01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 20.04.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-04-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030420019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903042001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903042001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-04
- Tag1903-04-20
- Monat1903-04
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme LS H (rxcl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nur mit oer Morgen-AuSgabe, ohne Poftbesörderung SO.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmelchluß für Anzeigen: Abeud-Uu«gabe: Bormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittag« 4 Uhr. Anzeigen sind stets au die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. P olz i» Leipzig. Nr. 187. Montag den 20. April 1903. 97. Jahrgang. Amtlicher Teil. Verdingung. Kür den Neubau eines Wohn- und Geschäftshauses auf dem Grundstücke Ritterftraße 14 sollen die Erd- »ad Maurerarbeiten, sowie ei« Teil der Steinmeb- arbeiten in einem Los vergeben werden. Preisverzeichnisse und Lieferungsbedingungen können im unterzeichneten Landbauamte gegen Bezahlung zur Ausfüllung entnommen werden. Die Angebote sind verschlossen mit entsprechender Aufschrift bis den 25. April d. I., mittags 12 Uhr, portofrei an das unterzeichnete Landbauamt einzureichen und gehen damit in dessen Eigentum über. Die Bewerber sind bis den 23. Mai d. I. an ihr Angebot gebunden, und bleibt jede Entschließung über die Auswahl unter den Bewerbern oder die Zurückweisung sämtlicher Gebote Vorbehalten. Königliches Landbauamt Leipzig, am 17. April 1903. Seidel. Verdingung. Die bei dem Neubau eines Landwirtschaftlichen Institutes an der Johannisallee erforderlichen Bauarbeiten als Mobiliar II. Teil sollen inS Gedinge gegeben werden. Die Preisverzeichnisse sind gegen Bezahlung bei dem unterzeich neten Landbauamte zu haben und spätestens bis dcn 27. April LSV» an dasselbe portofrei einzureichen. Die Preisverzeichnisse gehen in das Eigentum des Landbau amte« über. Die Auswahl unter den Bewerbern, welche bis zum 27. Mai 1903 an ihre Gebote gebunden bleiben, wird Vorbehalten. Diejenigen Bewerber, mit welchen bis dahin ein VertragSab- iommen nicht vereinbart worden ist, haben ihre Gebote als abgrlehnt snzusehen. Königliche« Landbanamt, den 18. April 1903. Seidel. Konkursmasse-Versteigerung. Am Dienstag, «en SL. «. Mt«., vorm von 10 Uhr ab, sollen in Leipzig, Winvmühlenstratze 46, im Laden, im Auftrage de« Konkursverwalters Herrn Paul Gottschalck die zur Konkursmasse der Stefanie verehel. Dittrich gehörigen Maaren, als: 3 Anker Sardellen, 2 Fatz Perlfwiebeln, 1 Fass ka pern, 2 Tonnen Matjes-Heringe, 2 rönnen Gurken, I Partie Lclsardincn, viv. Fischwaarcn in Dosen, sowie 1 Herren- und 1 Damen-Fahrrad öffentlich gegen sofortige Uaarzahlung versteigert werden. Leipzig, den 18. April 1903. I.ttelvolce, Lokalrichtcr. Letzte Nachrichten. * Berlin, 19. April. Der Kaiser unternahm gestern nachmittag einen Spazierritt im Tiergarten und folgte um 8 Uhr einer Einladung des Königlich Großbritannischen Botschafters Sir Frank Lascelles zum Essen. — Heute morgen besuchte der Kaiser den Gottesdienst in der alten Garnisonkirchc und gedachte später den Vortrag des Hausministers v. Wedel entgegen zunehmen. — Zur Frühstückstafel bei den Maje stäten sind geladen Fürst Heinrich LXIV. Reutz-Köstritz, Herzog und Herzogin von Natibor, Wirklicher Geheimer Rat Frhr. v. Ltliencron und Gemahlin, Legationsrat Graf Botho Wedel und Gemahlin, Earl of Kintore, Lady Ethel und Mary Keith Falconer. * Berlin, 19. April. Eine Extraausgabe des „Militär-Wochenblattes" meldet: