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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 13.12.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-13
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-190212139
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19021213
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19021213
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-12
- Tag1902-12-13
- Monat1902-12
- Jahr1902
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 13.12.1902
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Glicht. Der Küster schlug de« Takt mit dem Gesangbuch; die ungefügen Stimmen der Heidebauern fielen polternd ein in den Gesang, und hell klang der Diskant der Schul mädchen dazwischen. Ich ging den Gang entlang, ohne aufzusehen; aber plötzlich hob ich das Gesicht. Was war das? Was klang da wie ein süßer, Heller Glockenton in den rauhen Gesang der Gemeinde hinein und füllt das Kirch lein mit prächtigem Schall? Dorther kam es, wo zwei, hier ganz fremde Gestalten saßen: ein Herr in Forst uniform und ein junges Mädchen, dem unter dem Hut eine Fülle blonden Haares hervorquoll. Ich hatte sie beide nie gesehen; aber wie ich nun oben auf der niedrigen Kanzel stand, da mußte ich immer nach ihnen Hinblicken und lonnte cs nicht lassen. Er ein stattlicher Herr mit dunklem, graugemischtem Bart, braungebrannt von 8er Sonne und Mit. klaren Waidmannsaugen, sie, das Fräulein, mvrgenfrisch, blühend, reizend. Warm strömte mir das Blut zum Herzen und wieder durch die Adern, und warm strömte mir die Rede von den Lippen; nein, auch aus dem tiefsten Herzen heraus. Das da unten, das war endlich einmal Geist von meinem Geist; die verstanden mich, das lehrten mich ihre Augen. Ich war kein Prediger mehr in der Wüste, der nach dem einfachsten Begriff und Wort mühsam suchte und im Stillen Lerd trug, daß er sie immer noch nicht gefunden, und das war nicht mehr die Predigt, deren Gedanken da vor mir auf dem Zettel verzeichnet stand — nein, eine ganz andere war's, eine neue Offen barung meines Ich und überm Reden wuchsen mir die Schwingen immer mächtiger und trugen nHch empor. Als ich Amen sagte, sahen die Bauern von per Heide sich erstaunt an, und unter der Kanzel sahen die beiden Sitzenden einander an und nickten sich leise zu. Draußen vor der Kirchthür warteten sie auf mich. Der Forstmeister trat auf mich zu und stellte sich und feine Tochter vor. „Wir hörten ihre Glocke läuten, hier, auf der Rast im Kruge, da zog cs uns, das Wort vom Frieden hier auf der stillen Heide zu hören, und es hat uns nicht Leid darum gethan! Haben Sie Tank!" Ich streckte ihnen in meiner Herzensfreude beide Hände hin. Ja, das war Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein! „Kehren Sie bei mir ein!" bat ich, „bei dem« srrmen Heidepfarrer, damit er sich noch lange über diesen Sonntag freuen kann." Sie lachten mich beide in herzlicher Freundlichkeit an. „Gern," sagte der Forstmeister, „wenn Sie uns erlauben wollen, daß wir unsere Reiseküche hier aufthun und Sie zu Gast bitten unter Ihrem Heidedach; denn Sie werden nicht darauf eingerichtet sein, so großen Hauszuwuchs bei sich aufzunehmen am Sonntagmorgen! Wir wollten nämlich eigentlich unter dem Hünengrab dort, mitten in der Heide, den Stab in die Erde stoßen und hatten uns darauf vorgesehen; aber unter Ihrem Giebel ist's