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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.04.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190304195
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19030419
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19030419
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-19
- Monat1903-04
- Jahr1903
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.04.1903
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für dtachwetsungrn und Offerteuaunahme 25 (exct. Porto). Srtra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgab«, ohne Postbesärderung ^tl «0.—, mit Postbrsürderung ^4 70.—. Ännahmeschluß für Äuzeigeu: Abend-Ausgab«: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» abend» 7 Uhr- Druck und Verlag von E. Polz iu Leipzig. Nr. 196 Sonntag den 19. April 1903. 97. Jahrgang. Aus der Woche. ES gehört di« ganze BrgeisterungSfahigkeit eines un parteiischen Lokalanzeigers dazu, um besondere Befriedigung darüber zu äußern, daß im Gespräch mit einem französischen Journalisten Graf Bülow die Lage als „im allgemeinen vortrefflich" bezeichnet hat. Auch wenn daS Gegenteil seiner Ansicht entspräche, hätte der Kanzler einer Groß macht nicht gut etwas anderes sagea lönnrn, als daß er hoffe, der Sturm iu dem allerdiug» reiht großen Glase Wasser — ohne eiu Bonmot geht eS nun einmal nicht — auf dem Balkan werde sich legen oder aber auf eine eng umgrenzte Zone beschränkt bleiben. Schon die Liebens würdigkeit zwang den optimistischen Bülow, dem Franzosen gegenüber di, Güte der deutsch-französischen Beziehungen mit einigen Komplimenten sür Frankreichs Kultur zu be tonen. Damit wollen wir die „Auslastungen eine» Staats mannes, welcher selbst die Leitung der großen Politik in der Hand hält", durchaus nicht schelten. Aber es sind eben doch nur Worte, aus denen sich für den wirklichen Berlauf der Dinge keine Schlüsse ziehen lasten. Eia deutscher Publizist, der etwa heute daS Vergnügen hätte, mit dem Reichskanzler in ein Gespräch zu kommen, würde vermutlich nicht nach seinen Ansichten über Pasteur und Helmholtz sich erkundigen, sondern er würde ihn fragen: Wie denken Sie über die ReichStagSwahle u? Dabei lassen wir dahingestellt, ob auch hier die Antwort gegeben würde: „Jin allgemeinen vortrefflich". Die „Kreuzzeitung" tut so, als könnte aus solchem Munde ein erlösendes Wort kommen, wobei sie aber schon zum voraus einen Wink gibt, wie es lauten soll, nämlich „gegen die Sozialdemokratie und sür die vereinigte Reaktion von Junkern und Ultramon- lauen". Wir können uns von einer Wahlparole dieser Regie rung keine Vorteile sür einen nationalen Aufschwung unsere- Parlamentarismus versprechen. Je mehr wir unS von den Bismarckischen Zeiten entsernen, um so deutlicher prägt sich der Eharakter moderner Regierungskunst dahin auS, daß der Staatsmann die eigene Persönlichkeit möglichst verleugnet, um nicht die Unterstützung der einen oder der anderen Partei von vornherein zu verscherzen. Werden auch nicht gerade die Ziele verschleiert, so bleibt doch der Kurs dem Steuermanne selbst bis zuletzt ein Geheimnis, da eS ihm nicht darauf ankommt, welcher Wind seine Segel bläht. Auf die Situation des Augenblicks angewendel, will das sagen, daß es dem Grasen Bülow ziemlich gleichgültig ist, ob Nationalliberale, Konservative oder Ultramontane in der Mehrheit, mit der die Handelsverträge, das neue Quin- queunat, die Reichsfinanz-Reform u. s. w. zu stände kommen sollen, die stärkste Zahl einnehmen werden. WaS soll also eine Wahlparole von dieser Seite, zumal da die Jesuiten-Zusage den Kanzler doch recht erheblich kompromittiert hat? So viel an unS liegt, brauchen sich also mit schön