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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.04.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030415023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903041502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903041502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-15
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Den sozialdemokratischen Agitatoren kommt eS darauf an, die Arbeitermassen gegen die Unternehmer aufzuhetzen und au» dem künstlich erzeugten und gesteigerten Haß bei den Reichstagswahlen im Interesse der Sozialdemokratie Kapitalzu schlagen. Sehr zu beachten ist es auch,daßdieAgitaloren in vielen Fällen keineswegs die A>beiter sofort in den Streik treten lassen. Ein solcher diente im Augenblick der politischen Sache nicht, denn em Streik hat einerseits die Abwanderung eines Teils der Streikenden zur Folge, was zugleich einen Abgang sozialdemokratischer Wahlstimmen von dem be treffenden Orte bedeutet. Anderseits aber kosten Streiks Geld und alles Geld braucht man jetzt zu Wahlzwecken. Darum schlagen die sozialdemokratischen Führer folgende Taktik ein: Aus irgend einem ganz nichtigen Grunde lassen sie eS zu einer Differenz der Arbeiter mit den Arbeitgebern kommen. Dann wird den Arbeitern, ohne daß sie e» so recht merken, von een sozialdemokratischen Regisseuren , die Rolle der „Vergewaltigten" cinstudiert und es wird gesagt: „Seht, Ihr Arbeiter, wie ohnmächtig Ihr seid! Aber am 16. Juni ist der Tag der Rache!" Und e» ist natürlich nichts leichter zu bewerkstelligen, als baß ein auf wirtschaftlichem Gebiete künstlich bervorgerufener Haß sich am Tage der Reichsiagswabl zu gunsten der Sozial demokratie entladet. Zwei besonders markante Fälle, in denen allerdings die Bombe „etwas zu früh geplatzt ist", liegen im Augenblicke vor: Pirmasens und Bremen. Zn Pirmasens bandelt es sich um eine von den Arbeitern plötzlich gestellte Forderung, die den Lohn für einen übrigens ganz spärlich hergestelllen Artikel um 30 erhöhen soll. DaS Schuhmacher-Fachblatt selber gesteht, daß die Sache „materiell gar nicht ins Gewicht fällt". Und doch riskiere» 6000 Arbeiter um solcher Lappalie willen ihre Existenz. Die wahren Beweggründe dieses BorgebenS legen die „Münchn. Reuest. Nachr." sehr treffend in einem Artikel dar, auf den wir uns um so lieber berufen, als das süddeutsche liberale Blatt un Prinzip der Sozialvemokraiie so freundlich wie möglich gegenüberstehl. Räumte es doch erst kürzlich seine Spalten einem Artikel ein, der lebhaft für ein Bündnis deS Liberalismus mit der Sozialdemokratie sich aussprach, da beide große gemeinsame Interessen zu vertreten hätten. Diese selben „Münch. Reuest. Nachr." seben sich jetzt doch gezwungen, zvm Pirmasenser Streitfall einen Leltarnkel mit folgenden Schlußwendungen zu bringen: ..Bisher war das Verhältnis der Fabrikanten zu ihren Ar beitern ein gute-, in vielen Fällen direkt persönlich freundschafi- liche». Die Pirmasenser Industrie hat sich jo erst seit elwa vierzig Jahren, hauptsächlich nach 187l, entwickelt, ein großer Teil der jetzigen Fabrikinhaber ist auS kleinen Verhält- »iffen durch eigene Rührigkeit emporgekommen. Es lebt unter ihnen der gute Geist handfester bürgerlicher Ebr- barkeit, die auch den Arbeiter seines Lohnes wert achtet vud ihu al» ArbeitSgenossen hochhält. Zunächst ist der Grund sür die unerquicklichen Verhältnisse der letzten Zeit daher nicht recht einzusehen. Und doch liegt er nicht zu fern. Den Sozialdemokraten ist Pirmasens schon lange ein Dorn ims Auge. Bekannte sozialdemokratische Führer, wie der Parteipapst Singer, versuchten seit Jahren die Gewissen zu schärfen, allerdings ohne solchen