bedenkt, daß dem Sprecher der Unterschied zwischen Kartell und Trust nicht gegenwärtig oder nicht geläufig war. Der Trust hat tatsächlich etwa- Sozialdemokratisches an sich, in seinem Verschlingen jeder Individualität, in seiner uniformen Abstempelung aller Produkte, in der Knechtung der wirtschastjich ahbängigen Existenzen und schließlich auch in der anscheinend undemokratischen und doch so häufig bei der Demokratie gezeigten dämonischen Macht der leitenden Personen. Die übermenschliche Macht der Trust magnaten ist auch eine Gefahr, Venn wenn diese Leute eines Tage« die Wahl haben zwischen der Verkümmerung eines Volksteils und der Existenz ihres Trust-, so ist ihnen das Trusthemd sicher näher als der Volksmantel. Aus dem Vorhergehenden könnte jemand den Vorwurfableiten, daß die gesamte Arbeiterschaft mit der Sozialdemokratie iden tifiziert worden sei; das ist aber natürlich nicht beabsichtigt gewesen. Es ist vielmehr der sehr wesentliche sozialdemokratische Teil der Arbeiterschaft als der am festesten organisierte und offen politssch-revolutwnäre vorweg behandelt. Soweit der Arbeiter schaft politische Ziele fern liegen und sie sich auf das durchaus berechtigte Erstreben wirtschaftlicher Vorteile beschränkt, kanu ihr tatsächlich, und darin ist den Tschierschkyfchen Thesen ohne Vorbehalt zuzustimmen, die Frage „Kartell oder Trust ziemlich gleichgültig sein. Einige Nachteile werden durch Vor teil« derselben oder anderer Art aufgeboben, und jeden falls braucht nicht befürchtet zu werden, da- Kartell werde sich als sozialpoluisch rückständiger offenbaren, denn der Trust, so daß zwar die rein soziale Kulturentwicklung der Arbeiterschafl von der Entscheidung vorläufig und soweit absehbar wenig abhängig sein dürfte, daß aber die Politik und ihr Objekt, der Slaat, da- allergrößte Interesse daran haben, den auS Prinzip unzufriedene» Elementen nicht neue Waffen durch die Beförderung der Trustbildungen in die Haud zu geben. Ob diese Waffen überhaupt je zur Ao- Wendung gelangen werden oder können, »st dabei unwesentlich. Auch die Ermutigung zur Kriegserklärung uud die Versorgung de« geistigen Arsenals muß unter allen Umständen vermieden werde», wenn wir nicht eine- Tage- in der Entwickelung um die Arbeit ganzer Geschlechter zurückgeworfen werden wollen. g. Deutsches Reich. G Berlin, 7. April, lvierverbrauch und vier- belaftung.) Wenn in der Presse eine gewisse Ver wunderung darüber ausgesprochen wird, daß in der jüngsten Zett bei nahezu gletchbletbendem Verbrauch von Branntwein eine Verminderung deS Bteroerbrauchs sich eingestellt hat, so dürfte nicht ausreichend beachtet sein, baß i» b«r guten Zeit bi» -um Jahre 1900 bet ziemlich unverändertem Verbrauche von Branntwein eine sehr be trächtliche Steigerung des BicroerbrauchS sich voll zogen hatte. Während der Verbrauch von Branntwein sich nach wie vor ungefähr auf 4,2 bis 4,4 Liter für den Kops stellte, stieg der Vierkonsum von 89 Litern im Jahre 1804 auf 100 im Jahre 1000, also in diesem verhältnismäßig kurzen Zeiträume um nicht weniger als 17 Liter oder bei nahe 20 Proz. Wie gering übrigens trotz dieses verhält nismäßig starken Verbrauches die steuerliche Belastung in folge des Bierzolles und der Biersteuer im Gebiete der Brausteuergemeinschaft ist, mag aus den nachfolgenden Vergleichen ersehen werden. Im Rechnungsjahre 1901/02 betrug in Großbritannien die Malzsteuer rund 14 Millionen Pfund, also bei etwas mehr als 41 Millionen Einwohnern nahezu 7 auf den Kopf. Bei uns dagegen stellte sich die Steuer im Jahre 1900 bei dem hohen Kon sum von 106 Litern auf den Kopf auf nur 91 Pfg., mithin auf wenig mehr als den achten Teil der steuerlichen Be lastung in England. Nach der Berechnung des Kaiser!. Statistischen Amtes stellte sich in dem genannten Jahre ferner die Steuer auf 0,74 Pfg. auf das Liter, betrug also für daS Seidel von 0,4 Litern Inhalt noch nicht 0,3 Pfg., mithin noch nichtdenfünfzigstenTeildcS Preises, für den das Bier der Brausteuergemeinschaft im all. gemeinen ausgeschenkt zu werden pflegt. Die Steuer ist hiernach im Vergleiche zu dem Detailpreise des Biere- so minimal, daß sie in diesem gar nicht zum Ausdrucke ge langen kann, so daß auch, wenn die Brausteuer ausgehoben würde, voraussichtlich keine Aenderung in dem Detail ausschankpreise des Bieres eintreten könnte. Bon einer fühlbaren Belastung der Bevölkerung und insbesondere auch des