stilisierten Wahlartikeln weder Herr Schweinburg noch die Schriftsteller der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" oderder„Süddeutschen ReichSkorrespondenz" zu bemühen. Wenn in Organen des Zen trums vollerStolz erklärt wird, lebenskräftige, zielklare Parteien brauchten aus keine Wahlparole der Regierung zu warten, sie fänden sich selbst zureckt — so haben auch wir mehr als einmal hervorgehoben, daß die Ereignisse der letzten Wochen und Monate dem Wähler eine sehr deutliche Richtschnur gegeben haben. Hervorragende Politiker Badea» haben aus gesprochen, daß die veränderten Verhältnisse den Abgeordneten Bassermann sehr wohl dazu führen könnten, für die Erhaltung von tz 2 des Jesuitengesetzes einzutreten, sür dessen Aufhebung er früher gestimmt hat. Die „Köln. VolkSztg." bemerkt dazu: „In Wirklichkeit hat sich gar nicht- verändert." Dem Urheber dieser tiefsinnigen Bemerkung möchten wir, wie im Juli 1870 feinen klerikalen Gesinnungsgenossen der wackere Sepp, erwidern: Zwischen gestern und heute liegt die Krieg-- erklärung; in diesem Falle nicht die französische, sondern die klerikale. Die rheinisckea, die schlesischen und die westfälischen Zentrumsorgane erklären mit Uebereinstimmung: werde vom Bundesrate die Jesuiten-Zusage Bülows nicht erfüllt, so bedeute da» den neuen Kulturkampf und das Zentrum werde dann seine Haltung radikal ändern; — da- heißt nichts andere«, al« e« werde nicht mehr „national" sein. So will kommen da« Zugeständnis ist, daß die nationale Empfindung für da- Zentrum nur eine Fahne ist, die eS herauShängt, wenn e« sich gut, und einzieht, wenn eS sich schlecht behandelt fühlt, so wenig enthält die klerikale Drohung etwa- Schreck liche-. E« wird unter unseren Freunden sogar recht viele geben, denen e« als wahre- Glück erscheinen würde, wenn da» Zentrum sich wieder mit aller Offenheit zu seiner wahren Natur bekannte. Es brauchte nur dem Beispiele de» Bischofs Korum zu folgen, dem wir ohne Rückhalt da« Verdienst zuerkennen, mit lautem Hahnenschrei den Morgen de« neuen Kulturkampfes in demselben Augenblicke verkündet zu haben, al- durch den Grafen Bülow dem Zentrum bezeugt worden war, mit ihm sei im Dunkeln gut munkeln. Nur sehr harmlose Leute werden dieser Tage überrascht gewesen sein, al« sie lasen, daß in Trier unter der Hand weiter gewühlt wird, nachdem „in Uebereinstimmung mit dem heiligen Vater" Bischof Korum angeordnet batte, „daß unsere Kanzelpublikation wegen veränderter Umstände al- nicht ge- schehen zu betrachten sei." Es sieht jetzt fast so auS, al? ob mit den „veränderten Umständen" der Bischof die Aussicht auf sehr weit gehende Konzessionen der preußischen Unterrichtsverwaltung gemeint hätte und mit dem „als nicht ge schehen zu betrachten" hätte sagen wollen,daßöffentlichcHinweise auf ZwangSmaßregeln nicht mehr nötig seien. Denn auck wenn kein Geheimerlaß die frühere Anordnung aufrecht er halten haben sollte — die Frechheit wäre zu groß —, so scheint doch festzustehen, baß im Beichtstuhl nach wie vor die „konfessionslose" Schule verboten, den Zuwiderhandelnden nach wie vor mit Verweigerung der Absolution gedroht wird. Der Bischof, von dem im Jahre 1881 gesagt werden konnte, von den Jesuiten gebildet, sei er der deutschen Sprache kaum mächtig, ein Fanatiker, dessen reichsfeindliche Gesinnungen kein Geheimnis seien, ist seinen Traditionen bi- auf den heutigen Taz treu geblieben. Kultusminister Studt ist nicht der Mann, ihn von einem Wege abzubringen, den vor zwanzig Jahren Windt horst seiner Partei vorgezeichnet hat, indem er erklärte: „Die Grammatik und die Algebra kann man an sich nicht konfessionell särben, aber die Lehrer, welche Algebra und Grammatik lehren, können, während sie