Erfolg, wie es ihnen im Verhältnis zur großen Arbeiterzahl der Stadt nöthig erschien . . . Deshalb versuchte man Unfrieden zu säen, leider mit Erfolg. So erklärt sich auch, warum die Sache gerade jetzt zum Klappen kommt, dicht vor den Wahlen. Die Wühler haben ihren Zweck erreicht; der große Lohnstreik ist da, die Erbitterung zwischen beiden Parteien aufs höchste gestiegen. Die Folgen werden sich am 16. Juni zeigen." In Bremen ist der Streit mit dem Lloyv bekanntlich auch um einer Lappalie willen durch die Arbeiterschaft provoziert worden. Die sozialistischen Agitatoren und Wablmacker brauchten einen Anlaß, die wegen ihrer weitgehenden liberalen und sozialen Gesinnung be rühmte Bremer Unternehmerschaft als „Scharfmacher" den Arbeitern verdächtigen und verhaßt machen zu können. Die sozialdemokratische „Ehre" empfand eS sozusagen als eine „Schmach", daß wenigstens über einer ver drei mächtigen Hansastävie die rote Fahne noch nicht wehte. Jetzt glaubt man, für die Wahl beste Hoffnungen hegen zu dürfen. Ohne Hehl schreibt die sozialdemokratische „Bremer Bürgerzeitung": „In zwei Monaten wird die unterdrückte Arbeiterklasse den Machthabern eine andere Proklamation entgegensetzen, die ins besondere der politischen Herrschaft des Lloyd in den Unter weser-Orten ein Ziel setzt." Der Bremer Fall lehrt übrigens mit besonderer Eindringlichkeit, daß auch die weitestgehende soziale Geiinnung die revolutionäre Klasienkampf-Polilik der machtlüstcrnen Sozialdemokratie um nichts mildert — im Gegenteil. Soziale Gesinnung und Sozialdemokratie sind zwei sehr verschiedene Dinge, Vie keine Berührungspunkte mit einander baden. Gegen die Sozialdemokratie gibt es nur ein Mittel: rücksichtslosen Kampf, der aufgenommen werden muß, noch ehe man zu ihm im ungünstigsten Momente ge zwungen wird. Die „Krcuzzeitnrig" und die «ationalliberalen Reichs» tagskandidatnre«. Die „Kreuzztg." hat, fromm, wie immer, den ersten Osterfcicrtag dazu verwendet, einen von Gehässigkeit gegen andere Parteien, insonderheit die National liberalen, strotzenden Wvchenrückblick herauszu bringen. Znnächst ereifert sich das führende konservative Organ über die angebliche Taktik der Nationalliberalcu, überall Zählkandidatnrcn aufzustellen, und da durch die Sache der Sozialdemokratie zu fördern. Wenn ciuePartei von der inMastcnzählkaudidaturen liegenden Zahlenwut frei ist, so ist dies die nativnalliberale. Wir erinnern nur daran, daß die Nationallibcralcn in allen drei Hamburger Wahlkreisen auf eigene Kandidaten ver zichten, obwohl sic bei den letzten allgemeinen Wahlen im 1. und im 3. Hamburger Wahlkreise weitaus am meisten Stimmen von allen bürgerlichen Par teien aufbrachten und in den drei Wahlkreisen ins gesamt ungefähr 24 000 Stimmen, also doch eine recht stattliche Ziffer, aufwiescn. Ebenso verzichten sic auf eigene Kandidaturen in sämtlichen Berliner Wahlkreisen, obschon sie, insonderheit im 2. Wahlkreise, mehrere 1000 Stinnnen aufbringen können. Die Unter stellung also, als ob die Nationalliberalen auf die Zahlen jagd ausgingen, ist grundfalsch. Die „Kreuzztg." ist aber aufs äußerste erbittert darüber, daß die Nativnalliberalen in dem Wahlkreise Frankfurt a. O. einen eigenen Kandidaten aufstellen und dafür die Unterstützung der an deren bürgerlichen Parteien beanspruchen, obwohl die nativnalliberale Anhängerschaft in diesem Kreise nur ge ringfügig ist. Wenn die „Kreuzztg." meint, Kompromisse von bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie hätten nur auf der Basis einen Sinn, daß die Stärke der beteiligten parteipolitischen Gruppen maßgebend^ sein müsse, so hat sie an sich gewiß recht. Im Wahlkreise Frank furt a. O. aber liegen die Verhältnisse ganz besonders. Hier sind die