01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.04.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030409016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903040901
- OAI-Identifier
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- S. 2614-2615 fehlen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-09
- Monat1903-04
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen »ad Offertenauuahme LS (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit oer Morgeu-Au-gab«, ohne Postbesörderun« 60.—, mit PostbefSrderung ^4 7V.—. Annahmeschlnß fir Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Mvrge»-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richte». Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von srüh 8 bis abends 7 Uhr. Druck uud Verlag vou L. Polg t» Leipzig. Dann kann es sehr leicht kommen, baß die Liberalen zwar nicht die Mehrheit erlangen, die konscrvativ-unio- nistischc Alliance aber auch nicht, und daß dann die Iren mit ihren Stimmen die Entscheidung in der Hand haben. Es würde dann so werden, wie in den letzten Zeiten des liberalen Ministeriums, und ebenso wie die Liberalen an dem Mangel einer eigenen Mehrheit schließlich zu Grunde gingen, würde es der konservativ-unionistischcn Regierung gehen. Deutsches Reich. G Berlin, 8. April. (Lehren des Ausstandes in Holland). Der allgemeine Au.sstand der in den Verkehrsbetrieben beschäftigten Arbeiter, von dem gegenwärtig Holland und sein Erwerbsleben so schwer heimgejucht wird, hat auch für Deutfchland nach verschiedenen Richtungen eine nicht zu unter schätzende Bedeutung. Zunächst zeigt sich an einem greif baren Beispiele, wie verhängnisvolle Störungen im Er werbsleben eines Volkes herbcigeführt werden können, wenn sozialdemokratisch beherrschten Arbeiterorganisa tionen die Möglichkeit zu dem Versuche gegeben ist, die Verkehrsmittel in ihre Herrschaft zu bringen. Die Schädigung, die nicht nur der Verkehr, sondern die ge samte Volkswirtschaft Hollands durch den Ausstand in den Verkehrsbetrieben erleidet, enthält nicht nur die bün digste Rechtfertigung für die von der niederländischen Regierung vorgcschlagcncn Gcsctzcsvorschriften gegen den Ausbruch solcher Ausstände, sie beweist auch die Berech tigung der Maßnahmen, welche die Leiter der großen deutschen Vcrkchrsuntcrnchmungen, wie des Nord deutschen Lloyd und der preußischen Eiscnbahnverwal- tung, zur Verhütung ähnlicher Störungen des Verkehrs durch das Hcrandrängcn sozialdemokratisch geleiteter Organisationen in ihrer Arbeiterschaft ergriffen haben. Sodann aber springt die Verwandtschaft der holländischen Vorgänge mit der Obstruktionskampagnc unserer Sozial demokratie im Reichstag ins Auge. Die Sozialdemo kratie beabsichtigte damals, die Mehrheit der gesetzlichen Vertretung des deutschen Volkes an der Verwirklichung ihres Willens in Bezug auf die Tarifvorlage zu hindern, und zwar nicht bloß indirekt durch planmäßige Ver schleppung, sondern auch direkt durch Störung der Ver handlungen. Aehnlich bezweckt auch der Gcucralaus- stand der holländischen Vcrkchrsarbciter die Gesetzgebung des Landes zu verhindern, die gegen die Wiederholung solcher Ausstände gerichteten Gcsetzesvorschläge zu vcrab- schieden. Und zwar liegt cS nicht bloß in der Absicht, durch die Lahmlegung des Verkehrs und die damit ver- b undenc Schädigung des Erwerbslebens einen solchen Druck auf die gesetzgebenden Faktoren ausznüben, daß sie von der Verwirklichung des gesetzgeberischen Planes absehcn, cs ist auch darauf abgesehen, eine Beschluß fassung der Kammern direkt unmöglich zu machen, in dem die während der parlamentarischen Pause zumeist außerhalb des Haages befindlichen Abgeordneten durch Unterbrechung des Verkehrs verhindert werden sollen, zur Wiederaufnahme der Verhandlungen in den Kam mern zu erscheinen. Wie seiner Zeit