01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.04.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030421011
- PURL
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- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903042101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-21
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Anzeigen'PretS die Sgespaltene Petüzeile LS Reklamen unter dem Redaktton«ftttch (4 gespalten) 75 vor den Familiennach» richten (S gespalten) 50 Tabellarischer und Ziffrrnfap entsprechend höher. — Gebühren für Stachweisungen und Offerteuaunahme L5 (ercl- Porto). Grtra-Beilagen (gesalzt), nur mit oer Morgea-AuSgabe, ohne Postbesörderun, ^l SO.—, mit Poftbefördermig 7V.—. Änuahmrschluk fLr Äu)eigeu: Abead-Ausgab«: Bormtttag« 10 Uhr. Morgeu-AuSgab«: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stet« an di» Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet vou srüh 8 bi« abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol« in Leipzig. 97. Jahrgang. Nr. 199. Dienötag den 21. April 1903. Imperialismus und kanadische Zollpolitik. Im englischen Mutterlande hat der von Beaconsfield in die offizielle Politik eingefllhrte Imperialismus seinen Siegeszug vollendet. Die Zeiten, da man die Kolonien nur als lästigen Ballast betrachtete, sind längst vorbei und heute ztelhen hinter dem Rattenfänger von Birmingham nach den Klängen Kipltngscher Gassenhauer alle einher, Konservative, Unionisten und Liberale. Im überseeischen Britannien sieht es freilich anders aus. Man ließ sich ja die mit dem beginnsenden Imperialismus-Fieber auf tretenden ZärtltchkeitSanfälle des Mutterlandes gefallen und schwärmte für das All-Angelsachsentum, so lange es kein Geld kostete. Als man aber in London anfing, Gegen leistungen zu fordern, wurde man plötzlich sehr kühl. Die von den englischen Offiziösen in alle Welt ausposaunten panbritischen Erklärungen der verschiedenen Kolonial parlamente können die Tatsache nicht verdunkeln, daß in Wahrheit die Unterstützung eine klägliche war, die die Kolonien während des Transvaalkrieges dem Heimat lande zukommen ließen. Als Herr Chamberlain, um dem BewilligungSciser der Herren in Kanada, Australien und Südafrika etwas nachzuhelfen, dann die mit aus giebiger Reklame angekllndigte Kolonialkonferenz in London abhielt, endete sie mit einem glatten Mißerfolge. Auch die Reise Chamberlains nach Südafrika zeigte die geringe Opfersreudigkeit der Kolonialen. Die Minen spekulanten in Johannesburg, in deren Interesse man doch den rühmlosen Feldzug am Kap unternommen, hielten ihre Geldbeutel fest zugeschnürt, als der Herr Kolonialminister auf eine Beteiligung der Herren Aktio näre an der Ausbringung der Kriegskosten zu sprechen kam Man bewilligte dem platonisch so angeschwärmten englischen Mutterlande nur einen Bruchteil der Summe, die man in Downing-Gtreet erwartet hatte. Auf diese Wunde hat man dann ein Pflaster gelegt: die Kolonien Südafrikas bewilligten Großbritannien Vorzugszölle. Sie folgten damit dem Beispiele Kanadas und werden voraussichtlich mit ihrem imperialistischen Differenttalzoll system dasselbe Fiasko erleiden, das Kanada damit er litten hat. Aus diesem Gesichtspunkte verdienen die jüngsten zollpolitischen Verhandlungen in Ottawa ganz besonderes Interesse. In Kanada steht eine geringe englische Bevölkerungs mehrheit einer