v. Bülow, General leutnant, beauftragt mit Führung des dritten Armee korps, zum Kommandierenden General dieses Armee korps ernannt, v. Kleist, Generalleutnant, Inspekteur der ersten Kavallerie-Inspektion, zum Kommandeur der 88. Division ernannt. Frhr. v. Langer mann und Erlencamp, Generalmajor, Kommandeur der 14. Ka vallerie-Brigade, mit Wahrnehmung der Geschäfte des Inspekteurs der ersten Kavallerieinspektion ernannt. Ferner wurden zu Generalleutnants befördert: General majore v. Schwa rtzkoppcn, Kommandeur des Kadettenkorps, v. Götzl er, Oberquartiermeister, be auftragt mit Wahrnehmung der Geschäfte des Chefs des Stabes der 1. Armceinspcktion, v. Wittken, Inspek teur der ersten Futzartillerieinspektion, v. Einem ge nannt v. Rothmaler, Direktor des Allgemeinen Kricgsdepartcments im Kriegsministerium. Freiherr v. Neibnitz, Kommandeur der 33. Jnfanteriebrigade, wurde zum Kommandanten von Karlsruhe, und von der Groeben, Abteilungschef im Großen General stabe, zum Kommandeur der 33. Jnfanteriebrigade er nannt. * Danzig, 19. April. Der russische Verkehrsminister F ü r st C h i l k o f f ist heute nachmittag hier eingetroffen. Der Minister stattete dem Oberpräsidenten Delbrück einen Besuch ab und gedachte heute abend nach Berlin weiterzureisen. l * Bremen, 19. April. Der 9. Internationale Kon greß gegen den Alkoholismus ist heute ge schlossen worden. In der Schlußsitzung dankte Professor vr. Forel nochmals der Reichsregicrung und der Stadt Bremen für die gewährte Unterstützung, worauf Bürgermeister Pauli erwiderte. Der nächste Kongreß soll 190.) in Pest abgehaltcn werden. * Köln, 19. April. Die „Köln. Ztg." schreibt: Sen sationelle Blätter werden nicht müde, immer neue Ge- I rüchtc über eine Annäherung zwischen dem Herzog Ivon Cumberland und dem deutschen Kaiser aus- 1 zustreuen. Nachdem die unsinnige Nachricht, daß der deutsche Kronprinz sich am 8. d. M., dem 80. Ge burtstage des Königs von Dänemark, mit einer Toch ter des Herzogs von Cumberland ver loben werde, als aus den Fingern gesogen sich heraus gestellt hat, wird jetzt die Meldung, und zwar zuerst vom „Daily Telegraph", verbreitet, der Kronprinz solle mit dieser Prinzessin bei einem gelegentlichen Besuche in Karlsruhe im Laufe des Sommers zusammentreffen. Auch diese Ausstreuung ist eine fette Ente. Sie wird allerdings durch die weitere, zunächst vom „Hannov. Anz." in die Welt gesetzte Nachricht übertroffen, daß der Kaiser im Herbste dieses Jahres am Hofe des Herzogs von Cumberland einen Besuch abstattcn und dann als Jagd gast des Herzogs mehrere Tage in Gmunden bleiben werde. Wie töricht diese Meldung ist, wird jedem ein leuchten, der sich daran erinnert, daß bis heute der Her zog von Cumberland die Bestimmungen des Prager Friedens von 1866 über die Verschmelzung Hannovers mit Preußen noch nicht anerkannt hat und im Gegenteil die verlorenen Rechte auf Hannover ausdrücklich auf recht erhält. Daß mit einer solchen Haltung des Herzogs von Cumberland ein Besuch des deutschen Kaisers unver einbar ist, sollte keiner ausdrücklichen Versicherung be dürfen. * Krefeld, 19. April. (Berichtigtes Telegramm.) Wie die „Krefelder Zeitung" meldet, haben in einer gestern abgchaltencn Versammlung der aus ständigen Seidenweber der Firma Bret- tahl L Co. die beiden entlassenen Arbeiter auf die Wiederanstellung Verzicht geleistet, worauf in geheimer Sitzung mit 43 gegen 26 Stimmen beschlossen wurde, die Arbeit am Montag wieder auf zunehmen. Dadurch ist die Sperre vom ganzen Jn- dustriebczirke abgewendet. * Esse«, 19. April. In der Nacht zum Sonnabend wurde der Fähnrich Hüssener unter militärischer Be deckung nach Gelsenkirchen gebracht. Bon dort wurde er