die sozialdemokra tische Fraktion mit dem Reichstage, so beabsichtigt die streikende Arbeiterschaft in den Niederlanden die ver fassungsmäßige Gesetzgebung ihres Landes lahmzulcgen und sie zu verhindern, ihre verfassungsmäßigen Funk tionen auszuüben. In dem einen wie in dem anderen Falle mißachtet daher die Sozialdemokratie in der gröb lichsten Weise die Verfassung ihres Landes und das Recht des gesamten Volkes, sie läßt sich lediglich von dem Be streben leiten, der Gesamtheit ihren Willen aufzuzwingen. Hier wie dort handelt es sich also darum, unter völliger Nichtachtung von Recht nnd Gesetz die Gesamtheit des Volkes und seiner Vertretung zu vergewaltigen und die Alleinherrschaft der von der Sozialdemokratie geleiteten Masten vorzubercitcn. Bei uns ist der Versuch der Sozialdemokratie, die Geschäftsordnung des Reichstages zur Unterjochung der Mehrheit unter ihren Willen zu mißbrauchen, an der Entschlossenheit der Rcichstagsmchr- heit kläglich gescheitert. Es wäre aber ein Zeichen un gemeiner Kurzsichtigkeit, anzunchmcn, daß der Versuch nicht mit vermehrter Kraft wiederholt werden würde, wenn die Sozialdemokraten aus den bevorstehenden Reichstagswahlcn in verstärkter Zahl in den Reichstag einzögen. Was man von einer Verstärkung ihres Ein flusses innerhalb und außerhalb der parlamentarischen Körperschaften zu gewärtigen haben würde, zeigen die Vorgänge in Holland in einer auch kür das blödeste Auge deutlich erkennbaren Weise. Acne Vorgänge lehren, daß eS sich um die Existenz der bürgerlichen Gesellschaft han delt und daß demzufolge alle Schichten unseres Volkes ein gleiches Lebcnsintcrcste daran haben, zu verhüten, daß die Sozialdemokratie einflußreich und stark genug wird, um die ganze übrige Bevölkerung unter ihren Willen zu zwingen. Gerade die Vorgänge in Holland enthalten daher die bringende Mahnung an alle bürger lichen Parteien, bei den bevorstehenden RcichStagswahlcn sich gegenwärtig zu halten, daß der gemeinsame Todfeind aller die Sozialdemokratie ist und daß cs lediglich ein Ge bot der Sclbsterhaltung ist, den gemeinsamen Feind mit gemeinsamer Kraft zu bekämpfen. Berlin, 8. April. Die konfessionelle Grund, läge des Programms der Zent r umspartei wird vom „Bayerischen Kurier" in Abrede gestellt, weil daS Programm, das am 21. März 1871 von den Be gründern der Zentrumöpartci angenommen wurde, nicht die Konfession zur Grundlage hatte. Nun ist es allerdings richtig, daß die damals neu gegründete Partei unter dem Einflüsse ihrer führenden Diplomaten in das Programm gerade dak nicht aufnabm, was sie eigentlich wollte, was sie nach außen unterschied und im Innern zusammenhielt. Aber damit ist gegen die konfessionelle Grundlage des Zentrumsprogramms gar nichts bewiesen Um in dieser Beziehung klar zu sehen, muß man. der Wahl bewegung gedenken, wie sie de« Zusammentritte -ei ersten deutschen Reichstages voranging, und deS Wahl- Programms, das für die katholischen Wähler damals aufgestellt worden ist. Eine zeitgenössische Quelle, Schult- Heß' Geschichtskalender auf das Jahr 1871, berichtet über -en Gang der klerikalen Wahlbewegung in Norddeutsch land: „Als Kandidaten wurden nur Personen aufgestellt, die sich verpflichteten, im Reichstage einer besonderen katholischen Fraktion (der Name für dieselbe ist noch Vorbehalten) beizutreten. Selbst solche bisherige Ab geordnete, welche in jeder Beziehung sich als treue Katho liken erwiesen hatten, wurden fallen gelaflen, wenn sie diese Verpflichtung nicht etngehen wollten." — Dieser mcxius prooeciencki ist offenbar das Ergebnis der Lösung gewesen, die von einer Anzahl klerikaler Führer aus gegeben worden war. Enthalten ist die klerikale Losung in einem am 12. Januar 1871 zu Mainz vom Dom kapitular vr. Moufang, vom Domkapitular vr. Haffner, von Karl Fürst zuIsenburg-Birstein, vom ^br. Franz v. Wambolt und