starken Minderheit von Franzosen, Iren, Deutschen und Skandinaviern gegenüber. Der Imperia lismus läßt diese Leute kühl bis anS Her- hinan. Da gegen erfreut sich das britische Nordamerika einer unge mein strebsamen und streberhaften Regierung. Als in der Mitte der neunziger Jahre der Chauvinismus in Eng land seinen Hochflug zu nehmen begann, wurden die Herren Minister in Ottawa davon angesteckt, und um den Londoner Gewalthabern die inbrünstige Liebe zum Union Jack zu beweisen, beschloß man, dem Mutterlande Vorzugszölle zum Geschenk zu machen. In der national ökonomischen Herzenseinfalt, deren man sich in Kanada fern von EuropenS übertünchter Staatsknnst erfreut, war man sehr stolz auf diesen Mcisterstreich. Die eben noch vom Gesang der „Rule Britannia" freudig erregten Ge sichter wurden aber beträchtlich lang, als Deutschland am 31. Juli 1808 der kanadischen Einfuhr die Vertragszöllc entzog und den kanadischen Exporteuren das harte Brot der autonomen Zollsätze des deutschen Tarifs zu kauen gab. In England selbst fand man diese Antwort aus Berlin weiter nicht wunderbar, da das Prinzip der Meist begünstigung in der Tat verletzt war und England in folgedessen seine entsprechenden Verträge mit Deutschland und Belgien gekündigt hatte. Alle solchen Dinge wie „Meistbegünstigung" und „autonomer Tarif" waren den Staatsweisen in Kanada aber kabbalistische Worte, für die sie gar kein Verständnis hatten. Man kam einfach zu dem Schlüsse, daß die Deutschen grobe und niederträchtige Gesellen wären, die für die Herzenszartheit der edlen Imperialisten in Ottawa gar kein Verständnis hätten. Zu spät merkte man, daß man sich auf einen Zollkrieg mit einem der wichtigsten Handclsstaaten der Welt eingelassen hatte. Der Erfolg dieses Krieges zeigte sich von Jahr zu Jahr in einem für Kanada ungünstigeren Lichte. 1899 sank die Ausfuhr aus Kanada — hauptsächlich Getreide —, erholte sich freilich dann wieder etwas, da man auf Um wegen zu exportieren begann. Geradezu verblüfft war man aber in Ottawa, als sich herausstellte, daß trotz der kanadischen hohen Zölle die Einfuhr aus Deutschland von Jahr zu Jahr wuchs und daß Kanada der einzig Leid- tragende bet diesem recht unpraktischen Tqll Eulenspiegel. Streiche sei. Unsere Ausfuhr nach Kanada hatte im Jahre 1892 einen Wert von 14,8 Millionen und stieg bis zum Jahre INI auf 28,5 Millionen. Nun rief man, wie ein ungezogener Junge, den Papa in London um Hülfe gegen die bösen Deutschen an. Der wies aber ganz kühl darauf hin, daß Kanada nach Auf- le»««, »er Meistbegünstigung für Lentschlrm» kein Recht mehr auf die deutschen Vertragszölle habe. Wutentbrannt erhöhte man nun 1000 die Zölle noch um 83>ä v. H. Aber auch das half nichts, und so wurde man auf dem schiefen Wege, auf -em man sich nun einmal befand, immer weiter gedrängt. Wie unsere Leser schon wissen, hat die kanadi sche Regierung jetzt eine weitere Erhöhung der Zölle be. schloffen, die besonders die Einfuhr aus Deutschland mit aller Schärfe treffen soll. Am meisten wird dabei unsere Ausfuhr an Rohzucker, dann an Kleidern, Geweben, Porzellan und Steingut, Eisen und Spiclwarcn usw. be droht. Man kann aber jetzt schon mit voller Sicherheit annehmen, daß auch diese neue Äampfmaßregel uns kaum nennenswerten Schaden zufügen werde. Jedenfalls hat sich bisher die in der ganzen kanadischen Zollpolitik ent haltene ausgesprochen