Mittelstandes durch die Biersteuer, wie sie zum Zwecke der Wahlverhehung von sozialdemokratischer und freisinniger Seite behauptet wird, kann daher in Wirklich keit durchaus nicht die Rede sein. Berlin, 7. April. (Fragen in Haftpflicht, fällen.) Bei manchen Postämtern wird in Fällen der Behinderung des Unterbeamtenpersonals ein Schlosser oder dessen Gehülfe bei Störungen in den Telegraphenleitungen zur Bedienung der sog. Unter- suchungsstange herangezogen. Zu diesem Zwecke hat der Betreffende eine mit Steigeisen versehene Telegraphen stange zu besteigen und noch vorheriger Anweisung an den Telegraphenleitungen Bcrbindungen herzustellen oder zu lösen. Es sind Zweifel entstanden, welche Bc- rufSgenossenschaft, die Schlosserei-Berufsgenossenschaft oder die Postversicherungskommission, bei Unfällen — Herabstürzen von der Stange usw. — für den Ver unglückten einzutreten haben würde, und zwar a. wenn die Vergütung unmittelbar an den Gehlllfen, d. wenn sic an den Meister als Unternehmer gezahlt wird und der Gehülfe lediglich im Auftrage seines Meisters handelt, und e. wenn statt des Gehülfen der Meister selbst die Bedienung ausführt. In allen drei Fällen ist wohl an zunehmen, daß der Unfall nicht im Schlosscreibetriebe, sondern im Betriebe der Telegraphen Verwal tung sich ereignet. — Ferner taucht neuerdings wieder holt die Frage auf, wie weit die Schulbehörde bezw. die städtische oder Staatsverwaltung für die den Schulkindern in der Schule zugestoßencn Unfälle haftbar sind. Das „Püdag. Wochenblatt" berichtet über einen Hamburger Fall, wo der Vater eines Schulmäd chens einer Hamburger Volksschule eine lebenslängliche Rente von 100 oder eine einmalige Abfindungssumme von 1800 für sein Kind forderte, weil es beim Betreten des Schulhofes während der Pause plötzlich lauf einer Eisglitsche) ausrutschte und so unglücklich hinsiel, daß cs sich das Unterkinn erheblich verletzte und drei Vorder zähne ausschlug. Das Landgericht wies die Klage ab, und zwar unter der sehr bemerkenswerten Begründung: Es liege keineswegs im Interesse der Kinder, sie inner halb der Schullokalitäten mit zu großer Aengstlichkeit vor jeder Gefahr, die der Verkehr außerhalb der Schule, auf dem Eise und auf der Straße ihnen täglich entgegen- bringe, zu behüten und sie dadurch zu verzärteln und zu verwöhnen. Ein gesundheitliches Wintervergnügen wie das Glitschen würde dadurch unmöglich gemacht. Daß dabei gelegentlich ein Kind falle und zu Schaden kommen könne, sei richtig. Dieselbe Möglichkeit bestehe aber beim Schlittschuhlaufen, beim Springen und Turnen. Wohin würbe es führen, wenn man die Kinder durch Verbot aller dieser Spiele vor jeder Gefahr behüten wollte, statt sie durch Zulassung derselben gewandt und geschickt zur Vermeidung der Gefahr zu machen? Berlin, 7. April. (Zentrum und Konser vative.) Kann die von der Zentrumspresse aufgebrachte Behauptung von einem liberal-konservattv-bündlerischen Kartell gegen daS Zentrum schon an der Hand der baye. rischen Verhältnisse widerlegt werden, so beweist daS Ver halten deS Zentrums inSchlesien, baß in einer Anzahl von Wahlkreisen umgekehrt daS Zentrum mit den Konservativen kartelliert. DaS schlesische Zentrum hat beschlossen, in nicht weniger als 4 Wahl kreisen, nämlich Breslau-Neumarkt. Strie- gau-Schwetdnitz, Waldenburg und Kreutz burg-Rosenberg, von vornherein für die Konser vativen zu stimmen. In Kreutzburg-Rosenckerg besteht allerdings schon seit langem ein Kartell zwischen Konser- vattven und Zentrum, und daß daS Zentrum in Walden burg trotz der fast zu einem Drittel katholischen Bevölke- rung einen eigenen Kandidaten diesmal nicht aufstellt, ist auch wohl begreiflich, da schon bei früheren Wahlen die für daS Zentrum nicht eben erfreuliche und ehrende Tat sache sich herauSgestellt hat, daß dasGro« der katho lischen Arbetterfürbte Sozialdemokratie stimmt. Ganz anders aber liegen die Verhältnisse in Schweidnitz-Striegau und vor allem in BreSlau-Neu» markt. In Schweidnitz ist das Zentrum selbst wiederholt in die Stichwahl gekommen (1881 und 1884) und es hat auch noch bei den Wahlen von 1890 und 189S je etwa 4000 Stimmen erhalten, wa» nicht weiter verwunderlich ist, da der Kreis nicht weniger als 37 Prozent Katholiken hat. BreSlau-Neumarkt gar zählt 40 Prozent Katholiken und dieser Wahlkreis ist sogar bereit- einmal im V ' - cdcv
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