dem Oberrechnungs rat Bakö unterzeichneten Wahlprogramm. Das selbe fordert von den künftigen Reichstagsabgeordneten: 1) daß sie für die Uebertragung der die Stellung der Kirche regelnden Paragraphen aus der preußischen Landesverfassung in die Reichsverfastung stimmen; 2) daß sie gegen alle beschränkenden Bestimmungen ankämpfen, die bei Aufstellung des Rcichsvereinsgesetzes bezüglich der Klöster in Vorschlag gebracht werden könnten; 8) daß sie sich bemühen, der Kirche den ihr gebührenden Ein fluß auf Ehe und Schule zu wahren, und daß sie auf alle Fälle gegen Einführung der Civilehe, so wie auch von Kommunal- und Simultanschulen stimmen; 4) daß sie bei etwaiger Beratung der römi schen Frage für die Aufrechterhaltung der weltlichen Souveränität des Papstes sich aussprechen, tteberblickt man diese Forderungen und hält man sich vor Augen, daß der Klerikalismus in Norddeutschland nur solche Kandi daten aufstelltc, die sich verpflichteten, im Reichstage einer besonderen katholischen Fraktion beizutreten, so wird man sich über die konfessionelle Grundlage des Zentrumsprogramms nicht im Zweifel sein. VaS das Programm der am 21. März 1871 begründeten ZentrumS- partei des Reichstages ebenso wie ihr Name verschwieg, wurde sofort durch das parlamentarische Verhalten der nenen Partei offenbar. Der klerikale Entwurf einer Gegenadreste mit seinem Eintreten für die Aufrecht erhaltung deS Kirchenstaates, und der Zentrumsantrag vom 27. März 1871. die Artikel 12, 15. 27, 28, 29 und 30 der preußischen VerfastungSurkunde als „Grundrechte" der Reichsverfastung einzrrverlciben, beweisen unwiderleglich, wie eifrig die neue Partei die Durchführung des Mainzer klerikalen Wahlprogramms vom 12. Januar 1871 sich an- geleaen sein ließ. ES würde lediglich ein Beweis von Auf richtigkeit und Ehrlichkeit gewesen sein, wenn die am -21. März 1871 begründete Partei statt des nichtssagenden Namens „Fraktion des Zentrums". ebenso wie ihre Ge sinnungsgenossen im preußischen Abgeordnctenbause vom Jahre 185^. den Namen „katholische Fraktion" an genommen hätte. Hf Berlin, 7. April. (Zwecke deS polnischen Nationalschatzes und der Nationalliga.) Aus dem in Warschau erscheinenden „Slowo PolSkie" übernimmt der Posener „Kuryer Poznanski" die folgen den, auf Grund des 10. Jahresberichtes der Aufsichts kommission aufgestellten Mitteilungen über Bestand und Ausgabe des polnischen Nationalschatzes, der bekanntlich in Napperswyl im schweizerischen Kanton St. Gallen untcrgcbracht ist. Das „Slowo Polskie" schreibt: „Ende Dezember 1901 besaß der Nationalschatz 222 380 Frcs. Im Jahre 1902 machten die im Nationalmuseum in Napperswyl cingezahlten Beiträge 1350 Frcs- aus. Ferner gingen ein vom Verbände des polnischen Aus- wanderertums 11 332 Frcs., von der Pariser Kommission des Schatzes 13170 Frcs., von dcm Hauptkommistar des Nationalschatzes für die Vereinigten Staaten von Nord amerika 13 840 Frcs. Nach Abzug der Ausgaben schließen die Rechnungen des Schatzes Ende 1902 mit der Summe von 258 192 FrcS. ab. Die Aufsichtskommifsion hat auf Grund des 8 22 des Statuts die aus dem Schatzfonds ver fügbare Quote ausschließlich der Nationalliga zuer kannt. Denn das Wachen darüber, daß die Aufklärung der Nation nicht auf Irrwege gerate, das Warnen vor Rich tungen, welche die polnische Sache untergraben, das sind Bedürfnisse, die eine Organisation erfordern, welche von keiner Gesellschaftsklasse, von keiner Volksschicht, von keinem Stande, von keinem Bekenntnis und von keiner Doktrin abhängig ist, also eine nationale Organisation mit rein demokratischem Untergründe, eine Organisation, die auf geradem Wege, ohne Bedingungen zu stellen, dcm klar und deutlich vorgcsteckten Ziele, der Unab hängigkeit Polens, zustrebt. In diesem Geiste und aus dieser Bahn geht die polnische Nationalliga vor." Angesichts dieser