deutschfeindliche Spitze sehr wenig scharf gezeigt; wie verfehlt sie uns gegenüber mar, zeigt die weinerliche Rede, die jüngst der kanadische Finanz- Minister hielt, in der er rührend anScinandersetzte, daß Kanada sehr wohl zum Frieden und zur Freundschaft ge- neigt gewesen fei, daß Deutschland aber unerfüllbare Be dingungen gestellt habe. Glaubt man denn in Kanada wirklich, wir könnten den Stretch von 1898 so ohne weiteres vergessen? — Wenn er uns auch nicht geschadet, so haben wir doch die feindselige Gesinnung Kanadas daraus ersehen und man kann uns nicht zumuten, auf der Basis eines um 55 gegenüber der Zeit vor 1898 erhöhten kanadischen Zolltarif, der an sich eine im diplomatischen Sinne unfreundliche Handlung darstcllt, mit den Herren in Ottawa uns handelspolitisch zu unterhalten. In England jubelt die Presse über das Vorgehen Ka- nadas; kein Wunder, weiß man doch, wo die Drahtzieher dieser ganzen imperialistischen Zollpresse sitzen. Die eng- lischen Exporteure, die nur mit Hülfe von Prohibitivzöllen gegen andere Nationen noch ihre Waren in Kanada abzu- setzen hoffen, können uns nicht sonderlich imponieren. Die englischen Staatsmänner wissen bester, was sie von solchen handelspolitischen Experimenten zu halten haben. Schon im Juni 1901 erklärte der britische Schatzsekretär, er halte die kanadischen Differentialzölle für ganz ver- fehlt,- er war ehrlich genug, zuzugeben, daß der englische Handel durch die ihm gewährten Vorzugszölle in keiner Weise einen Aufschwung erfahren habe. Wir können den Zollkrieg mit Kanada aushalten und auch die kommenden feindseligen Differentialzölle Südafrikas schrecken uns nicht. Denn wenn auch am Kap die Dinge wesentlich anders liegen, als in Nordamerika: die siegreiche deutsche Industrie und der intelligente deutsche Kaufmann werden auch diese Hindernisse überwinden. Was wir von der auch bei uns über Gebühr gepriesenen „offenen Tür" Englands zu halten haben, wissen wir aber jetzt. —s— Deutsches Reich. H Berlin, 20. April. (Die Sozialdemokratie und die neuen Handelsverträge.) Unter den Gründen, mit denen diejenigen unserer Freihändler, die bei den bevorstehenden Reichstagswahlen aus ein Zusam mengehen mit den Sozialdemokraten hinwirken, dieses Verjähren zu entschuldigen pflegen, spielt die Behauptung eine große Rolle, daß auf die Sozialdemokraten für das Zustandcbringcn von Handelsverträgen mit Sicherheit zu rechnen sei und daß, da in der nächsten Legislaturperiode die Hauptaufgabe der Abschluß von Handelsverträgen bil den werde, es demgemäß von großer Wichtigkeit sei, in den Sozialdemokraten kräftige Bundesgenossen für die An nahme solcher Handelsverträge zu besitzen. Die Behaup tung, daß die Sozialdemokraten unter allen Umständen sichere Bundesgenossen für die Annahme von Handelsver- trägen seien, steht aber mit den Tatsachen nicht im Ein- klänge. Schon bei den Verhandlungen über den Zolltarif haben sozialdemokratische Redner erklärt, man könne in Zukunft nicht mit Sicherheit wie bei dem deutsch-russischen Handelsverträge darauf rechnen, daß die Sozialdemo kraten mit ihren Stimmen den Ausschlag zu Gunsten solcher Handelsverträge geben werden. In Stuttgart hat sodann jüngst Herr Bebel den Standpunkt seiner Partei dahin präzisiert, daß sie jedem Handelsverträge die Zu stimmung versagen rverde, der höhere Zoll sätze für notwendige Lebensmittel enthalte. Stellt