diese Disziplin lehren sollten, allerlei kuriose Dinge dazwischen mengen, und daö ist es gerade, WaS selbst auf diesem un zweifelhaft neutralen Gebiet die Simultanschulen bedenklich macht es muß der ganze Unterricht in allen Fällen ohne Ausnahme getragen werden von der in der betreffenden Konfession zum Ausdruck kommenden reli giösen Auffassung. Und weil das in einer Simultan schule nicht zu erreichen ist, so ist sie zu verurteilen". Indem er diesen Windthorstschen Geist wieder aujlebcn ließ, hat Bischof Korum allen liberalen Elementen eine Wahl parole auSgegeben, die um so heftiger gezündet hat, als sie fast unmittelbar nach der Jesuiten-Zusage Bülows erfolgte. Ver stärkt hat sie jener schlaue Zenirumöabgeordorte, der bald nachher in Osnabrück erklärte, die Aushebung des tz 2 sei natürlich nur eine Abschlagszahlung. „Wir fordern: Hin weg mit dem ganzen Gesetze, hinein damit in die juristische Rumpelkammer, wohin es gehört." Es wäre zum Verzweifeln, wenn am Rhein, in Baden und in Bayern am 16. Juni auf solche Herausforderung nicht die einzig richtige Antwort gefunden würde! Wir müssen uns überhaupt jenen Pessimismus abgewöhnen, der da meint, es sei nichts daran zu ändern, daß die Zentrumspartei im Reichstage die stärkste ist. Schon sorgen in Westdeutschland und in Oberschlesien die vom Zentrum so maßlos verhätschelten Polen dafür, daß auch diese Bäume nicht in den Himmel wachsen. Es ist durchaus nicht unmöglich, daß in die Grube, die der nationalen Antipolen-Politik vom Zentrum seit Jahr zehnten gegraben wird, Graf Ballestrem hineinstürzt. Der Entrüstungssturm, den ein solche- Ereignis nach der Meinung der „Köln. Volksztg." Hervorrufen würde, wäre nicht nur auf „alle deutschen Katholiken" beschränkt, sondern er würde sich in ganz Deutschland gegen die Polen politik des Zentrums wenden, das auch hier gezeigt hat, wie wenig seinen Führern daran liegt, „Deutsche im wahren und vollsten Sinne de« Wortes zu bleiben", wie eS einst Döllinger von jedem deutschen Katholiken verlangt bat. Da es durchaus keine Schande ist, vom Gegner zu lernen, so soll auch an dieser Stelle mit allem Nachdruck die sozialdemokratische Opferwilligkeit als nachahmens, wert bezeichnet werden. Nahezu 90 000 sind in dem einen Monat März laut der im „Vorwärts" veröffent lichten Quittung dem Parteikassierer an Beiträgen zugeflossen. Wir brauchen uns nicht länger den Kopf darüber zu zerbrechen, welcher „begeisterter Anhänger" al» „Munition für den Wahlkampf" 30 000 gespendet hat, welcher Geber von 10 000 -L sich hinter dem Fragezeichen versteckt. Aber nachzuahmen ist dieses Beispiel nicht nur, weil für diesen Kampf große Geldsummen dringend notwendig sind. Ebenso wichtig scheint uns die Erwägung, daß auch der Laue aufgerüttrlt und auf die Wichtigkeit der Entscheidung hin gewiesen wird, wenn er sieht, daß vermögende Leute große Summen für den Kampf gegen die Sozialdemo kratie opfern. Jede Zeile de- „Vorwärts" deutet darauf hin, daß er von den bevorstehenden ReichStagSwahlen einen bisher nickt dagewrsenen Triumph an Mandaten wie an Stimmen zahlen erwartet. Tie Taktik, für die Hauptwahl überall mit eigenen Kandidaturen vorzugehen, müßte bei den Gegnern den letzten Mann an die Wahlurne rufen. Denn die Stimmen werden zur Feststellung von Stärke und Bedeutung der Partei durch ganz Deutschland gezählt. Hinterher ist eS leicht, durch fünf lange Jahre darüber zu räsonnieren, daß der TerroriSmuS der Sozialdemokratie da« Bürgertum im Parlament eine traurige Rolle spielen laßt. Jedem einzelnen ist die Macht in die Hand gegeben, solchem Uebermut «inen Dämpfer aufzusetzcn. Wer wollte die Gelegenheit unbenutzt vorübergehen lassen? Vom Deutschen Flotten-Verein. Bon besonderer