Erklärung, warum keine andere der polnischen Organisationen mit Beihülfcn auS dcm Nationalschatzc bedacht worden ist, ist ein Zweifel über den politischen Charakter und Zweck der polnischen Nationalliga völlig ausgeschlossen, und ebenso wie der Nationalschatz, dessen geheime Fond- sicherlich den oben angeführten Betrag ganz erheblich übersteigen, bestimmt ist, die Mittel zur Unterstützung einer Bewegung hcr- zngebcn, deren Endziel die Wicderanfrichtuvg eine selbständigen polnischen Reiches ist, ebenso unterzieht sich die polnische Nationalliga der Aufgabe, die in ver- schieden-n Ländern ansässigen polnischen Elemente auf politischem Gebiete zu sammeln und zur Aufnahme der Unabdäugigkeitsidee der großpolnischcn Fanatiker fähig zu machen. D Berlin, 8. April. (Telegramm.) Die Kaiserin unternahm gestern nachmittag eine Spanersabrt nach dem Sck'loste Bellevue. — Gestern abend um 7 Ubr emvsina der Kaiser die Meldung deS Prinzen Friedrich Karl von Preußen als Leutnant im 1. Garde-Regiment ru Fuß, in Gegenwart deS BaterS de- Prinzen, deS Prinzen Friedrich Leopold, und der direkten Vorgesetzten, de- kommandierenden General- v. Kessel, des General- Nr. M Donnerstaft den 9. April 1903. wir, UV? gEraoe durch das Latsche Programu «orq» «ette», -kaerr 00H sek«« Art.«Ek-kn» «chottland verlieren. von als be- un- die sich gebern auS, auf politischem Gebiete ausschließlich BiSmarck. Der König erscheint ihm gegenüber der gewissenhafte, vorsichtige, seiner Verantwortung wußte Herrscher, der, wo es ihm nötig scheint, dem bändig und rücksichtslos Vorwärtsdrängenden in Zügel fällt, der niemals blindlings folgen, sondern erst überzeugen lasten will. Bismarck hat bei der Kühn heit seiner Pläne, bei der Eigenwilligkeit seines Wesens, diesen fortwährenden, sanft zurückhaltenden Einfluß, diese ewige Notwendigkeit, auf den König Rücksicht zu nehmen und seine Bedenken zu beseitigen, oft schwer und störend empfunden. Wir dürfen es wohl als einen Segen an sehen, daß einem BiSmarck gegenüber ein solcher Einfluß vorhanden war. Darum aber bleibt doch Bismarck -er Täter seiner Taten, wenn er sie auch nur unter diesem zügelnden Einflüsse und unter der Sanktion seines Königs tun konnte. Nicht durch seine Heldenhaftigkeit, wie Lorenz meint, oder durch überlegene Größe des Geistes und Willens hat Wilhelm l. seine Ratgeber überragt und auch diesen Großen als Mensch und Herrscher tiefe Achtung einzuflüßen gewußt, sondern durch die Gerad heit und Schlichtheit seines Charakters, durch seine unbestechliche Gerechtigkeitsliebe und Gewissenhaftigkeit, durch die Ritt erlich- keitundden AdelseincsWesens. Das hat ja BiSmarck selbst in seinen „Gedanken und Erinnerungen" in schönen und ergreifenden Worten ausgesprochen und hier hätte ihm Lorenz glauben sollen." Wilhelm I., Lismarck und die Leyründung -es Reiches. iS. Im neuesten Hefte der „Htstorischen Zeit- schrtft" wendet sich der Leipziger Historiker Erich Brandenburg in einer eingehenden Untersuchung gegen da» auch von uns schon mehrfach, teil» zustimmend, teils abfällig beurteilte Derk „Kaiser Wilhelm I. und die Begründung de» Reich«-" von Ottokar Lorenz. Brandenburg erkennt bereitwillig an, daß wir aus den von Lorenz neu erschlossenen Quellen — den Tagebüchern der Großherzbge von Baden. Weimar und Oldenburg, den Akten de» badischen Ministeriums deS Auswärtigen, den Berichten de» weimarischen Vertreters im BundeSrate usw. — eine ganze Reihe neuer und wichtiger Tatsachen erfahren haben. Hätte sich Lorenz auf die Mitteilung diese» reichen und vielgestaltigen Materials beschränkt, so wäre ihm nur zu danken gewesen. Lorenz aber habe sich damit nicht begnügt, sondern versucht, auf Grund seiner neu«« Quellen eine neue Darstellung der Vorgänge selbst zu geben, und dieser Versuch sei vollständig gescheitert. Wa» Lorenz an- seinen Quelle» vor allem