sich die Sozialdemokratie in der Tat auf diesen Standpunkt, so kann man sic ohne weiteres direkt zu den Gegnern der abzuschließendcn Handels- Verträge rechnen. Es unterliegt nämlich keinem Zweifel, daß die neu abzuschließendcn Handelsverträge höhere Agrarzöllc aufweisen werden, als die jetzt noch in Geltung befindlichen. Schon die Bindung der Mindestzölle für die vier wichtigsten Gctreidcarten und die Bemessung der Agrarzölle in dem neuen mttonomen Tarif weisen mit der größten Deutlichkeit darauf hin. Ncbcrdics haben die Re gierungen wiederholt eine Verstärkung des Zollschutzes für die heimische Agrarpolitik als notwendig erklärt. Es ist zweifellos, daß bei neuen Handelsverträgen Erhöhung der Agrarzölle eintritt. Wenn man alsdann mit einem ab- lehnenden Votum der Sozialdemokratie zu rechnen haben wird, so fällt auch der letzte Borwand für die vertrag-- freundlichen Parteien fort, mit ihr bei den bevorstehenden Wahlen zusammenzugeben oder sie wenigstens indirekt zu unterstützen. Auch wird e» unter dielen Umständen kaum einem Zweifel unterliegen, daß neu« Handelsverträge nur ungefähr mit derselben Mehrheit zur Annahme gelangen werden, die sich zur Verabschiedung de- Zolltarif- ver einigte. Wer von »en Wählern daher entscheidendes Ge wicht auf das Zustandekommen neuer langfristiger Han delsverträge legt, wird seine Stimme nicht einem Sozial- demvkraten, sondern einem Mitglied« derjenigen gemäßig ten schuyzöllnerischen Parteien geben müssen, welche die ausschlaggebende Mehrheit in dem jetzigen Reichstage bilden. Berlin, 20. April. (Allgemeine Revision d e r K r a u t e n v e r s i ch e r u n g.) Es darf als sicher angesehen werden, daß, wenn demnächst im Reichstage die Novelle zum Kraukenversicherungsgesetze zur Annahme ge langt, damit der ins Auge gefakten allgemeinen Revision -er Krantenversicheruug nicht prüjndiziert werden wird. Die Ausführung dieser Gesamtrevijivn wird, wie sie bis her schon durch mehrere.laüre vorbereitet ist, auch später in ernster Weise weiter in Angrisf genouunen werden. Eine der wichtigsten Fraaen. die dabei in Erwägung ge zogen werden wird, wird die der Ausdehnung der Krankcnvcrsicherungspflicht auf die Hausindustrie, auf die Handlungsgehülfen und-Lehrlinge, auf die land- und forst wirtschaftlichen Arbeiter, sowie auf die Dienstboten bil- den. Bekantlich war die Krankenversicherung der letzteren Angestelltenkalegorie schon bei der Vorbereitung der No velle, die am 1. Januar 1903 ins Leben trat, zur Erörte rung gelangt. Um über die tatsächlichen Verhältnisse der Versorgung der Dienstboten in Krankheitsfällen in den verschiedenen Einzelstaaten einen Uebcrblick zu erhalten, hatte damals die Reichsverwaltung eine Erhebung ver anstaltet, deren Ergebnisse dein Reichstage bekannt ge geben wurden. Auch jetzt dürfte vor der Entscheidung in der Krage der Ausdehnung der Versiche- rungsp flicht eine ähnliche Erhebung veranstaltet werden. Die Erhebung dürfte sich den Zweck setzen, fest zustellen, inwieiveit eine Einbeziehung ländlicher Arbeiter in die reichsgesevliche Krankenversicherung und inwieweit eine Krankenversicherung des städtischen und ländlichen Gesindes bisher erfolgt ist, sowie welche Erfahrungen in beiderlei Hinsicht vorlicgen. Selbstverständlich wird eine solche Erhebung eine längere Zeit in Anspruch nehmen. Wie immer sie aber aussallen und welche Folge den aus ihr