uns lieber!" Ta fing an diesem Sabbatmorgen ein seltsam wonnig Leben im Pfarrhause an. Brigitte sperrte Mund und Augen auf, als das schöne, fremde, vornehme Fraulein an den Herd trat. Sie hatte ihr Kleid ausgeschürzt und griff mit den feinen Händen frisch nach Kessel und Grapen, und Brigitte, die sonst gern langsam ging nach Sitte derer von der Heide, flog ordentlich umher im Haus vor dem frischen, fröhlichen Befehl von so rothen, lächelnden Lippen. Wir Männer sahen mittlerweile vor einem Trunk Wein und besprachen gar ernsthafte Dinge, während die feinen Wolken des Tabaks aus dem Fenster zogen und draußen in der Linde der Buchfink fröhlich fein schmetternd Sisd fang und die Haoss«l ihm- antwortete mit süßem FlAtaud«. „Sie dürfen hier nicht verkommen und versauern," sagte der Forstmeister und hob sein Glas. „Sie müssen hinaus ins volle Menschenleben! Und ich bringe Sie heraus! Gut war s vom lieben Herrgott eingerichtet, daß ich in diesen Wochen hinausfuhr durchs Land, die neuen Heidekulturen und Kiefernpflanzungen mit eigenen Augen zu schauen, und daß die Thyra den feinen Gedanken hatte, mit mir durch die Heide ziehen zu wollen. Sind im Ver lauf der Reise heute in der ersten Frühe aus der Stadt gefahren; hatten drei Meilen gut hierher; aber cs war mal wieder wahr, daß Morgenstunde Gold im Munde hat. Und ich will das Gold an den Tag und unter die Leute bringen! Vorwärts — und durch!" Sein Glas neigte sich gegen meines. Meine Hand zitterte ein wenig. „Wie Gott will!" sagte ich und dachte im Stillen: „Weg hat er aller Wege!" Es war ein herrlicher Tag unter Thyras blauen, leuchtenden Augen. Tas Leben, das gewaltige Leben mit all seinem Glanz, seinem Hoffen schien in meine Fenster hinein und blendete schier meine Augen. Ta draußen, da ging die Wett und die Zeit in hohen, brausenden Wogen, und da war das Glück; hier schlugen kaum die letzten Wellen des Lebens und des Glückes murmelnd auf den stillen Strand. „Wollen Sie?" rief der Forstmeister. „Sagen Sie ja! <Äe gehören ins Leben hinein!" bat Thyra über den Tisch her. „Papa macht Alles, er kann viel!" Ich sagte ja! . , Tas war mein Abschied von der Heide. — Es war Herbst geworden. Ein wonniger, sonniger, milder Herbst. Ich war zum ersten Pfarrer in einer großen Stadt gewählt worden. Auf der Rückreise war ich beim Wohnsitz des Forstmeisters vorbeigefahren; denn ich fürchtete mich vor Thyras Augen, die ich nicht ver gessen kmnte. Hatte bei Tag und bei Nacht in heißer, unbezwinglicher Sehnsucht ihrer gedenken müssen, des prächtigen Mädchens in all ihrer Schönheit und Blüthe und Güte. Sie war ja freundlich gegen mich — aber wie durste ich der arme Heidepfarrer es in den Sinn nehmen, sie, der Edelsten und Herrlichsten eine, in mein Haus, an mein Herz zu nehmen? „Aber bist ja kein Heidepfarrer mehr!" antwortete mein Herz. „Darfst dich unter die Ersten stellen. Flieg auf!" 