Seite wird der „Südd. Reichskorr." geschrieben: In diesen Tagen war ein halbes Jahrhundert durchs Land gegangen, seit die deutsche Flotte unter Hannibal Fischers Hammer gebracht worden. Da ist es wohl an gezeigt, von dieser Zeit der nationalen Verkümmerung weg nochmals den Blick auf die kürzlich in München stattgcfundene Tagung des Deutschen Flottcn-VcreinS zu richten. Uebcr hundert Vertreter der gewaltigen Vereins organisation von 630 000 Mitgliedern hatten sich dort vereinigt zur Beratung, wie die durch unseres Kaisers Mahnworte erweckte Erkenntnis von der Notwendigkeit unserer Seegewalt noch mehr in alle Schichten der Be- völkerung getragen werden könne. Dank der Sachlich keit. mit der die Verhandlungen geführt wurden, dank der umsichtigen Leitung des Vereinspräsidenten, Fürsten zu Salm, dank aber auch der hingebenden Arbeit der Landes- und Provinzial-Ausschüsse war das Ergebnis der Verhandlungen ein in jeder Beziehung erfreuliches. Als eiu politisches Ereignis aber kann der Empfang bezeichnet werden, dessen die Hauptversammlung sich überall in den höchsten Kreisen, wie bei der Stadt und den Einwohnern zu erfreuen hatte. Prinz Luitpold, des Königreiches Bayern so hochver ehrter Verweser, ehrte bas Präsidium durch wiederholten Empfang und Einladung und befahl für dasselbe, sowie für die Vertreter der Landes, und Provinzial-AuSschlifse eine festliche Veranstaltung in dem Hoftheaterr die Stadt gab durch ihren ersten Bürgermeister der Freude Aus druck, die Hauptversammlung des Deutschen Flotten-Ver- eins in ihren Mauern beherbergen zu dürfen, und die gesellige Vereinigung der Münchener Kunstgenossenschaft bat die Versammlung zu einem intimen fröhlichen Künstlerabend. Ganz besonders aber trat die warme Sympathie, welche alle Schichten der Bevölkerung dem Flotten-Verein cntgegenbrachten, an dem Festabend hervor, den die Orts gruppe München in dem Löwenbräu veranstaltete. Dort fanden sich in großer Zahl Hoch und Nieder zu sammen, ohne Unterschied der Parteien, der Thronfolger, mehrere Prinzen des königlichen Hauses, Minister, Gesandte und sonstige Würdenträger jeder Art, um Zeugnis abzulcgen für das Interesse, mit dem sie die nationalen Bestrebungen des Flottenvereins begleiten. So wurde auch nicht cndenwollcnder Beifall solchen Sätzen der Festredner gezollt, in denen darauf hingewiesen wurde, daß cs kein anderes nationales Ziel gebe, das so sehr geeignet sei, über die Sonderbestrebungen der Parteien hinwcgzuführcn und Nord und Süd in treuer Verbrüderung zu gemeinsamer Arbeit für Deutschlands Ehre und Wohlfahrt zu vereinigen, wie die auf Schaf fung einer seegewaltigcn Flotte gerichtete Bewegung deS Deutschen Flotten-Vcreins. Große Verdienste um den herrlichen Berlauf dieser Festtage erwarben sich der bayerische Landesverband, so wie die Ortsgruppe München, insbesondere deren Vor- sitzende, Reichsrat Frhr. v. Würzburg und General der Artillerie z. D. v. Sauer, denen auch herzlicher Dank von allen Seiten, insbesondere von dem Vereins präsidenten, Fürsten zu Salm, dargebracht wurde. Be sonders wohltuend aber empfanden die Kesttcilnehmer, daß bei allen Veranstaltungen stets die treue Anhänglich keit an das angestammte Fürstenhaus sich mit der warmen Hingabe an das gemeinsame Vaterland verband. Deutsches Reich. --- Berlin, 18. April. (Polen und Zentru m.) Wenn die Polen in Oberschlesicn und im Rheinlaude das Zentrum beschimpfen und dabei sogar gelegentlich katholische Geistliche nicht verschonen, oder wenn sie, wie es bei den gegenwärtigen Wahlen geschieht, dem Zentrum eigene Bewerber gegcnübcrstcücn, so tröstet man sich in Zentrumskreisen meist damit, daß nur der rabiate radikale Flügel der Polen so unduldsam gegen daö Zentrum sei, daß