sich darbietenden Konsequenzen gegeben werden wird, sicher ist, daß die allgemeine Revision der Kranken versicherung auch nach der Annahme der jetzigen Novelle gefördert werden wird. Dafür bürgen nicht bloß die Er klärungen der Vertreter der Reichsverwaltung, es haben, wie aus dem soeben erschienenen Berichte der zur Vor beratung der Novelle niedergesevt gewesenen Kommission des Reichstags hervorgeht, auch Vertreter der verschieden sten Einzelregiernngen, wie der preußischen, der bane- rischen, der sächsischen, der württembergischen und der badischen, dahingehende positive Versicherungen abgegeben. Gegenwärtig ist man an den entscheidenden Stellen der Ansicht, daß für die ländliche Krankenversicherung ein Spezialgesetz notwendig sei und daß es sich vielleicht dabei empfehle, auch die Verhältnisse des Ostens und des Westens verschieden zu behandeln. v. L. X. Berlin, 20. April. (Deutsch-Evange lisches aus Schlesien.) Das Wahlkartell, welches di« konservativen Parteihäupter für Schle sien mit den llltramontanen abgeschlossen haben, hat in den Reihen der konservativen, fast ausschließlich protestantischen Wählerschaft eine gewaltige Erbitte rung hervorgerufen. Ans die Frage nach der politischen Partcistellung schlesischer Männer der gebildeten Kreise bekommt man fast durchweg die gleiche Antwort: „Bisher waren wir konservativ, nun aber nie wieder". Insbe sondere wendet sich fast instinktiv die Erbitterung gegen den Grafen Limburg - Stirum, als den verant wortlichen Unternehmer dieser Wähltaktik. Seine zen- trumsfreundlichen Aeußerungen auf dem letzten Dele- giertentage der konservativen Partei in Berlin, die eine unglaubliche Unkenntnis des Ultramontanismus be wiesen, haben manchem früheren Anhänger des Grafen die Augen geöffnet, und man beginnt allmählich zu be- greifen, daß es ein großer Unfug ist, wenn man an die Spitze einer Partei, die fast ausschließlich aus evange lischen Herren besteht und fast ausschließlich evangelische Wählermassen hinter sich hat, «inen Mann stellt, dessen persönliche ultramontane Neigungen bekannt sind, und der außerdem von einer katholtsch-ultramontanenWähler- mehrheit in seinem Wahlkreise abhängig ist. Schon lange schwankte in Schlesien die weniger gebildete konservative Wahlmannschaft. Man blieb nur noch, dem Gesetze der Trägheit folgend, bei der alten Fahne, zumal man sich, soweit man am landwirtschaftlichen Erwerbe beteiligt oder am Kleinhandwerk interessiert war, allerhand wirtschafts politische Vorteile von der konservativen Politik ver sprach. Da aber diese hvchgchcndcn Versprechungen sich nicht erfüllen wollten, begann man unzufrieden zu wer- den und zu grollen. Man blieb aber im politischen Ver bände, weil man glaubte, daß wenigstens durch ihn der Schutz der besonderen Weltanschauung, die sich konser vativ-orthodox nannte, gesichert sei. Je mehr jedoch zu Tage tritt, daß man in gröblicher Unkenntnis diese Wclt- anschaung mit der ihr todfcindlichen ultramontan.katho lischen Denkweise identifiziert, je mehr geht auch der Glaube an diese konservative Schutznracht in die Brüche. Schon heute spricht man in Schlesien in Kreisen des kleinen Mannes ganz offen vom Verrat an der cvange- lischen Sache und zahllose Stimmen werden laut, die mit dem Uebcrgange zur Sozialdemokratie drohen. Das sind die „staatscrlmltcnden" Wirkungen der vielgepriesenen Politik des Grasen