'M! Ms Und halb wie im Traum griff ich nach Feder und Papier und schrieb, schrieb an Thyra und schrieb an den Forstmeister; an Thyra schrieb ich: „Ich weiß es, ich greife nach der Sonne, aber ich habe so lange hinein ge schaut, daß sie mich geblendet hat, wenn sie mir nun gar die Augen ausbrennt, zum Sehen taugen sie doch nicht mehr, und es wird Nacht um nnch. Ta blieb ich denn lieber auf der Heide, da kenn ich auch im Dunkeln alle Siegt und verlaufe mich nicht; und die Stille heilt wohl alle Wunden. Aber ein ehrlicher Mann wollt ich bleiben und Sie in mein Herz sehen lassen, daß nichts zwischen uns sei." Wie im Traum ging ich drei Tage rastlos umher. Wie ein Bote des Gerichts oder des Lebens kam mir der Briefbote daher — aber er ging vorüber. . Es war am dritten Tage, gegen Abend. Ich war hinausgegangen nach dem Hünengrabc. Ta lehnte ich am Runenstein und sah gen Westen. Im Purpurglanz hatte der Himmel sich aufgethan; unsägliche Gluth strömte von ihm aus und breitete sich mit verklärendem Schein über die Welt, Alles hüllend in stille Herrlichkeit. Fernhin knallte ein Hirt mit der Peitsche. Ich kniete im Ginster und Heidekraut und hatte die Arme um den Heidenstein gaschlagvn; zwischen tzauchzen und Jammern rang «ein* Seele; meine Stirn sank nieder auf den kalten Granit, und ich schloß die Augen, in denen noch das Licht vom Sonnen-Untergang glühte. Ta fühlt' ich eine Hand auf meinem Scheitel, eine leise, weiche, warme Hand. Ich hob das Haupt und wandte mich: da stand, vom letzten Strahl der sinkenden Sonne bestrahlt wie im Märchen glanz — sie — Thyra! und sieht mit Augen unendlichen Erbarmens auf mich herab. „Thyra — bist Du es?" fragte ich und hielt ihre Hand fest, die auf mir lag, ,wder ist's nur ein äffender Traum?" Fortsetzung folgt. Der Schmetterling. Novelle von Rrtahold Ortmarm. Schluß „O, darum sollen Sie sich keine Sorge machen," erwiderte sie rasch, „und wir werden später davon sprechen. Jetzt sollen Sie sich bemühen, gesund zu werden, weiter nichts." „Aber so geben Sie mir doch wenigstens Ihre Hand und neigen Sie sich ein wenig zu mir herab. Ich kann mich ja nicht aufrichten, und ich möchte Ihnen doch so gern etwas sagen." Sie that, wie er ihr geheißen, und er hörte das heftige Pochen ihres Herzens, als sie ihr Gesicht dem seinigen näherte. „Ich habe den Dieb gefunden," flüsterte er, „nur eine kurze Zett noch müssen Sie sich gedulden, dann werden Sie rein und gerechtfertigt dastxh« vor aller Welt." „Ach, denken Sie doch nicht an diese Dinge," bat sie, „das ist ja jetzt so gleichgültig. Was liegt denn an mir und daran, wie die Welt über mich denkt?" „Was daran liegt?" er sah ihr in die Augen und es war ihm, als ob er in den strahlenden blauen Frühlingshimmel blickte. „Alles liegt mir daran, Mar garethe, Alles! Ihnen Ihre Ehre und Ihren makellosen guten Namen wiederzugeben, ist der letzte Wunsch, den ich noch auf Erden habe." „So dürfen Sie nicht sprechen, Herr Jmberg, wenn Sie mich nicht aufs Tiefste betrüben wollen. Sie sollen noch viele, viele Wünsche hegen und sollen sie alle in Erfüllung gehen sehen, ehe die Zett für den letzten ge kommen ist." Er schwieg eine Weile, als ob er über etwas nach dächte. Aber er sah sie dabei unverwandt an, und er gab auch ihre Hand nicht frei, so daß sie gezwungen war, regungslos in ihrer Stellung zu verharren. „Ja, ich habe noch einen anderen Wunsch," sagte er endlich, „aber es ist einer, der sich gewiß nicht er füllen wird." „Und warum nicht? Können Sie ihn mir nicht nennen?" „Ja. Ich wünschte, daß Sie bei mir blieben, bis es zu Ende ist, daß ich Sie immer sehen könnte. Aber es ist unmöglich, ich weiß es." „Es ist nicht unmöglich. So lange ich mich hier nützlich machen kann, bleibe ich gewiß." Aber es war ihm an diesem Versprechen nicht genug. „Sie sagen es, um mich zu erfreuen. Und es ist doch nicht Ihr Ernst." „Wie soll ich es