aber das offizielle Polentum nauz wie vor an der BundeS- treue zum Zentrum festhalte. Ein Vorgang im Wahlkreise Samter-Btrnbaum mag das Zentrum eines anderen be lehren. Der gegenwärtige Vertreter dieses Wahlkreise-, Graf Kwilecki, ersuchte in einem Schreiben das Pro- vinzialwahlcomttS, diesmal als Kandidat des Zentrums auftretcn zu dürfen; sonst wäre der Wahl kreis ernstlich gefährdet, da die deutschen Katholiken für ihn als polnischen Kandidaten nicht stimmen würden. Das Comitä hat diesen Vorschlag rundweg abgelehnt und dem Grasen angedroht, daß, wenn er etwa als ZentrumS- mann kandidieren wolle, man ihm einen besonderen Be werber cntgegenstellcn werde. Dieser Beschluß des offt- -tellen polnischen Wahlcomitös ist von zwei Gesichtspunk ten aus höchst charakteristisch für die veränderte Stellung auch des offiziellen Polcntums dem Zentrum gegenüber. Einmal nämlich steht der Beschluß in vollständigem Gegen- satze zu dem Verhalten der Polen in dem gleichfalls pofen- schen Wahlkreise Frausiadt-Lissa bei den letzten allgemeinen Wahlen. Dort liegen die Verhältnisse ganz ähnlich wie t« Samter-Birnbaum, denn auch dort entscheiden die deutschen Katholiken. Ta infolgedessen der Wahlkreis für einen polnischen Bewerber höchst unsicher schien, so ver zichteten die Polen freiwillig aus das von ihnen 1893—98 innegehabte Mandat und gaben ihre Stimmen einem Zen- trumsmanne, der denn auch gewählt wurde. Graf Kwilecki will ja sogar etwas Geringeres, als was die Polen in Lissa-Kraustadt 1893 freiwillig taten, denn während sie für einen waschechten Zentrumsmann deutscher Abstam- mung eintraten, will Graf Kwilecki nur die Zentum s- maske vornehmen, um im übrigen zu bleiben, was er ist, nämlich ein Stockvole. Aber damit berühren wir den zweiten Grund, aus dem die schroffe Ablehnung des pol nischen Wahlcomitös sogar charakteristisch ist. An sich würde sich, wie erwähnt, bei einem Eingehen auf den Vorschlag des Grafen Kwilecki nicht das Mindeste zu Un gunsten der Polen ändern; eher könnte man sagen, daß Graf Kwilecki als Mitglied des Zentrums zusammen mit so manchem andern verkappten Polen, der bereits der Zen trumsfraktion angehört, die Haltung der Zentrumsfrak- tion im Sinne gesteigerter Polenfreundlichkeit beeinflussen würbe. Wenn angesichts dieser und der ebenfalls nicht abzuleugnenden Tatsache, daß Graf Kwilecki mit seiner Besorgnis, der Wahlkreis könnte in deutsche Hände übergehen, ganz recht hat, das polnische Zentralwahl- comitS erklärt, es wolle lieber den Wahlkreis in Verlust geraten als einem sich auch nnr nominell zimr Zentrum rechnenden Polen zufallen lassen, so beweist dies eine starke Erbittening gegen das Zentrum auch in den Kreisen der angeblich „gemäßigten" Polen. Die Scheidung zwischen gemäßigten nnd radikalen Polen dürfte überhaupt bald hinfällig sein, denn immer mehr vereinigen sich alle Polen in dem Gefühle des leidenschaftlichen Hasses gegen daS Deutschtum und ebenso, wie die Sozialdemokratie auch den radikalen Liberalismus in den „reaktionären" Topf wirft, betrachtet das Polentum alle Deutschen als seine Feinde, auch die klerikalen, trotz ihres so eifrigen Eintretens für die polnischen Wünsche. 