Limburg-Stirum! Nicht viel anders denken in Schlesien die gebildeten Kreise. Man hat cS gründlich satt, sich von dem religiös persönlich indiffe renten, konfessionell durch Bersctzp'ägcrung und Erb- schastsbofsnungen gebundenen Landadel weiter an der Rase hernmführen zu lassen. Die Wahlcnthaltung dieser Kreise gilt im weitesten Maße al- sicher, besonders in denjenigen von dem Wahlkartell betroffenen Wahlkreisen, in denen die Konservativen sich von vornherein für eine Unterstützung deS Zentrumskandidaten verpflichtet hatten. Allmählich, aber sicher und au» tiefster Uebcrzeugung wandelt sich in diesen Kreisen »er Bevölkerung das posi- ttsch-kirchliche Ideal ganz wesentlich a» und schasst au» mechanisch konservativ-orthoboxen nunmehr selbstbewußte deutsch-evangelische Männer. * Berlin, 20. April. „Berechtigte Erregung" überschreibt die „Köln. Ztg." folgende Auslassung: „Die beklagenswerte blutige Tat in Essen hat dort eine ungeheure Aufregung hervorgerufen, die sich in Zu sammenrottungen vor dem Bezirkskommando, wo der Fähnrich z. S. in Haft war, ausdrückten. Selbstver ständlich hatte die Sozialdemokratie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, ihren Mühlen gerade jetzt vor den Reichslagswahlen Wasser zuzusühren, und in großen Ver sammlungen gegen das Heer zu Hetzen. Es ist unver meidlich, daß derartige Vorgänge aber auch in Kreisen, welche den sozialdemokratischen Lehren ganz ablehnend gegenüberstehen, äußerst aufregend wirken, und wir haben in den letzten Tagen Beweise genug davon er fahren. Mit die schärfsten Urteile kann man aus dem OffizterkorpS hören, und wir möchten nur noch einmal dringend davor warnen, verall gemeinernde Schlüsse zu ziehen. Die Untersuchung ist cingcleitet und wird durchgeführt, und wir haben bas Vertrauen, daß die Entscheidung schnell und in vollster Oeffentlichkeit erfolgt. Für die Tat eines unreifen Menschen nun aber das gesamte OffizterkorpS, dem er noch gar nicht angehörte, verantwortlich zu machen, ist vollkommen verfehlt und gibt nur den Gegnern unserer ganzen staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung Waffen in die Hand. Die Vorschriften über den Gebrauch der Waffe sind eingehend genug, an derartige Vorfälle, wie der Essener, hat aber der Gesetzgeber nicht gedacht und nicht denken können. Schwer wie die Tat, wird die Strafe sein, wenn auch der jähe Abschluß einer eben be tretenen Laufbahn, abgesehen von der sonstigen Sühne, der Vernichtung eines Menschenlebens nicht gleich ge rechnet werden kann. Es wird nun in militärischen Kreisen die Ansicht ausgesprochen, der Fähnrich sei nicht genügend über seine Rechte und Pflichten belehrt ge wesen, und man stützt sich dabei auf Aeußerungen, die er in einem Briefe an die Familie des Getöteten getan hat. Im Zusammenhang damit wird bedauert, daß die Kriegs artikel, deren 8 18 den Mißbrauch der Waffe mit schwerer Strafe bedroht, nicht mehr wie früher bei vielen Ver gehen und Verbrechen den Strafrahmen enthalten, der durch die häufige Verlesung bisher jedem Beteiligten völlig bekannt wurde. 8 149 des Militär-Strafgesetz buchs belegt rechtswidrigen Waffengebrauch mit Gefäng nis bis zu einem Jahre. 