konservativen Stimmen zurückgegangcn, die radikalen, und zwar auch die bürgerlich-radikalen, ge stiegen. Bei den Wahlen von 1893 wurden 10 715 konser vative Stimmen abgegeben gegen 4158 freisinnige und 9122 sozialistische, zusammen also 13 300 radikale Stimmen. Bei den letzten allgemeinen Wahlen hingegen wurden 8870 kon servative gegen rund 5500 freisinnige und rund 10 000 sozialistische, also 15 500 radikale Stimmen abgegeben. Die Differenz zu Ungunsten der Konservativen stieg also von 2600 im Jahre 1893 auf mehr als 6500 bei den letzten allgemeinen Wahlen. Der Sieg über die Sozialdemo kratie bei den nächsten allgemeinen Wahlen hängt also vollständig von der Haltung der Freisinnigen ab und an gesichts dieser unleugbaren Tatsache war es geradezu ein Narren st reich, den bisherigen reichsparteilichen, also gemäßigt konservativen Abgeordneten durch einen Kandidaten von der „Kreuzzeitungö"-Farbe zu er setzen, und nur die uationalliberale, von den Frei sinnigen unterstützte Kandidatur läßt wenigstens die Möglichkeit offen, den Kreis diesmal noch gegen die Sozialdemokratie zu halten. So war also trotz der numerischen Schwäche die nationalliberale „Sonder kandidatur" in diesem Wahlkreise vollauf gerechtfertigt. Daß aber die „Kreuzztg." au dem von ihr für Frank furt a. O. vertretenen Prinzip, der bürgerliche Kom promißkandidat sei der stärksten Partei zu entnehmen, nicht eben mit logischer Konsequenz festhält, ergiebt sich aus ihrer Klage über die Konservativen in Kassel, die sirr den liberalen Kompromißkandidaten und nicht für den bündlerisch-antisemitischen Bewerber cintreten wollen. Wenn irgendwo ein Zusammengehen gegen die Sozialdemokratie erforderlich ist, so ist es in Kassel, wo der sozialdemokratische Kandidat bei der Hauptwahl weit aus die meisten Stimmen erhält und in der Stichwahl bei den beiden letzten allgemeinen Wahlen nur mit etwa 800 Stimmen Minderheit unterlegen ist. Hier aber sind die Liberalen an Stimmcnzahl der konservativen Rich tung überlegen. Bei den Wahlen von 1893 wurden 4700 nativnalliberale und 1639 freisinnige, zusammen also 6300 liberale Stimmen, abgegeben gegen 5100 kon servative; bei deu letzten allgemeinen Wahlen war das Stimmenverhältnis genau dasselbe, nur daß die frei sinnigen Stimmen gleich im ersten Wahlgange dem nativnalliberalen Bewerber zufielen. Die „Kreuzztg." ist also einmal für, einmal gegen das Prinzip der relativ stärksten Partei: die Hauptsache ist ihr eben, daß mög lichst wenig nativnalliberale Neichstagsabgeordnete in den Reichstag gelangen. Deutschland und die Türkei. Das türkisch-offiziöse Blatt „Ikdam" hat gemeldet, daß die deutsche Regierung in dem Wunsche, der Türkei einen neuen Beweis ihrer aufrichtigen und herzlichen Gesinnungen zu geben, den Mauser fabriken den Befehl erteilt habe, die Bestellungen der türkischen Regierung im Notfälle vor den Bestellungen für Deutschland auszuführen. Wenn das genannte türkische Organ gelegentlich das zwischen Deutschland und der Türkei bestehende vortreffliche Verhältnis yervorhebt, so entspricht dies der Natur der Dinge. Was aber die oben erwähnte Einzelheit anbelangt, die der „Ikdam" als einen neuen Beweis für die guten Beziehungen der Türkei zum Reiche anführt, so muß es sich dabei um ein Mißver ständnis handeln; auf unsere Anfrage an maßgebender Stelle wird uns mitgeteilt, daß man dort von einem der artigen Befehle nichts wisse. Uebrigens handelt es sich bei der deutschen Politik im europäischen Orient nicht darum, daß der Türkei von Seiten des Reiches eine außer gewöhnliche Bevorzugung gewidmet wird. Vielmehr ist die deutsche Orientpolitik ganz ähnlich der gegenwärtig von Rußland beobachteten, indem das Ziel sowohl der deutschen wie der russischen