folgert, ist zu nächst die Auffassung: die Einräumung einer Sonder stellung anvayern und dieschwacheAuSstattung der kaiserlichen Stellung im Reiche sei ein großer, durch BiSmarck verschuldeter Fehler gewesen. Gegenüber diesem Standpunkte weist Brandenburg nach, daß BiSmarck erreicht hat, was unter den gegebenen Ver hältnissen ohne Anwendung direkter oder indirekter Zwangsmittel erreicht werden konnte; solche Zwangsmittel wollte er nicht anwenden, einmal, weil ihre Wirkung höchst unsicher war, sodann, weil das an sich heikle Verhältnis Bayern» zum Reiche dadurch ganz verbittert worben wäre. „Nur ein Unitarier strikter Observanz", meint Branden burg sehr richtig, „deren es heute wohl nicht viele mehr in Deutschland gibt, kann sein (Bismarcks) Verfahren mißbilligen. Aber das deutsche Volk kann durchaus zu frieden sein, daß in jenen entscheidenden Tagen ein Staats mann an der Spitze stand, der, bei aller Kühnheit, Bor- auSsicht und Mäßigung genug besaß, um nur das zu erstreben, wa» Aussicht aus Dauer bot." Ein weitere» HaupteraebniS der Darstellung von Lorenz besteht in der Ansicht, daß der größte Anteil an der Wiederherstellung des Reiches dem Kaiser Wilhelm I. und den national gesinnten deutschen Fürsten gebühre, während BiSmarck eigentlich nur der Voll strecker der Befehle seineSHerrn gewesen sei. In Bezug auf Wilhelm geht Lorenz davon aus, schon 1848 habe der damalige Prinz da» deutsche Reich in ähn licher Form angestrebt, wie eS später verwirklicht wurde. Im Gegensätze hierzu beruft sich Brandenburg auf die aktenmäßige Feststellung, daß vor 1896 sowohl Wilhelm, al» BiSmarck in erster Linie Preußen waren und daß ihnen die Verstärkung der preußischen Großmacht stellung al» vornehmstes Ziel galt. Nach Köntggrätz habe Wilhelm zweifellos geglaubt, die Suprematie Preußens über ganz Deutschand erreichen zu können, und im Nord deutschen Bunde nur den Kern zu einem größeren StaatS- gebäude erblickt. Wenn Lorenz in dieser Beziehung BiS marck anders denken laste, so sei das falsch; denn Bismarck habe zwischen 1899 und 1870 ost genug privatim und öffentlich ausgesprochen, daß der Bund nur die erste Etappe auf dem Wege zur deutschen Einheit sei. Die Be hauptung von Lorenz, auch in den folgenden Jahren sei der König seinem Minister an nationaler Gesinnung weit voraus gewesen, bezeichnet Brandenburg als unbewiesen, führt Lorenz' Irrtümer auf Unkenntnis der Literatur und die Sucht, etwas anke.cs zu behaupten, als bisher angenommen wurde, zurück und beleuchtet die Oberfläch lichkeit der Lorenzschen Arbeitsweise, sowie die Unzuver lässigkeit seiner Urteile an der Entstehungsgeschichte des Krieges von 1870/71. Alsdann hebt Brandenburg her- vor, daß nach der eigenen Darstellung von Lorenz die ent- scheidenden Ereignisse (Einleitung der spanischen Thron- kandidatur, Abschluß der Verträge mit Süddeutschland und de» Friedens mit Frankreich, Entscheidung über den Titel) ausschließlich auf Bismarck» persönliche Tätigkeit zurückzuführen sind. „K v n i g W i l h e l m » L e i ft u n g", schreibt Branden burg zufammenfassend, „bestand darin, daß er die Rivali täten und Kämpfe seiner großen und leidenschaftlichen po litischen und militärischen Ratgeber auszugleichen, ihr Zusammenwirken zu ermöglichen wußte. Er verstand eS, ihnen die Freiheit zu lassen, die sie brauchten, und ihnen da entgegenzutreten, wo diese Freiheit für das Ganze gefährlich zu werben drohte. Auch diese Leistung war bedeutend und unent behrlich. Gewiß nicht jeder hätte sie vollbringen können. Aber die großen schöpferischen Ge danken, die entscheidenden Antriebe zu den großen Taten Lieser großen Zett, dabei müssen wir, trotz Neuwahlen in England? Ein großes englisches Blatt will aus bester Quelle erfahren haben, daß die Auflösung des Parlaments in wenigen Monaten bevorstündc und daß im Herbst Neu wahlen