0. II. Berlin, 18. April. Der internationale Bergarbeiterkongreß wird vom 1. bis zum 4. Juni in Brüssel abgehalten werden. In Rücksicht aus die deutschen Delegierten, welche in stattlicher Anzahl auf dem Kongreß erscheinen werden, ist beschlossen worden, die Beratungen zu beschleunigen, damit die Herren so wenig wie möglich von der Agitation für die Reichstags wahlen ferngchaltcn werden. Der deutsche Delegierte auf der Vorkonferenz in Brüssel, Redakteur Hue, verlangte zwar, daß der Kongreß in Rücksicht auf die deutschen ReichStagSwahlen im Juli abgehalten werde, dem widersprachen aber die Engländer und die Belgier, weil um diese Zeit in ihren Parlamenten wichtige Fragen der bergmännischen Gesetzgebung zur Beratung ständen. Auf der Tagesordnung des Kongresses werden die üb-- lichen Fragen: Verkürzung der Arbeitszeit auf acht Stunden (einschließlich Ein- und Ausfahrt), Verstaat lichung der Minen und Generalstreik, stehen. Auf Wunsch des deutschen Delegierten wurde noch auf die Tagesordnung die Einführung sanitärer Vorschriften in Bezug auf die Wurnrkrankheit gesetzt, und die eng lischen Delegierten sprachen den Wunsch aus, daß der Kongreß sich mit der systematischen Beteiligung der Berg leute an der politischen Aktion iWahl von Arbeiterabge- ordnetcn) beschäftigen möge. DaS soll geschehen. In den nächsten Tagen finden in den deutschen Bergrcviercn zahlreiche Bergarbeiterversammlungcn statt, um zu den einzelnen Punkten der Tagesordnung Stellung zu nehmen. Daß dem Kongresse eine große Bedeutung bei- zumcsscn ist, bedarf keiner Hervorhebung; das internatio nale Band, das die englischen, die französischen, die belgi schen und die deutschen Bergleute umschlingt, ist be sonders fest und wird durch diesen Kongreß noch be- festigt werden. Wenn auch zur Zeit der Frage der Ver staatlichung der Minen, die ans allen diesen internatio- nalen Kongressen gefordert wird, eine größere Bedeu tung nicht beizumessen ist, so ist es immerhin sehr be merkenswert, daß jetzt alle Bergarbeiterorganisationen in dieser Forderung einig sind, während früher darüber die Ansichten weit auseinandergingcn. Die Frage deS internationalen Generalstreiks erschien noch vor wenigen Jahren als Phantom, neuerdings ist die praktische Lösung an mehr als einer Stelle versucht worden. * Berlin, 18. April. Neber va« KorpSstudenten- tnm in der preußischen Verwaltung veröffentlichten jüngst die „Akadem. Monatshefte" eine kleine Statistik, an der bervorging, daß von 35 Regierungspräsidenten 21 alte Korpsstudenten sind. DaS Organ der Burschenschaft, die „Bursckensch. Blätter", begleiten diese Statistik mit einem kaustischen Kommentar, dem wir folgende Stellen entnehmen: Die „Monat-Hefte" hatten der Notiz die Ueberschrift gegeben: „An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen." Ist das nun eine Malice auf die preußische Verwaltung oder lediglich Eigenlob? Man kann sehr wohl beides darin erkennen. Ferner meint das KorpSorgan: „Daß eine so große Zahl alter Korp-burschen es bis zum Regierungspräsidenten gebracht hat, bekundet am besten, wie trefflich die Korp« ihre Leute für da» Leben erziehen." Sicherlich! Aber e« beweist meines Erachtens noch mehr, was auch für die übrige preußische Bevölkerung von Interesse ist. ES beweist nämlich noch dreierlei: 1) daß die Verwaltungs karriere in Preußen eiae Sache angemessener Geldmittel, guter adliger Beziehungen und lobenswerter KorpSkonnexionen ist. Alles drei liefern und leiste» die Korp», die bei der Besetzung von höheren Brrwaltu-g-stellen in Preußen in Frage kommen (Vandalia, Saxo-Borussia, Borussia-Bonn, Saxonia-Böttingen re.). ES beweist 2) daß di« alte Orenstyeruasche Ledeusweirheit, e« sei nicht eigent lich »in große» Maß von Kenntnissen zum Wrltregimrnt nötig, bei un« z,r Zeit in günstiger Entwickelung sich befindet. Denn daß die Korps gerade auf wissrnschastliche Ausbildung ihrer Mitglieder Gewicht legten, da- würde namentlich von den vo» nehme«» Korps al- eine »uziemlich« Zumutung abgelehnt werden, 3) beweist e» unsere« Erachten«, daß die preußische Regierungs- majcht»« »ach einem etwa» linseitige» System gebaut ist und daher Gefahr läuft, bet komplizierten politischen Vorgänge» zu versage»
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