Balkanpolitik die Aufrecht erhaltung des Weltfriedens bildet. Ein billiges Vergnügen. In einem Meere von Wonne schwimmt der Pariser „Figaro", weil Präsident Loubet auf der Reede von Algier nicht nur von französischen, sondern auch von russischen, italienischen, englischen und spanischen Schiffen begrüßt werden wird: niemals sei Frankreich der Gegen stand einer imposanteren Höflichkeitsbezeugung gewesen. Liegt unter solchen Umständen für ein Pariser Blatt irgend etwas näher, als ein Hymnus auf die Erfolge der auswärtigen Politik Frankreichs? Die Methode, nach der vom „Figaro" die Beweise für jene Erfolge erbracht werden, ist die längst bewährte. Der „Figaro" stellt gewisse Dinge als Wirkungen der französischen Allianz politik dar, die mit der letzteren in Wirklichkeit nicht das Geringste zu tun haben. Natürlich ist es bei den ge wissen Dingen auf den Dreibund abgesehen; er soll seinen friedlichen Charakter erst durch die Begründung deS Zweibundes erhalten haben, insbesondere soll fortan Italien fiir einen Angriff gegen Frankreich nicht mehr zu haben sein. Da die defensive Natur des Dreibundes seit Anfang Februar 1888 publioi juris ist, kann die Fiktion des „Figaro" lediglich Heiterkeit erregen. Die Stimmung des Zaren. Alle Personen, welche über die intimen Vorgänge am Petersburger Hofe genau unterrichtet sind, stimmen, wie die „Internat. Corresp." schreibt, darin überein, daß Kaiser Nikolaus über die neuere Entwickelung der inter nationalen Politik äußerst verstimmt ist. Der Zar hat sich kürzlich mehrere Vorträge über die Ursachen des Krimkrieges halten lasten, im Anschluß daran soll er die damalige Zeit mit der heutigen verglichen und sein Urteil dahin zusammengefaßt haben, daß Rußland in allen wichtigen und entscheidungsvollen Lagen doch stets allein dastehen werde. Die Haltung Frankreichs gegenüber den jetzigen Wirren am Balkan hat auf den Zaren einen sehr tiescn Eindruck gemacht, da sich gerade darin nach seiner Auffassung die völlige Unzuverlässigkeit und Unaufrichtigkeit zahlreicher maßgebender franzö sischer Politiker offenbart hat. Noch unangenehmer be rührte dabei, daß gleichzeitig England in auffälligster Weise um die Freundschaft Frankreichs buhlte und dabei in Paris bereitwilliges Entgegenkommen fand. Auch über Italien ist man in Petersburg verstimmt, da sich nach Feuilleton. ui Das Gold vom Mdwatersrand. Roman von F. Klinck-LütetSburg. Nachdruck verbalen. Schon wollte er seine Gedanken in Worte kleiden, über ein Blick auf Tante Grietje machte ihn verstummen. Sie machte einen Eindruck von Erschöpfung, der ihn warnte, sie weiter zu erregen. „Ich will den Versuch machen, der Sache auf den Grund zu kommen, Wilm. Sobald hier einigermaßen ge ordnete Verhältnisse geschaffen sind, werde ich nach der Farm gehen und mich zu orientieren versuchen. Vielleicht finde ich vollkommenen Aufschluß durch Mrs. Morton selbst. Ich bin gewiß berechtigt, mir jede wünschenswerte Aufklärung über Personen und Verhältnisse zu verschaffen, die meinem verstorbenen Gatten nahegestanden haben." Siebentes Kapitel. Einige Wochen waren in angestrengter Arbeit ver gangen, und sowohl Frau van Senden als auch Wilm zu der Ueberzeugung gelangt, daß eine in der Tat äußerst schwierige Lage Peter van Senden zur Verzweiflung, und all er keine Hülfe gefunden, in den Tod getrieben hatte. Daß er sie nicht gefunden, während sie seinen Erben von zwei Seiten angeboten worden war, befremdete Wilm, obgleich er in der letzten Zeit für manche Dinge eine Erklärung gefunden, die er früher nicht verstanden. Jedenfalls hatte der Vater dem Oheim gegenüber eine zweideutige Rolle gespielt. Während beide anscheinend gleiche Interesten verfolgt, batte doch Egnatius van Senden, mit der