anfangen, Ihnen das Gegentheil zu beweisen? WaS müßte ich thun, damit Sie mir -rauben?" „Sie müßten mir schwören, daß Sie nicht von «Ü gehen werden, so lange ich lebe, daß Sie in mein« letzten Stunde bei mir sein werden, so wie Sie jetzt bei mir sind!" Eine ängstliche Spannung war in seinen Züge« und in dem Blick, mit dem er die Antwort von ihrem Gesicht zu lesen suchte. Sie aber sagte: „Ich schwöre Ihnen, daß ich nicht fortgehen werde, bis Sie selbst mich gehen heißen." „O, dann gehen Sie nie — nie!" frohlockte ech „O, wie dankbar ich Ihnen bin? Die glücklich Sir mich damit machen, Margarethe!" In diesem Augenblick öffnete sich leise die Thür, und des Pfandleihers gebeugte Gestalt glitt lautlos über dtp Schwelle. Aber als er die Veränderung gewahrt^, die mit seinem noch vor Kurzem völlig theilnahmlos« Sohne vorgegangen war, als er das Lächeln auf seine« Lippen sah und den belebten Ausdruck der bisher so schlaffen Züge, vergaß er in feiner glückseligen Ueberrafch» ung alle Borsicht. „Rudolf, mein Junge, mein lieber, böser Junge!" rief er schluchzend. „Erkennst Tu mich denn jetzt?" Und Wirtz Tu endlich ein Wort zu mir sprechen?" „Ja, Vater, ich erkenne Tich, und ich freue mich Mm ganzem Herzen, Tich zu sehen. Nun kann ich Tich doch um Verzeihung bitten für all den Schmerz den ich Dir in meinem thörichten Hochmuth zugefügt habe." „Du — um Verzeihung bitten — mich? Rein, daA hieße denn doch die Dinge auf den Kopf stellen. Du hattest ja recht, vollkommen recht. Ich habe, wenn auch ohne es zu wissen und zu wollen, thatsächlich einen falsch« Eid geleistet, und Du bist noch viel zu glimpflich mit mir umgegangen in Deiner kindlichen Liebe." „Du weißt es?" fragte Rudolf verwundert. ,Ind woher?" August Jmberg deutete mit einer Svpfbewegung auf Margarethe. „Woher ich es weiß? Ja, sehe ich e» den» nicht vom Morgen bis zum Abend vor mir, das engelhaft» Geschöpf, das durch mich ins Unglück gebracht Word« ist? Und sollte ich sie noch länger für eine Diebin halt« — sie? Aber sei ganz unbesorgt mein Junge? Ich bin längst mit mir darüber im Reinen, was ich zu thun habe. Wenn es Dir erst wieder besser geht, und wenn wir zu sammen nach Deutschland zurückgelehrt sind, gehe ich uw» verzüglich hin, mich dem Staatsanwalt zu stellen- Und es müßte doch sonderbar zugehen in der Welt, wmn nicht Alles noch ins rechte Geleise zu bring« wäre. Auf daß bißchen Gefängniß, das dabei auf mich fallen kam, kommt es mir wahrhaftig nicht an." „Und Sie, Margarethe — haben Sie meinem Bat« vergeben?" ! „Ich hatte ihm nichts zu vergeben, denn er glaubt» je nach bestem Gewissen zu handeln. Ich werde eS selbst» verständlich auch niemals dulden, daß er sich einer falsch« Aussage bezichtigt." „Nun, was sagte ich Dir, Rudolf: ein engelhaftes Geschöpf! O, Du solltest sie nur erst kennen, wie ich sie kenne! Du solltest Dir nur erst erzählen lass», wie sie Dich seit der Stunde ihrer Ankunft gepflegt haH Tag uünd Tacht, als wäre sie gar kein irdisches Wesen, das essen und trinken und schlafen muß wie ander« Menschen." i. „Herr Jmberg, ich bitte Sie," fiel Margarethe mahnend ein. Rudolf aber winkte ihr mit den Augen, sich noch einmal über ihn zu neigen, und so leise, daß nur sie eS vernehmen konnte, hauchte er ihr inS Ohr: „Da ich doch sterben Muß, darf ich Dir's ja sagen — ich lieb» Dich, Margarethe!"
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