nach Kiel transportiert. Vor dem hiesigen Bezirks kommando hatte sich eine zahlreiche Menschenmenge an gesammelt, die Verwünschungen gegen Hüssener ausstietz. — Fähnrich Hüssener legte, dem „B. H," zufolge, auf dienstlichem Wege Beschwerde geger^seTne Ver haftung ein. Er glaubt, lediglich den militärischen Vorschriften entsprechend gehandelt zu haben. Sein Auf treten ist sicher und selbstbewußt. * Bückeburg, 19. April. Zur Vermählung des Groß Herzogs von Sachsen-Weimar mit der Prinzessin Karoline von Neuß ä. L-, welche hier stattfindet, werden außer dem Kaiser noch folgende I Fürstlichkeiten anwesend sein: Königin Wilhelmina der > Niederlande und ihr Gemahl, Prinz Heinrich der Nieder-1 lande, der Erbgroßherzog und die Erbgrotzherzogin von Baden, die Erbgrotzherzogin von Sachsen-Weimar, Mutter des Bräutigams, die Herzogin von Württemberg, Prinz Adolf zu Schaumburg-Lippe nebst Gemahlin, Prin§ Ernst von Sachsen-Altenburg, Prinz und Prinzessin Wilhelm von Sachsen-Weimar, der Erbprinz und die Erbprinzessin Reutz j. L. und andere mehr. Die Herrschasten werden während ihrer Anwesenheit in Bückeburg im Residenz schlosse, zum Teil auch im Palais der Fürstin-Mutter Wohnung nehmen. Die Festlichkeiten anläßlich der Ver mählung beginnen am 27. April abends mit einem Gala diner, am 28. ist Hofball und am 29. Hofkonzert. Die Trauung des Paares wird am 30. April in den ersten Nachmittagsstunden in der Schloßkirche stattfinden. --- Altenburg, 19. April. In der Versammlung des Reichsvereins, welche heute in Gera ab gehalten wurde, teilte Herr Kommerzienrat Schmidt- Altenburg mit, daß der bisherige Reichstagsabgeordnete Herr Kammerherr v. Blödau sein Programm den Forde rungen der Industrie angepatzt habe. Weil ein vom Reichs verein direkt aufgestellter Kandidat ein wesentlich günsti- geres Programm auch nicht bringen könnte, so solle Herr v. Blödau nochmals als Kandidat aller Mittelparteien aufgestellt werden. Nachdem noch Herr Kommerzienrat Donath in Schmölln zum Ausdruck gebracht hatte, wie schwer es dem Reichsverein geworden sei, Herrn v. Blödau anzuerkennen, während von anderer Seite die Aenderung des v. Blödauschen Proarainms als ein Opfer des Bundes der Landwirte bezeichnet wurde, kam es zur Abstimmung, die zu dem Ergebnis führte, daß Herr v. Blödau ein stimmig als Kompromitzkandidat anerkannt wurde. * Darmstadt» 19. April. Prinz Heinrich von Prcutzen ist gestern abend nach Kiel abgereist. Die Prinzessin Heinrich und der Großherzog gaben ihm daS Geleite nach dem Bahnhofe. * München, 19. Avril. Prinzessin Irmengard, das jüngste Kind des Prinzen und der Prinzessin Rupprecht, ist in Tegernsee an Lungenentzündung erkrankt. Herzog und Herzogin Karl Theodor haben deshalb ihre beabsichtigte Reise nach Wien zu den Hoch zeitsfeierlichkeiten der Erzherzogin Elisabeth und dcS Prinzen zn Liechtenstein aufgegeben. Die Eltern der er krankten Prinzessin befinden sich gegenwärtig bekanntlich in China. * Wie«, 19. April. Aus Anlaß der morgen statt findenden Vermählung der Erzherzogin Eli sabeth Amalia mit dem Prinzen AloiS Liechtenstein fand in der Hofburg eine Galatafel statt, an welcher der Kaiser, die Erzherzoge nnd Erzherzoginnen, Prinz Arnulf von Bayern mit Gemahlin und Sohn, das Brautpaar, die obersten Hofwürdenträger, die Minister und die Präsi denten des Herren- und des Abgeordnetenhauses teil- Frnilletsn. Leine geniale Frau. Charakterbild von Hermann Heinrich. Nachdruck verboten. Walther Haase war ein guter Kerl, darüber war die ganze Prima einig. Zwar hätte er mehr sein können als das; er hatte das Zeug zu einem tüchtigen Kerl in sich, und seine Lehrer unterschätzten keineswegs Begabung und Leistungen. Aber er hatte