ihm eigenen Rücksichtslosigkeit, Wege be gangen, die fernab von den gewünschten Erfolgen deS Bruders gelegen gewesen waren. Ja, er hatte diesem in der letzten Zeit offenbar Verlegenheiten bereitet. GinS erschien Wilm, nach allem, was er in den letzten Monaten gesehen und gehört, als unbestritten feststehend: eine der Transvaal^Regiernng feindlich gesinnte Partei batte seit Jahren im Verboraenen an der Ausbreitung ihrer Macht mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln ge arbeitet, indem sie durch eine Erweiterung ihres Grund besitzes und ihres Einflusses auf die Gruben dahin zu ae- langen strebte, die Gesetze des Sandes zu diktieren. Zu dieser Partei hatte der Berginspcktor van Senden nicht gehört. Wilm war vielmehr überzeugt, daß der Oheim dieser Partei ein Stein im Wege gewesen, den man hiuwcggeräumt hatte, wer ngleich er zur Ehre des Vaters nickt anuehmcn wollte, daß er eine Katastrophe voraus- geschcu, wie sic einaetrcten war, um Peter van Senden in den Tod zu treiben. Unter diesem Argwohn gelang es Wilm nicht, in seinen Briefen an den Vater einen wärmeren Ton anzuschlagen, und so s'y itcrien alle Versuche Egnatius van Sendcus, die Pläne und Absichten des Sohnes zu erforschen. Das reizte zwar seinen Zorn, aber er sah sich genötigt, ihn zu unterdrücken, um der Gefahr aus dem Wege zu gehen, den letzten Einfluß zu verlieren und in Wilm einen hart näckigeren Gegner seiner Herrschcrgclüstc erstehen sehen zu müssen, als cs Peter van Senden jemals gewesen war. Die politische Gesinnung des Sohnes war ihm hinreichend bekannt, um sich ernsten Befürchtungen hinzugcbcn. Von dem Generaldirektor Brandt hatte Wilm nichts mehr gehört und vergebens sein Kommen erwartet. Die Verzögerung war ihm lieb, da er inzwischen Zeit ge funden, sich alle Verhältnisse klar zu machen. Andeutungen in den Briefen des Vaters ließen Wilm darauf schließen, daß ihm von Seiten des Generaldirektors Schwierigkeiten bereitet werden könnten, doch fürchtete er sic nicht, und war entschlossen, dem Rate des BaterS entgegen, nicht mit demselben in Verhandlungen sich cinzulassen. Sein Wort, das er der Transvaal-Regierung gegeben, als sie vertrauensvoll die Regelung des van Scndenschcn Nach lasses Tante Grietje und ihm überlasten, sollte ihm heilig sein. Eines MoraenS wurde Wilm van Senden drei Herren der Bekriebsoberleitung gemeldet, unter ihnen der Generaldirektor Brandt. Er ließ die Herren bitten. Der junge Mann empfing den Besuch mit ruhiger Würde, obgleich das Herz ihm hörbar in der Blust schlug. Er wußte, daß ihm eine schlimme Stunde bevorstand. Ein einziger Blick in das Gesicht deS Generaldirektor- hätte es ibm sagen können. Generaldirektor Brandt war eine große, stattliche Er scheinung in den mittleren fünfzig Jahren. Von tadel- loser Haltung, mit dunksem Haar und gleichem Schnurr bart, unter buschigen Brauen glänzende, scharfblickende Augen, konnte er jünacr erscheinen, als er war. Jeden falls machte er den Eindruck eines mit rücksichtsloser Energie ausgcstattetcn Mannes, indem er Wilm van Senden etwas herablassend begrüßte. Er stellte die Herren Roch und List von der Firma Lasier <L Sons vor. Wilm verbeugte sich und nötigte die Herren, Platz zu nehmen. „Sic sind von dem Zwecke unseres Kommens unter richtet, Herr van Senden", begann der Generaldirektor mit etwas schnarrender Stimme. „Ich bcdaure aufrichtig, daß Sic mich durch Ihr unqualifizicrbarcs Vorgehen nötigen. Sie als Gegner zu betrachten. Es wird mir schwer, den Sohn meines Freundes als solchen anzusehen." Wilm lächelte. „Vielleicht trennen wir die Person von der Dache, Herr Generaldirektor", versetzte er. „Ja, ja — das war mein Wunsch. Aber Sie haben nichts von sich hören lassen, und doch war ich