88 122 und 123 bestrafen mit Gefängnis bis zu drei Jahren den Vorgesetzten, der einen Untergebenen schlägt, stößt oder sonst körperlich mißhandelt. Ist infolge der Mißhandlung der Tod ein getreten, so tritt Zuchthaus nicht unter drei Jahren oder in minder schweren Fällen Gefängnis oder Festungshaft nickt unter einem Jahre ein. Das Gesetz vom 20. März 1837 über den Waffengebranch des Militärs spricht davon, daß die Flucht eines Verhafteten mit der Waffe vereitelt werden darf, es setzt aber hinzu, „nur insoweit, als zur Erreichung der vorstehend angegebenen Zwecke erforder lich ist", und hebt anderseits hervor, daß die vorläufige Festnahme erfolgen darf, wenn die Persönlichkeit nickt sofort festgestellt werden kann." — Bei der Gelegenheit möge auck auf das zwar nicht verwunderliche, aber darnm nicht minder üble Gebaren gewisser Blätter hingewiesen werden, die eine amtliche Darstellung des Vor falles verlangen, und dabei doch ganz genau wissen, daß die dazu allein befähigten Behörden vor dem öffentlichen kriegsgerichtlichen Prozeß gar keine Angaben über den Sackverhalt, der in der Gerichtsverhandlung überhaupt erst endgültig festgestellt werben soll, machen dürfen. O Berlin, 20. April. (T e l.) Der Kaiser machte heute morgen einen Spaziergang, besuchte den Staatssekretär Frhrn. v. Ri chthofen, hörte um 10 Uhr den Vortrag des Chefs des CivilkabincttS und empfing um 11',4 Uhr Professor H. Bohrdt in Macnwart des Staatssekretärs v. Tirpitz und des Chefs des Marinekabinetts Admiral Frhr. v. Senden. Um 12^4 Uhr empfing der Kaiser den Fürsten zu Eu l e nb u r g-H e rt e f e l d in Audienz. Zur Mittagstafel sind geladen Minister Frhr. v. Rhein baben, LcgattonSrat v. Pilgrim-Baltazzi und Gemahlin, Lady Paget geb. Gräfin Hohenthal und Ladn Windsor. O Berlin, 20. Avril. lT e l.) Der „Reichanz." schreibt: Heute begannen im Rcichseisenbahnamte die Be ratungen der am Eisenbahnwesen beteiligten Bundesregierung«« über den im Amte aus gestellten Entwurf einer Eisenbahnbau» und Betriebs» vrdnnng. In den Bestinnnungcn derselben sollen die bis herigen Normen für den Bau und die Ausrüstung von Haupteisenbahnen. die Betriebsordnung für Haupteisen bahnen und die Bahnordnung für Nebencisenbahnen ver- einigt werden. An den Verhandlungen nahmen 32 Kom missare teil. T Berlin, 20. April. (Teleqranim) Ein Parlaments- berickterstatter meldet: Reick«taa«präsident Mrof v. Ballestrem, der heute früh 5 Ilbr in Berlin eintreflen sollte, ist mit dem Zuge im Schnee stecken geblieben. — Prinz Maximilian von Baden, welcher bekanntlich mit seiner Gemablin, einer Tochter deS Herzogs von Cumber land, vor etlichen Monaten am Berliner Hofe zu Besuch war, ist Kommandeur deS 1. Badischen Leibdragonrr- RegimentS Nr. 20 in Karlsruhe geworden; gleichzeitig wurde der Prinz, welcher bisher Major und als solcher dienst leistend bei dem Regiment war, zum Oberstleutnant be fördert. — Zu der auch von un« gestern mitgeteilten Erklärung der .Ostd. Rundschau", der zufolge die Meldung falsch sein sollte, daß an di« preußischen Landrät« rin allgemeinr- Berbot vom Minister ergangen fei, eine Wahl kandidatur auzunrhmen, bemerkt die .Frs. Ztg.: Diese Nachricht ist keine Widerlegung der Meldung über ein Verbot der Annahme von Kandidaturen für Landräte, vielmehr eine indirekte Bestätigung einer schon im Februar verbreiteten Ankündigung eine scharfen Reskript« de- Minister«, da« den Landräten über haupt untersage, dir Wahleu zu beeinflussen, wobei di« Re- -ierung die polnischen Bezirke aa«drü<Nich an-nehme.
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