die Schwäche, sich immer für einen Andern begeistern zu müssen, wodurch er selbst stet» in den Hintergrund trat. Schwärmte er heute für Viktor Wagners letzten SpottvcrS auf Professor Haar stein, so nannte er morgen dcn neuesten Kalauer Richard Sols», des Klassenprimus, genial. Ueberhaupt, das Genial« war sein Fall, und in Stunden besonderer Be geisterung gestand er seinen intimsten Freunden, daß er sich vom Schicksal als höchste Gunst das Herrlichste er bitte, waS nach seinem Dafürhalten einen Mann beseligen könne, eine geniale Frau. ,Häschen", dieser Kosename bezeichnete sehr genau die Stellung, die seine Mitschüler ihm erwiesen, und be sonders komisch war es, wenn Willy Elsner, der Kleinste der Klasse und beim Turnen der linke Flügelmann, die Hände hoch emporhob, sie auf seine Schultern legte und mit Gönnermienc sagte: „Weißt du, Häschen!" Nach dem Abiturium flog die ganze Prima auseinander. Walther Haase trat ins Bankfack über, und ich widmete mich der Marine. Unter Arbeit und Mühen verflogen die Jahre. Da — als ich eines Tages durch die Prome nade der schlesischen Hauptstadt schlenderte, tauchte plötzlich vor mir das liebe Gesicht des alten Jugendfreundes aus, etwas verändert zwar, aber doch auf den ersten Blick deut lich erkennbar. Tic Freude war gegenseitig. In herz lichem Geplauder gingen wir der Stadt zu, suchten und sanden in der Weinstube am Ring eine gemütliche Ecke, und unter der stillen, aber mächtigen Einwirkung des mattgolden Rüdesheimer wurde die alte Zeit lebendig. Walther war seit einem Jahre vcrl-ciratct, und er erwähnte seine Fran mit einer gewissen ehrfurchtsvollen Scheu. Wenn er „meine Frau" sagte, so klang das immer wie: „Meine Königin, meine Sonne, mein Leben!" Als der Wein die Gedanken beflügelt und die Zungen gelockert hatte, fragte ich: „Na, HäSchen, entspricht nun deine Frau dem Ideal, das dich einst so sehr begeisterte?" Er lächelte schlau, nickte lebhaft und sagte langsam und mit Nachdruck: „Sie ist genial!" Lein Herz war zum lieber- laufen voll, nnd ohne weitere Anregung meinerseits be gann er zu erzählen. „Der Name Belladonna Berg, dieser ost genannte Künstlername, dürfte dir nickt unbekannt sein. Sic ge hört zu den Vertretern der Breslauer Sezession und iss mit dem alten Fürstcnhause der Maladetzkis verwandt, wenn auch durch den Querbalken der Illegitimität. Der alte Fürst Fedor ist ihr Vater; ihr« Mutter war die be rühmte Schauspielerin Eleonore Berg, die ihrer Zeit ganz Breslau bezauberte. Das ist meine Frau." „Hm!" machte ich zustimmend. „Wie ich simpler Mensch dazu gekommen bin, mir ihre Zuneigung zu erwerben, ist mir heute noch ein Rätsel. Ich stand in der Kunstausstellung vor einer norwegischen Landschaft und suchte die Bedeutung der oarauf befindlichen Figuren zu ergründen. Waren es Schafe, Wolken oder Meeresmellen ? Du kennst ja die Eigentümlichkeiten der Sezession. Da gesellte sich eine Dame zn mir, die mir auf Befragen die nötige Auf klärung gab. Es waren natürlich weder Schafe, noch Wolken, noch Wellen, sondern stilisierte Mehlsäcke. Die Dame konnte cs wissen, denn sie war die Malerin selbst. Sic versicherte mir, daß sic noch Keiner so gnt verstanden habe wie ich. Wir sahen uns öfter, sie machte mir den Antrag, und eine solenne Hochzeit besiegelte das Bündnis." „Verzeihe!" warf ich etwas beklommen ein. „Fürchtetest du nicht, datz eine durch Abstammung und Beruf so aus gezeichnete Frau Ansprüche machen könnte, die deine Ver hältnisse übersteigen?" Er schüttelte überlegen dcn Kops. „Die ungemeine Klarheit ihres Geistes schloß solche Befürchtungen von vornherein anS. Wir fingen natürlich ganz klein an. Eine Wobnung von sechs Zimmern, — Salon, Musik