stattfinden würden. Falls diese Mitteilung zutrifft, würde dcm gegen wärtigen Parlamente noch nicht einmal die Hälfte seiner gesetzmäßigen Lebensdauer bcschicdcn gewesen sein. Da nun bei den letzten allgemeinen Wahlen die konservativ- nnionistische Negierung eine über Erwarten große Mehr heit erlangt hat, so muß mau anerkennen, daß die Anbe raumung von Neuwahlen, nachdem noch nicht die Hälfte der Legislaturperiode verstrichen ist, ein Akt großer Noblesse der Regierung wäre, denn sic begäbe sich freiwillig in die Gefahr, an Stelle einer vorhandenen großen Mehr heit durch ein ungünstiges Votum der Wählerschaft eine geringere Mehrheit zu erlangen, oder gar in die Minder heit zu geraten und abdanken zu müssen. Diese Gefahr liegt um so näher, als gerade die in den letzten Wochen vollzogenen Ersatzwahlen einen starken „Druck nach links" haben wahrnchmcn lassen. Diese Er satzwahlen haben stattgefundcn in Wahlkreisen, die zu den sichersten Sitzen der gegenwärtigen Regierungsmehrheit gehörten. In zweien dieser Wahlkreise hat die Opposition obgesiegt, und zwar nicht nur mit einer kleinen Zufalls. Majorität, sondern mit einer sie selbst verblüffenden Mehr heit; den dritten Wahlkreis hat die parlamentarische Ma jorität behauptet, aber ihr LtimmcnpluS, das bei den letzten allgemeinen Wahlen noch 2300 betragen hatte, sank auf 1100 herab. Eine gelegentliche Niederlage hätte an sich nichts zu besagen, denn dergleichen findet bei Ersatzwahlen überall statt, aber zwei schwere Schlappen und eine halbe Nieder lage unmittelbar hintereinander, das deutet doch wohl auf eine wesentlich veränderte Stimmung der Wählerschaft hin. Nun scheint die Regierung allerdings zu hoffen, eine der Ursachen der Niederlage ziemlich bald beseitigen zu können. DerSchatzlanzler Ritchic hat im Unterhause ex- klärt, er hoffe, daß die Lasten der Steuerzahler sich in diesem Jahre vermindern würden. Träfe diese Zusicherung noch vor den Neuwahlen zu, so würden allerdings die Aussichten der Regierung wesentlich gebessert werden, denn es ist unbestreitbar, daß die infolge des südafrikanischen Krieges eingetrctcne erheblich« Mehr belastung der Steuerzahler durch allerlei unbequeme und lästige Abgaben einer der Hauptursachen der Verstimmung ist. Aber einmal machen es die großen Neuforderungen für Heer und Marine nicht oben wahrscheinlich, daß in absehbarer Zeit eine Erleichterung der Steuerlast sich be merklich machen werde, und zweitens hat Herr Ritchic nur eben eine Hoffnung ausgesprochen, die um so verdächtiger ist, als gleichzeitig ein Vorschlag, eine bestimmte lästige Steuer zu beseitigen, von der Regierung nachdrücklich bekämpft, und demgemäß auch vom Parlamente abgelchnt wurde. Die Regierung scheint aber ihre Hoffnung nicht sowohl auf die Wirkung von Steuerlcichtcrungcn zu setzen, als auf die ihr noch während des Bocrcnkricgcs so feindlich gesinnten Iren. Schon bei der Beratung der Heeres- forberungen fiel e» auf, daß, während verschiedene Au- Hänger der Regierung scharf mit ihr ins Gericht gingen, die Iren sich passiv verhielten. Bei der Abstimmung enr- hielten sie sich dann ihrerStimmen, wodurch dcrRegierung trotz des Abfalles einer Anzahl von Konservativen und Unionisten eine anständige Mehrheit gesichert wurde. Dieses Wohlwollen der Iren erklärt sich durch das Pro. gramm einer wesentlichen Erweiterung der lokalen Selb st Verwaltung für Irland, mit dem die Regierung in den Wahlkamps ziehen will. ES mag «ohl sein, daß die Regierung damit die Iren, sowohl auf der grünen Insel selbst, wie die in England lebenden, sich wohlgeneigt macht. Auf der anderen Sette aber wird sie viele Stockengländer, welche die Iren alS eine Gklaven-Nation anseben, gegen sich aufbringen uns 1«rabe durch das irische Programm manchen Wahlsttz in 97. Jahrgang.
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