gewiß die zunächst bei der Affäre beteiligte Person, von deren Be urteilung alles abhängia ist." „Wenigstens die Minenangelegenheit", sagte Wilm mit einer Ruhe, die einen Gegensatz zu einer sichtlichen Er regung des Generaldirektors bildete. „Sie ist von den gesamten geschäftlichen Manipulationen deS Herrn Berginsvektors van Senden einfach unzertrenn lich, mein Herr", fuhr derselbe auf. Dann fügte er hin zu: „Ich bewundere Ihren Gleichmut, junger Freund. Sie wissen offenbar nichts von den schrecklichen Vor gängen." „Ich muß Sie bitten, sich deutlicher zu erklären, Herr Generaldirektor", sagte Wilm, indem er sich um eine Linie höher aufrichtcte. „Haben Sie die Bücher Ihres verstorbenen Onkels revidiert'?" „Ich wurde mit Ordnung des Nachlasses beauftragt." „Ja — so! Ich hörte von dieser sonderbaren Ge schichte. Ist Ihnen nicht- dabei ausgefallen?" „Bis zur Stunde nicht." „Ihr Schweigen erklärt sich dadurch, aber ich bedaure um so mehr, Sic aus einer glücklichen Unwissenheit reißen zu müssen, in die Sie vielleicht durch eine mindestens selt same Auffassung der Regierung versetzt worden sind. Glücklicherweise haben wir setzt das neue Berggesetz, da leit zwei Jahren bei der Kommission gelagert hat. d»rch den zweiten VolkSraad genehmigt. Dadurch ist der auf sicht-führenden Behörde die Möglichkeit gegeben, nach drücklich die Bergbauintereffen zu wahren und die bei den Gruben eingerisscnen Uebelstünde zu beseitigen. Sie hält es für ihre Pflicht, mit aller Energie dahin zu wirken, daß Vorkommnisse, wie sie bei den Gruben, deren Geschäfts leitung der Unisicht des Herrn Berginspektors van Senden anvertraut gewesen ist, ihre Ahndung finden und sich nicht wiederholen. Laster L Sons und ich stehen hier als Ver treter eines großen Teiles der Aktieninhaber, um Auf- schluß darüber zu erlangen, ob es notwendig sein wird, den Konkurs über die Gruben zu beantragen." Wilm war aufmerksam jedem Worte des General direktors gefolgt. Er sah sich vollkommen vorbereitet, und entgegnete mit unerwarteter Ruhe: „Daß die Grubenvcrhältniste augenblicklich ganz außer- ordentlich ungünstige sind, läßt sich nicht bestreiten. Seit jeher haben die Gruben Erträgnisse vermissen lasten, die dem „Output" anderer Gruben nur annähernd entsprochen hätten, und es ist leider zu wenig für die Förderung des selben getan. Die Beschaffung der besten, billigsten und von Witternngseinflüsten unabhängigen Triebkraft war eine Reihe von Jahren hindurch, wegen der Entfernung der Kohlengruben, mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Es hat sich nicht tief genug arbeiten lassen, während der Goldgehalt des Gesteins, die andere Gruben nachweisen, beim Vordringen zunimmt. Außerdem ist kein Cyanid werk vorhanden gewesen, sondern Pochschliek al» wertlos angesehen worden." „Ja, da- eben ist eS. Der Berginspektor van Senden hat die Betriebsoberleitung getäuscht", sagte General direktor Brand mit einem überlegenen Ausdruck seines Gesichtes. „Die Pockrückstände sind für ihn die Haupt sache gewesen. Mit Vorbedacht hat eine sehr mangelhafte Ausfällung des Goldes stattgefundcn. In den „Tailings" steckte der Wert, und wem — um kurz nnd deutlich zu sein — ist dieser zu gute gekommen?" Wilm fand nun doch nicht gleich eine Entgegnung. „Dem Berginwektor van Senden", sagte Herr Roch statt seine r, und Herr List fügte hinzu: „Wir haben genauen Nachweis über jede seit dem Jahre 1886 verschiffte Ladung Pochschliek." „Ein solcher dürfte sich auch auS den Büchern ergeben*, bemerkte Wilm „Peter van Senden hat Millionen unterschlagen, mein iunger Freund, und ich glaube kaum, daß er den Mut ge funden haben dürste, die Ladungen zu buchen", sagte Herr
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