zimmer, Atelier, Wohnzimmer, Eßzimmer, Schlafzimmer, — auf ein Fremdenzimmer mutzten wir vorläufig ver zichten —, Köchin nnd Stubenmädchen, das war alles. Wie gerne Hütte sie einen Groom gehabt, aber das ließ sich eben nickt machen. Nun, es ging auch so. Die Frau übt einen wunderbaren Einfluß ans ihre Umgebung aus. Man wird förmlich verwandelt. Einmal fehlt mir an meinem Bureaurock ein Knops, hier hinten einer von dcn beiden Schotzknöpsen. Ich bitte sie, mir einen anderen anzunähen. Willig nimmt sie dcn Rock und verschwindet. Als sie wiederkommt, ist zwar der abgesallene Knopf nickt ersetzt, aber der andere fehlt auch. Sic hat ihn einfach abgeschnitten, nnd damit die Summetric wieder hergcstcllt. Ist das nicht genial?" „Donnerwetter!" rief ick überrascht. „Nicht wahr?" fuhr er geschmeichelt fort. „Im An fang war es mir ausfallend, daß sich unser Mädchen so wenig nm die Ordnung im Hause bekümmerte. Einmal sah ich, datz der Flügel dick voll Staub lag. Um meine Fran in zarter Weise daraus aufmerksam zu machen, schrieb ich ihre Initiale U hinein. Zuruckgckehrt, finde ich neben diesem Buchstaben ein meinen Anfangsbuch staben, in genialen Zügen mit dem l! zu einem Mono gramm verschlungen. Sie hatte mich zwar mißverstanden, aber cs war doch reizend. Es ist psychologisch begründet, daß sich mit der Genialität eine gewisse kindliche Harrn- losigkeit paart." „Wunderbar!" ries ich, „das ist wirklich genial." „Im tiefsten Herzen beschämt, habe ich mir nie wieder solche Andeutungen erlaubt. Den alten Philister habe ich vollständig «»»»gezogen und mich bemüht, mehr und mehr ihrer würdig zu werben." „Das ist dir gewiß nicht schwer geworden", warf ich ein. „Nein, gar nicht. In dem Kreise von Künstlern, Schriftstellern und Gelehrten, in dem wir verkehren, l-abc ich mich schnell akklimatisiert, ja, ich spiele eine gc- wisse Nolle. Freilich verhehle ich mir auch nicht, daß ich dies in erster Linie meiner Frau verdanke. Sie kommt her, wir werden hier zu Abend essen. Da wirst du sie ja kennen lernen; sie bezaubert alles." „Ich bin begierig." „Und einen Geschmack hat sie — süperb! Du solltest unsere Wohnung sehen! Vasen aller Völker und Zeiten, eckt, sage ich dir, keine blöde Imitation; Büsten und Statuetten, Stahlstiche, Aquarelle und Oelgemäldc, und alles durch einen genialen Zug zu einem stimmungs vollen Ganzen vereinigt." „Aber das mutz heidenmäßig viel Geld kosten." „Durchaus nicht. Tu glaubst ja nicht, wie billig meine Frau kauft, es ist zum Staunen! Erst in voriger Woche brachte sie ein kleines Götzenbild japanischen Ursprunges, Majolika, echt! Und was meinst du, waS sie dafür ge zahlt hat? Lumpige neunzig Mark, bei einem reellen Wert von mindestens dreihundert." „Unglaublich!" „Es geht freilich manchmal etwas ins Geld, trotzdem! Aber wir kommen durch. Mein kleines Erbteil hat für die Einrichtung der Wohnung gut ausgcreicht. Mein Gehalt als Bankbeamter ist nicht bedeutend; doch es Hilst wirtschaften. Die Werke meiner Frau werden gern ge kauft und gut bezahlt. Ick freilich bin selten in der Lage, ihren Kunstwert zu erkennen; andere Leute denken anders darüber. Es ist zum Lachen, was von den Ver tretern der Geldaristokratie ost dafür gezahlt wird. Da ist zum Beispiel ein gewisser Fabrikant Frenyel, alter Herr, Lebemann, aber schwer, wiegt einige Millionen. War übrigens alo flotter Witwer Amateur meiner Frau und mein Rival. Guter Kerl übrigens; seine Niederlage hat ihn nicht verstimmt. Dieser ehrwürdige Mccrgrcis ist einer der besten Kunden meiner Frau. Er könnte eine SonderauSstcllung Belladonna Haase-Berg ganz allein bestreiten. Jetzt kapriziert er sich darauf, von ihr porträ tiert zu werden. Meine Frau will nichts davon wissen, sic lehnt cs ab, einmal, zweimal. Hilft alles nichts. Es muß sein, durchaus! Er will ihr sitzen." Mir klopfte das Herz. „Du, das würde ick ablehnen, entschieden." Er lächelte. „Warum denn? Meine Frau ist allen überlegen, auch ihm. Du glaubst gar nickt, wie sic ans Distanz hält. Unnahbar, wie eine Göttin. Ucbrigcns ginge das auck gar nickt. Wir haben seine Soireen, seine Bälle, seine intimen Abende besucht. Wir sind ihm die Erfüllung seiner Bitte einfach schuldig. Natürlich kommt er zn uns. Ich bin ja bis um vier Ubr nicht zu Hause, da sind sic ganz ungestört. WaS meinst du wohl, was für solches Porträt gezahlt wird? Dreitausend Mark." „Da könnt Ihr freilich wirtschaften; indessen, lieber Freund —" Seine Begeisterung schnitt mir de« Einwand vom Munde ab. „Nicht wahr?" rief er stolz. „Ohne Ueber- treibnng, sie ist ein Juwel. Dessenungeachtet, ich gestehe es offen, haben wir schon manche Kalamität durchgemacht. Schlächter und Bäcker kommen kaum in Betracht, die borgen. Aber zuweilen fehlte die Miete, sogar der Lohn für die Bedienung. Da solltest du nur meine Frau sehen! Keinen Augenblick die Besinnung verloren, mit be herrschendem Blick die Situation überschaut. Und dabei voll bezaubernder Grazie und Liebenswürdigkeit. Ich habe es selbst erlebt, wie sie einen Konfektionär, der mit etwas stürmischen Gebärden die Kleinigkeit von fünf hundert Mark einforderte, nicht allein beruhigte, scmdern auch so umkrcmpelte, daß er ihr auf ihr neuestes Bild hin noch hundert Mark vorstreckte. Ich sage dir, wenn sic so blickt und spricht, dann öffnen sich ihr nicht nur alle Herzen, sondern auch alle Taschen." „Aber könnte Euch die Sache nicht dennoch einmal über'n Kopf wachsen?" „Wo denkst du hin! Niemals. Im Gegenteil, unsere Zukunft ist vollständig gesickert. Das alles sind Lapa- lien, die bei dem nächsten großen Erfolge meiner Frau ausgeglichen werden. Meine Fra» nämlich hat eine künstlerische Idee, eine Idee, sage ich dir, fo voll Größe, und aktuell und apart!" — In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und eine Dame in majestätischer Haltung rauschte herein, eine junonische Erscheinung mit dunklen, sieghaft strahlenden Augen. Hinter ihr erschien ein GcschästSdicncr mit einem Paket. Mein Freund stellte mich vor, und ne begrüßte mich mit solch natürlicher Grazie und Herzlichkeit, daß ich mich gefangen fühlte. Dann nahm sic dem Mann daS Paket ab, öffnete cs schnell nnd entfaltete vor unseren er staunten Augen eine prachtvolle japanische Stickerei. „Was sagst du dazu, Walther? Hundert Mark! Halb gefunden, nicht?" Ihre Stimme klang volltönig. wie Glockengeläut, und ihre Haltung in dem schwarzen Samt kleide mit einer Schleppe hätte einer Königin Ehre ge macht. Unbeweglich wie eine Schildwache stand der Ge- schäftsdiencr an der Tür. „Der Mann hat quittierte Rechnung", sagte sie halb laut. Auf Walthers Gesicht zeigte sich eine leichte Röte. „Ich — ick habe mir kein Geld eingesteckt." Da wandte sic sich mit einer wunderbar bestrickenden, so innigen Liebenswürdigkeit an mich. „Lieber Freund, würden Sie wohl so gütig sein?" — „Ich bin glücklich, gnädige Frau." Hastig griff ich in die Tasche und stellte ihr einen Hundertmarkschein, dcn letzten, zur Verfügung, dann griff ich nach der Mütze. „Sie essen doch mit uns Abendbrot?" „Bedauere tausendmal, Gnädigste, aber ick mutz — um acht Uhr beim Admiral sein. Habe die Ehre. Auf Wieder sehen, auk Wiedersehen!" Gedankenvoll zog ich meine Straße. „Armes Häschen!" dachte ich, nicht ohne aufrichtiges Mitleid; dock auck nicht ohne einen Anflug von Aerger. „Sie ist die Malerin, und wir sind — die Pinsel."
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